TE OGH 2009/10/29 2Ob157/09s

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Veröffentlicht am 29.10.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Simon G*****, vertreten durch Dr. Arno Kempf, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei (nunmehr) V***** AG, *****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 18.605,54 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 8.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Mai 2009, GZ 11 R 119/08p-36, womit infolge Berufungen beider Parteien das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21. Mai 2008, GZ 1 Cg 234/07z-26, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Teil- und Zwischenurteil wird dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

1. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für zwei Drittel aller künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 25. 2. 2004 bis zur Höhe der Haftungssumme gemäß dem Versicherungsvertrag für den bei ihr versicherten Pkw Renault Twingo, behördliches Kennzeichen *****, haftet.

2. Das weitere Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 18.605,54 EUR samt 4 % Zinsen seit 2. 8. 2004 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu zwei Drittel zu Recht.

3. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller drei Instanzen bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 25. 2. 2004 ereignete sich gegen 18.45 Uhr auf der LH 11 im Freiland auf Höhe des Strkm 12,260 ein Verkehrsunfall, an dem der auf der Fahrbahn gehende Kläger und Eva G***** als Lenkerin eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws beteiligt waren. Letztere war von Gänserndorf kommend in Richtung Markgrafneusiedl unterwegs.

Der Unfall ereignete sich ca 1 km nach Passieren des Ortsendes von Gänserndorf im Bereich einer Baustelle, die dort seit einigen Tagen eingerichtet war. Im Auftrag der EVN wurden (zunächst nur) neben dem - aus Sicht der herannahenden Lenkerin - rechten Fahrbahnrand Kabelverlegungsarbeiten durchgeführt. Als Bauführer fungierte eine „GmbH & Co", welche eine Subunternehmerin (eine GmbH) mit den Arbeiten beauftragt hatte. Der Kläger war (und ist) selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer dieser GmbH. Er war für die Baustelle verantwortlich. Die Subunternehmerin hatte mit den Arbeiten begonnen, noch ehe die gemäß § 90 Abs 1 StVO erforderliche behördliche Bewilligung vorlag. Am Tag vor dem Unfall, als ein Teil der Arbeiten fertiggestellt war, brachte der Kläger telefonisch in Erfahrung, dass der Bescheid „schon unterwegs" sei. Er veranlasste die Aufstellung mehrerer Verkehrsschilder und zwar (aus Sicht der Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs): Bei Strkm 13,360 (auf Höhe des Ortsendes von Gänserndorf) und 12,700: Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h (§ 52 lit a Z 10a StVO); bei Strkm 12,630: „Baustelle" (§ 50 Z 9 StVO); bei Strkm 12,560: „Überholen verboten" (§ 52 lit a Z 4a StVO).

Demgegenüber sahen der erst am 27. 2. 2004, also zwei Tage nach dem Unfall erlassene (an den Bauführer adressierte) Bewilligungsbescheid und die insoweit inhaltsgleiche Verordnung der zuständigen Bezirkshauptmannschaft eine abweichende Beschilderung, insbesondere eine abgestufte Geschwindigkeitsbeschränkung vor: 100 m vor der jeweiligen Arbeitsstelle auf 70 km/h; 50 m davor auf 50 km/h; 25 m davor auf 30 km/h. Das Verkehrszeichen „Baustelle" sollte im Freilandgebiet 200 m, das Verkehrszeichen „Überholen verboten" 100 m vor der jeweiligen Verkehrsbehinderung angebracht werden.

Die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs näherte sich der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von ca 100 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht. Es war dunkel, eine Straßenbeleuchtung war nicht vorhanden. Ob die Lenkerin die erste Geschwindigkeitsbeschränkung wahrnahm, steht nicht fest. Die zweite Geschwindigkeitsbeschränkung und das Überholverbotszeichen nahm sie nicht wahr, wohl aber das Gefahrenzeichen „Baustelle". Um innerhalb der vom Abblendlicht ausgeleuchteten Strecke anhalten zu können, hätte sie höchstens mit 65 - 70 km/h fahren dürfen.

