TE OGH 2018/2/20 4Ob136/17d

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Veröffentlicht am 20.02.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin B***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte D***** GmbH, *****, vertreten durch Fiebinger Polak & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 33.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. Mai 2017, GZ 2 R 57/17t-8, mit welchem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 16. März 2017, GZ 19 Cg 7/17a-4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens einstweilen, die Beklagte hat diese Kosten endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Streitteile sind pharmazeutische Unternehmen, die in Österreich beim Vertrieb von Arzneimitteln zur Gerinnungshemmung von Blut, und zwar der nicht Vitamin-K-basierten oralen Antikoagulantien (NOAKs, Alternativen zum Vitamin-K-Antagonisten Warfarin), im Wettbewerb stehen. Die Klägerin vertreibt das seit 2008 zugelassene Arzneimittel PRADAXA mit dem Wirkstoff Dabigatran. Die Beklagte vertreibt das 2015 zugelassene Arzneimittel LIXIANA mit dem Wirkstoff Edoxaban.

Innerhalb der Gruppe der Antikoagulantien, also der blutgerinnungshemmenden Arzneimittel, bestehen zwei Untergruppen, nämlich einerseits die Gruppe der Vitamin-K-Antagonisten und andererseits die Gruppe der nicht Vitamin-K-basierten oralen Antikoagulantien (nachfolgend kurz „NOAKs“ genannt). Als Standardtherapie zur Vorbeugung von Schlaganfällen und systemischen Embolien sowie zur Behandlung von Venenthrombosen und Lungenembolien wurde früher der Vitamin-K-Antagonist Warfarin verschrieben. NOAKs sind dazu eine Alternative. Zur Gruppe der NOAKs gehören auch die Arzneimittel der Streitteile. Sie weisen gegenüber Vitamin-K-Antagonisten wie etwa Warfarin verschiedene Vorteile auf. PRADAXA ist zweimal täglich, LIXIANA einmal täglich einzunehmen.

Die Beklagte warb in einer medizinischen Fachzeitschrift mit folgendem ganzseitigen Inserat:

Das (schwer lesbare) Kleingedruckte im Inserat lautet wie folgt:

*1x täglich über alle zugelassenen Indikationen (s. Ref. 1). Standarddosierung einmal täglich 60 mg Edoxaban über alle zugelassenen Indikationen (bei VTE nach initialer Anwendung eines parenteralen Antikoagulanz über min. 5 Tage) mit Dosisreduktion auf 30 mg (eingeschränkte Nierenfunktion (CrCl 15–50 ml/min), geringes Körpergewicht < 60 kg, P-gp-Inhibitoren (Dronedaron, Erythromycin, Ketoconazol, Cyclosporin))

**in den VTE-und nvVHF Zulassungsstudien

*im Vergleich zu Warfarin im primären Sicherheitsendpunkt.

VTE: klinisch relevante Blutungen (schwere Blutungen oder klinisch relevante nicht schwere Blutungen)

nvVHF: schwere Blutungen (s. Ref. 2–5)

1. Fachinformation LIXIANA, Stand August 2016

2. Giugliano ARP et al NEJM 2013, 369 (22), 2093–2104

3. The Hokusai-VTE Investigations MEJM 2013, 369 (15), 1406–1415

4. Ruff CT et al, Lancet 2014, 383(9921); 955–962

5. BlackSA et al, Thromb haemost 2015, 114(3)

Folgender Sachverhalt ist bescheinigt:

