TE OGH 2021/10/21 2Ob120/21t

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. I***** S*****, 2. mj A***** S*****, 3. mj C***** S***** und 4. mj L***** S*****, die zweit- bis viertklagenden Parteien vertreten durch die Mutter I***** S*****, alle vertreten durch Dr. Ivo Greiter et al., Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. A***** E*****, 2. K***** E*****, 3. G***** AG, *****, alle drei vertreten durch Dr. Dieter Brandstätter, Rechtsanwalt in Innsbruck, 4. M***** S*****, 5. S***** S*****, und 6. U***** AG, *****, alle drei vertreten durch Dr. Josef Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 1. (erstklagende Partei) 96.716,40 EUR sA, Rente (Streitwert: 97.200 EUR) und Feststellung (Streitwert: 1.000 EUR), sowie 2. (zweit- bis viertklagende Partei jeweils) 10.977,89 EUR sA, Rente (Streitwert: 9.786,24 EUR) und Feststellung (Streitwert: 1.000 EUR), über die Revisionen der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. März 2021, GZ 1 R 185/20w-60, womit infolge Berufungen der beklagten Parteien das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Oktober 2020, GZ 10 Cg 79/18k-49, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. November 2020, GZ 10 Cg 79/18k-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Revisionen werden, soweit sie sich gegen das Zwischenurteil über ein Teilzahlungsbegehren von insgesamt 1.000 EUR (333,33 EUR für die erstklagende Partei, jeweils 222,22 EUR für die zweit- bis viertklagende Partei) richten, zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien haben die auf dieses Teilbegehren entfallenden Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

II. Im Übrigen wird den Revisionen teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Teil- und Zwischenurteil wird unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt wie folgt abgeändert:

„1. Das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der erstklagenden Partei 333,33 EUR sA und den zweit- bis viertklagenden Parteien jeweils 222,22 EUR sA zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

2. Das weitere Leistungsbegehren, die erst- bis drittbeklagte Partei einerseits und die viert- bis sechstbeklagte Partei andererseits seien jeweils zur ungeteilten Hand schuldig,

         a) der erstklagenden Partei 96.383,07 EUR sA sowie ab 1. 7. 2018 eine monatliche Rente von 2.700 EUR brutto zu zahlen,

         b) der zweit- bis viertklagenden Partei jeweils 10.755,67 EUR sA sowie ab 1. 7. 2018 bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit eine monatliche Rente von jeweils 271,84 EUR zu zahlen,

wobei die Haftung der drittbeklagten Partei mit den für das bei ihr haftpflichtversicherte Fahrzeug Audi ***** und jene der sechstbeklagten Partei mit den für das bei ihr haftpflichtversicherte Fahrzeug BMW ***** jeweils zum Unfallzeitpunkt vereinbarten Versicherungshöchstbeträgen begrenzt ist,

besteht dem Grunde nach zu jeweils zwei Dritteln zu Recht.

Insgesamt schulden aber alle beklagten Parteien zusammen

a) der erstklagenden Partei höchstens 77.106,46 EUR sA sowie ab 1. 7. 2018 eine monatliche Rente von 2.160 EUR brutto,

b) der zweit- bis viertklagenden Partei höchstens jeweils 8.604,54 EUR sA sowie ab 1. 7. 2018 bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit eine monatliche Rente von jeweils 217,47 EUR.

3. Es wird festgestellt, dass die erst- bis drittbeklagte Partei einerseits sowie die viert- bis sechstbeklagte Partei andererseits jeweils zur ungeteilten Hand der erst- bis viertklagenden Partei für alle zukünftigen Nachteile, Folgen und Schäden aus dem Unfall des tödlich verunglückten ***** vom 10. 8. 2015 auf der B 178 Loferer Bundesstraße zu zwei Dritteln haften, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei mit den für das bei ihr haftpflichtversicherte Fahrzeug Audi ***** und jene der sechstbeklagten Partei mit den für das bei ihr haftpflichtversicherte Fahrzeug BMW ***** jeweils zum Unfallzeitpunkt vereinbarten Versicherungshöchstbeträgen begrenzt ist.

Insgesamt haften alle beklagten Parteien zusammen der erst- bis viertklagenden Partei aber nur für vier Fünftel der künftigen Schäden aus diesem Verkehrsunfall.

4. Das Leistungsmehrbegehren, die erst- bis drittbeklagte Partei einerseits und die viert- bis sechstbeklagte Partei andererseits seien jeweils zur ungeteilten Hand schuldig,

a) der erstklagenden Partei 32.127,69 EUR sA sowie ab 1. 7. 2018 eine monatliche Rente von 900 EUR brutto zu zahlen,

b) der zweit- bis viertklagenden Partei jeweils 3.585,22 EUR sA sowie ab 1. 7. 2018 bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit eine monatliche Rente von jeweils 90,61 EUR zu zahlen,

wird abgewiesen.

5. Das Feststellungsmehrbegehren, die erst- bis drittbeklagte Partei einerseits und die viert- bis sechstbeklagte Partei andererseits hafteten der erst- bis viertklagenden Partei jeweils zur ungeteilten Hand für alle zukünftigen Nachteile, Folgen und Schäden aus dem Unfall des tödlich verunglückten ***** vom 10. 8. 2015 auf der B 178 Loferer Bundesstraße im Ausmaß eines weiteren Drittels, wird abgewiesen.

