TE OGH 2010/10/19 11Os126/10d

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Veröffentlicht am 19.10.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen DI Dietmar B***** wegen der Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 2. Juni 2010, GZ 40 Hv 48/10y-54, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Wampl zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde DI Dietmar B***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1, Abs 2 Z 1 StGB (A./) sowie der Verbrechen des (versuchten) Mordes nach §§ 15, 75 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 18. Dezember 2009 in Salzburg

A./ Valentina B***** dadurch am Körper verletzt, dass er mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von etwa zehn Zentimetern auf sie im Bereich des Oberkörpers, des Bauchs sowie der oberen Extremitäten einstach und ihr Schnitte zufügte, sohin mit einem solchen Mittel und auf solche Weise handelte, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich eine cirka fünf Zentimeter große Schnittwunde an der unteren Thoraxhälfte, eine cirka drei Zentimeter große Schnittwunde an der Schulter rechts, eine cirka fünf Zentimeter große Schnittwunde an der Schulter rechts, eine cirka fünf Zentimeter große Schnittwunde am rechten Unterarm (streck- und radialseitig gelegen mit Durchtrennung des oberflächlich liegenden Fingerstreckmuskels), eine zwei Zentimeter große „c-förmige“ Wunde über dem Kleinfingerballen mit kompletter Durchtrennung der Kleinfingerballenmuskulatur bis an den V. Mittelhandknochen reichend und eine Durchtrennung des ulnaren Nervs des V. Fingers zur Folge hatte;

B./ Tara B*****, Viktoria B***** und Tobias L***** dadurch zu töten versucht, dass er mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von etwa zehn Zentimetern, mit dem er die genannten Personen erstechen wollte, in das Zimmer, in dem diese sich befanden und welches (gemeint: dessen Tür) von innen zugehalten wurde, durch heftige Schläge und Stiche mit dem Messer und durch Drücken gegen die Tür einzudringen suchte.

Die Geschworenen haben die Hauptfrage 1 nach Mordversuch zum Nachteil von Valentina B***** verneint, jedoch die Hauptfragen 2, 3 und 4 nach Mordversuch zum Nachteil der Tara B*****, der Viktoria B***** und des Tobias L***** bejaht, die diesbezüglichen Zusatzfragen 2, 3 und 4 nach freiwilligem Rücktritt vom Versuch verneint und die Eventualfrage 2 nach vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Valentina B***** (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB) bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 6, 10a und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Mit seiner Interrogationsrüge (Z 6) behauptet der Beschwerdeführer zunächst eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung, weil die in die Hauptfragen 2, 3 und 4 aufgenommene Textpassage „und durch Drücken“ entgegen der Anordnung des § 312 Abs 1 StPO nicht mit dem Anklagetenor übereinstimme.

Soweit der Angeklagte daraus - disloziert in der Rechtsrüge - die Schlussfolgerung ableitet, die Fragen seien deswegen beirrend für die Geschworenen gewesen und hätten ihnen den Blick dafür verstellt, ob auch ohne diese Tatmodalität eine tatbestandsmäßige und taugliche Versuchshandlung vorliege, entzieht sich dieses Vorbringen - schon mit Blick auf § 330 Abs 2 StPO - mangels juristisch-argumentativen Substrats einer inhaltlichen Erwiderung.

Im Übrigen entsprechen die vom Schwurgerichtshof gestellten Hauptfragen 2, 3 und 4 - dem Beschwerdevorbringen zuwider - den Kriterien des § 312 StPO.

Wenngleich das Gericht danach an die der Anklage zu Grunde liegende Tat gebunden ist, besteht keine Verpflichtung, den Anklagetenor wortgetreu in der Hauptfrage wiederzugeben. Abweichungen von diesem durch Aufnahme weiterer nach Maßgabe der Beweisergebnisse vorliegender Tatumstände, die - wie hier - nur der Konkretisierung, das heißt der deutlicheren Bezeichnung der Tat dienen und weder den gesetzlichen Tatbestand noch die Identität der Tat berühren, sind somit zulässig (Schindler, WK-StPO § 312 Rz 15; SSt 61/109; RIS-Justiz RS0100562, RS0123131, RS0100686, RS0100481).

Weiters kritisiert der Rechtsmittelwerber das Fehlen einer Eventualfrage nach versuchter schwerer Nötigung, weil sich sowohl aus der Aussage der Zeugin Constanze B***** als auch aus dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ergebe, dass der Angeklagte in der Vergangenheit immer wieder Morddrohungen ausgestoßen habe, um ein bestimmtes Verhalten seiner Gattin zu erreichen bzw durchzusetzen. Die dem Angeklagten angelasteten Handlungsweisen vom 18. Dezember 2009 würden ebenfalls auf dieser Verhaltenslinie liegen, die Stellung der geforderten Eventualfrage sei daher indiziert gewesen.

Mit diesem Vorbringen orientiert sich die Beschwerde nicht an den Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes:

Unabdingbare Voraussetzung für die Stellung einer Eventualfrage (§ 314 Abs 1 StPO) ist nämlich das Vorbringen von Tatsachen (im Sinn des Vorkommens einer erheblichen Tatsache) in der Hauptverhandlung, welche einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und - im Falle ihrer Bejahung - die Basis für einen Schuldspruch wegen einer anklagedifformen gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 1). Bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen können indes nicht zum Gegenstand einer Eventualfrage gemacht werden (RIS-Justiz RS0102724).

Mit den in der Rüge angestellten Spekulationen über die mit den beschriebenen Verhaltensweisen verbundene Intention des Angeklagten werden jedoch keine im Verfahren hervorgekommenen konkreten Tatsachen dargelegt, welche die Annahme bloßer Nötigungshandlungen indiziert hätten (vgl 12 Os 113/08x).