Als Standardtherapie zur Vorbeugung von Schlaganfällen, systemischen Embolien und zur Behandlung von Venenthrombosen und Lungenembolien wurde früher der Vitamin-K-Antagonist Warfarin (in Österreich auch das chemisch verwandte Produkt Marcumar) verschrieben. Aufgrund mehrerer wirkungsmechanisch bedingter Nachteile (wie oftmaliger Erhebung der Gerinnungsstadien, individuelle Dosisberechnung für jeden Patienten, engmaschige Überwachung, langandauernde Wirkung, die bei Operationen zu Komplikationen führen kann, etc) wurde eine therapeutische Alternative in Form der NOAKs entwickelt, zu welchen die Präparate der Streitteile zählen. Bei diesen Wirkstoffen ist weder eine regelmäßige Gerinnungskontrolle noch eine laufende Dosisanpassung notwendig; auch wird durch sie das Risiko bei Operationen verkleinert. Für die Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien ist für PRADAXA wie LIXIANA eine bestimmte Dosis und langfristige Anwendung empfohlen, was auch auf andere NOAKs zutrifft. Die Einleitungsphase und Vorgaben zur Beurteilung des Einsatzes bei den anderen Indikationen sind bei PRADAXA und LIXIANA ident. Bei anderen NOAKs wird nach einem bestimmten Zeitraum eine Dosissteigerung empfohlen. Bei Vorliegen bestimmter Risikofaktoren ist bei beiden Präparaten eine Dosisreduktion indiziert. Bei LIXIANA sind dies beispielsweise mäßig oder stark eingeschränkte Nierenfunktion oder geringeres Körpergewicht. Das Alter des Patienten hat hingegen keinen Einfluss. Bei PRADAXA indiziert ein Alter über 80 eine Dosisreduktion. Hinsichtlich Patienten zwischen 75 und 80, solchen mit mäßig beeinträchtigter Nierenfunktion und bestimmten anderen Leiden ist die Dosis individuell zu beurteilen. Das Körpergewicht hat nur insoweit einen Einfluss, als Personen unter 50 kg enger klinischer Überwachung bedürfen. Hinsichtlich PRADAXA sind Patienten mit schwerer, hinsichtlich LIXIANA mit terminaler Nierenfunktionsstörung auszuschließen. Die Nierenfunktion muss vor Verschreibung beider Produkte getestet werden, was auch für andere NOAKs zur Bestimmung der Dosis gilt. Dasselbe gilt für die Leberfunktion, da schwere Einschränkungen eine Kontraindikation darstellen. Bei PRADAXA muss die Nierenfunktion bei älteren Patienten mindestens einmal im Jahr beurteilt werden, hinsichtlich LIXIANA dann, wenn vermutet wird, dass es während der Behandlung zu einer Veränderung gekommen ist.

Im Vergleich zu gut eingestellten Warfarin-Patienten besteht bei LIXIANA ein Trend zu einer Wirksamkeitsabnahme mit ansteigender Kreatinin-Clearance, was jedoch bei der Zulassung nicht als Gegenanzeige beurteilt wurde. Die Umstellung von Vitamin-K-Antagonisten auf das NOAK ist vergleichbar, die Rückumstellung bei LIXIANA komplizierter als bei PRADAXA. Das Blutungsrisiko wird bei beiden Arzneimitteln sowie auch bei anderen Koagulantien erhöht. Es können schwerwiegende, unter Umständen tödliche Blutungen ausgelöst werden. Die gerinnungshemmende Wirkung kann in beiden Fällen nicht zuverlässig kontrolliert werden, auch wenn Tests bei PRADAXA Anhaltspunkte in diese Richtung liefern.

Im Gegensatz zu PRADAXA existiert für LIXIANA kein Antidot, das bei lebensbedrohenden Blutungen, die einen sehr geringen Prozentsatz der Patienten betreffen, die Gerinnungshemmung aufhebt. Kann einer Blutung aufgrund der Halbwertszeit von etwa 10 bis 14 Stunden durch Verschiebung der Einnahme von LIXIANA nicht entgegengewirkt werden, so kann die Wirkung (bei lebensbedrohlicher Blutung) nur auf herkömmliche Weise, nämlich durch Gabe eines Prothrombinkomplex-Konzentrates dreißig Minuten nach Ende der Infusion, aufgehoben werden. Für PRADAXA steht ein spezifisches Antidot zur Verfügung, bei dessen Einnahme die antikoagulatorische Wirkung unmittelbar aufgehoben wird. Studien über einen direkten Anwendungsvergleich zwischen LIXIANA und anderen NOAKs existieren nicht. Klinische Studien zu LIXIANA und andere NOAKs erfolgten nur im Vergleich zu Warfarin.

