TE OGH 2010/11/23 1Ob190/10p

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Veröffentlicht am 23.11.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Harald B*****, vertreten durch Leissner Kovaricek Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und deren Nebenintervenienten Dr. Manfred H*****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 14.349,16 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei und die Rekurse der beklagten Partei und des Nebenintervenienten (Rechtsmittelinteresse je 7.175,58 EUR sA) gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. August 2010, GZ 14 R 93/10i-20, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 4. März 2010, GZ 33 Cg 22/08k-13, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Sämtliche Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Nebenintervenienten binnen 14 Tagen die mit 599,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 148,54 EUR (darin enthalten 102,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekurs- und Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger war testamentarischer Alleinerbe seiner am 13. 9. 2001 verstorbenen Großmutter. Im Verlassenschaftsverfahren wurde der Nebenintervenient zum Gerichtskommissär bestellt. Nach Erhebung der Vermögenswerte durch seine Substitutin wurde am 23. 6. 2003 das Inventar errichtet, in das ein Wertpapierdepot mit einem Betrag von 27.180 EUR aufgenommen wurde. Depotinhaber war aber nicht die Erblasserin, wie aus dem dem Inventar beigelegten Depotauszug eindeutig ersichtlich war. Dem Klagevertreter war bereits vor dem 23. 6. 2003 ein Inventarentwurf übermittelt worden. Auch in diesem Entwurf war das Wertpapierdepot aufgelistet. Der Klagevertreter besprach den Entwurf mehrmals mit dem Kläger, ohne Einsicht in die zum Inventar gehörigen Beilagen zu nehmen.

Am 8. 1. 2004 schlossen der Kläger und die beiden Pflichtteilsberechtigten ein Erbschafts- und Pflichtteilsübereinkommen. Das unterfertigte Inventar diente als Grundlage für die Bewertung des Reinnachlasses und für die Berechnung der Pflichtteile. Lediglich eine Liegenschaft wurde mit 152.000 EUR bewertet, während im Inventar der dreifache Einheitswert (53.850,57 EUR) herangezogen worden war. Die Pflichtteilsansprüche der Noterben wurden mit je 94.000 EUR festgesetzt. Punkt V des Übereinkommens lautete:

„Keiner der Vertragspartner haftet dem anderen für eine bestimmte Beschaffenheit oder Werthaltigkeit der der Aufteilung unterworfenen Gegenstände. Die Vertragspartner verzichten demgemäß auch auf eine Anfechtung dieses Vertrags wegen Irrtum oder Verkürzung über die Hälfte. ...

Mit Erfüllung dieses Übereinkommens sind sämtliche wechselseitigen Erb- und Pflichtteilsansprüche mit Ausnahme nachträglich hervorkommenden Vermögens oder nachträglich hervorkommender Schulden endgültig erledigt.“

Der Versuch des Klägers, im September oder Oktober 2005 das Depot zu realisieren, scheiterte. Die beiden Pflichtteilsberechtigten lehnten die Rückzahlung des Differenzbetrags ab.

Das Erstgericht hielt den geltend gemachten Amtshaftungsanspruch für nicht berechtigt. Das Inventar habe keine konstitutive Wirkung für ein streitiges Verfahren zwischen Noterben und Erben. Die ungeprüfte Zugrundelegung eines Inventars für nachfolgende Verträge gehe zu Lasten desjenigen, der sich dieser Vorgangsweise bediene.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, bestätigte die Abweisung eines Begehrens von 7.175,58 EUR sA und hob das angefochtene Urteil im selben Umfang auf. Das Inventar biete eine Richtschnur für Erben und Noterben, um die Pflichtteilsansprüche zu berechnen. Schäden von Erben und Pflichtteilsberechtigten aus einer entgegen den Bestimmungen der §§ 97 und 98 AußStrG aF erfolgten unrichtigen oder unvollständigen Inventarisierung sollten vermieden werden, weshalb sie vom Schutzzweck der genannten Normen zumindest mitumfasst seien. Der Kläger, dem das Verhalten seines Rechtsvertreters zuzurechnen sei, habe das Inventar aber ohne weitere Überprüfung dem Übereinkommen zu Grunde gelegt, was ein Mitverschulden von 50 % rechtfertige.

Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen das Teilurteil sowie den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu, weil Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob ein aus einem vom Erben einem Übereinkommen mit Noterben zu Grunde gelegten unrichtigen Inventar entstandener Schaden vom Schutzzweck der §§ 97, 98 AußStrG aF umfasst sei, und ob es eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten darstelle, wenn der Erbe vor Abschluss des entsprechenden Übereinkommens das Inventar auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit nicht überprüfe.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittel des Klägers sowie der beklagten Partei und des Nebenintervenienten sind entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig.

1. Auf dem Gebiet des Amtshaftungsrechts muss geprüft werden, ob Pflichten der Rechtsträger nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse einzelner Betroffener normiert sind (1 Ob 22/92 = SZ 66/77). Es wird nur für solche Schäden gehaftet, die sich als Verwirklichung derjenigen Gefahr darstellen, derentwegen der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt hat (RIS-Justiz RS0050038 [T4]). Auch bei einer unvertretbaren Verletzung von Rechtsvorschriften sind nur jene Schäden zu ersetzen, deren Eintritt die übertretene Vorschrift gerade verhindern wollte oder deren Verhinderung zumindest mitbezweckt ist (1 Ob 157/04a; 1 Ob 28/09p ua). Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (RIS-Justiz RS0050038 [T14]).

