TE OGH 2018/1/24 3Ob1/18w

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Veröffentlicht am 24.01.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** GmbH, *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. A*****gesellschaft mbH, *****, 2. W*****-gesellschaft mbH, *****, 3. E*****gesellschaft mbH, *****, alle vertreten durch Dr. Nikolaus Kraft, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unzulässigkeitserklärung einer Exekution (§ 36 EO), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. September 2017, GZ 47 R 281/17x-41, womit das Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom 20. Juni 2016, GZ 5 C 1/15w-37, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.346,18 EUR (darin 391,03 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist ein Access-Provider und hat es aufgrund einer einstweiligen Verfügung zu unterlassen, ihren Kunden im Internet Zugang zu den Websites movie4k.to und kinox.to zu vermitteln, wenn den Kunden auf diesen Websites bestimmte Filmwerke der drei Beklagten zur Verfügung gestellt werden.

Mit Beschluss vom 20. Jänner 2015, GZ 5 E 3924/14m-6, bewilligte das Erstgericht als Exekutionsgericht den Beklagten die beantragte Exekution und verhängte über die Klägerin wegen der im Exekutionsantrag behaupteten Titelverstöße eine Geldstrafe in der Höhe von insgesamt 6.000 EUR.

Die Klägerin macht in ihrer Impugnationsklage geltend, dass sie mit der von ihr vorgenommenen DNS-Sperre alle ihr zumutbaren Schritte gesetzt habe, um dem Titel zu entsprechen. Sie räumt ein, dass sie die IP-Adresse der vom Titel umfassten Websites nicht gesperrt habe, der Einsatz einer IP-Sperre sei ihr aber nicht zumutbar. Die Unzumutbarkeit resultiere vor allem daraus, dass die Klägerin nicht nur einmalig zwei Adressen sperren, sondern fortlaufend eine stetig steigende Anzahl von Internetsperren prüfen, implementieren, warten und gegebenenfalls wieder entfernen solle. Dieser zukünftige Aufwand sei bereits im Rahmen des ersten Impugnationsprozesses (als „Musterprozess“) zu berücksichtigen. Zudem bestünde die Gefahr des „Overblocking“, wonach auch legale Inhalte auf Dauer (mit-)gesperrt würden.

Die Beklagten wandten ein, Gegenstand dieses Rechtsstreits sei nur die Zumutbarkeit der Sperre des Zugangs zu den beiden gegenständlichen IP-Adressen. Die von der Klägerin vermutete „Flut von Sperrersuchen“ sei unerheblich. Darüber hinaus bestehe kein Rechtsschutzdefizit, weil Rechteinhaber, die überschießende Sperrmaßnahmen erwirkten, mit Exszindierungsklage in Anspruch genommen werden könnten.

Das Erstgericht gab den Einwendungen Folge und erklärte die Exekution für unzulässig. Der wirtschaftliche Aufwand der (von der Klägerin unterlassenen) IP-Sperren sei einem Access-Provider derzeit und auch in absehbarer Zukunft „aus finanzieller Sicht“ zumutbar; die Sperre sei jedoch wegen der „Overblocking“-Gefahr aufgrund massiver Eingriffe in Grundrechte Dritter nicht angemessen und somit unzumutbar.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab. Es sei nicht vorgebracht worden, dass der Klägerin die Sperre der beiden (vom Exekutions- und Strafbeschluss umfassten) IP-Adressen technisch unmöglich oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich sei. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei in diesem Verfahren nicht zu klären, ob im Fall des Wechsels einer IP-Adresse auch die geänderten neuen Adressen zu sperren seien. Zu einem allfälligen Eingriff in die Rechte Dritter verwies das Berufungsgericht auf die diesen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den einem Access-Provider zumutbaren Maßnahmen zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Impugnationsklägerin zeigt keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf und ist deshalb – ungeachtet des gegenteiligen, jedoch nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig; dies ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Grund für eine Exekution nach § 355 EO kann nur ein Verhalten bilden, das schuldhaft, also zumindest fahrlässig gesetzt wurde (RIS-Justiz RS0085147). Der Verpflichtete kann die Aufhebung eines Strafbeschlusses mit Impugnationsklage unter anderem dann erreichen, wenn er im Prozess dartut, ein Unterlassungsgebot ohne jedes Verschulden verletzt zu haben (RIS-Justiz RS0107694). Der Verpflichtete muss dabei alles Zumutbare unternehmen, um die titulierte Verpflichtung erfüllen zu können. Nur wenn er dem nachkam, kann er sich darauf berufen, dem Exekutionstitel ohne jedes Verschulden zuwider gehandelt zu haben (3 Ob 190/11d mwN; RIS-Justiz RS0013515 [T3]; jüngst 3 Ob 162/17w). Die Klägerin als verpflichtete Partei muss ihre Schuldlosigkeit am Titelverstoß behaupten und beweisen (RIS-Justiz RS0000756 [T2, T3]).