6. Die Entscheidung über die Prozesskosten erster und zweiter Instanz wird der Endentscheidung vorbehalten.“

Die Entscheidung über die verbleibenden Kosten des Revisionsverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Am 10. 8. 2015 ereignete sich gegen 21:20 Uhr auf der Loferer Bundesstraße B 178 im Gemeindegebiet von St. Johann in Tirol kurz nach Kilometer 25,8 in Fahrtrichtung Osten ein Verkehrsunfall, an dem der Ehemann der Erstklägerin und Vater der Zweit- bis Viertklägerin als Radfahrer, ein vom Erstbeklagten gelenkter, von der Zweitbeklagten gehaltener und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherter PKW Audi sowie ein vom Viertbeklagten gelenkter, von der Fünftbeklagten gehaltener und bei der Sechstbeklagten haftpflichtversicherter PKW BMW beteiligt waren.

[2]       Die in Annäherung an die Unfallstelle insgesamt rund 8,2 Meter breite Fahrbahn der B 178 verläuft in Fahrtrichtung sämtlicher Unfallbeteiligter in einer langgezogenen Linkskurve. Im Unfallbereich gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h; kurz nach Beginn des Geltungsbereichs dieser Geschwindigkeitsbeschränkung beginnt ein sich kontinuierlich verbreiternder Linksabbiegestreifen, an dessen Beginn der Richtung Osten führende Fahrstreifen 3,9 Meter breit ist. Im Bereich der späteren Zweitkollision weist der Linksabbiegestreifen eine Breite von erst 1,2 Metern auf.

[3]       Zum Unfallzeitpunkt dämmerte es stark, für einen PKW-Lenker entsprach die Dämmerung bereits völliger Dunkelheit. Alle am Unfallgeschehen beteiligten PKW fuhren mit Abblendlicht. Das Mountainbike des rund 25 km/h schnellen Radfahrers, der eine sehr auffällige, grell-gelbe Sportjacke trug, war unbeleuchtet und weder mit aktiven noch passiven Beleuchtungseinrichtungen versehen. Der Auffälligkeitswert des Fahrrads und seines Lenkers wäre durch eine aktive Beleuchtung deutlich gesteigert worden. Eine sichere Wahrnehmbarkeit des unbeleuchteten Mountainbikefahrers war bei Abblendlicht aus einer Entfernung von 40 Metern gegeben, eine Beleuchtung des Fahrrads durch ein rotfarbenes Rücklicht hätte die direkte Sicht auf gut 100 Meter gesteigert. Allerdings war die Sichtbarkeit im konkreten Fall aus dieser Entfernung bereits durch das Abblendlicht eines dem Audi voranfahrenden PKW (in der Folge: Drittfahrzeug) gegeben.

[4]       Der Erstbeklagte mit dem Audi und der mit einem Tiefenabstand von nur 12 bis 13 Metern hinter ihm fahrende Viertbeklagte mit dem BMW näherten sich in „sehr zügiger und rasanter Fahrweise mit zumindest 100 km/h“ der späteren Unfallstelle. Rund 8 Sekunden vor der Erstkollision (des Audi mit dem Radfahrer) konnte der Erstbeklagte das vor ihm mit rund 70 km/h „langsamer“ fahrende Drittfahrzeug erkennen; den vor dem Drittfahrzeug befindlichen Radfahrer konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen, weil dieser vom Abblendlicht des Drittfahrzeugs noch nicht erfasst wurde. Der Erstbeklagte hätte den Radfahrer erstmals 5,5 Sekunden vor der Erstkollision – aus einer Entfernung von rund 85 Metern – rund 1,5 Sekunden lang im Abblendlicht des Drittfahrzeugs erkennen und unfallvermeidend reagieren können; 2,5 bis 3 Sekunden vor der Erstkollision war der Radfahrer für ihn erneut erkennbar. Der Erstbeklagte bemerkte den Radfahrer vor der Kollision aber überhaupt nicht.

[5]       Der Lenker des Drittfahrzeugs reduzierte 4 Sekunden vor der Erstkollision seine Geschwindigkeit auf 50 km/h, setzte den linken Blinker und lenkte nach links aus, um den Radfahrer zu überholen. Der mit gut 100 km/h „wesentlich schnellere“ Erstbeklagte war aufgrund der Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Audi und Drittfahrzeug gezwungen, sofort nach dem Aufleuchten der Bremslichter des Drittfahrzeugs die Geschwindigkeit des Audi durch eine „heftige“ Bremsung zu reduzieren, wobei er ein Auffahren auf das Drittfahrzeug „gerade noch“ verhindern konnte. Sowohl der Erstbeklagte als auch der Viertbeklagte waren durch dieses Bremsmanöver abgelenkt.

[6]       Der Erstbeklagte reduzierte letztlich die Geschwindigkeit des Audi auf rund 50 km/h – wobei er diese erst 1 Sekunde vor der Erstkollision erreichte – und begann, das Drittfahrzeug rechts zu überholen. Als die Front des Audi bereits auf Höhe der Beifahrertüre des Drittfahrzeugs war, lenkte dessen Fahrer plötzlich und ruckartig nach rechts, woraufhin der Erstbeklagte reflexartig ebenfalls nach rechts auslenkte. Dadurch stieß der Erstbeklagte mit dem rechten Außenspiegel des Audi gegen das Ende des linken Lenkers des Fahrrads (Erstkollision), wodurch der Radfahrer das Gleichgewicht verlor. Hätte der Erstbeklagte eine den Sichtbedingungen angepasste, geringere Annäherungseschwindigkeit eingehalten und/oder das Rechtsüberholmanöver unterlassen, wäre es nicht zur Erstkollision gekommen.