Die Klägerin beantragte zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens die Erlassung der einstweiligen Verfügung, die Beklagte habe es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, bei der Bewerbung des Arzneimittels LIXIANA (Wirkstoff: Edoxaban) die irreführenden oder nicht ausreichend belegten Äußerungen „Neuwahlen bei NOAKs Einfach.Eindeutig.Sicherer“ und/oder sinngleiche Äußerungen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen. Die beanstandete Werbeaussage suggeriere, dass das Produkt der Beklagten (LIXIANA; Wirkstoff Edoxaban) nunmehr innerhalb der Gruppe der NOAKs gewählt werden müsse, weil es sich durch die blickfangartig hervorgehobenen Vorteile von anderen NOAKs positiv abhebe. Dies sei jedoch irreführend bzw unwahr. So rechtfertige der Umstand, dass LIXIANA – im Unterschied etwa zu PRADAXA – bloß einmal täglich eingenommen werden müsse, keine Hervorhebung des Arzneimittels als „einfach“, weil auch die Anwendung von LIXIANA – ebenso wie die Anwendung sonstiger NOAKs – nicht einfach sei. Auch für LIXIANA sei nämlich bei Vorliegen bestimmter Risikofaktoren eine Dosisreduktion indiziert. LIXIANA sei auch deshalb mit besonderer Vorsicht anzuwenden, weil kein spezifisches „Antidot“ (Gegenmittel) zur einfachen Aufhebung der gerinnungshemmenden Wirkung von LIXIANA zur Verfügung stehe.

Auch die werbliche Hervorhebung der Eigenschaft „eindeutig“ sei nicht gerechtfertigt, weil die Anwendung von LIXIANA vielfach eingeschränkt und der individuellen Nutzen-/Risikoabwägung des behandelnden Arztes unterworfen sei.

Schließlich sei LIXIANA auch nicht – wie in der Werbung hervorgehoben werde – „sicherer“. Für einen direkten Anwendungsvergleich zu anderen NOAKs fehle es an entsprechenden Studien. Sämtliche Sicherheits- und Risikoparameter seien in den Zulassungsstudien zu LIXIANA nur im Vergleich zum Wirkstoff Warfarin (einem Vitamin-K-Antagonisten und keinem NOAK) getestet worden, was in der Werbung auch durch einen entsprechenden Hinweis angemerkt sei. Durch diesen – erst bei genauerer Betrachtung ersichtlichen – Hinweis werde jedoch etwas völlig anderes referenziert (nämlich ein Vergleich zu Warfarin), als blickfangartig suggeriert werde (nämlich ein Vergleich zu anderen NOAKs).

Die Beklagte wendete ein, der Begriff „Neuwahlen“ in Verbindung mit der bildlich dargestellten gelben Box bringe zum Ausdruck, dass das Arzneimittel der Beklagten in den „gelben Bereich“ des Erstattungskodex aufgenommen worden sei und daher auf Kosten der Sozialversicherungsträger verschrieben werden könne. Der in der Werbung hervorgehobene Begriff „einfach“ sei nicht unrichtig oder irreführend. Die Beklagte habe darauf hingewiesen, dass sich die Einfachheit und Eindeutigkeit auf die Einnahme einer einzigen Tablette ihres Arzneimittels beziehe. Die Werbung sage – zutreffend – nichts anderes aus, als dass sowohl für die 60 mg Dosierung als auch für die 30 mg Dosierung die Einnahme einer einzigen Tablette täglich für sämtliche Indikationen erforderlich sei. Im Unterschied dazu erfordere das Arzneimittel der Klägerin die Einnahme von zwei Tabletten täglich.

