TE OGH 2018/4/20 7Ob60/18a

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Veröffentlicht am 20.04.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G***** W*****, vertreten durch Dr. Josef Sailer, Rechtsanwalt in Bruck an der Leitha, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Weilguni, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2018, GZ 1 R 127/17d-15, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Text

Begründung:

Dem Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag liegen ua die Ergänzenden Bedingungen für die Haftpflichtversicherung 2004 (EHVB) zugrunde.

Abschnitt A Z 3 EHVB lautet:

Bewusstes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften:

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere in Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise – den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwidergehandelt wurde, und zwar durch einen Versicherungsnehmer [...].“

Rechtliche Beurteilung

1. Abschnitt A Z 3 der EHVB 2004 regelt einen Risikoausschluss (RIS-Justiz RS0081678, RS0081866). Der Versicherer ist nur dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall einerseits grob fahrlässig herbeigeführt und andererseits bewusst gegen Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften verstoßen wurde. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorhanden sein (RIS-Justiz RS0119745).

2. Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem genauen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben (RIS-Justiz RS0052282). Eine behördliche Vorschrift im Sinn des Abschnitts A Z 3 EHVB 2004 liegt auch dann vor, wenn es sich um eine individuelle Anordnung der Behörde durch Bescheid handelt (RIS-Justiz RS0081862).

Mit seiner Argumentation, er habe im Hinblick auf sein Wissen um die durchgeführten Überprüfungen und die Fangbremsen als Sicherheitsvorkehrungen nicht in Kauf genommen, gegen eine Rechtsvorschrift zu verstoßen, sondern er sei der Ansicht gewesen, rechtmäßig zu handeln, entfernt sich der Kläger vom festgestellten Sachverhalt, wonach er wusste, dass eine Personenbeförderung mit dem Hubkorb unzulässig und darauf mit Schildern bei jedem Zugang hinzuweisen ist.

3. Grobe Fahrlässigkeit ist dann gegeben, wenn sich das Handeln des Schädigers auffallend aus der Menge der unvermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens heraushebt (RIS-Justiz RS0030359; RS0030477). Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, den Eintritt eines Schadens zu fördern (RIS-Justiz RS0030324). Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es naheliegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (RIS-Justiz RS0030324 [T2]; RS0080414 [T3]). Zur Annahme grober Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass bei Vorliegen eines objektiv groben Verstoßes dem Kläger dies auch subjektiv schwer vorwerfbar sein muss (RIS-Justiz RS0030272). Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanspannung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (RIS-Justiz RS0030331). In diesem Sinn ist für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn schon einfachste naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RIS-Justiz RS0030331; RS0080371 [T1]).

Ob eine Fehlhandlung wegen ihres besonderen Gewichts oder einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Handlungen in ihrer Gesamtheit und Häufung die Annahme einer groben Fahrlässigkeit rechtfertigen, ist bei Vertretbarkeit der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0044262 [T46, T48 bis T50]). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt auch bei weitester Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (RIS-Justiz RS0087606 [T22]). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Der Kläger verwendete jahrelang die Anlage zur Beförderung von Personen, obwohl er nicht nur bereits bei Abnahme der Anlage wusste, dass die Personenbeförderung verboten ist, sondern er darüber hinaus auch von dem die jährlichen Überprüfungen durchführenden Ziviltechniker laufend auf diesen Umstand hingewiesen wurde.

Wenn die Vorinstanzen das festgestellte Verhalten des Klägers als grob fahrlässig qualifizierten, weil er trotz Kenntnis des Verbots der Personenbeförderung aus reiner Bequemlichkeit drei weitere betriebsfremde Personen mit dem Hubkorb mitnahm, ist dies nicht zu beanstanden. Vor dem Hintergrund des wiederholt geäußerten Verbots hätte der Kläger nicht davon ausgehen dürfen, dass die Sicherheitsvorrichtungen für die Personenbeförderung ausreichend zuverlässig sein werden.

Hätte der Kläger die Personen nicht mit dem Hubkorb befördert, wäre auch der konkrete Schaden (an Personen statt an Sachen) nicht eingetreten. Der Risikoausschluss ist verwirklicht.

4. Es werden keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E121477

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00060.18A.0420.000

Im RIS seit

28.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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