[7]       Unmittelbar nach der Erstkollision kam es zur Zweitkollision zwischen der rechten Front des BMW und dem Hinterrad des Mountainbikes, wodurch der Radfahrer durch die Luft geschleudert wurde. Bei Einhaltung eines ausreichenden Tiefenabstands zum vor ihm fahrenden Audi hätte der Viertbeklagte die Zweitkollision vermeiden können. Aufgrund des geringen Tiefenabstands war der Radfahrer für den Viertbeklagten nur in einem Zeitfenster von 1,5 Sekunden im Zeitraum von 6,5 bis 5 Sekunden vor der Zweitkollision wahrnehmbar. Ohne die Erstkollision wäre es nicht zur Zweitkollision gekommen.

[8]       Der Radfahrer verstarb wenige Tage später an den Unfallfolgen. Der Nachlass des Verstorbenen wurde der Erstklägerin zu einem Drittel und den Zweit- bis Viertklägerinnen zu je zwei Neunteln rechtskräftig eingeantwortet.

[9]       Die Klägerinnen begehren die Zahlung von 96.716,40 EUR sA (Erstklägerin) bzw jeweils 10.977,89 EUR sA (Zweit- bis Viertklägerin) und von monatlichen Unterhaltsrenten sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Die Zahlungsbegehren setzen sich aus entgangenem Unterhalt bis 30. 6. 2018, Begräbniskosten und dem Restwert des beim Unfall beschädigten Fahrrads zusammen. Zum Unfallzeitpunkt sei es noch nicht dunkel gewesen, sodass der Radfahrer aufgrund seiner grell-gelben Jacke weithin sichtbar gewesen sei. Der Erst- und Viertbeklagte hätten einen zu geringen Tiefenabstand zum Vorderfahrzeug eingehalten und die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten; sie seien auch unaufmerksam gewesen und hätten die Situation falsch eingeschätzt. Das Drittfahrzeug habe sich erkennbar nicht auf dem Abbiegestreifen befunden, das Überholen von rechts sei daher unzulässig gewesen. Ein Mitverschulden des Radfahrers liege nicht vor, dessen zur Randlinie eingehaltener Seitenabstand sei nicht feststellbar. Außerdem läge selbst in der Einhaltung eines Sicherheitsabstands von 1,2 Metern zum rechten Fahrbahnrand kein Verstoß gegen § 7 StVO. Die Nichtbeleuchtung des Fahrrads sei nicht unfallkausal gewesen, weil der Erst- und der Viertbeklagte den Radfahrer im Scheinwerferlicht des Drittfahrzeugs rechtzeitig erkennen und unfallvermeidend reagieren hätten können.

[10]     Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeklagte wenden ein, dass der Erstbeklagte den Eindruck gehabt habe, das Drittfahrzeug werde nach links abbiegen, sodass er es zulässig rechts überholt habe. Der Erstbeklagte sei zum Unfallzeitpunkt nicht schneller als 50 km/h gefahren. Da das Fahrrad nicht beleuchtet gewesen sei und der Radfahrer grundlos einen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von 1,2 Metern eingehalten habe, habe ihn der Erstbeklagte vor dem Unfall nicht erkennen können. Ein am Fahrrad angebrachtes Rücklicht hätte dessen Wahrnehmbarkeit auf die drei- bis fünffache Entfernung erhöht. Der Viertbeklagte sei unaufmerksam gewesen und habe einen zu geringen Tiefenabstand eingehalten.

[11]     Der Viert-, die Fünft- und die Sechstbeklagte bringen vor, dass der zum Unfallzeitpunkt mit 50 km/h fahrende Viertbeklagte einen ausreichenden Tiefenabstand zum vor ihm fahrenden Audi eingehalten habe. Er habe den die Fahrbahn mittig befahrenden Radfahrer nicht wahrnehmen können, weil er durch andere Fahrzeuge verdeckt worden sei. Das Fahrrad sei nicht ausreichend beleuchtet gewesen.

[12]     Das Erstgericht gab den Feststellungsbegehren mit Teilurteil statt und sprach im Übrigen mit Zwischenurteil aus, dass die Zahlungsbegehren (einschließlich der Rentenbegehren) dem Grunde nach zu Recht bestehen. Der Erstbeklagte habe eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Da der Abbiegestreifen zum Zeitpunkt des Überholmanövers des Drittfahrzeugs noch sehr schmal gewesen sei, habe der Erstbeklagte nicht auf ein Abbiegemanöver dieses Fahrzeugs vertrauen dürfen, sodass er dieses nicht rechts überholen hätte dürfen. Er sei auch unaufmerksam gefahren. Dem Viertbeklagten sei die Einhaltung eines zu geringen Tiefenabstands und damit ein Verstoß gegen § 18 Abs 1 StVO anzulasten. Beiden Lenkern sei auch ein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht vorzuwerfen. Dem Radfahrer sei hingegen kein Mitverschulden anzulasten. Ein Verstoß gegen § 7 StVO sei nicht feststellbar gewesen. Die fehlende Beleuchtung des Fahrrads sei nicht entscheidend, weil den Klägerinnen der Nachweis gelungen sei, dass die fehlende Beleuchtung im konkreten Fall durch das Abblendlicht des Drittfahrzeugs „ersetzt“ worden sei.

[13]     Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Beklagten nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand hinsichtlich der Zweit- bis Viertklägerin mit jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Erst- und der Viertbeklagte hätten die durch Straßenverkehrszeichen verordnete Höchstgeschwindigkeit überschritten und gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen. Dem Erstbeklagten sei auch eine Unaufmerksamkeit anzulasten, weil er den Radfahrer trotz Sichtmöglichkeit vor der Kollision nicht wahrgenommen habe. Der Viertbeklagte habe einen unzureichenden Tiefenabstand eingehalten. Der Radfahrer habe zwar gegen die Bestimmungen des § 60 Abs 3 StVO und des § 1 Abs 1 Z 2 bis 7 FahrradV verstoßen, die unzureichende Beleuchtung sei für den Unfall aber nicht kausal gewesen. Die ausreichende Beleuchtung des Fahrrads mit einem rotfarbenen Rücklicht hätte nach den Feststellungen zur gleichen Sichtbarkeit des Radfahrers geführt wie sie durch das Abblendlicht des Drittfahrzeugs ohnehin gegeben gewesen sei.