Was den Begriff „sicherer“ anlange, bestünden keine direkten Vergleichsstudien zwischen den Produkten der Streitteile. Vergleiche zwischen Vitamin-K-Antagonisten und NOAKs hätten bei gleicher Wirksamkeit für die Indikation „Vermeidung von thromboembolischen Ereignissen“ eine signifikante Senkung des Risikos von schweren Blutungen ergeben. Auch im Vergleich zu Warfarin – worauf die Werbung alleine abstelle – sei LIXIANA eindeutig sicherer. Dass zu LIXIANA ein sofort wirksames Antidot (Gegenmittel) fehle, mache dieses Arzneimittel nicht weniger sicher. Einerseits träten lebensbedrohliche Blutungen, welche ein Gegenmittel erforderlich machten, beim Produkt der Beklagten in nur 0,4 % der Fälle auf; da solche Patienten in der Regel engmaschig auf der Intensivstation betreut würden, sei ein Antidot nur im Ausnahmefall erforderlich. Andererseits bestünden beim Produkt der Beklagten ausreichende Alternativen, um innerhalb relativ kurzer Zeit die blutgerinnungshemmende Wirkung aufzuheben.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Der blickfangartige Werbevergleich beziehe sich offenkundig auf NOAKs. Ein Anhaltspunkt, dass sich irgendwelche (Werbe-)Aussagen auf Vitamin-K-Antagonisten bezögen, bestehe nicht. Der von der Werbung angesprochene Arzt werde die Begriffe „einfach“ und „eindeutig“ nicht auf die Anzahl der Einnahmen (also auf die Applikationsform des Arzneimittels) beziehen, sondern auf zusätzliche Vorzüge, etwa eine erleichterte Indikation und klarere Anwendungsvorgaben. Dass LIXIANA – im Vergleich zu anderen NOAKs – über eine bessere Compliance verfüge, habe das Bescheinigungsverfahren nicht ergeben. Der durch die blickfangartige Werbung hervorgerufene Eindruck, dass sich die dem Produkt der Beklagten zugeschriebene Eigenschaft als „sicherer“ nur auf einen Vergleich zu anderen NOAKs beziehe, sei durch die Fußnoten nicht eindeutig widerlegt worden. Der verwendete Begriff „sicherer“ sei entgegen dem Pharmig Verhaltenskodex auch nicht klar definiert, insbesondere enthalte die Werbung keine Aufklärung darüber, welche primären und sekundären Sicherheitsendpunkte Gegenstand der in der Werbung zitierten Studien gewesen seien und welche Ergebnisse die Studien hervorgebracht hätten. Eine höhere Sicherheit von LIXIANA gegenüber anderen NOAKs sei nicht belegt. Insgesamt sei die Werbung zur Irreführung geeignet und verstoße damit gegen Grundsätze des Arzneimittelwerberechts.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs unzulässig sei.