Gleichzeitig bewegte sich der Kläger am - aus seiner Sicht - linken Fahrbahnrand in die entgegengesetzte Richtung. Während Mitarbeiter noch Leitpflöcke am Bankett einsetzten, kontrollierte er die Fahrbahn auf herumliegendes Werkzeug und Schmutz. In der Hand hielt er eine rot leuchtende „Winkerkelle" (mit der Auffälligkeit eines Fahrradrücklichts), um herannahende Fahrzeuge auf sich und die Baustelle aufmerksam zu machen. Ob er eine orangefarbene Schutzweste mit reflektierenden Streifen trug, steht nicht fest. Neben der Fahrbahn waren das Fahrzeug des Klägers mit eingeschalteter, mehrere hundert Meter weit sichtbarer Warnblinkanlage und ein Baustellengerät (Pflug) mit eher schlecht erkennbarem Blinklicht abgestellt.

Der Kläger konzentrierte sich unmittelbar vor dem Unfall auf die Fahrbahnoberfläche und das Bankett und achtete nicht auf herannahenden Verkehr. Als er zwischendurch aufblickte, bemerkte er die Scheinwerfer des Beklagtenfahrzeugs, ohne die Entfernung abschätzen zu können. Dabei unterschätzte er „vermutlich" auch die Fahrgeschwindigkeit. Er hob die Kelle, um das Fahrzeug anzuhalten. Bei entsprechender Aufmerksamkeit hätte er das Beklagtenfahrzeug so rechtzeitig erkennen können (die Sichtweite betrug mehrere hundert Meter), dass er die Fahrbahn mit einem Schritt zur Seite hätte verlassen können. So aber wurde er vom Beklagtenfahrzeug erfasst.

Die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs bremste nach Wahrnehmung des roten Lichts. Zu diesem Zeitpunkt war sie vom Kläger noch „ca 71 m" entfernt. Die Kollisionsgeschwindigkeit betrug ca 40 km/h. Wäre sie auf Sicht gefahren, hätte sie den Unfall vermeiden können. Der Kläger erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen; Spätfolgen sind nicht auszuschließen.

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei zuletzt Zahlung von 18.605,54 EUR sA und die Feststellung der - mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme begrenzten - Haftung für zwei Drittel aller künftigen Schäden aus dem Unfall vom 25. 2. 2004. Dabei betonte er, kein eigenes Mitverschulden anzuerkennen und sich die jederzeitige Ausdehnung des Klagebegehrens vorzubehalten. Sein Leistungsbegehren umfasse vorerst nur Teilbeträge vom weit höheren Gesamtschaden, die er zuletzt mit insgesamt 48.700 EUR bezifferte und im Einzelnen in folgender (ungekürzter) Höhe geltend machte: 33.000 EUR Schmerzengeld; 5.794,46 EUR Heilungs-, Aufenthalts- und Besuchskosten sowie Fahrtspesen; 9.905,54 EUR Verdienstentgang. Hievon wurden von der beklagten Partei geleistete Teilzahlungen von 25.000 EUR (Schmerzengeld) und 5.094,46 EUR (Heilungskosten etc) in Abzug gebracht.

Der Kläger brachte vor, die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs treffe an dem Unfall das Alleinverschulden, weil sie eine weit überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und auf die unklare Verkehrssituation zu spät reagiert habe. Die Baustelle sei durch die aufgestellten Verkehrsschilder abgesichert gewesen, auf die (fehlende) behördliche Genehmigung komme es nicht an.

