TE OGH 2020/4/8 5Ob44/20m

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Veröffentlicht am 08.04.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. A*****, 2. P*****, 3. P*****, 4. M*****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die Antragsgegnerin P***** KG, *****, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Dr. Judith Kolb, Rechtsanwältinnen in Graz, und die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG *****, wegen § 16 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 16. Jänner 2020, GZ 5 R 201/19v-33, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Antragsteller begehrten, die Zustimmung der Antragsgegnerin zur Errichtung von jeweils drei Balkonen an der Hofseite im ersten, zweiten und dritten Obergeschoß des Gebäudes zu ersetzen, und sie zur Duldung dieser baulichen Veränderungen zu verhalten. Der geplante Balkonbau diene wichtigen Interessen der Miteigentümer, weil es die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt mit sich bringe, dass Wohnungseigentümer auch in einer Altstadtwohnung Balkone erwarten, zumal erst diese eine dem heutigen Standard entsprechende Nutzung der Objekte ermöglichten. Darüber hinaus sei die Errichtung der Balkone jedenfalls verkehrsüblich.

Das Rekursgericht bestätigte die den Antrag abweisende Entscheidung des Erstgerichts und verneinte wie dieses das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs 2 WEG.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Sowohl zur „Übung des Verkehrs“ als auch zum „wichtigen Interesse“ des Wohnungseigentümers iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG liegt bereits umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor. Bei Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Änderung kommt es danach nicht auf eine allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfelds, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist (RIS-Justiz RS0126244). Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts kommt es besonders darauf an, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Zweckmäßigkeitserwägungen oder eine Steigerung des Verkehrswerts des Objekts genügen hingegen für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht (RS0083341 [T2; T4]; RS0083345 [T1]; RS0110977).

1.2 Maßgeblich für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer dem § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Änderung sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser Ermessensspielraum nicht verlassen wird, liegt keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG vor. Ein im Einzelfall aus Gründen der Rechtssicherheit korrekturbedürftiges Überschreiten des ihm zustehenden Ermessens durch das Rekursgericht (dazu RS0083309 [T9; T13; T16] ua) vermögen die Revisisonsrekurswerber nicht aufzuzeigen.

2.1 Ihr wichtiges Interesse iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG begründen die Antragsteller im Wesentlichen mit der Verbesserung der Wohnqualität durch die Herstellung von Balkonen, die erst eine zeitgemäße Nutzung der Wohnungseigentumsobjekte ermögliche. Zwar ist ihnen zuzugestehen, dass es „einem zeitgeistigen und verbreiteten Bedürfnis in gründerzeitlichen Wohnquartieren“ entsprechen mag, Altbestandswohnungen durch einen Balkon als Sitz- und Aufenthaltsort im Freien aufzuwerten, wie das Erstgericht festhielt, doch reichen nach der Rechtsprechung des Fachsenats bloße Zweckmäßigkeitserwägungen und eine Steigerung des Wohnwerts einer Wohnung für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht aus (5 Ob 98/11i mwN; 5 Ob 39/15v). Entscheidend ist vielmehr, ob ein Wohnungseigentümer ohne Änderung sein Objekt nicht mehr dem heute üblichen Standard entsprechend nutzen kann (vgl erneut RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Wieso eine Gründerzeitwohnung ohne Balkon „á la longue kaum mehr nutzbar wäre“, wie die Revisionswerber meinen, kann demgegenüber nicht nachvollzogen werden. In der Entscheidung zu 5 Ob 183/12s war ein Mauerdurchbruch im Keller zu beurteilen. Damit ist die von den Antragstellern angestrebte Errichtung von insgesamt neun Balkonen nicht vergleichbar.

2.2 Die Verkehrsüblichkeit einer Änderung ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung, aber auch nach der Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines konkreten Umfelds zu beurteilen (5 Ob 169/18s mwN). Auf die Situation bei Gründerzeitquartieren im gesamten städtischen Raum kommt es dabei nicht an, wie die Revisionsrekurswerber aus der Entscheidung zu 5 Ob 97/12v, nach der eine „ländliche Wohnumgebung“ vorlag, ableiten wollen. Dass das Rekursgericht bei seiner Beurteilung dieser Frage nicht darauf abstellte, ob „in so gut wie jedem gründerzeitlichen Bebauungsblock“ der Stadt Projekte zur Umgestaltung von Wohnquartieren mit Aufenthaltsbalkonen vorhanden sind, entspricht demgegenüber der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, nach der es gerade nicht auf eine vom Standort abstrahierte Baupraxis ankommt (5 Ob 145/17k). Nach den Feststellungen sind im Hof des „gründerzeitlichen Bebauungsblocks“ zwar Wirtschaftsbalkone an einem Nachbarhaus aus der Errichtungszeit der Gebäude sichtbar; ein großer Teil der vergleichbaren Wohnhäuser in der Umgebung weist aber keine solchen Balkone auf, sodass es keinen Bedenken begegnet, wenn das Rekursgericht ausgehend davon auch die Verkehrsüblichkeit der von den Antragstellern geplanten Änderungen verneinte.

3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E128154

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00044.20M.0408.000

Im RIS seit

22.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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