Der relevante Verkehrskreis verstehe den Begriff „einfach“ im gegebenen Zusammenhang so, dass damit die besonders einfache Applikation (also die lediglich einmal täglich erforderliche Einnahme) gemeint sei. Dieses Verständnis könne auch dem im Inserat leicht auffindbaren und durch einen Stern gekennzeichneten Hinweis entnommen werden, wo ebenfalls darauf hingewiesen werde, dass eine Einnahme bloß einmal täglich zu erfolgen habe. Die Fußnote enthalte auch den Hinweis, dass sich die bloß einmalige tägliche Einnahme grundsätzlich auf alle zugelassenen Indikationen von LIXIANA beziehe, dass jedoch bei VTE (venöse Thromboembolie) die initiale Anwendung eines parenteralen Antikoagulans erforderlich sei. Ein durchschnittlicher Arzt könne den referenzierten Hinweis verstehen und nachvollziehen. Außerdem müssten nicht sämtliche Differenzierungen auf werblichen Unterlagen untergebracht werden. Die Werbung könne sich vielmehr auf den Regelfall beschränken, bei dem die lediglich einmalige tägliche Einnahme – anstatt zweimal täglich wie bei PRADAXA oder einer aufwändigen „Einstellung“ bei Vitamin-K-Antagonisten – durchaus als einfach bezeichnet werden dürfe. Durch die Hervorhebung der Eigenschaft „einfach“ werde weder ein Alleinstellungsmerkmal behauptet, noch ein Vergleich zu Konkurrenzprodukten (insbesondere nicht zum Produkt der Klägerin) angestellt. Dass der Fußnotentext eine kleinere Schriftgröße aufweise als die schlagwortartige Bezeichnung des Produkts der Beklagten als „einfach“, schade nicht, weil es sich bei diesem Hinweis nur um eine ergänzende Erläuterung handle. Der Gesamtzusammenhang, in dem dieser Begriff verwendet werde, ergebe sich bereits aus dem blickfangartig hervorgehobenen Text „1x täglich LIXIANA“. Der Begriff „einfach“ sei hier aufgrund des leicht erkennbaren Gesamtzusammenhangs und des ergänzenden Hinweises weder unwahr noch irreführend.

Auch zum Begriff „eindeutig“ weise die Werbung darauf hin, dass sich diese Eigenschaft ausschließlich auf die Applikationsform des Arzneimittels der Beklagten beziehe. Es handle sich um denselben Hinweis, wie er sich zum Begriff „einfach“ findet. Der mit der Werbung angesprochene durchschnittliche Arzt und Anwender von NOAKs werde den Begriff „eindeutig“ daher ebenso wie den Begriff „einfach“ nur auf die Applikationsform des beworbenen Arzneimittels beziehen. Der Bedeutungsgehalt des beanstandeten Begriffs ergebe sich auch hier primär aus der schlagwortartigen (großgedruckten) Hervorhebung „1x täglich LIXIANA“. Da der im Zusammenhang mit der Bewerbung eines Arzneimittels verwendete Begriff „eindeutig“ noch viel unbestimmter sei als der Begriff „einfach“, verlange er besonders nach einer weiteren Erklärung. Diese werde mit dem leicht auffindbaren Hinweis gegeben, dass das Arzneimittel nur einmal täglich einzunehmen sei. Somit liege auch hier keine Irreführung vor.

Aus der Werbeaussage „sicherer“ in Form des Komparativs schließe der durchschnittliche Adressat der Werbung auf einen Vergleich zu anderen Arzneimitteln. Mit welchem Produkt die Sicherheit von LIXIANA verglichen werde, könne dem durch das Zeichen „#“ referenzierten Hinweis entnommen werden, der klarstelle, dass der Vergleich zu Warfarin erfolge. Somit müsse auf die Behauptungen der Klägerin, LIXIANA sei nicht sicherer als andere NOAKs (insbesondere nicht sicherer als PRADAXA), nicht weiter eingegangen werden. Zu prüfen sei nur, ob LIXIANA hinsichtlich der referenzierten Parameter sicherer sei als Warfarin. Dass dies zutreffe, sei von der Beklagten bescheinigt worden, sodass auch diesbezüglich keine Irreführung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die einstweilige Verfügung zu erlassen.

Die Beklagte erstattete – nach Freistellung (§ 528 Abs 3 iVm § 521a und § 508a Abs 2 ZPO, §§ 78, 402 EO) – eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den außerordentlichen Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1. Das Rekursgericht hat die Grundsätze des Arzneimittelwerberechts zutreffend – und auch vom Revisionsrekurs unbekämpft – dargestellt.

1.1. Danach ist grundlegende Rechtsquelle auf europäischer Ebene die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (Kodex Humanarzneimittel), mit der eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgte. Das Arzneimittelgesetz (AMG) setzt den Kodex Humanarzneimittel in österreichisches Recht um.