Die beklagte Partei stellte ein Verschulden der Lenkerin des bei ihr haftpflichtversicherten Pkws im Ausmaß von zwei Drittel außer Streit, wandte jedoch ein Drittel Mitverschulden des Klägers ein. Dieser habe nicht auf die Fahrbahn geachtet, keine Schutzkleidung getragen und sei nur mit einer schwach leuchtenden Lampe ausgestattet gewesen. Die Baustelle sei unzureichend abgesichert gewesen, die behördliche Genehmigung habe gefehlt. Außerdem anerkannte die beklagte Partei gewisse Schmerzperioden und die Möglichkeit des Eintritts von Spätfolgen. Hinsichtlich des Verdienstentgangs wandte sie ein, dass der Kläger von der AUVA eine Versehrtenrente beziehe, sodass es ihm infolge der Legalzession im Umfang kongruenter Ansprüche an der Aktivlegitimation fehle.

Das Erstgericht gab mit Teilurteil dem Feststellungsbegehren statt und entschied mit Zwischenurteil, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu zwei Drittel zu Recht bestehe. Dabei ging es von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Gunsten des Klägers aus.

Es folgerte aus dem eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht, dass die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs zur Einhaltung der ohne gesetzliche Grundlage vom Kläger eigenmächtig angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht verpflichtet gewesen sei. Ihr sei jedoch vorzuwerfen, dass sie die nach dem Gebot des Fahrens auf Sicht höchstzulässige Geschwindigkeit deutlich überschritten und auf die auf die Baustelle hinweisenden Warnzeichen nicht rechtzeitig reagiert habe. Dem Kläger, der als Leiter eines Arbeitsvorgangs auf der Straße nicht als Fußgänger im Sinne des § 76 StVO angesehen werden könne, dennoch aber zur erforderlichen Sorgfalt angehalten gewesen sei, sei wegen Vernachlässigung der gebotenen Beobachtung des entgegenkommenden Verkehrs ein Mitverschulden anzulasten. Hingegen sei die Baustelle ausreichend abgesichert gewesen.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht, jener des Klägers hingegen Folge und änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es (auch) das Leistungsbegehren dem Grunde nach als zur Gänze zu Recht bestehend erkannte. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus:

Zur Berufung des Klägers:

Das Fehlverhalten des Klägers (Unaufmerksamkeit) trete gegenüber jenem der Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs gänzlich in den Hintergrund. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass die herannahende Lenkerin die - wenngleich ohne behördliche Bewilligung kundgemachte - Geschwindigkeitsbeschränkung und das Gefahrenzeichen „Baustelle" beachten, zumindest aber ihre Geschwindigkeit an die durch das Abblendlicht ausgeleuchtete Strecke anpassen werde. Die Dunkelheit habe es für ihn erschwert, die Geschwindigkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs richtig einzuschätzen; jedenfalls sei nicht davon auszugehen, dass ihm der Unterschied zwischen 70 und 100 km/h auffallen hätte müssen. Es stelle daher nur einen geringen Aufmerksamkeitsmangel dar, wenn der Kläger seine Aufmerksamkeit nach dem Heben der Winkerkelle wieder der Fahrbahn(-oberfläche) zugewendet und dem Beklagtenfahrzeug in den letzten Sekunden vor dem Unfall keine Beachtung mehr geschenkt habe. Dass er keine Schutzkleidung getragen habe, könne dem Kläger infolge der diesbezüglichen Negativfeststellung nicht vorgeworfen werden. Dem stehe das gravierende Fehlverhalten der Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs gegenüber, die alle Warnhinweise entweder übersehen oder nicht beachtet und eine Geschwindigkeit von 100 statt 30 km/h eingehalten habe.

Zur Berufung der beklagten Partei:

Die Außerstreitstellung möglicher Spätfolgen durch die beklagte Partei reiche für die Bejahung des Feststellungsinteresses des Klägers bereits aus. Auf die Art der Spätfolgen, deren Unfallskausalität im Streitfall jeweils nachgewiesen werden müsse, komme es nicht an. Die Feststellungen zu den konkreten Verletzungsfolgen seien für die Beurteilung des Feststellungsbegehrens bedeutungslos und daher als überschießend auszuklammern.