2. Welche Vorsorgemaßnahmen im Einzelfall möglich und zumutbar sind, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden, weshalb dabei regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen zu beantworten sind (jüngst 3 Ob 132/17h; 3 Ob 162/17w).

3. Wenn das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangte, bereits aus dem Vorbringen der Klägerin sei nicht abzuleiten, dass diese alles Mögliche und ihr Zumutbare vorgekehrt habe, um Titelverstöße abzuwenden, stellt dies keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

3.1 Im Verfahren blieb unstrittig, dass eine Sperre der beiden IP-Adressen technisch möglich und nicht unverhältnismäßig ist. Auch die Revisionswerberin räumt ein, dass die Sperre des Zugangs zu einem Internetportal und zu zwei IP-Adressen „für sich genommen“ wenig aufwändig sei, nur wenige Änderungen in den administrativen Abläufen bei Providern erfordere und kaum eine Änderung und Investition in deren technische Infrastruktur. Ein „untragbares Opfer“ im Sinne des Urteils des EuGH vom 27. März 2014, Rs C-314/12, UPC Telekabel Rz 53, wird damit nicht behauptet.

3.2 Der Hinweis im Rechtsmittel, dass in diesem Zusammenhang aber „über den Tellerrand geblickt werden müsse“, weil eine Fülle weiterer Sperrbegehren zu neuen IP-Adressen absehbar seien und neben den Beklagten auch im Hinblick von Parallel- und Nachfolgeplattformen „Hunderte Rechteinhaber von Urheberrechtsverletzungen im Internet betroffen sind“, vermag aufgrund des von der gesicherten Rechtsprechung definierten (engen) Gegenstands eines Verfahrens nach § 36 EO die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen.

3.3 Substrat der Exekutionsbewilligung nach § 355 EO oder eines darauf folgenden Strafbeschlusses ist nur das vom betreibenden Gläubiger behauptete Verhalten; nur dieses kann Gegenstand eines vom Verpflichteten eingeleiteten Impugnationsverfahrens sein (RIS-Justiz RS0080946). Über spätere Strafanträge ergangene Strafbeschlüsse müssen jeweils gesondert mit Impugnationsklage bekämpft werden (RIS-Justiz RS0114675). Die mit der gegenständlichen Exekutionsbewilligung verbundene Verhängung einer Strafe bezog sich (nur) auf die beiden IP-Adressen der im Titel genannten Websites, nicht aber auf weitere und – im Sinne der Revision – durch „Hochrechnung“ zu ermittelnde hypothetische Strafanträge oder gar auf potentielle Sperrbegehren in weiteren Titelverfahren „Hunderter Rechteinhaber“. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Gegenstand des konkreten Impugnationsverfahrens eine allfällige Sperre einer weiteren (hypothetischen) IP-Adresse nicht umfasst, weicht von der aufgezeigten Judikatur des Senats nicht ab und bedarf daher keiner Korrektur.

3.4 Demgemäß fehlt der zum Themenkomplex des hypothetischen Aufwands der Klägerin behaupteten Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens die Relevanz, weshalb die Zulässigkeit des Rechtsmittels darauf ebenfalls nicht gestützt werden kann.