[14]     Über Antrag der Beklagten erklärte das Berufungsgericht die ordentliche Revision im Hinblick auf die Ansprüche der Zweit- bis Viertklägerin gemäß § 508 Abs 3 ZPO doch für zulässig, weil ein Abweichen des Berufungsgerichts von der sich aus der Entscheidung 2 Ob 87/08w ergebenden Beweislastverteilung nicht auszuschließen sei.

[15]           Gegen dieses Berufungsurteil richten sich die Revisionen der Beklagten. Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeklagte beantragen primär die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen, hilfsweise deren Abänderung im Sinn einer gänzlichen Klageabweisung. Der Viert-, die Fünft- und die Sechstbeklagte räumen ein Mitverschulden im Ausmaß der Hälfte ein und beantragen primär die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinn einer Abweisung der Leistungs- und Feststellungsbegehren zur Hälfte. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag im Umfang der Anfechtung gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[16]     Die Klägerinnen beantragen die Zurückweisung der Revisionen mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen; hilfsweise möge den Revisionen nicht Folge gegeben werden.

Zu I.:

[17]     1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RS0053096). Mehrere aus einem Unfall Geschädigte sind nach ständiger Rechtsprechung nur formelle Streitgenossen iSd § 11 Z 2 ZPO (RS0110982). Ihre Ansprüche sind daher nicht zusammenzurechnen (RS0035615).

[18]     2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind Schadenersatzansprüche, die ein Kläger als Erbe des bei einem Unfall Getöteten geltend macht, mit Ansprüchen, die er auf § 1327 ABGB gründet, nicht zusammenzurechnen (2 Ob 32/21a; 2 Ob 53/92; 8 Ob 268/81 = RS0035470 [T3] = RS0035710 [T3] = RS0035588 [T4]).

[19]     3. Im vorliegenden Fall machen die Klägerinnen nur im Umfang des begehrten Restwerts von 1.000 EUR für das Fahrrad des Getöteten Ansprüche als Erbinnen geltend, während sie ihre weiteren Ansprüche (Begräbniskosten; Unterhaltsentgang) auf § 1327 ABGB stützen.

[20]     4. Dies führt dazu, dass die Revision der Beklagten im Umfang des Zwischenurteils über das auf Zahlung von insgesamt 1.000 EUR für den Restwert des Fahrrads gerichtete Klagebegehren jedenfalls unzulässig ist (§ 502 Abs 2 ZPO).

[21]     5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO. Die Klägerinnen haben auf die absolute Unzulässigkeit nicht hingewiesen, weshalb ihre Revisionsbeantwortung insoweit nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente.

Zu II.:

[22]     Im Übrigen sind die in der Folge gemeinsam behandelten Revisionen der Beklagten zulässig, weil das Berufungsgericht von den Grundsätzen der Beweislastverteilung im Fall einer Schutzgesetzverletzung abgewichen ist; sie sind im Sinn der Abänderungsanträge auch teilweise berechtigt.

[23]           A. Das Berufungsverfahren ist nicht mit einem für den Verfahrensausgang entscheidenden Verfahrensmangel behaftet:

[24]     1. Die von dem Viert-, der Fünft- und der Sechstbeklagten gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat keine von jenen des Erstgerichts abweichenden Sachverhaltsannahmen getroffen, sondern nur (unzutreffende) rechtliche Schlüsse aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen gezogen.

[25]     2. Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeklagte erblicken einen Verfahrensmangel darin, dass das Berufungsgericht die von ihnen erhobene Beweisrüge zum vom Radfahrer im Zeitpunkt der Erstkollision eingehaltenen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand nicht ordnungsgemäß erledigt habe.

[26]     2.1. Das Berufungsgericht muss sich bei der Überprüfung der Beweiswürdigung nicht mit jedem einzelnen Beweisergebnis und mit jedem Argument des Berufungswerbers auseinandersetzen (1 Ob 128/18g; RS0043150 [T2]; RS0040180 [T1]). Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist aber nur dann mangelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft, nachvollziehbare Überlegungen dazu anstellt und diese in seinem Urteil festhält (8 Ob 9/19k; RS0043150). Die mangelfreie Erledigung einer Beweisrüge erfordert daher wenn auch knappe, so doch logisch nachvollziehbare Erwägungen, die sich mit den Kernargumenten des Rechtsmittelwerbers inhaltlich befassen (4 Ob 104/07h; Lovrek in Fasching/Konecny³ § 503 ZPO Rz 79 mwN).

[27]     2.2. Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeklagte bekämpften mit ihrer Berufung ua die Feststellungen, dass es durch die Primärkollision zu einem seitlichen Versatz des Fahrrads nach links gekommen sei und der vom Radfahrer im Zeitpunkt des Erstkontakts eingehaltene Seitenabstand nach rechts (daher) nicht festgestellt werden könne. Sie strebten stattdessen (ua) die Feststellung an, dass der Seitenabstand des Radfahrers zum rechten Fahrbahnrand 1,2 bis 1,5 Meter betragen habe. Sie argumentierten, dass der im Strafverfahren beigezogene Sachverständige einen solchen Seitenabstand angegeben und ausgeführt habe, dass das Fahrrad durch den Erstkontakt nach rechts gekippt sei; das Beweisverfahren habe keinen Hinweis darauf ergeben, dass durch die Primärkollision ein Versatz nach links erfolgt wäre. Die Erstkollision müsse daher zwingend zumindest gleich weit rechts wie die Zweitkollision erfolgt sein, also mindestens 1,2 bis 1,5 Meter.

