TE OGH 2021/12/22 5Ob211/21x

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Veröffentlicht am 22.12.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. M*, 2. M*, ebenda, beide vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die Antragsgegnerin D*, vertreten durch Wehner & Steinböck Rechtsanwälte GmbH & CoKG in Linz, wegen § 16 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 22. September 2021, GZ 14 R 139/21s-16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Die Streitteile sind Miteigentümer einer Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an je einer Doppelhaushälfte. Die Gärten der Objekte grenzen aneinander. Das Haus der Antragsgegnerin liegt aufgrund der Hanglage höher als das der Antragsteller. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist deren Antrag, die Zustimmung der Antragsgegnerin zur Anbringung eines Sichtschutzes aus Glas auf einer bestehenden Stützmauer gemäß einer näher definierten Planungsunterlage zu ersetzen.

[2]       Das Erstgericht wies den Antrag ab.

[3]       Das Rekursgericht gab ihm statt, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4]       Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[5]       1.1. Das Rekursgericht legte seiner rechtlichen Beurteilung der Verkehrsüblichkeit der beabsichtigten Änderung die von ihm als unbekämpft gewertete Feststellung zugrunde, dass es im Umfeld der Wohnungseigentumsobjekte der Streitteile (somit der unmittelbaren Nachbarschaft) dem Sichtschutz dienende, nachträglich errichtete Betonmauern und Holzzäune gebe. Auch im (wohnrechtlichen) Außerstreitverfahren setzt eine gesetzesgemäß ausgeführte Beweisrüge voraus, dass ein qualifiziert vertretener Rechtsmittelwerber inhaltlich ausreichend bestimmt erkennen lässt, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen die begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (RIS-Justiz RS0006674 [T43]). In der bloßen Behauptung, es sei nicht richtig, dass in gleichartigen Objekten in der unmittelbaren Nachbarschaft vergleichbare Sichtschutzelemente angebracht seien, die ausschließlich mit der – als unzulässige Neuerung zu wertenden – Behauptung begründet wird, ca 30 von der Terrasse der Antragsgegnerin sichtbare Bauten wiesen keine solchen Sichtschutzelemente auf, jedenfalls keine gesetzesgemäß ausgeführte Beweisrüge zu erkennen, ist nicht zu beanstanden. Eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt daher nicht vor.

[6]       1.2. Selbst wenn man mit der Revisionsrekurswerberin von der unmittelbaren (oder analogen) Anwendung von § 468 Abs 2 Satz 2 iVm § 473a Abs 1 ZPO im (wohnrechtlichen) Außerstreitverfahren ausgeht, wäre für sie nichts gewonnen. Die – teils wörtliche – Bezugnahme auf die nunmehr strittigen Feststellungen im Rekurs (vgl dessen Punkte 1.4. und 1.5.) hätte jedenfalls die Rügepflicht der Revisionsrekurswerberin in der Rekursbeantwortung ausgelöst, sodass für ein Vorgehen des Rekursgerichts nach § 473a Abs 1 ZPO keine Notwendigkeit bestand (vgl RS0113473 [T1, T2]). Eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens ist auch insoweit nicht zu erkennen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[7]       2. Die Zulässigkeit der Änderung eines Wohnungseigentumsobjekts iSd § 16 Abs 2 Z 1 und 2 WEG 2002 lässt sich nicht grundsätzlich bejahen oder verneinen. Es kommt dabei vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind (RS0083309). Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt (5 Ob 186/18s; 5 Ob 235/20z). Nur bei einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hätte der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor:

[8]            3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats (RS0083236) steht einer Änderung nicht jede Beeinträchtigung von Interessen der Miteigentümer entgegen, sondern nur eine wesentliche Beeinträchtigung, die die Interessen der anderen Wohnungseigentümer am Unterbleiben der Änderung so schutzwürdig erscheinen lässt, dass ein Anspruch des Wohnungseigentümers auf Änderung zurückzustehen hat. Eine Änderung hat demnach zu unterbleiben, wenn sie wegen einer wesentlichen Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen der übrigen Miteigentümer diesen nicht zumutbar ist (RS0083240 [T5]). Abzustellen ist darauf, ob bei einer objektiven Betrachtung der Schutzwürdigkeit der Interessen anderer Miteigentümer eine als gewichtig anzusehende Beeinträchtigung vorliegt (RS0083378 [T1]). Für das Vorliegen derartiger Umstände ist der widersprechende Mit- und Wohnungseigentümer darlegungs- und beweispflichtig (RS0082993).

[9]            3.2. Ob die Verhinderung klaustrophobischer Gefühle bei der Antragsgegnerin ein schutzwürdiges Interesse iSd § 16 Abs 2 Z 1 WEG begründen könnte, bedarf keiner Erörterung. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergibt sich nach der nicht korrekturbedürftigen Auffassung des Rekursgerichts nämlich nicht, dass die geplanten Änderungen – nach objektivem Maßstab – überhaupt geeignet sein könnten, klaustrophobische Gefühle hervorzurufen. Vergleichbares gilt für das ins Treffen geführte Interesse der Antragsgegnerin an einer Aussicht aus erhöhter Position und der Freiheit von Barrieren, somit dem Fehlen von Wänden und anderen Sichtbehinderungen. Nach den Feststellungen schränkt der aus Milchglas zu errichtende Sichtschutz die Aussicht vom Objekt der Antragsgegnerin zwar ein, aus dem Bestandteil des erstgerichtlichen Sachbeschlusses bildenden Fotos lässt sich aber entnehmen, dass tatsächlich nur die Sicht auf das Schwimmbecken auf dem Grundstück der Antragsteller sowie einen Teil der Hausmauer eines anderen Nachbarhauses versperrt wird, während der darüber hinausgehende Blick auf weitere Häuser, Grünflächen und die entfernten Berge bestehen bleibt. Die Sichteinschränkung betrifft auch nur eine Seite des Gartens, während der Revisionsrekurswerberin der Fernblick in alle anderen Richtungen erhalten bleibt. Geplant ist eine Höhe von 1,2 Meter über eine Länge von 2,5 Meter, über die weitere Distanz von 6,5 Meter soll der Sichtschutz nur mehr 0,6 Meter hoch sein, sodass die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, dieser abgestufte Sichtschutz schränke den Rundumblick ohnedies nur teilweise und in Sitzposition auf der Terrasse mit Blickrichtung Süden ein, keine im Einzelfall aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung ist.