Soweit die Fragenrüge schließlich hinsichtlich der Hauptfragen 2, 3 und 4 (Punkt B./ des Schuldspruchs) Eventualfragen in Richtung des Verbrechens des versuchten Totschlags nach § 76 StGB vermisst, ist sie gleichfalls nicht im Recht, weil der für die Annahme dieses Delikts erforderliche rechtsethisch allgemein verständliche Konnex zwischen dem behaupteten partnerschaftlichen Konfliktverhalten der Ehegattin des Angeklagten und seinen von den versuchten Tötungshandlungen betroffenen Kindern nicht vorliegt und damit die Grundlage für die Stellung der geforderten Eventualfragen fehlt (RIS-Justiz RS0099233, insbesondere [T2]).

Auch die Tatsachenrüge (Z 10a) überzeugt nicht.

Der Beschwerdeführer verkennt das Wesen dieses (formellen) Nichtigkeitsgrundes, der in seiner prozessualen Reichweite keineswegs einer Berufung wegen Schuld gleicht und dessen Anwendungsbereich vielmehr dort beginnt, wo aufgrund aktenkundiger Beweisergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen bestehen (RIS-Justiz RS0119583). Soweit der Nichtigkeitswerber trachtet, durch Hinweise auf seine aus dem Tatgeschehen resultierende psychische Beeinträchtigung, seine erhebliche Alkoholisierung zur Tatzeit, die eigenen Verletzungen und die Nachwirkungen der unter Narkose erfolgten Operation sowie durch die Hervorhebung eines objektiv unrichtigen - nicht wesentlichen - Aussagedetails und der Bezeichnung der Verletzungen der kleinen Valentina als „Schnitte“ (die im Übrigen gar wohl die Folge der zugestandenen Stiche sein können) seine Vernehmungsfähigkeit bei seiner ersten polizeilichen Befragung und davon ausgehend die Zuverlässigkeit seiner damaligen - sich selbst belastenden - Angaben (die er in der Hauptverhandlung bestritt) in Frage zu stellen und damit die Richtigkeit der Konstatierungen der Geschworenen in Zweifel zu ziehen, vermag er die zur Herstellung des in Rede stehenden Nichtigkeitsgrundes erforderlichen qualifizierten Zweifel beim Obersten Gerichtshof nicht zu erwecken.

Der Rechtsrüge (Z 11 lit a) zuwider haben die Geschworenen auch die Ausführungsnähe des zum Schuldspruch B./ festgestellten Verhaltens des Angeklagten zu Recht bejaht.

Ausführungsnah sind Handlungen, die in unmittelbarer Beziehung zum tatbildmäßigen Unrecht stehen und der geplanten Ausführung auch zeitlich nahe sind. Ob ein Verhalten bereits im unmittelbaren Vorfeld der Tatbestandsverwirklichung liegt, ist anhand der dem jeweiligen Tatbild entsprechenden Ausführungshandlung zu prüfen. Im vorliegenden Fall lag das von den Geschworenen im Wahrspruch konstatierte Täterverhalten in zeitlicher, örtlicher und aktionsmäßiger Nähe zur unmittelbar bevorstehenden Ausführung des geplantes Mordes, weil es tatplangemäß ohne weitere selbständige Etappen in die Tatbestandsverwirklichung einmünden sollte. Dem hiefür noch notwendigen Eindringen in das Zimmer, in das die Opfer geflüchtet waren, und dem Herantreten an diese kann - der Beschwerde zuwider - die Bedeutung eigenständiger Zwischenakte nicht beigemessen werden (vgl RIS-Justiz RS0087299, RS0090029, RS0089825 [T7]; SSt 52/40 ua), das Einstechen wäre bereits eine Ausführungshandlung.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher - wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte - zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten unter Anwendung von § 28 StGB nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren. Als mildernd gewertet wurden „das reumütige Geständnis und der Beitrag zur Wahrheitsfindung trotz nachträglichem Widerruf“, die Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit durch die narzisstische Persönlichkeitsstörung; als erschwerend jedoch das Zusammentreffen von drei Verbrechen mit einem Vergehen.

Die Berufung des Angeklagten begehrt eine geringere Strafhöhe.

Zutreffend ist bloß der Einwand mangelnder Berücksichtigung des bisher ordentlichen Lebenswandels (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB).

Der Milderungsgrund der Z 19 des § 34 Abs 1 StGB liegt allerdings hinsichtlich der eigenen Verletzungen des Berufungswerbers nicht vor, entstanden diese doch nur im Zusammenhang mit dem ihm zur Last gelegten Handeln, nicht aber durch die Tat oder als deren Folge.

Das „Verhalten ehelicher Untreue“ seiner Frau ist nicht mildernd bei der Sanktion wegen der gegen die (überwiegend gemeinsamen) Kinder gesetzten Delikte.

Die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten haben die Erstrichter ausdrücklich berücksichtigt.

Selbst wenn man die im Zuge einer Weihnachtsfeier bewirkte Alkoholisierung als mildernd veranschlagt, sieht sich der Oberste Gerichtshof zu einer Reduktion der Unrechtsfolge nicht veranlasst. Von einem reumütigen Geständnis kann keine Rede sein; die minderjährigen Tatopfer sind durch den Amoklauf ihres (Stief-)Vaters - der ua die Wohnung versperrte, den Schlüssel im Schloss abbrach und ein Feuer entzündete - entsprechend traumatisiert. Dass die Verbrechen formell im Versuchsstadium verblieben, begründet den Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StGB; das fehlende Erfolgsunrecht wurde von den Tatrichtern ohnedies bedacht (US 9) und der Strafzumessung mit zu Grunde gelegt.

Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E95626

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00126.10D.1019.000

Im RIS seit

12.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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