TE OGH 2018/8/31 6Ob112/18s

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Veröffentlicht am 31.08.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R***** F*****, vertreten durch die Piaty Müller-Mezin Schoeller Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. B***** L*****, 2. Mag. K***** H*****, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, 3. D***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1. Unterlassung, 2. Beseitigung, 3. Widerruf/ Veröffentlichung, 4. Schadenersatz/Rettungsaufwand und 5. Feststellung, über die Revisionen der zweit- und drittbeklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. März 2018, GZ 5 R 163/17f-75, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. August 2017, GZ 14 Cg 128/16p-68 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die zweit- und die drittbeklagte Partei sind schuldig, der Klägerin die mit 1.119,44 EUR (darin 186,57 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu gleichen Teilen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind Unterlassungs- und Feststellungsansprüche der Klägerin aus einem im August 2014 auf der Website w*****.at veröffentlichten Artikel. Die Drittbeklagte, deren Geschäftsführerin die Zweitbeklagte ist, war bis Ende 2016 Domaininhaberin und gegenüber der Domainvergabestelle als „Admin-C“ ausgewiesen. Das ist die Kontaktperson des Domaininhabers für administrative Angelegenheiten. Die Drittbeklagte betrieb im Veröffentlichungszeitpunkt und betreibt weiterhin auf einem ihr von einem Dritten zur Verfügung gestellten Speicherplatz mit einem Content-Management-System die genannte Website. Über dieses System werden die Inhalte der Website eingepflegt. Die Drittbeklagte nimmt, obwohl sie dazu berechtigt wäre, auf den Inhalt der Website keinen Einfluss. Die Zweitbeklagte verfügt nicht über die Zugangsdaten, um Inhalte zu veröffentlichen oder zu entfernen. Über die Zugangsdaten verfügt nur der Erstbeklagte, der auch alleine über die Veröffentlichung und Löschung von Inhalten entscheidet. Im Impressum der Website war zumindest bis Juli 2015 als Betreiber der Website, Medieninhaber und Herausgeber die (ursprünglich) viertbeklagte Limited angeführt, die allerdings bereits im April 2013 aufgelöst und aus dem englischen Unternehmensregister gelöscht wurde. Die Zweitbeklagte fungierte – wissentlich – zuletzt als eine von mehreren „directors“ der Viertbeklagten. Mit Schreiben vom 14. 7. 2015 forderte die Klägerin die Zweit- und Drittbeklagten zur Löschung der inkriminierten Behauptungen auf; diese kamen der Aufforderung jedoch nicht nach.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig.

Das Berufungsgericht begründete seinen Zulässigkeitsausspruch mit dem Fehlen einer hinreichend gefestigten Rechtsprechung zur Haftung des Content-Providers und des Domaininhabers, insbesondere im Fall der Verschleierung des Impressums.

Auf diese Fragen kommt es aber nicht an, weil die Revisionswerberinnen auf eine der beiden vom Berufungsgericht alternativ herangezogenen Begründungen ihrer Passivlegitimation gar nicht eingehen. Auch die Revisionen zeigen eine erhebliche Rechtsfrage nicht auf. Da die Revisionsausführungen der Zweit- und der Drittbeklagten im Wesentlichen inhaltsgleich sind, werden beide Rechtsmittel unter Einem behandelt.

1. Die Rüge der Revisionswerberinnen, das Berufungsverfahren sei mangelhaft, weil das Berufungsgericht keine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt habe, ist unbegründet.

Die Entscheidung, ob eine Berufungsverhandlung im Einzelfall erforderlich ist, steht seit der Änderung des § 480 Abs 1 ZPO und dem Außerkrafttreten des § 492 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, generell im Ermessen des Berufungsgerichts (RIS-Justiz RS0127242 [T1]) eine Verpflichtung zur Beweiswiederholung oder -ergänzung besteht nicht (RIS-Justiz RS0126298 [T5]).

