TE OGH 2019/9/2 5Nc13/19k

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Veröffentlicht am 02.09.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und den Hofrat Mag. Painsi als weitere Richter in der Ordinationssache der klagenden Partei N***** K*****, vertreten durch die Heinke . Skribe + Partner Rechtsanwaelte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** A.D. *****, wegen 250 EUR sA, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

Text

Begründung:

Die Klägerin strebt – gestützt auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (in der Folge kurz „Fluggastrechte-Verordnung“) – die Verpflichtung des beklagten Luftfahrtunternehmens zur Zahlung von 250 EUR an. Der Flug von Wien-Schwechat nach Belgrad, den die Klägerin bei der Beklagten gebucht habe, sei wegen eines alleine von der Beklagten zu verantwortenden Umstands annulliert worden. Die Bekanntgabe sei weniger als zwei Wochen vor dem planmäßigen Abflugzeitpunkt erfolgt. Die Beklagte habe der Klägerin nicht innerhalb der Zeitgrenzen der Art 5 Abs 1c der Fluggastrechte-Verordnung eine anderweitige Beförderung angeboten.

Das Bezirksgericht Schwechat wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Die Klägerin könne sich zur Begründung eines Gerichtsstands weder auf § 88 JN noch auf Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 stützen. Das von der Klägerin als Rekursgericht angerufene Landesgericht Korneuburg teilte diese Rechtsansicht und bestätigte die Entscheidung. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei.

Nach Rechtskraft dieses Zurückweisungs-beschlusses legte das Bezirksgericht Schwechat den Akt zur Entscheidung über den von der Klägerin im Rekurs hilfsweise gestellten Ordinationsantrag nach § 28 JN vor.

Die Klägerin begründet diesen Ordinationsantrag zusammengefasst damit, dass die Beklagte ein Unternehmen mit Sitz in Serbien sei und daher dort auch ihren allgemeinen Gerichtsstand habe. Die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Inhalt des zwischen den Streitparteien geschlossenen Beförderungsvertrags sei die Beförderung der Klägerin vom Flughafen Wien-Schwechat nach Belgrad gewesen. Das Bezirksgericht Schwechat habe daher zwar als für das Gebiet des Flughafens Wien-Schwechat zuständiges Gericht die engste Verbindung zum vorliegenden Rechtsstreit, jedoch sei keine Norm ersichtlich, welche die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Schwechat begründen könnte. Die inländische (österreichische) Gerichtsbarkeit müsse aber gegeben sein, weil der Klägerin die Rechtsverfolgung in Serbien nicht möglich sei. Eine Klageführung gegen die Beklagte vor ihrem Sitzgericht sei mangels Anwendung der Fluggastrechte-Verordnung durch serbische Gerichte aussichtslos. Nach nationalem serbischen Recht werde eine Ausgleichszahlung nur im Fall einer Überbuchung gewährt, nicht jedoch für andere Fälle der Beförderungsverweigerung. Selbst wenn serbische Gerichte iSd Art 5 Abs 2 Rom I (EU-VO 593/2008) auf den Beförderungsvertrag österreichisches Recht und damit die Fluggastrechte-Verordnung anwenden würden, wäre dennoch von einer übermäßigen Erschwernis für Verbraucher auszugehen.

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben.

Rechtliche Beurteilung

1. Wird ein Ordinationsantrag als Eventualantrag für den Fall gestellt, dass das angerufene Gericht seine örtliche Zuständigkeit nicht bejaht, dann hat das in der Hauptsache angerufene Gericht zwar über die Zuständigkeit zu entscheiden, darf die Klage aber nicht zurückweisen (8 Nc 16/19y; 4 Nc 6/19y; RIS-Justiz RS0128796). Die bereits erfolgte Zurückweisung der Klage steht dem Ordinationsantrag jedoch nicht entgegen. Im Fall seiner Stattgebung ist die Klage neu beim ordinierten Gericht einzubringen (8 Nc 24/18y; 8 Nc 16/19y; RS0128796 [T1]).

2.1. Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (Z 1) oder der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Z 2) oder die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist (Z 3).

