TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/11 D8 404822-1/2009

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Veröffentlicht am 11.03.2009
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Spruch

D8 404822-1/2009/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Gollegger als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.02.2009, Z 0900693, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste am 19. Oktober 2002 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21. Oktober 2002 einen Asylantrag. Der Beschwerdeführer wurde nach Einstellung des Verfahrens am 30. Juni 2003 vor einer Organwalterin des Bundesasylamtes, Traiskirchen, einvernommen.

 

Der Beschwerdeführer gab an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren und russischer Staatsangehöriger russischer Volksgruppenzugehörigkeit zu sein. Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, dass er Unternehmer gewesen sei und ein Polizist ihn aufgefordert habe, Schutzgeld zu zahlen. Im Jahr 1991 sei die Polizei erstmals an ihn mit Geldforderungen herangetreten und nachdem er sich geweigert habe, sei einer seiner Betriebe geschlossen worden, 1992 habe er seinen zweiten Betrieb selbst geschlossen und sei nach Moskau gefahren. Nach seiner Rückkehr im Jahr 2000 sei er verhaftet, aufs Bezirkskommissariat verbracht und bis zu seiner Ausreise mehrmals grundlos festgenommen worden.

 

Mit Bescheid vom 31. Juli 2003, Z 02 30.551-BAT, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 1997/76 (AsylG) idgF, ab (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Russland gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Mangels Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid erwuchs dieser am 22. August 2003 in Rechtskraft.

 

2. Am 19. Jänner 2009 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesasylamt. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er sich seit dem Jahr 2002 ständig in Österreich aufhalte und er aus seinem Herkunftsstaat ausgereist sei, um seiner Verhaftung oder Ermordung durch Polizisten zu entgehen. Am selben Tag wurde vor dem Bundesasylamt, Traiskirchen, eine Einvernahme des Beschwerdeführers zu seiner Person abgehalten.

 

Am 22. Jänner 2009 fand eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, Traiskirchen, statt, in welcher der Beschwerdeführer zusammengefasst angab, wegen der Bedrohung durch den Vater einer Tschetschenin, mit der er gegen den Willen ihrer Eltern unverheiratet in der Russischen Föderation zusammengelebt habe, aus seinem Heimatland ausgereist zu sein und deswegen auch Angst vor einer Rückkehr zu haben. Über Nachfrage des einvernehmenden Organwalters des Bundesasylamtes gab der Beschwerdeführer an, dass dieser Konflikt seit dem Sommer 2002 bestehe. Am selben Tag wurde dem Beschwerdeführer eine Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 AsylG persönlich ausgefolgt.

 

Am 29. Jänner 2009 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Rechtsberaters vom entscheidungsbefugten Organwalter des Bundesasylamtes einvernommen. Er gab zusammengefasst an, gesund zu sein, viele Freunde und eine Freundin zu haben.

 

3. Mit Bescheid vom 03. Februar 2009, Z 0900693, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz vom 19. Jänner 2009 gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. 51/1991 idgF wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 (AsylG) idgF, aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland aus. Das Bundesasylamt traf unter anderem folgende Feststellungen: "Im Vorverfahren wurden bereits alle bis zur Entscheidung dieses Asylverfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt, sodass darüber im gegenständlichen Verfahren nicht mehr neuerlich zu entscheiden ist. In der ersten Entscheidung wurde auch der Refoulementsachverhalt im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG 2005 berücksichtigt. Sie haben keine für dieses Verfahren relevanten familiären oder privaten Bindungen. Im entscheidungsrelevanten Zeitraum sind keine wesentlichen Änderungen an der Lage in Ihrem Heimatland eingetreten." Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Problemen wegen seiner tschetschenischen Freundin "in keinster Weise glaubwürdig" seien und er nicht schlüssig habe erklären können, wieso er diese Angaben nicht bereits im ersten Asylverfahren gemacht habe. Alleine auf Grund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer von 04. Dezember 2006 bis 15. Jänner 2009 mit einer Unterbrechung von sieben Tagen in Haft gewesen sei, ergebe sich, dass beim Beschwerdeführer weder ein Familienleben noch ein Privatleben bestanden habe können. Die Feststellung, dass keine wesentliche Änderung in der Russischen Föderation eingetreten sei, ergebe sich aus notorisch bekannten Tatsachen bzw. aus dem Amtswissen und Erfahrungssätzen, welche die Behörde im Zuge zahlloser materieller Asylverfahren mit Antragstellern aus der Russischen Föderation gewonnen habe. In der rechtlichen Beurteilung wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ausschließlich Umstände geltend gemacht habe, die schon vor Eintritt der Rechtskraft des Vorbescheides bestanden hätten. Eine wesentliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens sei nicht eingetreten. Im Fall des Beschwerdeführers seien keine privaten Anknüpfungspunkte hervorgekommen und schlage eine Interessenabwägung zu Lasten des Beschwerdeführers aus, weshalb seine Ausweisung gerechtfertigt sei.