[28]     Das Berufungsgericht ging auf diese Argumente nicht näher ein. Es führte bloß allgemein aus, dass „die bekämpften Feststellungen“ – insgesamt wurden in den beiden Berufungen zehn Feststellungskomplexe bemängelt – aufgrund einer sorgfältigen, allen Beweisergebnissen Rechnung tragenden Beweiswürdigung getroffen worden seien und die Rechtsmittelausführungen „nach einer eingehenden Prüfung dieser Beweiswürdigung sowie aller Beweisergebnisse“ nicht stichhältig erscheinen würden. Zur Fahrlinie des Radfahrers enthielt die Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht überhaupt keine konkreten Ausführungen, wenn man von dem zum „Annäherungsverhalten“ des Audi und des BMW gemachten Hinweis absieht, dass ein unbeteiligter Zeuge berichten habe können, dass der Radfahrer ganz rechts gefahren sei.

[29]     2.3. Diese allgemein gehaltenen Ausführungen des Berufungsgerichts genügen den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Erledigung der Beweisrüge nicht. Das Berufungsverfahren ist damit mangelhaft geblieben.

[30]     2.4. Allerdings fehlt es diesem Verfahrensmangel – wie in der Folge (Punkt D.3.) zu zeigen sein wird – an Relevanz, sodass eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Rückverweisung an das Berufungsgericht zur Erledigung der Beweisrüge unterbleiben kann.

[31]     3. Ein weiterer Verfahrensmangel soll darin liegen, dass das Berufungsgericht eine Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens im Zusammenhang mit der Verwertung des widersprüchlich gebliebenen und die Fachkompetenz überschreitenden lichttechnischen Sachverständigengutachtens verneint habe. Die Frage der Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens fällt in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0113643). Ebensowenig ist revisibel, ob der Sachverständige die für die Gewinnung der strittigen Feststellungen notwendigen Kenntnisse besitzt (2 Ob 201/18z; RS0043588). Mit diesen Revisionsausführungen wird daher keine vom Obersten Gerichtshof überprüfbare Rechtsfrage aufgeworfen.

B. Verschulden der Beklagten

IVerschulden des Erstbeklagten

[32]     1. Das Berufungsgericht machte dem Erstbeklagten einen Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht zum Vorwurf.

[33]     1.1. Der aus der Schutznorm des § 20 Abs 1 Satz 1 StVO abgeleitete Grundsatz des Fahrens auf Sicht bedeutet, dass ein Fahrzeuglenker seine Fahrgeschwindigkeit so zu wählen hat, dass er sein Fahrzeug beim Auftauchen eines Hindernisses rechtzeitig zum Stehen bringen und zumindest das Hindernis umfahren kann (2 Ob 32/21a; RS0074750; RS0074808). Jeder Kraftfahrer muss daher seine Fahrweise so gestalten, dass der Weg des abzubremsenden Fahrzeugs in der Zeit vom Erkennen eines Hindernisses auf der Fahrbahn bis zum vollen Stillstand des Fahrzeugs nie länger als die durch ihn eingesehene Strecke ist (RS0074696; RS0074761). Fährt ein Kraftfahrer bei Dunkelheit mit Abblendlicht, dann hat er, soweit nicht besondere Umstände die Sicht über die vom Abblendlicht erleuchtete Strecke hinaus ermöglichen, grundsätzlich mit einer Geschwindigkeit zu fahren, die ihm das Anhalten seines Fahrzeugs innerhalb der Reichweite des Abblendlichts ermöglicht (2 Ob 32/21a; RS0074769).

[34]     1.2. Die Reichweite des Abblendlichts hat das Erstgericht mit 40 Metern festgestellt; den Feststellungen lässt sich weiters entnehmen, dass der Erstbeklagte bei einer in Annäherung an die spätere Unfallstelle eingehaltenen Geschwindigkeit von 100 km/h erst das Aufleuchten der Bremslichter des Drittfahrzeugs zum Anlass für eine (Not-)Bremsung nahm. Er fasste also erst 4 Sekunden vor der Erstkollision den Bremsentschluss, wobei er 1 Sekunde vor der Erstkollision eine Geschwindigkeit von 50 km/h einhielt. Zu beachten ist überdies, dass der Erstbeklagte 5,5 Sekunden vor der Erstkollision noch 85 Meter vom Radfahrer entfernt war und sich (zumindest noch 1,5 Sekunden lang) mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h (also knapp 28 m/s) weiter bewegte. Ausgehend von diesen Prämissen war der Erstbeklagte 4 Sekunden vor der Primärkollision – auch unter Berücksichtigung der Fortbewegung des Fahrrads mit 25 km/h – jedenfalls nicht so weit vom Radfahrer entfernt, dass er mit einer Notbremsung (mit 8 m/s²) innerhalb der durch das Abblendlicht ausgeleuchteten Strecke von 40 Metern anhalten hätte können, weil sich der Anhalteweg bei 100 km/h und 8 m/s² Bremsverzögerung mit 76 Metern errechnet (Wielke in Fucik/Hartl/Schlosser/Wielke, Verkehrsunfall II³ 411).