Art 87 Abs 3 des Kodex Humanarzneimittel normiert zur Arzneimittelwerbung sowohl ein Objektivitätsgebot als auch ein Irreführungsverbot. Arzneimittelwerbung muss demnach den zweckmäßigen Einsatz eines Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt, und sie darf nicht irreführend sein. Sowohl das Objektivitätsgebot als auch das Irreführungsverbot wird durch Verbote in § 6 AMG sowie die Ge- und Verbote gemäß § 50a Abs 3 AMG umgesetzt. Das Irreführungsverbot des Arzneimittelrechts hat – als Ausprägung des allgemeinen Irreführungsverbots – spezifisch lauterkeitsrechtlichen Charakter, da diese Norm ähnlichen Regelungszwecken wie das UWG dient.

Arzneimittelwerberecht und UWG sind auf alle Sachverhalte im Zusammenhang mit Arzneimittelwerbung kumulativ anwendbar. Die in § 6 Abs 3 AMG bloß beispielsweise („insbesondere“) Aufzählung von Fällen, in denen eine Irreführung vorliegt, schränkt das allgemeine Irreführungsverbot des § 2 UWG nicht ein (RIS-Justiz RS0118492). § 6 AMG normiert auch keinen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch. Soweit im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zur Irreführung geeignete Angaben über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere die Beschaffenheit von Waren, gemacht werden, kann nach § 2 UWG auf Unterlassung geklagt werden (RIS-Justiz RS0051513).

1.2. § 6 Abs 2 AMG normiert das Verbot, im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen über diese den Tatsachen nicht entsprechende oder zur Irreführung geeignete Angaben zu machen.

Nach § 6 Abs 3 AMG liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn (Z 1) den Arzneimitteln eine Wirksamkeit oder den Wirkstoffen eine Eigenschaft beigemessen wird, die nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse oder nach den praktischen Erfahrungen nicht hinreichend belegt ist; oder (Z 2) fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass ein Erfolg mit Sicherheit zu erwarten ist oder dass nach bestimmungsgemäßem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen eintreten; oder (Z 3) die Bezeichnung oder Aufmachung zur Verwechslung geeignet ist.

§ 50a Abs 3 AMG bestimmt, dass Werbung für Arzneimittel die Eigenschaften der Arzneispezialität objektiv und ohne Übertreibung darstellen muss und weder Aussagen noch bildliche Darstellungen enthalten darf, die dem Arzneimittel eine über seine tatsächliche Wirkung hinausgehende Wirkung beilegen, fälschlich den Eindruck erwecken, dass ein Erfolg regelmäßig erwartet werden kann, oder nicht mit Kennzeichnung, Gebrauchs- oder Fachinformation vereinbar sind.

Für den Bereich der Fachwerbung sieht § 55 Abs 2 iVm Abs 1 AMG vor, dass alle Informationen in den Unterlagen über eine Arzneispezialität, die im Rahmen der Verkaufsförderung für diese Arzneispezialität an die zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen abgegeben werden, genau, aktuell, überprüfbar und vollständig genug sein müssen, um dem Empfänger die Möglichkeit zu geben, sich persönlich ein Bild vom therapeutischen Wert des Arzneimittels zu machen.

Im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Absicherung von Werbeaussagen ist zu beachten, dass diese nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse „hinreichend belegt“ sein müssen (vgl RIS-Justiz RS0051518). Im Allgemeinen bedeutet dies, dass Wirkaussagen evidenzbasiert sind, sich also an den Kriterien der evidenzbasierten Medizin messen lassen können (Ciresa, Arzneimittelwerberecht [2014] Rz 116).

2. Die beanstandete Ankündigung ist vergleichende Werbung iSd § 2a Abs 1 UWG, macht sie doch unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Waren oder Leistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar. Ein Werbevergleich ist ua erst dann zulässig, wenn er nicht gegen § 2 UWG verstößt.