 

Dieser Bescheid des Bundesasylamtes wurde dem Beschwerdeführer, der seit 28. Jänner 2009 an der Adresse XXXX als "obdachlos" gemeldet ist, durch persönliche Ausfolgung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 26. Februar 2009 zugestellt.

 

Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes richtet sich die fristgerecht am 04. März 2009 wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts eingebrachte Beschwerde.

 

4. Mit Email vom 05. März 2009 teilte der Asylgerichtshof dem Bundesasylamt mit, dass die Beschwerdevorlage am 05. März 2009 beim Asylgerichtshof eingelangt ist.

 

II. Der Asylgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

 

1. Rechtslage:

 

1.1 Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), BGBl. I 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 28 Abs. 5 AsylGHG, BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008, treten in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I 147/2008 in Kraft:

 

1. das Inhaltsverzeichnis, § 13 Abs. 2 und Abs. 4 letzter Satz, § 14 Abs. 3, § 17 Abs. 5,

 

§ 23 und § 29 Abs. 6 mit 1. Juli 2008;

 

2. § 24 mit Ablauf des Tages der Kundmachung dieses Bundesgesetzes. Auf vor diesem Zeitpunkt ergangene, zu vollstreckende Entscheidungen Abs. 2 dieser Bestimmung mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass der Asylgerichtshof mit Beschluss nachträglich eine Vollstreckungsbehörde bestimmen kann.

 

Gemäß § 23 AsylGHG, BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008, sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 des Art. 2 des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 4/2008, ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 4/2008, entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 4/2008, entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

zurückweisende Bescheide

 

wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;

 

wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG und

 

die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

1.2 Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren, das gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 4/2008, von der nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichterin zu entscheiden ist.

 

1.3 Gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. I 51/1991 idF BGBl. I 158/1998, hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

1.4 Gemäß § 68 Abs. 1 AVG, BGBl. I 51/1991 idF BGBl. I 471/1995, sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Gemäß § 75 Abs. 4 AsylG 2005 begründen ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).

 

1.5 Gemäß § 28 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005, ist das Verfahren zuzulassen, wenn der Antrag voraussichtlich nicht zurückzuweisen ist, soweit das Verfahren nicht vor Zulassung inhaltlich entschieden wird. Die Zulassung erfolgt durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte (§ 51); eines Bescheides bedarf es dann nicht. Die Zulassung steht einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen. Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringen des Antrags auf internationalen Schutz entscheidet, dass der Antrag zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin - Verordnung oder eines Vertrages über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz geführt. Das Führen solcher Konsultationen ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen. Diesfalls gilt die 20-Tages-Frist nicht. Diese gilt überdies nicht, wenn der Asylwerber am Verfahren nicht mitwirkt, dieses gegenstandslos wird oder er sich diesem entzieht. Ist der Asylwerber aus in seiner Person gelegenen Gründen nicht in der Lage, am Verfahren mitzuwirken, ist der Lauf der Frist nach Satz 1 gehemmt.

 

1.6 In einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung ist § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (§ 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005).

 

2. In der Sache:

 

2.1 Vorauszuschicken ist, dass die Annahme des Bundesasylamtes, wonach der Bescheid mit 20. Februar 2009 erlassen worden sei, aus folgenden Gründen verfehlt ist:

 

Gemäß § 21 AVG und § 1 des Bundesgesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz - ZustG), BGBl. 200/1982 in der Fassung BGBl. I 5/2008, sind Zustellungen nach dem ZustG vorzunehmen.