Der Kläger mache nur Teilbeträge seines behaupteten Schadens geltend, was der Fällung eines Zwischenurteils nicht entgegenstehe. Der eingeklagte Teilschaden müsste nur in Beobachtung des § 405 ZPO um eine allfällige Mitverschuldensquote gekürzt werden, was aber ohnedies nicht zum Tragen komme. Der Einwand einer anrechenbaren Leistung des Sozialversicherungsträgers betreffe die Höhe des Klagebegehrens und stelle ebenfalls kein Hindernis für ein Zwischenurteil dar. Dass der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht bestehe, sei seit der WGN 1989 kein Erfordernis mehr für die Erlassung eines Zwischenurteils.

Gegen die zweitinstanzliche Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, hilfsweise, sie im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Sie ist im Sinne des Eventualantrags auch teilweise berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, der Kläger habe als Bauleiter die ungenügende Absicherung der Baustelle zu verantworten und dafür gemäß § 1311 ABGB iVm § 90 StVO einzustehen. Angesichts der erkennbaren Gefahr habe er auch kein Recht zum Verweilen auf der Fahrbahn gehabt. Er hätte sich keinesfalls darauf verlassen dürfen, dass das Beklagtenfahrzeug noch rechtzeitig zum Stillstand gelangt. Schon aufgrund dieser Umstände sei die Verschuldensabwägung des Berufungsgerichts verfehlt. Bei einem Mitverschulden von einem Drittel gebühre dem Kläger kein weiteres Schmerzengeld. Die Fällung eines Zwischenurteils über das Begehren auf Verdienstentgang sei unzulässig, weil noch keine Feststellungen über die Einkommensverhältnisse des Klägers vor dem Unfall und die Leistungen des Sozialversicherungträgers vorlägen. Zur Begründung des Feststellungsinteresses hätten sich die Vorinstanzen auf überschießende Feststellungen zu den Verletzungsfolgen gestützt.

Hiezu wurde erwogen:

1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Beurufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs das überwiegende Verschulden an dem Unfall trifft und die beklagte Partei dem Kläger zumindest zwei Drittel seines Schadens zu ersetzen hat. Gegenstand der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof ist daher zunächst nur die Frage, ob der Kläger ein Mitverschulden zu vertreten hat und - falls dies zu bejahen sein sollte - wie dieses gegenüber dem Fehlverhalten seiner Unfallgegnerin zu gewichten ist.

3. Wird durch Arbeiten auf oder neben der Straße der Straßenverkehr beeinträchtigt, so ist hiefür unbeschadet sonstiger Rechtsvorschriften eine Bewilligung der Behörde erforderlich. Die Bewilligung ist - unter bestimmten Voraussetzungen - auf Antrag des Bauführers zu erteilen (§ 90 Abs 1 StVO). Gemäß Abs 3 dieser Bestimmung ist die Bewilligung unter Berücksichtigung der Art und des Umfangs der Bauführung und der Verkehrsbedeutung der Straße zur Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs bedingt, befristet oder mit Auflagen zu erteilen (Satz 1). Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Anlass von Arbeiten auf oder neben der Straße dürfen nur von der Behörde und nur im unbedingt notwendigen Ausmaß und nur für die unbedingt notwendige Strecke angeordnet werden (Satz 2).

Diese Vorschriften sind Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB (ZVR 1985/139 mwN; RIS-Justiz RS0027488), deren Schutzzweck auf die Hintanhaltung aller möglichen, von Straßenbauarbeiten ausgehenden Gefahren für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer gerichtet ist. Auch die in einem gemäß § 90 Abs 1 und 3 StVO erlassenen Bescheid enthaltenen Auflagen sind solche Schutznormen (10 Ob 237/02d = ZVR 2005/71 mwN).