2.1. Eine Geschäftspraktik gilt ua dann als irreführend, wenn sie unrichtige Angaben enthält oder sonst geeignet ist, einen Marktteilnehmer in Bezug auf die wesentlichen Merkmale des Produkts oder die wesentlichen Merkmale von Tests oder Untersuchungen, denen das Produkt unterzogen wurde, derart zu täuschen, dass dieser dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

2.2. Beim Irreführungstatbestand ist nach ständiger Rechtsprechung zu prüfen, (a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, (b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht und ob (c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RIS-Justiz RS0123292). Maßgebend ist das Verständnis der von der Werbung angesprochenen Kreise (4 Ob 68/13y). Grundsätzlich sind – wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung – besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit von Werbeaussagen betreffend Arzneimittel zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können. Bei Beurteilung der Irreführungseignung einer Arzneimittelwerbung ist auch dann ein strenger Maßstab anzulegen, wenn sie sich an Fachleute richtet (RIS-Justiz RS0121785).

2.3. Der Bedeutungsinhalt von Äußerungen richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt. Der Gesamteindruck ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Gesamtinhalt der Ankündigung, weil der Gesamteindruck durch einzelne Teile der Ankündigung, die als Blickfang besonders herausgestellt sind, bereits entscheidend geprägt werden kann. Von einem Blickfang wird gesprochen, wenn in einer Gesamtankündigung einzelne Angaben im Vergleich zu den sonstigen Angaben besonders herausgestellt sind. Sie dürfen für sich allein genommen nicht zur Irreführung geeignet sein (4 Ob 68/13y mwN; RIS-Justiz RS0078535).

2.4. Welchen Eindruck eine Ankündigung auf den Durchschnittsleser vermittelt, ist nach objektiven Maßstäben zu lösen. Maßgeblich ist die Verkehrsauffassung, nämlich der Eindruck, der sich für den durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten der Werbung ergibt, der eine dem Anlass angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, wobei der Werbende bei Mehrdeutigkeit der Ankündigung auch die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen muss, wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil des angesprochenen Publikums die Äußerung tatsächlich in diesem ungünstigen Sinn verstehen kann (RIS-Justiz RS0043590 [T44, T48]).

2.5. Ein aufklärender Hinweis kann eine Täuschung durch eine mehrdeutige Werbeaussage nur verhindern, wenn er von den angesprochenen Verkehrskreisen auch wahrgenommen wird. Das setzt im Regelfall gleiche Auffälligkeit voraus. Gleiche Auffälligkeit ist aber nicht erst dann gegeben, wenn die Schriftgröße übereinstimmt. Maßgebend ist vielmehr, ob ein durchschnittlich informierter, verständiger Verbraucher den aufklärenden Hinweis wahrnimmt, wenn er mit der Werbeaussage konfrontiert wird (RIS-Justiz RS0118488).

3. Nach diesen Grundsätzen ist der beanstandete Werbevergleich zwischen den Arzneimitteln der Streitteile unzulässig.

3.1. Auszugehen ist davon, dass die plakative Überschrift „Neuwahlen bei NOAKs“ vom angesprochenen Adressatenkreis der Ärzte, die ihren Patienten Antikoagulantien verschreiben wollen, dahin verstanden wird, dass ein neues Arzneimittel aus der Gruppe der NOAKs auf den Markt gekommen ist, weshalb eine Neubewertung der Auswahlkriterien in dieser Arzneimittelgruppe erforderlich sei. Der Werbevergleich wird daher vom Durchschnittsadressaten kraft der optischen Gestaltung auf den ersten Blick als Werbevergleich innerhalb der genannten Arzneimittelgruppe bezogen.

