TE OGH 2019/6/27 6Ob30/19h

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Veröffentlicht am 27.06.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Meinrad Einsle und andere Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Unterlassung, Feststellung und 8.500 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2018, GZ 3 R 243/18k-13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 16. Juli 2018, GZ 5 C 827/17k-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig.

Das Berufungsgericht begründete seinen Zulässigkeitsausspruch mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu, ob der an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen im Zusammenhang mit der Ausstellung eines Behindertenpasses herangetragene Vorwurf, die Sachverständige habe eine unsachgemäße, Schmerzen verursachende Untersuchung vorgenommen, als vertrauliche Mitteilung im Sinn von § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB zu werten sei.

1.1. Gemäß § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB haftet der Mitteilende nicht für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit er nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.

Entscheidend für die Haftungsbefreiung für nicht öffentlich getätigte rufschädigende Äußerungen gegenüber einem Dritten ist, ob der Mitteilende mit der vertraulichen Behandlung durch den oder die Mitteilungsempfänger rechnen konnte (RS0102047 [T6]; RS0032413 [T2]). Die Vertraulichkeit ist nicht gegeben, wenn mit der Weitergabe an eine außenstehende Person gerechnet werden muss (RS0031906). Hingegen ist mit einer vertraulichen Behandlung insbesondere durch Institutionen zu rechnen, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen (vgl RS0031906 [T6]; 6 Ob 28/17m mwN).

1.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen sind Straf- und Disziplinaranzeigen an die zuständigen Stellen grundsätzlich gerechtfertigt (RS0031927 [T5]); es wird generell bei Anzeigen an (zuständige, vgl RS0107664) Behörden ein berechtigtes Interesse angenommen, damit diese bedenkliche Sachverhalte überprüfen können (RS0031927 [T6]; zuletzt 6 Ob 88/18m). Der Rechtfertigungsgrund gilt auch für Prozessvorbringen von Verfahrensparteien (vgl RS0114015).

1.3. Diese Haftungsbefreiung kommt nicht zur Anwendung, wenn Behauptungen wider besseres Wissen und insofern rechtsmissbräuchlich erhoben wurden (6 Ob 28/17m; RS0031927 [T5]; vgl RS0105665; RS0114015). Maßgeblich dafür ist nicht, ob der Täter die Unrichtigkeit hätte kennen müssen; es kommt vielmehr auf sein konkretes Wissen von der Unrichtigkeit an (6 Ob 40/09i mwN).

1.4. Die Beweislast für die Kenntnis der Unwahrheit trifft den Kläger (RS0105665; RS0114015 [T11]; 6 Ob 129/16p). Die Klage ist daher abzuweisen, wenn der Täter zwar den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder gar nicht angetreten hat, die Unwahrheit jedoch nicht wider besseres Wissen behauptet hat (6 Ob 40/09i).

1.5. Die Rechtsprechung wendet die dargestellte Rechtsprechung im Interesse eines Gleichklangs der beiden Absätze des § 1330 ABGB auch auf „reine“ Ehrenbeleidigungen an (RS0102047 [T7] = 6 Ob 40/09i; 6 Ob 165/01k).

1.6. Gemäß § 40 Abs 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist behinderten Menschen unter näher festgelegten Voraussetzungen ein Behindertenpass auszustellen. Der Grad der Behinderung ist gemäß § 41 Abs 1 BBG in den dort geregelten Fällen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen. Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs 1 BBG).

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ist eine dem Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz unmittelbar nachgeordnete Dienstbehörde (§ 1 Abs 1 Sozialministeriumservicegesetz [SMSG]). Seine Organe unterliegen daher der Amtsverschwiegenheit gemäß Art 20 Abs 3 B-VG (vgl die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 46 Abs 1 BDG, § 79 VBG).

1.7. Sowohl die Frage, wie eine Äußerung im Einzelfall zu verstehen ist (RS0031883 [T6]), als auch die Frage, ob der Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB im konkreten Fall als erfüllt anzusehen ist (6 Ob 88/18m), hängen stets von den Umständen des Einzelfalls ab.

2. Das Berufungsgericht kam zum Ergebnis, dass die inkriminierten Äußerungen der Beklagten, die dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen nach der Untersuchung durch die Klägerin als Sachverständige im Verfahren zur Erlangung eines Behindertenpasses Vorbehalte gegen die Art der Untersuchung durch die Klägerin mitteilte, als vertrauliche Mitteilung zu behandeln seien, an der die Beklagte ein berechtigtes Interesse habe. Den Beweis des wissentlich unrichtigen Vorwurfs einer nicht sachgemäßen Untersuchung habe die dafür beweisbelastete Klägerin nicht erbracht, da zwischen den Parteien nicht strittig gewesen sei, dass der Beklagten das medizinische Fachwissen für die Beurteilung der Untersuchung fehle. Darauf, ob die Untersuchung tatsächlich sachgerecht durchgeführt worden sei, komme es nicht an. Ausgehend davon beurteilte es die Äußerungen der Beklagten als gerechtfertigt.

3.1. Eine als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung im Einzelfall, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, wird von der Revisionswerberin ebenso wenig aufgezeigt wie ein Abgehen von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung durch das Berufungsgericht.

3.2. Soweit die Revisionswerberin in den Äußerungen der Beklagten den Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Körperverletzung erblickt, wendet sie sich gegen die Auslegung der beanstandeten Äußerung im Einzelfall und zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Die in der Zulassungsbeschwerde relevierte unrichtige Beweislastverteilung liegt nicht vor, trägt doch der Kläger die Beweislast für die Kenntnis des Beklagten von der Unwahrheit einer vertraulichen Mitteilung an die zuständige Behörde (RS0105665).

Auch im Zusammenhang mit der aus rechtlichen Gründen unterbliebenen Erledigung ihrer Beweisrüge durch das Berufungsgericht zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Das Berufungsgericht ist nicht von der Rechtsprechung abgewichen, wonach der Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB nur in jenen Fällen nicht greift, in denen der Äußernde konkrete Kenntnis von der Unwahrheit seiner Mitteilung gegenüber der Behörde hatte (6 Ob 40/09i); ob die Beklagte von der Richtigkeit ihrer Behauptungen „ausgehen konnte“, ist daher nicht entscheidend.

3.3. Insgesamt bringt die Revisionswerberin damit keine erhebliche Rechtsfrage zur Darstellung. Die vom Berufungsgericht in der Zulassungsbegründung ausgeführte Frage kann anhand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung beantwortet werden. Die Revision war daher zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Schlagworte

Behindertenpass,

Textnummer

E125576

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00030.19H.0627.000

Im RIS seit

19.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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