Die Revisionswerberinnen zeigen keine aufzugreifende Ermessensüberschreitung des Berufungsgerichts auf. Mit ihrem Vorbringen zu Auftritten der Klägerin auf unterschiedlichen Websites greifen sie vielmehr einen bereits im Berufungsverfahren verneinten Mangel des Verfahrens erster Instanz, nämlich das Unterbleiben von Beweisaufnahmen zur behaupteten Stellung der Klägerin als Person des öffentlichen Interesses, neuerlich auf. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können aber im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (RIS-Justiz RS0042963 [T58]). Aus dem selben Grund bewirkt auch der Umstand, dass das Berufungsgericht eine vorgreifende Beweiswürdigung des Erstgerichts verneinte, keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens.

Eine im Zusammenhang mit § 178 ZPO stehende Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird nicht konkret aufgezeigt, sodass der Erörterung der Bedeutung dieser Bestimmung bloß theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme (RIS-Justiz RS0002495); eine erhebliche Rechtsfrage wird damit nicht aufgezeigt.

2. Eine unrichtige Beurteilung der behaupteten Aktenwidrigkeit des erstinstanzlichen Urteils liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

3. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung ist eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RIS-Justiz RS0115693 [T1]). Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und bildet demnach keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0107768), es sei denn, es läge eine unvertretbare Beurteilung vor (RIS-Justiz RS0107768 [T1]). Die Beurteilungen der Vorinstanzen, dass sich aus dem Gesamtkontext eine Aussage über die sexuelle Orientierung des verstorbenen Lebensgefährten der Klägerin entnehmen lasse, und dass mit der Äußerung, die Klägerin habe während aufrechter Beziehung ein Kind von einem anderen Mann bekommen, die Behauptung verbunden sei, ihren Lebensgefährten betrogen zu haben, sind jedenfalls vertretbar.

4. Ob die Klägerin als Geschäftsführerin einer GmbH im eigenen Namen deren Rechte geltend machen kann, ist nicht relevant, weil sie hier ausschließlich eigene Persönlichkeitsrechte geltend macht (so bereits 6 Ob 70/16m im Provisorialverfahren).

5. Aus § 16 ABGB wird das Persönlichkeitsrecht jedes Menschen auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet (RIS-Justiz RS009003; 6 Ob 231/16p). Der höchstpersönliche Lebensbereich stellt den Kernbereich der geschützten Privatsphäre dar und ist einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich (RIS-Justiz RS0122148). Sowohl die Frage, zu wessen Gunsten eine vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt (RIS-Justiz RS0008990 [T6]), als auch die Frage, ob der durch § 16 ABGB geschützte Kernbereich verletzt wurde (6 Ob 103/07a), hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das die beanstandeten Äußerungen, die im Wesentlichen die Lebensgemeinschaft der Klägerin, ihr Sexualleben sowie jenes ihres verstorbenen Lebensgefährten und die Vaterschaft zu ihrem Sohn betreffen, als nicht durch eine Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse oder die berufliche Position der Klägerin gerechtfertigte Eingriffe in ihren höchstpersönlichen Lebensbereich beurteilte, bedarf keiner Korrektur.

Erhebliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Behauptung krimineller Handlungen ergeben sich schon deshalb nicht, weil derartige Behauptungen nicht Gegenstand des Verfahrens sind.

6. Das Berufungsgericht stützt die Passivlegitimation der Revisionswerberinnen auf zwei Begründungen. Zum Ersten leitet es ihre Haftung daraus ab, dass die Drittbeklagte die Website als Content-Provider betreibe, woran die Zweitbeklagte als Mittäterin oder Gehilfin beteiligt sei. Beide würden die Website inhaltlich gestalten und deren Abrufbarkeit besorgen bzw hätten diese veranlasst. Dass sie tatsächlich keinen Einfluss auf den Inhalt der Website nähmen und nur dem Erstbeklagten die Zugangsdaten zur Verfügung stünden, ändere daran nichts, weil die Zweit- und Drittbeklagte trotz Überlassung der Website an den Erstbeklagten rechtliche Einflussmöglichkeiten auf deren Inhalt hätten.

Selbst wenn man nicht die Zweit- und Drittbeklagte, sondern (nur) den Erstbeklagten als Betreiber der Website qualifiziere, hafte die Drittbeklagte, weil sie als Domaininhaberin das Impressum verschleiert, sich mit der Website identifiziert und sich ihren Inhalt zu eigen gemacht habe; die Zweitbeklagte hafte als ihre Geschäftsführerin.