2. Nach § 97 Abs 1 AußStrG 1854, das nach § 205 AußStrG (BGBl I 2003/111) auf das Verlassenschaftsverfahren anzuwenden war, hat das Inventar ein genaues und vollständiges Verzeichnis des gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens, in dessen Besitz sich der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes befunden hat, zu enthalten (RIS-Justiz RS0109531). § 98 AußStrG 1854 verpflichtet den Gerichtskommissär zur Erforschung des Nachlassvermögens.  Für die Inventarisierung ist nur der Besitz zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers, nicht aber das Eigentum des Erblassers maßgeblich (RIS-Justiz RS0007816). Unter „Besitz“ ist nur der Sachbesitz oder Rechtsbesitz, nicht aber die bloße Innehabung zu verstehen (RIS-Justiz RS0007809), was auch für Wertpapierdepots gilt (6 Ob 213/09f).

3. Im konkreten Fall gab es keinen wie immer gearteten Anhaltspunkt für die Verlassenschaftszugehörigkeit des Wertpapierdepots. Die Auffassung des Berufungsgerichts, den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der §§ 97 und 98 AußStrG 1854 und dem Schaden des Testamentserben als Folge einer Einbeziehung des nicht zu den Verlassenschaftsaktiva zählenden Depots in die Berechnungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch zu bejahen, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 1 Ob 2309/96g = SZ 70/46: Wertung des § 43 iVm § 98 Abs 1 AußStrG 1854 als Schutzgesetz zugunsten des Erben). Obwohl die Inventarisierung des Nachlassvermögens nur Zwecken des Verlassenschaftsverfahrens dient (RIS-Justiz RS0006465), für die Berechnung des Pflichtteils nicht bindend ist (RIS-Justiz RS0007784) und demnach keine Gewähr für die vollständige Erfassung von Vermögen und Verbindlichkeiten bietet (4 Ob 170/03h), soll sie dennoch als Mittel der Beweissicherung vorläufig jenes Vermögen erheben, das nach den äußeren Umständen dem Erblasser gehört und den Nachlass bildet (6 Ob 184/99y = SZ 72/174; RIS-Justiz RS0007784 [T9]; RS0006465 [T16]; 7 Ob 282/03a mwN). Das Inventar, das als öffentliche Urkunde (§ 292 Abs 1 ZPO) den Anschein der Verlassenschaftszugehörigkeit der aufgenommenen Positionen schafft, dient eben Erben und Pflichtteilsberechtigten als Orientierungshilfe und Grundlage für die Berechnung der Höhe des Pflichtteils (RIS-Justiz RS0006519; RS0007784; RS0012906; 7 Ob 282/03a), auch im Zusammenhang mit Übereinkommen, die nicht selten noch während des Verlassenschaftsverfahrens geschlossen werden und (so wie hier) zur endgültigen Bereinigung der Ansprüche und Vermeidung kostspieliger und langwieriger Erbschaftstreitigkeiten einen Anfechtungsverzicht und eine Generalklausel enthalten können. Aus diesem Grund stellt auch die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs, der nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0110361), keine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung dar.

4. Eine auf die Vereinbarung derartiger Klauseln gegründete Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG scheidet aus, weil die zitierte Bestimmung nur prozessuale Rechtsbehelfe, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche Entscheidungen im Instanzenweg oder auf andere Weise zu beseitigen, erfasst (RIS-Justiz RS0050080).

5. Das Mitverschulden iSd § 1304 ABGB setzt weder ein Verschulden im technischen Sinn noch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens voraus. Es genügt die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (RIS-Justiz RS0032045; RS0022681). Ob einem Geschädigten demnach ein Mitverschulden anzulasten ist, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0022681 [T7]). Dasselbe gilt für die Frage nach dem Ausmaß des Mitverschuldens (RIS-Justiz RS0087606). Auch in diesem Punkt liegt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vor, hätte doch ein kurzer Blick auf die dem Inventar beigelegte Urkunde genügt, um jeglichen Bezug des Depots zur Verlassenschaft auszuschließen und den (eindeutigen) Fehler des Gerichtskommissärs bzw seiner Substitutin zu erkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Den (hier nicht iSd §§ 14, 20 ZPO streitgenössischen) Nebenintervenienten trifft keine Kostenersatzpflicht (RIS-Justiz RS0035816; Fucik in Rechberger³ Vor § 40 ZPO Rz 7). Er hat aber Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Revisionsbeantwortung, weil er auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers hingewiesen hat (Fucik aaO § 41 ZPO Rz 5 mwN). Dieser Grundsatz der Kostenersatzpflicht hat auch im Verhältnis zwischen den Hauptparteien zu gelten, die sich in ihren Rechtsmittelgegenschriften jeweils auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Rechtsmittel berufen haben. Die Beklagte ist dabei als Kostenschuldner (Fucik aaO Vor § 40 ZPO Rz 7) aber verpflichtet, dem Kläger auch die Kosten der Beantwortung des Rekurses des Nebenintervenienten zu ersetzen (RIS-Justiz RS0036148). Weil aber dieser Rekurs dem Kläger zum Zeitpunkt der Einbringung der ersten Rekursbeantwortung (13. 10. 2010) bereits zugestellt worden war, wird der Mehraufwand durch Beantwortung zweier Rechtsmittel bereits durch den Streitgenossenzuschlag abgegolten (2 Ob 60/08z; RIS-Justiz RS0036159 [T2] mwN). Die Differenzrechnung ergibt zu Gunsten des Klägers einen Betrag von 148,54 EUR.

Schlagworte

4 Amtshaftungssachen,

Textnummer

E95768

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00190.10P.1123.000

Im RIS seit

27.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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