Die Verpflichtung zur Einholung der Bewilligung nach § 90 Abs 1 StVO oblag dem Bauführer, hier demnach der „GmbH & Co", die auch Adressatin des zwei Tage nach dem Unfall erlassenen Bescheids war. Diese hatte dafür vorzusorgen, dass vor Erteilung der Bewilligung nicht mit den genehmigungspflichtigen Arbeiten begonnen wird (vgl ZVR 1979/223). Sie traf ferner gemäß § 32 Abs 6 StVO auch die Verpflichtung zur Kennzeichnung und Absicherung der Baustelle, also die Verkehrssicherungspflicht (2 Ob 2171/96w = ZVR 1999/61; 2 Ob 51/97g; 10 Ob 237/02d; RIS-Justiz RS0023676, RS0023687; vgl auch RS0023609, RS0109827). Grundsätzlich lag der Verstoß gegen die Schutznorm des § 90 StVO (RIS-Justiz RS0027488) daher bei der als Bauführer fungierenden „GmbH & Co".

4. In der Entscheidung 2 Ob 107/98v wurde bereits ausgesprochen, dass den Subunternehmer als den Straßenbau tatsächlich ausführenden Unternehmer, auch wenn er nicht selbst Adressat des gemäß § 90 StVO erlassenen Bescheids ist, unabhängig von den bescheidmäßigen Auflagen die aus § 32 Abs 6 iVm § 89 Abs 1 StVO („Kennzeichnung von Verkehrshindernissen") abzuleitende Pflicht zur Absicherung der Baustelle trifft. Werden Tätigkeiten an eigenverantwortlich handelnde Personen weitergegeben, so treffen die Verkehrssicherungspflichten (nur) diese, während der Übertragende nur mehr für Auswahlverschulden und unter Umständen für Überwachungsverschulden haftet (in diesem Sinne jüngst auch 2 Ob 217/08p).

Aus dieser Rechtsprechung folgt für den vorliegenden Fall, dass die Verkehrssicherungspflicht die an der Baustelle tätige Subunternehmerin (die GmbH) traf. Die für diese handelnden Personen hatten dabei jedenfalls auch das Verbot des § 90 Abs 3 Satz 2 StVO zu beachten, das die eigenmächtige Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen untersagt.

4. Für den Kläger, der als Geschäftsführer der Subunternehmerin die Baustelle leitend betreute und für die Aufstellung der Verkehrsschilder verantwortlich war, bedeutet dies, dass er auf die Verbindlichkeit der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht vertrauen durfte. Der Grundsatz, wonach sich jedermann auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen kann und damit rechnen muss (darf), dass andere Verkehrsteilnehmer sich dem Verkehrszeichen entsprechend verhalten werden, gilt nämlich nicht uneingeschränkt. Maßgeblich ist, ob durch ein ohne entsprechende Verordnung aufgestelltes Verkehrszeichen ein dem gebotenen Verhalten entsprechendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers zum Ausdruck kommt. Dies hat der Senat im Fall einer Geschwindigkeitsbeschränkung (Verkehrszeichen nach § 52 lit a Z 10a StVO) bereits ausdrücklich verneint (2 Ob 11/93 = ZVR 1994/59; vgl ferner 2 Ob 27/04s; 2 Ob 86/08y; RIS-Justiz RS0075296, RS0075561). Das bedeutet einerseits, dass die Überschreitung der ohne entsprechende Verordnung (iSd § 90 Abs 3 StVO) auf 30 km/h beschränkten Geschwindigkeit durch die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs keinen Verstoß gegen § 20 Abs 2 StVO begründete und aus diesem Grund auch nicht rechtswidrig war, andererseits, dass sich der Kläger, der diese Verkehrszeichen selbst aufgestellt hatte, auf die Einhaltung einer entsprechenden Geschwindigkeit nicht verlassen durfte.