[35]     1.3. Zwar muss ein Fahrzeuglenker die Wahl seiner Geschwindigkeit nicht auf plötzlich, unvermutet und für ihn nicht vorhersehbar auftauchende Hindernisse einrichten (RS0027564). Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Erstbeklagte das unbeleuchtete Fahrrad im Abblendlicht des Drittfahrzeugs kurze Zeit erkennen hätte können, sodass er seine Fahrgeschwindigkeit jedenfalls danach ausrichten hätte müssen.

[36]     1.4. Anzumerken bleibt, dass die Revision des Erst-, der Zweit- und der Drittbeklagten (ebenso wie bereits deren Berufung) zur Frage der eingehaltenen Geschwindigkeit nur ausführt, dass die „vor der Kollision allenfalls eingehaltenen Geschwindigkeiten mit dem eigentlichen Unfallgeschehen nichts zu tun haben“, weil der Erstbeklagte mehrere Sekunden vor der Kollision nur mit 50 km/h unterwegs gewesen sei. Mit dieser Argumentation entfernen sich der Erst-, die Zweit- und die Drittbeklagte aber vom festgestellten Sachverhalt, wonach der Audi die Geschwindigkeit von (nur) 50 km/h erst eine Sekunde vor der Primärkollision erreichte.

[37]     1.5. Insgesamt ist damit von einem in der Verletzung des Gebots des Fahrens auf Sicht (§ 20 Abs 1 StVO) liegenden Verschulden des Erstbeklagten auszugehen.

[38]     2. Weiters lastete das Berufungsgericht dem Erstbeklagten dessen Unaufmerksamkeit an, weil er den Radfahrer vor der Kollision überhaupt nicht wahrgenommen habe, ihm aber ein Erkennen über einen Zeitraum von 1,5 Sekunden möglich gewesen wäre. Dem hält die Revision des Erst-, der Zweit- und der Drittbeklagten nur entgegen, dass ihm ein Übersehen des Radfahrers mangels Vorhersehbarkeit des Unfalls nicht angelastet werden könne; außerdem habe das Erstgericht die sichere Erkennbarkeit des Radfahrers nur aus einer Entfernung von 40 Metern angenommen. Mit diesen Ausführungen entfernen sich der Erst-, die Zweit- und die Drittbeklagte erneut vom festgestellten Sachverhalt, weil sich die Feststellung zur Erkennbarkeit des Radfahrers aus einer Entfernung von 40 Metern ersichtlich nur auf die direkte Sicht bei Ausleuchtung durch das eigene Abblendlicht bezog. Das Argument, die Vorwerfbarkeit eines Aufmerksamkeitsfehlers käme nur in Betracht, wenn eine Kollision bereits vorhersehbar ist, entzieht sich einer sachlichen Erwiderung. Insgesamt ist damit von einem vorwerfbaren Aufmerksamkeitsfehler des Erstbeklagten auszugehen.

[39]     3. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Erstbeklagte die „durch Straßenverkehrszeichen verordnete Höchstgeschwindigkeit“ verletzt habe, ist durch die Feststellungen des Erstgerichts nicht gedeckt (vgl insbesondere die Situierung des Vorschriftszeichens gemäß § 52 lit a Z 10a StVO [„80 km/h“] knapp vor den Kollisionsstellen).

[40]     4. Das Erstgericht lastete dem Erstbeklagten an, dass er das Drittfahrzeug rechts überholen wollte, obwohl die Voraussetzungen des § 15 Abs 2 lit a StVO nicht vorgelegen sind.

[41]     4.1. Nach § 15 Abs 2 lit a StVO sind Fahrzeuge, deren Lenker die Absicht anzeigen, nach links einzubiegen oder zum linken Fahrbahnrand zuzufahren und die Fahrzeuge links eingeordnet haben, rechts zu überholen. Da das Rechtsüberholen eine Ausnahme darstellt, muss der Lenker eines Fahrzeugs, ehe er rechts überholt, besonders sorgfältig prüfen, ob alle Voraussetzungen für ein solches regelwidriges Fahrmanöver gegeben sind; dies insbesondere dann, wenn mit hoher Geschwindigkeit und einem hohen Geschwindigkeitsunterschied rechts überholt wird (RS0073795). In einer unklaren Verkehrssituation ist ein Rechtsüberholvorgang damit nicht zulässig (vgl 2 Ob 235/74 ZVR 1976/37). Eine solche unklare Situation – die an sich eine (weitere) Herabsetzung der Geschwindigkeit erfordert hätte (vgl RS0074601) – lag hier vor, weil der Erstbeklagte vor Beginn des Überholmanövers des Lenkers des Drittfahrzeugs den Radfahrer wahrnehmen hätte können und daher noch nicht abschätzen konnte, ob das Drittfahrzeug seine Fahrlinie unter Setzung des linken Blinkers zum Linksabbiegen oder zum Überholen des Fahrrads nach links zu verlagern begann.

[42]     4.2. Dem Erstbeklagten ist damit ein unzulässiges Rechtsüberholen anzulasten. Die Bestimmung des § 15 Abs 2 lit a StVO dient nach der Rechtsprechung der Sicherheit des Verkehrs im Allgemeinen (2 Ob 61/94; 8 Ob 189/75), sodass es nicht am Rechtswidrigkeitszusammenhang fehlt.

IIVerschulden des Viertbeklagten

[43]     1. Das Berufungsgericht lastete dem Viertbeklagten einen Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht, einen Verstoß gegen § 18 Abs 1 StVO – also das Einhalten eines zu geringen Tiefenabstands – und einen Aufmerksamkeitsfehler an.

[44]     2. Da die Revision des Viert-, der Fünft- und der Sechstbeklagten zum Verschulden des Viertbeklagten keine Ausführungen enthält (und ein solches im Ausmaß der Hälfte eingesteht), ist im Weiteren vom soeben dargestellten Fehlverhalten des Viertbeklagten auszugehen.