 

Gemäß § 23 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 4/2008, ist bei Zustellungen von zurück- oder abweisenden Entscheidungen, die mit einer durchsetzbaren Ausweisung (§ 10) verbunden sind, soweit dem Asylwerber zum Zeitpunkt der Zustellung faktischer Abschiebeschutz (§ 12) oder ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz (§ 13) zukommt, jedenfalls der Asylwerber als Empfänger zu bezeichnen. Wird diesfalls eine Zustellung an einer Abgabestelle (§ 2 Z 5 ZustG) vorgenommen, hat diese durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu erfolgen, soweit sie nicht durch eigene Organe des Bundesasylamtes oder des Asylgerichtshofes im Amt vorgenommen wird. Eine allenfalls notwendige Hinterlegung hat bei der nächsten Sicherheitsdienststelle zu erfolgen.

 

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (§ 7 ZustG, BGBl. 200/1982 idF BGBl. I 5/2008).

 

Das Bundesasylamt hat es bei Zustellung des Bescheides vom 03. Februar 2009 unberücksichtigt gelassen, dass der Beschwerdeführer an der Adresse "XXXX", seit 28. Jänner 2009 als "obdachlos" gemeldet ist. Ungeachtet des Abfrageergebnisses aus dem Zentralen Melderegister hat das Bundesasylamt eine Zustellung an dieser Adresse versucht. Aus der im Akt erliegenden Bestätigung einer "Kontaktstelle" geht unzweifelhaft hervor, dass die Kontaktstelle an der genannten Adresse nicht als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes gilt (erstinstanzlicher Verwaltungsakt, Seite 41).

 

Das Bundesasylamt hätte daher zu dem Schluss kommen müssen, dass die Voraussetzungen des § 19a Abs. 1 des Bundesgesetzes über das polizeiliche Meldewesen (Meldegesetz 1991 - MeldeG), BGBl. 9/1992 idF BGBl. I 45/2006, sowie des § 19a Abs. 2 MeldeG an der genannten Adresse nicht erfüllt sind, weshalb keine Abgabestelle vorliegt. Demnach kann die Hinterlegung auch keine Zustellung bewirken, vielmehr gilt die Zustellung erst mit der persönlichen Ausfolgung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 26. Februar 2009 an den Beschwerdeführer als bewirkt, ist ihm doch der Bescheid an diesem Tag tatsächlich zugekommen (erstinstanzlicher Verwaltungsakt, Seite 133).

 

2.2 Weiters wird vorausgeschickt, dass das Bundesasylamt nicht binnen der Frist von zwanzig Tagen nach Einbringen des Antrags auf internationalen Schutz entschieden hat, dass der Antrag zurückzuweisen ist, weshalb spätestens nach Ablauf dieser Frist das Verfahren zuzulassen und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszufolgen gewesen wäre (§ 28 Abs. 1 und 2 AsylG 2005). Nach dem Akteninhalt ist dies jedoch nicht geschehen.

 

Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 ergibt, ist auch nach Verfahrenszulassung eine zurückweisende Entscheidung uneingeschränkt möglich (vgl. Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20054, K11. und K12. zu § 28). Diese Auffassung entspricht im Übrigen auch der im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1994, 92/05/0063, vertretenen Auffassung, dass die Berufungsbehörde das Prozesshindernis der entschiedenen Sache, wenn es von der Behörde erster Instanz übersehen worden ist und sie eine Sachentscheidung getroffen hat, zum ersten Mal aufgreifen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 25. November 2008, 2006/20/0624, unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien ausdrücklich angeführt, dass es keine Rechtsfolge der Zulassung des Verfahrens sei, dass der Asylantrag nicht mehr zurückgewiesen werden dürfe, unabhängig davon, ob ein Zurückweisungstatbestand vor oder nach Zulassung zu Tage getreten sei und hat weiters auf sein Erkenntnis vom 31. Mai 2007, 2007/20/0466, verwiesen, wonach auch im Fall einer Zulassung gemäß § 41 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005, nach der erforderlichen Verfahrensergänzung eine erneute Zurückweisung durch das Bundesasylamt zulässig sei. Im vorliegenden Verfahren wurde der Asylantrag in rechtswidriger Weise nicht zugelassen. Wenn aber selbst nach Zulassung die Zurückweisung gemäß § 68 Abs. 1 AVG erlaubt ist, so muss dies umso mehr gelten, wenn das Verfahren - wenngleich rechtswidrig - nicht zugelassen worden ist. Eine andere Auslegung ist weder den gesetzlichen Bestimmungen noch der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu entnehmen.

 

2.3. Für den Asylgerichtshof ist Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das Bundesasylamt mit Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat. Der Beschwerdeführer ist seit seiner Einreise nach Österreich im Jahr 2002 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig und nicht in die Russische Föderation zurückgekehrt.