5. Die mit der Durchführung von Straßenarbeiten auf einer Baustelle befassten Bediensteten sind grundsätzlich nicht den Regeln der StVO über den Fußgängerverkehr unterworfen (RIS-Justiz RS0075503). In diesem Zusammenhang wurde auch schon ausgesprochen, dass derjenige, der von der Fahrbahn aus einen Arbeitsvorgang neben der Straße leitet, nicht Fußgänger im Sinne des § 76 StVO ist (ZVR 1973/190 [Leitsatz] = RIS-Justiz RS0075503 [T1]).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Baustelle durch das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 9 StVO als solche gekennzeichnet war und der Kläger auf der Fahrbahn den Straßenbauarbeiten zugehörige Kontrolltätigkeiten verrichtete. Die Vorinstanzen haben die erwähnte Rechtsprechung somit zutreffend auf den Kläger angewandt.

In der bereits vom Erstgericht zitierten Entscheidung 8 Ob 18/86 (= ZVR 1987/97), auf die sich nun auch die beklagte Partei in ihrem Rechtsmittel beruft, wurde aber auch klargestellt, dass der an einer Baustelle Tätige jedenfalls zu der unter den jeweiligen Umständen gebotenen Sorgfalt verpflichtet ist (vgl auch 2 Ob 28/89). Dort wurde es als „sträfliche Leichtsinnigkeit und Sorglosigkeit" angesehen, dass der Verletzte die für den Verkehr freigebliebene Fahrbahn überquerte, ohne dem Verkehr die geringste Aufmerksamkeit zu widmen.

Hier hat sich der Kläger zunächst nur auf seine Kontrollaufgabe konzentriert. Dadurch konnte es geschehen, dass er die Scheinwerfer des Beklagtenfahrzeugs später, als ihm das möglich gewesen wäre, erblickte. Dies war für den Unfall (mit-)kausal: Auf die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 30 km/h durfte der Kläger - wie erörtert - nicht vertrauen. Richtig ist zwar, dass das eingeschaltete Abblendlicht zu der Erwartung Anlass gab, dass sich das betreffende Fahrzeug mit entsprechend angepasster Geschwindigkeit nähern würde (RIS-Justiz RS0073493). In diesem Fall hätte die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs die Kollision auch verhindern können. Der Kläger war aber nicht in der Lage, die Entfernung (und wohl auch die Fahrlinie) des Beklagtenfahrzeugs einzuschätzen. Unter diesen Voraussetzungen hätte er bei früherem Erkennen des Beklagtenfahrzeugs die Situation jedenfalls im bedenklichen Sinn auslegen und eine Abwehrhandlung (Schritt zur Seite) vornehmen müssen, was ihm nur wegen des Aufmerksamkeitsmangels nicht mehr möglich war.

6. Bei Gegenüberstellung des beiderseitigen Fehlverhaltens fällt somit der Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs die Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit (100 statt 70 km/h) und eine erhebliche Unaufmerksamkeit zur Last. Dem Kläger ist als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten ebenfalls ein gewisses Maß an Unaufmerksamkeit und die dadurch bedingte Unterlassung einer Abwehrhandlung vorzuwerfen. Dazu kommt, dass er als verantwortlicher Bauleiter die Verletzung der Schutznorm des § 90 Abs 3 StVO zu vertreten hat. Den Beweis mangelnden Verschuldens hat er nicht angetreten. Es ist auch nicht erwiesen, dass sich bei einer dem Bescheid entsprechenden Beschilderung der Unfall ebenfalls mit den gleichen Schadensfolgen ereignet hätte.

Unter diesen Umständen kann das Fehlverhalten des Klägers aber nicht vernachlässigt werden. Die Verschuldensteilung des Erstgerichts erweist sich vielmehr als sachgerecht, sodass dem Kläger ein Mitverschulden im Ausmaß eines Drittels anzulasten ist.

7. Ein Zwischenurteil darf bei Anspruchshäufung in einer Klage schon dann gefällt werden, wenn auch nur ein Teilanspruch berechtigt ist und die anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen auch für die anderen Teilansprüche zu bejahen sind (vgl 2 Ob 268/06k mwN; RIS-Justiz RS0041036; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² III § 393 Rz 12).

