TE Vwgh Erkenntnis 2005/3/31 2003/20/0468

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Veröffentlicht am 31.03.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §68 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A in W, geboren 1982, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. September 2003, Zl. 218.950/5-II/39/03, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste am 27. Jänner 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 31. Jänner 2000 erstmals Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. Februar 2000 gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei einfaches Mitglied der MSF, einer Unterorganisation der PML. Am 12. Oktober 1999 habe in Pakistan das Militär die Macht übernommen. Aus diesem Grund habe der Beschwerdeführer in der ersten Novemberwoche 1999 sowie am 26. und am 27. November 1999 in seinem Heimatort an Demonstrationen teilgenommen, die vom Militär aufgelöst worden seien. Am 1. Dezember 1999 sei das Büro der Partei des Beschwerdeführers durchsucht worden, Parteimitgliedslisten seien beschlagnahmt und zwei Funktionäre verhaftet worden. Einige Tage später habe die pakistanische Polizei nach dem Beschwerdeführer gesucht, weil sie verbotene Waffen bei ihm vermutet habe. Ein Bruder des Beschwerdeführers sei verhaftet worden und befinde sich vermutlich noch in Haft. Die Funktionäre unter den Demonstranten seien bewaffnet gewesen, auf den Beschwerdeführer habe dies aber nicht zugetroffen. Er habe Pakistan dessen ungeachtet aus Furcht, wegen der Teilnahme an verbotenen Demonstrationen und wegen des Verdachts illegalen Waffenbesitzes verhaftet und zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt zu werden, verlassen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 6. April 2000 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es gründete diese Entscheidung im Wesentlichen auf die Rechtsansicht, dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne keine asylrelevante Verfolgungsgefahr aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe entnommen werden. Dem Beschwerdeführer drohten nach seinem eigenen Vorbringen nur behördliche Ermittlungen und es sei ihm zumutbar, sich dem zu stellen "und etwaige Unklarheiten zu beseitigen". Dass ihm aus politischen Gründen ein unfaires Verfahrens drohe, habe er nicht behauptet. Die Begründung seines Antrages finde "somit keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention". Bloße Vermutungen, "also subjektiv empfundene Furcht, wie in Ihrem Fall", reichten für eine Asylgewährung nicht aus.

Dieser dem damaligen gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 7. April 2000 zugestellte Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 15. Mai 2002 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen nunmehrigen anwaltlichen Vertreter erneut Asyl. Bei seiner Einvernahme dazu vor dem Bundesasylamt am 5. Dezember 2002 gab er - der darüber aufgenommenen Niederschrift zufolge - zunächst an, an seinen Fluchtgründen habe sich "nichts geändert". "Neu" sei jedoch, dass er im November 2002 (also zwischen der Einbringung des Zweitantrages und der Einvernahme dazu) "ein Fax erhalten" habe. Außerdem habe er "öfters zu Hause angerufen" und dabei erfahren, dass die Polizei ihn suche. Nach Mitteilung seiner Eltern habe die Polizei vor etwa einem Monat einen Funktionär der MSF umgebracht, drei andere Mitarbeiter der Partei des Beschwerdeführers seien spurlos verschwunden. Im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan drohe dem Beschwerdeführer dasselbe Schicksal.

Zu diesem Vorbringen legte der Beschwerdeführer die ihm - seinen Behauptungen nach - im November 2002 per Fax übermittelten Schreiben vor. Eines davon stammte seinem Inhalt zufolge vom Präsidenten der MSF (Muslim Students Federation) im Heimatort des Beschwerdeführers und bezog sich - nach einer einleitenden Passage über die Machtergreifung durch das Militär im Oktober 1999 - darauf, das derzeitige Regime habe viele Angehörige der MSF festgenommen, deren Aufenthaltsort seither nicht bekannt sei. Armeeangehörige seien auf der Suche nach dem Beschwerdeführer und hätten mehrmals sein Elternhaus durchsucht. Am 17. Oktober 2002 seien Angehörige der MSF von der Armee gefasst und gefoltert worden.

In dem anderen Schreiben, seinem Inhalt nach vom Vater des Beschwerdeführers stammend und mit 10. November 2002 datiert, wurde u.a. dargelegt, die derzeitige Regierung habe damit begonnen, die Angehörigen der MSF im Heimatort des Beschwerdeführers festzunehmen. Die Polizei durchsuche deren Häuser, einige von ihnen seien verhaftet worden und würden an einem unbekannten Ort festgehalten. Wenn der Beschwerdeführer nach Pakistan zurückkehre, drohe ihm die gleiche Behandlung.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Jänner 2003 wurde der Zweitantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen diese Entscheidung des Bundesasylamtes gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Begründung des angefochtenen Bescheides lautet - abgesehen von einer Darstellung des Verfahrensganges und allgemein gehaltenen Rechtsausführungen - im Wesentlichen wie folgt:

"Bereits im Verfahren zum ersten Asylantrag hatte der Berufungswerber angegeben, in Pakistan einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen zu sein, weil er im November 1999 an verbotenen Demonstrationen in Sialkot gegen die derzeitige Militärregierung teilgenommen habe. Außerdem sei er Mitglied der MSF, einer Unterorganisation der PML. Da sein Bruder, der ebenfalls dieser Partei angehöre, verhaftet worden sei, und er befürchte, wegen der Teilnahme an der Demonstration bzw. des Verdachtes, illegale Waffen zu besitzen, verhaftet zu werden, habe er das Land verlassen. Die Erstbehörde hat dieses Vorbringen bereits im rechtskräftig gewordenen Bescheid vom 6.4.2000 einer Beweiswürdigung und rechtlichen Würdigung unterzogen, insbesondere ist sie auch auf eine mögliche Suche und Festnahme durch staatliche Behörden eingegangen. Sohin kann jedoch nicht von einem neuen Sachverhalt ausgegangen werden

Allgemein bekannte Daten sind auch von Amts wegen zu berücksichtigen ... Zum Entscheidungszeitpunkt hat sich die Situation in Pakistan nicht verändert; vielmehr stellt sich diese noch so dar, wie sie die Behörde erster Instanz in ihren (gemeint:

ihrem( unbekämpft gebliebenen Bescheid vom 6.4.2000 dargelegt hat."

Diese Ausführungen enthalten keine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den Behauptungen und Beweismitteln, auf die der Beschwerdeführer seinen Zweitantrag bei der Einvernahme dazu gestützt hat. Die abschließenden Bemerkungen über die "Situation in Pakistan" sind zunächst insofern nicht aussagekräftig, als der Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. April 2000 über diese "Situation" - anders als die belangte Behörde zum Ausdruck zu bringen scheint - keine Feststellungen enthielt. Dass schon das Amtswissen der belangten Behörde über die derzeitige allgemeine Lage in Pakistan die zur Begründung des Zweitantrages vorgebrachten Behauptungen und Beweismittel widerlege, lässt sich dem angefochtenen Bescheid aber jedenfalls nicht entnehmen. Eine spezifisch auf die Glaubwürdigkeit der Behauptungen und die Beweiskraft der Urkunden abstellende Begründung fehlt zur Gänze.

Die belangte Behörde scheint - soweit sich ihre Überlegungen nachvollziehen lassen - vielmehr der Ansicht gewesen zu sein, selbst bei Wahrunterstellung des zum Zweitantrag erstatteten Vorbringens über Vorgänge, die sich in den letzten Monaten vor der Einvernahme zum Zweitantrag ereignet haben sollen, könne diesem mit denselben Argumenten begegnet werden, auf die sich die Abweisung des Erstantrages stützte. Die Erledigung des Erstantrages gründete sich aber auf die Ansicht des Bundesasylamtes, der Beschwerdeführer habe nur behördliche Ermittlungen im Anschluss an bestimmte Vorfälle im November 1999 zu befürchten und es sei ihm zumutbar, sich diesen Ermittlungen zu stellen "und etwaige Unklarheiten zu beseitigen". Das zum Zweitantrag unter Vorlage von Beweismitteln erstattete Vorbringen über das nunmehrige Vorgehen gegenüber Mitgliedern der MSF, wonach diese - ohne behaupteten Zusammenhang mit bestimmten bewaffneten Demonstrationen im November 1999 - gesucht würden, die Polizei einen Funktionär ermordet habe, andere Mitglieder der MSF seit ihrer Verhaftung spurlos verschwunden seien und es bei Verhaftungen von Mitgliedern der MSF im Oktober 2002 zu Folterungen gekommen sei, würde gegenüber den Sachverhaltsannahmen, auf denen der Bescheid vom 6. April 2000 beruhte, daher ein in nicht irrelevanter Weise geändertes Bedrohungsbild beschreiben.

Unter diesen Umständen war es zur Prüfung der Zulässigkeit des Zweitantrages erforderlich, sich mit der Glaubwürdigkeit der nunmehrigen Behauptungen des Beschwerdeführers und der Beweiskraft der von ihm dazu vorgelegten Urkunden - soweit sich diese Behauptungen und Beweismittel auf das aktuelle Vorgehen gegenüber den Mitgliedern der MSF bezogen - zur Beurteilung ihres "glaubhaften Kerns" beweiswürdigend auseinander zu setzen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0391, mwN).

Da die belangte Behörde dies nicht erkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Ein Zuspruch der begehrten Stempelgebühren hat nicht zu erfolgen, weil dem Beschwerdeführer diesbezüglich mit hg. Beschluss vom 31. Oktober 2003 die Verfahrenshilfe bewilligt worden ist.

Wien, am 31. März 2005

Schlagworte

Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003200468.X00

Im RIS seit

29.04.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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