[10]     3.3. Die von der Revisionsrekurswerberin zitierte Entscheidung 5 Ob 30/94 betrifft einen nicht vergleichbaren Sachverhalt, wäre es doch bei Vornahme der Änderung dort zur Inanspruchnahme eines Teils des Gemeinschaftsgartens und zu vermehrter Geräusch- und Geruchsbelästigung gekommen, wovon hier keine Rede sein kann. Auch 5 Ob 36/90 ist nicht einschlägig, weil dort die Änderung der Terrasse dazu geführt hätte, dass die Wohnungseigentümer der anderen Objekte direkt gegenüber auf ein höheres Objekt schauen müssen anstelle wie zuvor einen nur durch den Horizont begrenzten freien Blick genießen zu können. Dort wurde im Übrigen auf die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung der Gesamtanlage abgestellt.

[11]     3.4. Dem Hinweis auf einen „Domino-Effekt“ ist damit zu begegnen, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 1 WEG 2002 ohnedies bei jeder Änderung bezogen auf den Einzelfall und die Gesamtheit der vorliegenden Umstände zu prüfen sind. Dass schutzwürdige Interessen der Antragsgegnerin hier durch die geplante Änderung (noch) nicht wesentlich beeinträchtigt sind, sagt also nichts darüber aus, wie dies im Fall weiterer Anträge anderer Nachbarn zu beurteilen wäre.

[12]     4.1. Zu der von der Revisionsrekurswerberin bestrittenen Verkehrsüblichkeit der Änderung liegt umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor (RS0126244). Demnach ist nicht auf eine allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis abzustellen, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfeldes, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme der Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist (RS0126244 [T3]; jüngst 5 Ob 68/21t). Auch die Frage der Verkehrsüblichkeit ist eine solche des Einzelfalls (RS0119528 [T8]). Auch insoweit hat das Rekursgericht den ihm eingeräumten Ermessensspielraum nicht in korrekturbedürftiger Weise überschritten.

[13]     4.2. Die Vorinstanzen stellten auf die „nähere Umgebung“ bei Beurteilung der Verkehrsüblichkeit ab, was der Entscheidung 5 Ob 169/18s entspricht. In der Rechtsprechung des Fachsenats wird unter dem maßgeblichen Umfeld in der Regel die „Gegend“ oder die (nächste oder unmittelbare) „Umgebung“ verstanden (vgl 5 Ob 169/18s mwN; 5 Ob 145/17k). Es ist daher nicht zu beanstanden, auf Basis der vom Rekursgericht als unbekämpft gewerteten Feststellungen des Erstgerichts bei der Beurteilung der Verkehrsüblichkeit auf die „unmittelbare Nachbarschaft“ abzustellen, wo es bereits (auch) dem Sichtschutz dienende, nachträglich errichtete Betonmauern und Holzzäune zwischen Objekten gibt.

[14]     4.3. Die von der Revisionsrekurswerberin zitierte Entscheidung 5 Ob 44/20m steht dieser Beurteilung nicht entgegen, waren doch dort Wirtschaftsbalkone nur an einem Nachbarhaus sichtbar, während andere vergleichbare Wohnhäuser in der Umgebung keine solchen Balkone aufwiesen.

[15]     4.4. Warum die Errichtung des Sichtschutzes (nur diese ist Gegenstand des Änderungsbegehrens) eine Ausstattung zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen sein sollte, macht der Revisionsrekurs mit dem Hinweis auf die nachträgliche Errichtung von Swimmingpool und Pavillon nicht nachvollziehbar. Eine Sichtschutzwand zwischen zwei Hausgärten unabhängig davon nicht als Luxusbedarf zu werten, was sich im jeweiligen Hausgarten an (möglicherweise) Luxusausstattung befindet, bedarf keiner Korrektur.

[16]     5. Behauptungs- und beweispflichtig für den erstmals im Revisionsrekurs ins Treffen geführten Rechtsmissbrauch wäre die Antragsgegnerin gewesen (vgl RS0026265 [T2, T5, T14]). Abgesehen davon, dass der Verweis im Revisionsrekurs auf das Vorbringen im Schriftsatz vom 24. 6. 2021 Ausführungen im Revisionsrekurs selbst nicht ersetzen kann (RS0043616), ist ein Schikaneeinwand diesem Schriftsatz nicht zu entnehmen. Das dortige Vorbringen, die Antragsgegnerin hätte die Stützmauer ursprünglich nicht gewollt, sich aber dann nach längerer Diskussion mit den Antragstellern auf deren bisherige Höhe geeinigt, lässt selbst bei großzügiger Auslegung nicht das – für den Schikaneeinwand erforderliche (vgl RS0026265 [T8, T13, T14, T33]) – Vorbringen erkennen, zwischen den von den Antragstellern nun verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen der Antragsgegnerin bestünde ein krasses Missverhältnis, sodass das unlautere Motiv der Rechtsausübung der Antragsteller das lautere Motiv eindeutig überwiege.

[17]     6. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dies nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E133985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00211.21X.1222.000

Im RIS seit

03.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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