Die Revision vermag keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen, wenn sie eine alternative Begründung des Berufungsgerichts, die selbständig tragfähig ist, unbekämpft lässt (RIS-Justiz RS0118709 [T3]).

Die Revisionswerberinnen bekämpfen nur die zweite der beiden wiedergegebenen, rechtlich selbständigen Begründungen, indem sie sich gegen eine Haftung aufgrund der Verschleierung des Impressums durch die Domaininhaberin wenden. Die alternative Ableitung der Passivlegitimation der Drittbeklagten daraus, dass sie die Website betreibt, sowie der Zweitbeklagten als ihrer Mittäterin oder Gehilfin, ziehen sie hingegen nicht in Zweifel. Diese Rechtsansicht ist daher im Revisionsverfahren nicht mehr zu überprüfen (RIS-Justiz RS0043338 [T18]). Da sich die Passivlegitimation der Revisionswerberinnen sohin bereits aus dem Betrieb der Website ergibt, hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht von der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage
– der Passivlegitimation der Domaininhaberin bei Verschleierung des Impressums – ab.

7. Auch mit ihren Ausführungen zur nicht bestehenden Haftung des „Admin-C“ zeigen die Revisionswerberinnen keine erhebliche Rechtsfrage auf, hat doch das Berufungsgericht ihre Passivlegitimation unabhängig von der Beantwortung dieser Frage bejaht.

8. Mit ihrem Vorbringen, Schäden der Klägerin seien undenkbar, entfernen sich die Revisionswerberinnen vom festgestellten Sachverhalt, nach dem das Entstehen eines zukünftigen Aufwands der Klägerin nicht ausgeschlossen ist. Insofern ist ihre Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043312).

9. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO stellt sich daher insgesamt nicht. Die Revisionen sind damit unzulässig und zurückzuweisen.

10. Der in erster Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Revisionszulässigkeit nicht entgegen (1 Ob 44/14y; 1 Ob 137/16b = RIS-Justiz RS0129365 [T1]).

Die Klägerin hat in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen; sie hat daher gemäß §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO Anspruch auf Ersatz ihrer zweckentsprechenden Beantwortungskosten (vgl RIS-Justiz RS0123222 [T8]). Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur noch der Unterlassungs- und der Feststellungsanspruch der Klägerin. Der Beseitigungsanspruch wurde bereits vom Erstgericht unbekämpft abgewiesen; in der Tagsatzung vom 17. 1. 2017 (ON 60) schränkte die Klägerin ihr Klagebegehren um das Widerrufsbegehren ein; in der Tagsatzung am 24. 5. 2017 (ON 66) brachte sie vor, ein Zahlungsbegehren niemals erhoben zu haben. Die Klägerin bewertete das gegen die Zweit- und die Drittbeklagte erhobene Unterlassungsbegehren mit jeweils 6.300 EUR, das gegen die ursprünglich vier Beklagten gerichtete Feststellungsbegehren mit gesamt 1.000 EUR, ohne dass sie den Ausspruch der solidarischen Haftung begehrt hätte. Der Streitwert des gegen jede der ursprünglich vier Beklagten gerichteten Feststellungsanspruch ist daher mangels anderer Anhaltspunkte gegen jede Beklagte mit 250 EUR anzusetzen. Auf die im Revisionsverfahren strittigen Ansprüche der Zweit- und der Drittbeklagten entfällt daher ein Streitwert von jeweils 6.550 EUR. Die Erstattung gesonderter Revisionsbeantwortungen (am 25. 5. 2018 und am 5. 6. 2018) zu Zeitpunkten, zu denen der Klageverteterin bereits beide Revisionen zugestellt waren (die Zustellungen erfolgten am 8. und am 11. 5. 2018), diente nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (vgl 5 Ob 148/07m, 7 Ob 194/05p, 6 Ob 276/02k; M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ § 41 ZPO Rz 27). Die Klägerin hat daher nur Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Revisionsbeantwortung auf einer Bemessungsgrundlage gemäß § 12 Abs 1 RATG von 13.100 EUR zuzüglich eines Streitgenossenzuschlags nach § 15 lit a RATG von 10 %, da ihr im Revisionsverfahren nur zwei Beklagte gegenüber stehen.

Textnummer

E122746

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00112.18S.0831.000

Im RIS seit

05.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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