4. Eine erhebliche Rechtsfrage wird auch nicht mit dem Hinweis aufgezeigt, dass die Unzumutbarkeit einer Sperre in einem – die Informationsfreiheit der Kunden eingreifenden – „Overblocking“ legaler Inhalte liege. Die diesen Standpunkt verneinende Rechtsansicht des Berufungsgerichts folgt nämlich jener des urheberrechtlichen Fachsenats des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 71/14s (= MR 2014, 171 [Kraft], MR 2014, 201 [Walter] = ÖBl 2014/50, 237 [Anzenberger] = EvBl 2015/2 [Otenhajmer]). In dieser Entscheidung hat sich der Oberste Gerichtshof mit dem „Overblocking“ (siehe dort Punkt 5) und den dazu ergangenen Vorgaben der Entscheidung des EuGH vom 27. März 2014, Rs C-314/12, UPC Telekabel, nämlich bereits ausführlich auseinandergesetzt (vgl jüngst die ebenfalls den „Overblocking“-Einwand verneinende Entscheidung 4 Ob 121/17y).

5. Auch das Argument, dass das österreichische System der Exekutionsordnung auf den vorliegenden Fall „nicht passt“, um den Vorgaben des EuGH zum Einwand der Unzumutbarkeit gerecht zu werden, erfüllt nicht die Anforderungen des § 502 Abs 1 ZPO.

5.1 Bereits zu 4 Ob 71/14s wurde nämlich geklärt, dass über die Zumutbarkeit von aufgetragenen Sperrmaßnahmen in einem Impugnationsverfahren abzusprechen ist; und im – dem gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden – Titelverfahren hat der Senat 4 ausdrücklich festgehalten, dass die in der Entscheidung 4 Ob 71/14s entwickelten Grundsätze auch auf den hier vorliegenden Unterlassungsanspruch anzuwenden sind (4 Ob 22/15m). Die Rechtsmittelwerberin bringt in diesem Zusammenhang keine tragfähigen Gründe für eine allfällige Untauglichkeit des exekutionsrechtlichen Systems im Allgemeinen bzw des Impugnationsverfahrens im Besonderen vor, die Anlass für eine Sachentscheidung sein könnten.

5.2 Insbesondere widerspricht aber schon das Argument, dass im Gegensatz zur Unterlassungsverpflichtung der Klägerin ein sonstiges Unterlassungsgebot mit einer einzigen (singulären) Handlung erfüllt werden könne, der zu § 355 EO vorliegenden Rechtsprechung. Demnach handelt es sich nämlich bei einem Unterlassungsgebot (auch abseits einer zu unterlassenen Vermittlung einer Website) um eine „Dauerverpflichtung“ (RIS-Justiz RS0001075 [T3]; vgl auch 4 Ob 29/16t mwN): Wäre es doch sonst schwer verständlich, dass das Gesetz in § 355 EO wiederholte oder mehrfache Zuwiderhandlungen strenger sanktioniert (RIS-Justiz RS0030819; RS0004718).

6. Die Anregung zur Einholung einer Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof ist nicht aufzugreifen, weil zur Auslegung und Bedeutung der unionsrechtlichen Grundlagen und zu den sich daran anknüpfenden rechtlichen Konsequenzen im Hinblick auf die Entscheidung Rs C-314/12 des EuGH keine Zweifel bestehen (vgl RIS-Justiz RS0082949): Ob die Sperrmaßnahme in der zu beurteilenden Konstellation zumutbar ist, hängt im Ergebnis von der Gesamtwürdigung und Gewichtung der relevanten Umstände im konkreten Einzelfall ab, die den nationalen Gerichten vorbehalten ist (siehe Rs C-314/12 Rz 64; vgl auch 4 Ob 149/13k; 4 Ob 126/16g; 4 Ob 169/16f).

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO: Die beklagten Parteien haben zwar
– zutreffend – auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, ihnen steht aber – mangels einer (eingehend rechtlich begründeten) Anregung, ein Vorabentscheidungsersuchen einzuholen – keine Verbindungsgebühr nach Anm 5 zu TP 3 RATG zu.

Schlagworte

UPC Telekabel III,

Textnummer

E120820

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00001.18W.0124.000

Im RIS seit

08.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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