C. Mitverschulden des Radfahrers

[45]     1. Bei Mitverschulden des Getöteten unterliegt der Ersatzanspruch der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB der Schadensteilung, weil dessen Mitverantwortung für seinen Tod in die Risikosphäre der Hinterbliebenen fällt (RS0027341).

[46]     2. Der Radfahrer war bei (annähernder) Dunkelheit mit einem Fahrrad unterwegs, das mit keinen Scheinwerfern oder Rücklichtern ausgestattet war („aktive Beleuchtungseinrichtung“) und auch über keine Rückstrahler verfügte („passive Beleuchtungseinrichtung“). Er verstieß damit gegen die Schutznormen des § 60 Abs 3 StVO und des § 1 Abs 1 Z 3 bis 6 sowie Abs 4 Fahrradverordnung (BGBl II 146/2001 idgF), denen für die Verkehrssicherheit besondere Bedeutung zukommt (2 Ob 87/08w mwN; RS0027459 [T2], RS0075411). Der Zweck der für Fahrräder normierten Beleuchtungsvorschriften liegt unter anderem darin, bei Dunkelheit die Wahrnehmbarkeit von Fahrrädern für andere Verkehrsteilnehmer zu erleichtern (2 Ob 87/08w; 8 Ob 40, 41/80 ZVR 1981/121; RS0027802).

[47]     3. Wer nach § 1311 ABGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes haftet, kann sich von der Haftung nur durch den Beweis befreien, dass der Schaden in gleicher Weise und mit gleich schweren Folgen auch eingetreten wäre, wenn er sich vorschriftsgemäß verhalten hätte. Unklarheiten im Sachverhalt gehen zu Lasten des Normübertreters (RS0027364, [insb T17, T18]). Hat der Beklagte einen Mitverschuldenseinwand erhoben, trifft den sich (auch) rechtswidrig verhaltenden Kläger die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden auch ohne Verletzung der Schutznorm eingetreten wäre (2 Ob 61/98d; 2 Ob 167/17y mwN).

[48]     4. Dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Radfahrers – also ordnungsgemäßer Beleuchtung des Mountainbikes – eingetreten wäre, kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Der Auffälligkeitswert des Radfahrers wäre durch eine aktive Beleuchtung deutlich gesteigert worden, überdies hätte allein ein rotes Rücklicht die direkte Sicht auf gut 100 Meter gesteigert. Ohne Beleuchtung war die direkte Sichtbarkeit hingegen nur durch ein Abblendlicht aus einer Entfernung von 40 Metern gegeben.

[49]     Der Feststellung, wonach das Fahrrad auch durch das Abblendlicht des Drittfahrzeugs aus 100 m Entfernung „sichtbar“ war, kommt entgegen der Auffassung der Vorinstanzen keine entscheidende Bedeutung zu. Denn zu den allein relevanten Sichtmöglichkeiten des Erst- und des Viertbeklagten wurde festgestellt, dass sie den Radfahrer mehrere Sekunden vor den Kollisionen nur für jeweils einen kurzen Zeitraum von 1,5 Sekunden im Abblendlicht des Drittfahrzeugs erkennen konnten. Diese Feststellung ändert aber nichts daran, dass auf Tatsachenebene letztlich ungeklärt blieb, ob der Erst- und der Viertbeklagte das Fahrrad bei entsprechender Beleuchtung und damit erhöhter Auffälligkeit vor dem Unfall nicht doch so rechtzeitig wahrgenommen hätten, dass sie eine Kollision verhindern hätten können. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass eine entsprechende Beleuchtung des Fahrrads dessen Sichtbarkeit gerade im Zeitraum zwischen der Erkennbarkeit des Fahrrads im Abblendlicht des Drittfahrzeugs und jener im Abblendlicht des Audisselbst gesteigert hätte.

[50]           5. Die fehlende Beleuchtung des Fahrrads ist damit den Klägerinnen gleich einem Mitverschulden anzurechnen.

D. Verschuldensabwägung

[51]     1. Der Erst- und der Viertbeklagte haften für den eingetretenen Schaden als Nebentäter, weil sie durch selbständige Handlungen bloß unbewusst zusammengewirkt haben (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek4 § 1302 ABGB Rz 10 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung sind die Rechtsfolgen eines Mitverschuldens des Geschädigten bei Haftung mehrerer Schädiger, die als Nebentäter unabhängig voneinander haften, durch eine Kombination von Gesamtabwägung und Einzelabwägung zu ermitteln: Zunächst sind die Verschuldensquoten aller Beteiligten – also der Schädiger und des Geschädigten – zu bestimmen; der vom Geschädigten zu tragende Schadensteil ergibt sich aus der ihn insofern treffenden Verschuldensquote (Gesamtabwägung). Sein Anspruch gegenüber dem jeweiligen Schädiger bestimmt sich demgegenüber aus dem Verhältnis der ihn und diesen Schädiger treffenden Verantwortlichkeit (Einzelabwägung). Der jeweilige Schädiger haftet dem Geschädigten daher (nur) in jenem Ausmaß, in dem er haften würde, wenn er allein gehandelt hätte (2 Ob 24/16t mwN; vgl RS0017470).

