TE OGH 2019/12/16 7Ob179/19b

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Veröffentlicht am 16.12.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** C*****, vertreten durch Dr. Michael Dyck und Dr. Christine Monticelli, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde S*****, vertreten durch Dr. Christian Schubeck und Dr. Michael Schubeck, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 10.000 EUR und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 24. Juli 2019, GZ 22 R 191/19w-10, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 29. April 2019, GZ 34 C 129/19m-6, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Berufungsgericht erklärte in Abänderung seines Ausspruchs die Revision zur Frage für zulässig, ob die Regeln der Bauwerkehaftung mit Beweislastumkehr nach § 1319 ABGB in die rechtliche Beurteilung des Sturzes der Klägerin über einen auf dem Boden einer Fußgängerzone von der beklagten Gemeinde auf öffentlichem Grund angebrachten Poller einzufließen habe.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Das Berufungsgericht hat die behaupteten Verfahrensmängel erster Instanz behandelt und deren Vorliegen letztlich verneint. Der Grundsatz, dass ein Mangel des Verfahrens erster Instanz, dessen Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden kann (RS0042963), kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0043061 [T18]); dies gilt auch für den Fall, dass die Einvernahme von Zeugen nicht erfolgte (vgl RS0043061 [T19]).

2. Ist der Wegehalter (§ 1319a ABGB) gleichzeitig im Sinne dieser Begriffsbestimmung als Besitzer eines im Zuge des Wegs bestehenden Anlage zu werten (§ 1319 ABGB), dann würde bei uneingeschränkter Bejahung der Anspruchskonkurrenz beider Tatbestände die Haftungsbeschränkung des § 1319a ABGB (Haftung nur für grobes Verschulden) in Ansehung dieser Anlagen gegenstandslos sein. Eine solche Auslegung des Gesetzes verbietet sich: § 1319a ABGB muss als Spezialnorm § 1319 ABGB verdrängen (RS0107589; RS0029924 [T4a, T8]).

Als „im Zuge eines Weges befindliche Anlagen“ sind solche zu verstehen, die dem Verkehr auf dem Weg dienen (RS0107589 [T5]). Wo die Funktion einer Baulichkeit als Verkehrsweg klar im Vordergrund steht, ist § 1319a ABGB gegenüber § 1319 ABGB als lex specialis anzusehen (RS0107589 [T3, T7]). Eine Ausnahme wird nur für Fälle angenommen, in denen ein besonderes Interesse des Wegehalters am betreffenden Werk besteht; ob der Wegehalter aber an einem im Zuge des Weges befindlichen Objekt ein eigenes Interesse hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0107589 [T1, T2]). Angesichts der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten von baulichen Errichtungen an Gebäuden und Wegen kommt der Abgrenzung zwischen einem unter § 1319 ABGB zu subsumierenden Gebäudeteil oder einem Werk, an dem ein besonderes Interesse eines (Wege-)Halters besteht einerseits, und einer Baulichkeit, bei der seine Funktion als Verkehrsweg klar im Vordergrund steht andererseits, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (1 Ob 150/15p mwN).

3. Wenn die Vorinstanzen im vorliegenden Fall zum Ergebnis gelangten, dass es sich bei den – unstrittig in einer städtischen Fußgängerzone mit eingeschränkten Kraftfahr- sowie Radfahr- und Fußgängerverkehr – von der Gemeinde auf ihrem Grund vor Geschäften mit Markisen zu deren Schutz aufgestellte etwa kniehohe Marmorpoller um primär der Funktion als Verkehrsweg dienende und daher nach § 1319a ABGB zu beurteilende Einrichtungen handelt, liegt darin keine im Einzelfall zu beanstandende Fehlbeurteilung.

Dass die Feststellungen dahin zu verstehen sind, dass die Poller der örtlichen Teilung der Straße dahin, dass mehrspurige Fahrzeuge an der Nutzung eines Teils der Straße gehindert werden sollen und damit der Regelung des örtlichen (Zuliefer-)Verkehrs dienten, ist jedenfalls vertretbar. Ein Eigeninteresse der beklagten Gemeinde an den Pollern als „Werk“ iSd § 1319 ABGB dahin, dass sie selbst von diesen konkret profitiert (vgl 2 Ob 36/13b = RS0107589 [T9]), ist hier nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht aufgezeigt. Der vorliegende Sachverhalt ist schon aus diesem Grund sowie auch deshalb nicht mit den zu 2 Ob 60/11d und 1 Ob 142/13h (vgl RS0107589 [T8]) gegenständlichen Fällen vergleichbar, weil es sich dort um versenkbare Poller („Pilomaten“) handelte, die nicht der besseren Benutzbarkeit der Verkehrsfläche dienten, sondern – anders als hier – nach ihrer Zweckbestimmung ein Hindernis für die Wegbenützung an sich bildeten (vgl RS0131782).

4. Generell hat ein Verkehrssicherungspflichtiger die verkehrsübliche Aufmerksamkeit anzuwenden und die notwendige Sorgfalt zu beachten, wenn auch die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf und die Grenzen des Zumutbaren zu beachten sind (RS0023487). Nach § 1319a ABGB haftet der Wegehalter nur für einen mangelhaften Zustand des Wegs. Beurteilungsmaßstab für die Mangelhaftigkeit sind das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen (RS0087605). Es kommt im jeweils zu prüfenden Einzelfall darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die gefahrlose Benützung dieses Wegs sicherzustellen (RS0087607). Der Wegehalter haftet nach § 1319a ABGB nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz, was ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (vgl etwa RS0029874).

Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß der Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen kann (

RS0114360 [T1]). Eine Verkehrssicherungspflicht entfällt, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahrenquelle bei objektiver Betrachtung einer durchschnittlich aufmerksamen Person sofort in die Augen fällt (RS0114360 [insb T11]). Letztlich kommt es auf die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung an (RS0023487 [T6, T7]; RS0022778 [T24]). Nach ständiger Rechtsprechung ist zudem von jedem Fußgänger zu verlangen, vor die Füße zu schauen, der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden und einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle möglichst auszuweichen (vgl RS0027447; RS0023787 [T3]; RS0023704). Ob eine Situation geschaffen wurde, die eine Schädigung naheliegend erscheinen lässt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0110202 [T1, T12, T13, T17]).

5. In diesem Licht hält sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen im Einzelfall im Rahmen der Judikatur, dass die auf den einen integrierenden Bestandteil des Urteils bildenden Fotos ersichtlichen Poller bei objektiver Betrachtung einer durchschnittlich aufmerksamen Person sofort in die Augen fallen und bei gehöriger Aufmerksamkeit von Fußgängern problemlos umgangen werden können. Eine erhebliche Rechtsfrage wird auch hier nicht aufgezeigt.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Textnummer

E127115

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00179.19B.1216.000

Im RIS seit

24.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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