 

Ansuchen, die offenbar die Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, sind auch dann, wenn das Begehren nicht ausdrücklich dahin lautet, wegen "res iudicata" zurückzuweisen. Die Wesentlichkeit einer Sachverhaltsänderung als Kriterium der "res iudicata" ist nicht nach der objektiven Rechtslage, sondern nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen, rechtskräftigen Entscheidung erfahren hat (VwGH 22.05.2001, 2001/05/0075).

 

Nach der Rechtsprechung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteienbegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen nach § 28 AsylG 1997, nunmehr § 18 AsylG 2005, - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21. 11.2002, 2002/20/0315; 19.10.2004, 2001/03/0329; 31.3.2005, 2003/20/0468; 30.6.2005, 2005/18/0197; 26.7.2005, 2005/20/0226; 29.9.2005, 2005/20/0365; 25.4.2007, 2004/20/0100).

 

Das im Rahmen des zweiten Antrages auf internationalen Schutz im Verfahren vor dem Bundesasylamt erstattete Vorbringen zu Tatsachen, die erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens betreffend den ersten Asylantrag eingetreten sind, ist in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer Sachverhaltsänderung an dem im Vorbescheid festgestellten Sachverhalt (und nicht unbedingt am damaligen Vorbringen) zu messen. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen gemäß § 28 AsylG 1997, nunmehr § 18 AsylG 2005 - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtliche Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. VwGH 25.10.2000, 99/06/0169; 22.05.2001, 2001/05/0075; 20.03.2003, 99/20/0480).

 

2.4 Das Bundesasylamt hat im Verfahren des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt, dass der erste Asylantrag am 21. Oktober 2002 gestellt und das Asylverfahren mit dem Bescheid des Bundesasylamtes am 31. Juli 2003 abgeschlossen wurde. Damit sind zwischen dem Erlass des Bescheides des Bundesasylamtes, der mangels Erhebung einer Berufung in Rechtskraft erwuchs, im ersten Asylverfahren und dem vorliegenden liegenden zweiten Verfahren beinahe sechs Jahre vergangen.

 

Die Feststellung des Bundesasylamtes, wonach im entscheidungsrelevanten Zeitraum keine wesentlichen Änderungen "an" der Lage im Herkunftsland des Beschwerdeführers eingetreten seien, hält einer nachprüfenden Kontrolle durch den Asylgerichtshof nicht stand. Das Bundesasylamt hat zwar in seiner Beweiswürdigung festgehalten, dass sich die soeben zitierte Länderfeststellung auf notorisch bekannte Tatsachen bzw. auf das Amtswissen und Erfahrungssätze stütze, legt jedoch weder sein Amtswissen offen noch ist diese Feststellung mit Länderdokumenten untermauert und ist somit auch keiner Kontrolle durch den Asylgerichtshof zugänglich. Das Bundesasylamt hat in seinem Bescheid weder aktuelle Länderfeststellungen getroffen noch liegen Länderdokumente im Verwaltungsakt ein. Dies wäre jedoch zur Klärung der Frage, ob die Lage im Herkunftsstaat zum Zeitpunkt der neuerlichen Antragsstellung eine wesentliche andere als zu dem Zeitpunkt, als über den ersten Antrag im Juli 2003 abgesprochen wurde, ist und ob einer eventuellen Änderung Entscheidungsrelevanz zukommt, notwendig gewesen.

 

Im konkreten Fall des Beschwerdeführers, dessen erstes Asylverfahren wie bereits ausgeführt seit beinahe sechs Jahren rechtskräftig beendet ist, hätte das Bundesasylamt die Feststellung, dass sich keine Änderung ergeben habe, nachvollziehbar darzulegen gehabt. Das Bundesasylamt hätte sohin aktuelle Länderberichte in das Verfahren einführen müssen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist grundsätzlich anhand der aktuellen Situation in seinem Herkunftsstaat zu würdigen, was das Bundesasylamt jedoch mangels Einführung von Länderdokumenten in das Verfahren nicht getan hat und von der belangten Behörde nachzuholen sein wird.