2.2. Die Ordination steht unter der Prämisse, dass ein Gerichtsstand im Inland fehlt oder sich nicht ermitteln lässt und die Rechtssache nicht – etwa wegen völkerrechtlicher Immunität – der inländischen Gerichtsbarkeit (im engeren Sinn) entzogen ist (RS0118239). Die Z 1 und 3 des § 28 Abs 1 JN setzen die internationale Zuständigkeit voraus. Demgegenüber wird durch die Bestimmung des § 28 Abs 1 Z 2 JN die internationale Zuständigkeit Österreichs erweitert, indem eine Notkompetenz für den Fall, dass die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist, eröffnet wird (8 Nc 16/19y; 6 Nc 1/19b).

2.3. An eine rechtskräftige Entscheidung über die (fehlende) örtliche bzw internationale Zuständigkeit in einem vorausgehenden Verfahren ist der Oberste Gerichtshof gebunden (8 Nc 16/19y; 3 Nc 3/18y; RS0046568). Da das Bezirksgericht Schwechat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen hat, kann eine Ordination nicht auf § 28 Abs 1 Z 1 JN gestützt werden.

3.1. Die Klägerin macht in ihrem Ordinationsantrag diesem Umstand entsprechend die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland iSd § 28 Abs 1 Z 2 JN geltend.

3.2. Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland wird in Lehre und Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozessführung im Ausland eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder äußerst kostspielig wäre (RS0046148; 2 Nc 12/19s).

4.1. In der Entscheidung 6 Nc 1/19b hat der Oberste Gerichtshof in einem gleichgelagerten Fall der Durchsetzung von Ansprüchen nach der Fluggastrechte-Verordnung gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in Serbien die Ordination bewilligt und das Bezirksgericht Schwechat als zuständiges Gericht bestimmt. § 28 Abs 1 Z 2 JN solle Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (vgl RS0057221 [T4]). Das Prozesskostenargument besteht bei Distanzprozessen zwar für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher grundsätzlich zu Lasten des Klägers (vgl RS0046420; RS0046148 [T12]). In Fällen, in denen der Kläger offensichtlich als Verbraucher aufgetreten sei, kann die Frage der Kostspieligkeit der Führung eines Rechtsstreits im Ausland aber stärker berücksichtigt werden (vgl RS0046420 [T14]). Vor allem aber sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar sei, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde und eine Exekutionsführung im Inland geplant sei (RS0046148 [T17]). Nach § 79 Abs 2 EO sind (nur) Akte und Urkunden […] für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nach den Bestimmungen des Staats, in dem sie errichtet wurden, vollstreckbar sind und die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch Verordnungen verbürgt ist. Zwischen Österreich und Serbien bestehe aber kein Abkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen nach der Fluggastrechte-Verordnung. Zudem sei die Fluggastrechte-Verordnung Bestandteil des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Für dieses gelte der Grundsatz der effektiven Umsetzung („effet utile“), der ebenfalls dafür spreche, (jedenfalls) Fluggästen, die aufgrund eines Beförderungsvertrags mit einem Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat von einem in der Europäischen Union liegenden Flughafen abfliegen, die Geltendmachung und Durchsetzung von in der Verordnung begründeten Ansprüchen nicht zu erschweren (vgl 4 Nc 11/19h; RS0046644 [T3]). In der dort zu beurteilenden Konstellation käme die Abweisung eines Ordinationsantrags im Ergebnis geradezu einer Rechtsschutzverweigerung gleich; angesichts der Höhe der Ansprüche sei nicht davon auszugehen, dass sie von Fluggästen in einem Drittstaat geltend gemacht würden, wenn die Entscheidung in Österreich gar nicht vollstreckbar sei.

4.2. Diese Erwägungen gelten hier sinngemäß. Im Hinblick auf das unionsrechtliche Gebot der Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die Durchsetzung von Ansprüchen aus der Fluggastrechte-Verordnung sind auch die Anforderungen an die Behauptungs- und Bescheinigungspflicht der Klägerin (§ 28 Abs 4 JN) nicht zu überspannen.

5. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts (in örtlicher Hinsicht) enthält § 28 JN keine ausdrücklichen Vorgaben; es ist dabei auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist die Sache dem Bezirksgericht Schwechat zuzuweisen, lag doch der Abflugort im vorliegenden Fall in dessen Sprengel und wurde die Klage bereits bei diesem Gericht behandelt (vgl 2 Nc 12/19s; 6 Nc 1/19b).

Textnummer

E126254

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0050NC00013.19K.0902.000

Im RIS seit

13.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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