Dass dieses Verständnis unrichtig ist, ergibt sich nur aus einem aufklärenden Hinweis in einer Fußnote, wo auf eine Vergleichsstudie mit Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Warfarin hingewiesen wird. Dieser Hinweis ist allerdings nicht geeignet, den nach dem ersten Eindruck bereits entstandenen Irrtum über die Vergleichsprodukte aufzuklären, weist doch der Text der Fußnote eine erheblich kleinere Schriftgröße auf als jener der blickfangartigen Ankündigung, wobei das Schriftbild der Fußnote so klein ist, dass er auch für Normalsichtige nur schwer lesbar ist.

Für den durchschnittlichen Arzt erschließt sich somit beim Lesen der beanstandeten Werbeeinschaltung bei dem Anlass angemessener Aufmerksamkeit (vgl RIS-Justiz RS0043590 [T48]) aus dem Gesamteindruck der Werbung (vgl RIS-Justiz RS0078352), dass es sich dabei um einen Vergleich zwischen NOAKs und nicht um einen Vergleich zwischen diesen und einer anderen Arzneimittelgruppe handelt.

3.2. Nach Auffassung des Rekursgerichts versteht der angesprochene Adressat die (unmittelbar unter der Dosierung „1x täglich LIXIANA“ angeführten) Schlagworte „einfach“ und „eindeutig“ als nähere Erläuterungen zur genannten Dosierung. Diese Auffassung überzeugt nicht. Der Durchschnittsleser (durchschnittliche Arzt), der insbesondere den unscharfen Begriff „sicherer“ nicht in erster Linie mit der Dosierung des Arzneimittels in gedanklichen Zusammenhang bringen wird, versteht die beanstandeten Begriffe nämlich nicht als Bekräftigung der Dosierungsangabe, sondern als weiterführende Anpreisung zusätzlicher Vorzüge des Medikaments außerhalb der Dosierung. Dieses Verständnis liegt vor allem deshalb nahe, weil nach der Dosierung und nach jedem der drei Schlagworte ein Sternchenhinweis den Weg zu weiterführenden Informationen weist, die – ginge es allein um erläuternde Bemerkungen zur unkomplizierten Dosierung – überflüssig oder zumindest ungewöhnlich wären. Zusätzliche Vorzüge des Medikaments der Beklagten gegenüber anderen NOAKs und damit auch dem Produkt der Klägerin sind aber nicht bescheinigt.

Im Übrigen gibt die Beklagte selbst zu verstehen, dass die Begriffe „einfach“ und „eindeutig“ einen eigenen und weitergehenden Bedeutungsgehalt haben sollen als den bloßen Hinweis auf die einmal tägliche Verabreichung, beschäftigt sich doch der referenzierte Sternchenverweis nicht nur mit „einmal täglich“, sondern etwa auch mit Kontraindikationen wie eingeschränkter Nierenfunktion und geringem Körpergewicht.

Die Schlagworte „einfach“ und „eindeutig“ sind daher im gegebenen Zusammenhang irreführend.

3.3. Wie schon zuvor (Pkt 3.1.) ausgeführt, bezieht der Leser der Werbeeinschaltung die Begriffe „einfach“, „eindeutig“, „sicherer“ (nur) auf die Arzneimittelgruppe der NOAKs. Um ihr Produkt innerhalb dieser Gruppe als „sicherer“ zu bewerben, müsste die Beklagte daher bescheinigen, dass ihr Arzneimittel tatsächlich sicherer ist als andere NOAKs. Diese Bescheinigung wurde schon deshalb nicht erbracht, weil nach dem zugrunde gelegten Sachverhalt im Gegensatz zum Produkt der Klägerin für jenes der Beklagten kein Antidot existiert, das bei lebensbedrohenden Blutungen die Gerinnungshemmung sofort aufhebt. Auch die Ankündigung „sicherer“ ist daher irreführend.

4. Der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist daher bescheinigt. Dem Revisionsrekurs ist deshalb Folge zu geben und der angefochtene Beschluss dahin abzuändern, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.

Schlagworte

NOAK - NOAKs,

Textnummer

E121027

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00136.17D.0220.000

Im RIS seit

04.04.2018

Zuletzt aktualisiert am

18.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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