Die Frage der Zulässigkeit eines Zwischenurteils ist grundsätzlich eine prozessuale Frage; ihre unrichtige Lösung bedeutet eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz (RIS-Justiz RS0040918 [T8 und T10]). Zur Erlassung eines Zwischenurteils über den Grund des Anspruchs ist es aber auch erforderlich, dass alle rechtserzeugenden Tatsachen, aus denen der Anspruch abgeleitet wird, und alle Einwendungen, die seinen Bestand berühren, geklärt worden sind. Fehlt es an den entsprechenden Feststellungen, liegt ein Feststellungsmangel vor, der mit Rechtsrüge geltend zu machen ist (vgl 2 Ob 268/06k; 8 Ob 70/08i; je mwN).

Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit des Zwischenurteils bereits bejaht und damit eine diesbezügliche Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz verneint. Der Kläger hat sein Begehren auf Ersatz des Verdienstentgangs auf Einkommensverluste aus seinen Tätigkeiten als Geschäftsführer und als Betreiber einer Materialseilbringung gestützt. Dagegen hat die beklagte Partei in erster Instanz nur eingewandt, dass mangels entsprechender Nachweise die Höhe bestritten werde und es dem Kläger im Umfang der Legalzession an der Aktivlegitimation fehle (AS 17). Ersteres betrifft nur die Höhe des Anspruchs; zu letzterem hat sich der erkennende Senat in 2 Ob 268/06k (dort zum Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers) bereits dahin geäußert, dass die Beurteilung der strittigen Frage nach dem Fortbestand eines restlichen Direktanspruchs des Geschädigten regelmäßig erst im Verfahren über die Anspruchshöhe erfolgen kann und diesem vorbehalten bleibt.

Da keine den Grund des Anspruchs berührenden Feststellungsmängel vorliegen, rügt die beklagte Partei im Ergebnis lediglich einen bereits verneinten Verfahrensmangel erster Instanz, was im Revisionsverfahren nicht mehr möglich ist.

Das Zwischenurteil war daher, wie aus dem Spruch ersichtlich, abzuändern.

8. Das Gericht ist gemäß § 405 ZPO nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Im Falle der Teileinklagung eines Schadens ohne Einräumung eines Mitverschuldens darf dann, wenn der Schadensanteil unter Berücksichtigung eines festgestellten Mitverschuldens zu ermitteln ist, über das Begehren des Klägers nicht hinausgegangen werden. Das bedeutet, dass der eingeklagte Teilschaden als Gesamtanspruch zu behandeln und um die Mitverschuldensquote zu kürzen ist. Eine entgegen diesem Grundsatz vorgenommene Ermittlung des Ersatzbetrags verstieße gegen § 405 ZPO (2 Ob 232/06s mwN; RIS-Justiz RS0027184). Auf diese - schon vom Berufungsgericht erwähnte - Rechtsprechung wird im Verfahren über die Höhe des Leistungsbegehrens Bedacht zu nehmen sein, sollte der Kläger weiterhin kein Mitverschulden einräumen.

9. Unverständlich sind angesichts der Außerstreitstellung möglicher Spätfolgen die Ausführungen der Rechtsmittelwerberin zum bekämpften Teilurteil. Für das Feststellungsinteresse genügt es schon, dass weitere Schäden aus dem Schadensereignis nicht mit Sicherheit auszuschließen sind (RIS-Justiz RS0039018). Eine Einschränkung auf bestimmte Schadensfolgen hat der Kläger nicht vorgenommen (vgl 2 Ob 150/08k), sodass es unbeachtlich ist, ob sich die Außerstreitstellung auf die in einem bestimmten Gutachten festgestellten Verletzungen bezog. Die Vorinstanzen haben das Feststellungsinteresse des Klägers somit zutreffend bejaht.

10. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 2, hinsichtlich des Zwischenurteils iVm § 393 Abs 4 ZPO.

Textnummer

E92516

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00157.09S.1029.000

Im RIS seit

28.11.2009

Zuletzt aktualisiert am

20.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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