 

Der Beschwerdeführer hat zur Begründung seines neuerlichen Antrages vorgebracht, dass er die Russische Föderation auf Grund von Problemen mit der Familie seiner tschetschenischen Freundin, mit der er unverheiratet zusammengelebt habe, verlassen habe. Das Bundesasylamt würdigte das Vorbringen des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid (Bescheid, Seite 9 bzw. erstinstanzlicher Verwaltungsakt, Seite 81) als "in keinster Weise glaubwürdig", da der Beschwerdeführer "nicht mehr als das zu Protokoll Gegebene zu erzählen wusste". Dem Bundesasylamt ist jedoch zu entgegnen, dass es der Organwalter des Bundesasylamtes unterließ, detaillierte Fragen zu stellen, sondern die Einvernahme nach 15 Minuten beendete und dem Beschwerdeführer somit auch keine Möglichkeit eröffnete, umfassende Angaben zu machen. Das Bundesasylamt hat sich daher im weiteren Verfahren ausführlicher und gegebenenfalls durch genaueres Nachfragen mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen und in Folge schlüssig zu begründen, ob Sachverhaltsänderungen vorliegen und ob die behaupteten Sachverhaltsänderungen einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt oder nicht.

 

Das Bundesasylamt hat keine ausreichenden Ermittlungen und Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers getätigt. Wenn das Bundesasylamt in seiner Bescheidbegründung ausführt, dass im Verfahren des Beschwerdeführers keine familiären und privaten Anknüpfungspunkte hervorgekommen und auch keine geltend gemacht worden seien (Bescheid, Seite 12 und 13 bzw. erstinstanzlicher Verwaltungsakt, Seite 87 und 89), so übersieht es, dass der Beschwerdeführer angegeben hat, seit dem Jahr 2003 eine Freundin zu haben (erstinstanzlicher Verwaltungsakt, Seite 57). Diese Angaben des Beschwerdeführers, wonach es sich um eine langjährige Beziehung handle, hätten das Bundesasylamt zum Nachfragen veranlassen müssen. Das Bundesasylamt ist jedoch auf diese Angaben des Beschwerdeführers oder darauf, wie intensiv die Beziehung vor, während und nach der Inhaftierung des Beschwerdeführers war, nicht näher eingegangen und hat auch in seiner Begründung zur Ausweisung des Beschwerdeführers darauf keinen Bezug genommen sondern lediglich angeführt, dass keine privaten Anknüpfungspunkte hervorgekommen wären. Das Bundesasylamt wird deshalb im weiteren Verfahren den Beschwerdeführer zu seinem Privat- und Familienleben ergänzend befragen und diese Angaben in die Interessenabwägung einbeziehen müssen.

 

2.5 Da im konkreten Fall somit der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ermittelt wurde, dass unter anderem die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, war der Beschwerde stattzugeben und das Verfahren zuzulassen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in mehreren Erkenntnissen ausgeführt hat, macht es keinen Unterschied, ob es sich bei der "Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung" um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt (VwGH 21. November 2002, 2000/20/0084; 21. November 2002, 2002/20/0315; 11. Dezember 2003, 2003/07/0079).

 

In Asylsachen ist ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet. Gemäß Art. 129 c Z 1, Art. I des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. I 2/2008, erkennt der Asylgerichtshof nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Unterbliebe ein umfassendes Ermittlungsverfahren in erster Instanz, würde nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert werden, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, dass der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermitteln muss und eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der letzten Instanz beginnen und zugleich enden (abgesehen von der - im Bundesverfassungsgesetz, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. 2/2008, neu eingefügten Art. 144a B-VG vorgesehenen - Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes).

 

Wenn diese Sachverhaltsmängel nicht vom Bundesasylamt saniert werden, so würde das diesbezügliche Ermittlungsverfahren vor den Asylgerichtshof verlagert und somit der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen werden. Mit der Anwendung des § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005, hat der Asylgerichtshof jedoch im gegenständlichen Fall die Möglichkeit, dem Abbau einer echten Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens und der Aushöhlung der Funktion des Asylgerichtshofes als Kontrollinstanz entgegenzuwirken.

 

Das Bundesasylamt wird die dargestellten offenen Fragen zu behandeln und mit dem Beschwerdeführer im neuerlich durchzuführenden Verfahren zu erörtern haben.

 

2.6 Wird gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundene Ausweisung Beschwerde ergriffen, hat der Asylgerichtshof dieser binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die Ausweisung lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 37 Abs. 1 AsylG 2005).

 

Gegenständliche Beschwerde langte am 05. März 2009 beim Asylgerichtshof ein. Da der Asylgerichtshof noch vor Ablauf der in § 37 Abs. 1 AsylG 2005 genannte Frist spruchgemäß entschied, konnte die Prüfung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerdevorlage entfallen.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
29.07.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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