[52]      Ergibt zB die Einzelabwägung zwischen dem Geschädigten und zwei Schädigern jeweils eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Schädigers, kann der Geschädigte von jedem Schädiger zwei Drittel des Schadens fordern. Hingegen folgt aus der Gesamtabwägung (1 : 2 : 2), dass ihm insgesamt ein Ersatz von vier Fünfteln gebührt (2 Ob 103/17m). Dies führt zur Verurteilung beider Schädiger – ohne Ausspruch der Solidarhaftung – zur Zahlung von zwei Dritteln des Schadens, wobei schon in den Spruch der Entscheidung die Einschränkung aufzunehmen ist, dass die Schädiger dem Geschädigten zusammen nur für vier Fünftel des Schadens haften (2 Ob 24/16t). Das Hinzutreten eines weiteren Schädigers kommt somit dem Geschädigten zugute. Es darf aber die Haftung des einzelnen Schädigers weder vermindern noch erhöhen (2 Ob 103/17m mwN).

[53]     2. Bei Gegenüberstellung der einzelnen Verschuldenskomponenten zeigt sich, dass das den Klägerinnen anzurechnende Mitverschulden des Getöteten weniger schwer wiegt als das Verschulden der beiden PKW-Lenker. Dem Getöteten ist ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Beleuchtung eines Fahrrads anzulasten, dem Erst- und dem Viertbeklagten jeweils ein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht und ein Aufmerksamkeitsfehler. Zusätzlich ist dem Erstbeklagten ein unzulässiges Rechtsüberholmanöver vorzuwerfen, dem Viertbeklagten hingegen die Einhaltung eines zu geringen Tiefenabstands.

[54]     2.1. In der Entscheidung 8 Ob 40, 41/80 bewertete der Oberste Gerichtshof das Verschulden eines Radfahrers, der bei Dunkelheit mit einem nicht ausreichend beleuchteten Fahrrad fährt, gegenüber einem unaufmerksamen PKW-Lenker mit einem Viertel.

[55]     In den Entscheidungen 2 Ob 174/82 ZVR 1984/14 und 8 Ob 60/85 wurde das Verschulden des ohne Beleuchtung fahrenden Radfahrers mit einem Drittel gegenüber einem unaufmerksamen (2 Ob 174/82) bzw zu schnell fahrenden (8 Ob 60/85 [„jedenfalls“ ein Drittel]) PKW-Lenker gewichtet.

[56]     2.2. Im vorliegenden Fall haben sich die PKW-Lenker jeweils grob verkehrswidrig verhalten. Allerdings erscheint dem Senat die Gewichtung des Mitverschuldens des Radfahrers mit einem Drittel als sachgerecht, weil gerade das Befahren einer Bundesstraße bei Dunkelheit mit einem gänzlich unbeleuchteten Mountainbike als sehr gefährlich einzuschätzen ist und den Regeln über die Beleuchtung der Fahrzeuge besondere Bedeutung für die Verkehrssicherheit zukommt.

[57]     3. Ausgehend von dieser Gewichtung fällt ein allfälliger Verstoß des Radfahrers gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 StVO bei der Verschuldensabwägung aus folgenden Erwägungen nicht entscheidend ins Gewicht:

[58]     3.1. Die Beklagten machen dem Radfahrer erkennbar nur einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO zum Vorwurf.

[59]     3.2. Nach der Rechtsprechung ist das Fahren in einem Meter Abstand vom Straßenrand nach § 7 Abs 1 StVO zulässig, wenn ein – hier gegebener – ausreichender Abstand zur Fahrbahnmitte bleibt (RS0074118). Unter Umständen sind auch Seitenabstände von 1,2 bis 1,35 Metern zu tolerieren, wenn der Abstand zur Fahrbahnmitte ausreicht, um die Abwicklung des Gegenverkehrs ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit zu ermöglichen (8 Ob 35, 36/79 ZVR 1979/243).

[60]     3.3. Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeklagte werfen dem Radfahrer einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO auf Basis der von ihnen im Berufungsverfahren gewünschten Ersatzfeststellung der Einhaltung eines Seitenabstands von 1,2 bis 1,5 Metern zur Randlinie vor. Entsprechend der Beweislastgrundsätze (vgl RS0022560 [insb T2, T21]) wäre auch bei der gewünschten Ersatzfestellung für die Prüfung eines Mitverschuldens nur von einem Seitenabstand von 1,2 Metern zur Randlinie auszugehen. Ein solcher Seitenabstand fiele vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung bei der Verschuldensabwägung aber nicht entscheidend ins Gewicht, sodass der in diesem Kontext gerügten Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens keine Entscheidungsrelevanz zukommt (vgl oben Punkt A.2.4.).

[61]     4. Insgesamt ist sowohl gegenüber dem Erstbeklagten als auch gegenüber dem Viertbeklagten die Annahme eines Mitverschuldens des Getöteten im Ausmaß von jeweils einem Drittel sachgerecht. Daraus ergibt sich eine Einzelabwägung von jeweils 1 (Radfahrer) : 2 (PKW) und eine Gesamtabwägung im Verhältnis 1 (Radfahrer) : 2 (Audi) : 2 (BMW).

E. Ergebnis und Kosten

[62]     1. Das Vorliegen eines Feststellungsinteresses ziehen die Beklagten nicht in Zweifel.

[63]     2. Da das Zwischenurteil im Hinblick auf das davon umfasste Zahlungsbegehren von insgesamt 1.000 EUR (Sachschaden am Fahrrad) nicht der Kognitionsbefugnis des Obersten Gerichtshofs unterlag, ist die Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit in Teilrechtskraft erwachsen. Der Ausspruch über das Zurechtbestehen des (restlichen) Leistungsbegehrens und die Stattgebung des Feststellungsbegehrens gegenüber dem Viert-, der Fünft- und der Sechstbeklagten sind im Ausmaß jeweils der Hälfte ebenfalls in Teilrechtskraft erwachsen.

[64]     Im Übrigen ist in Abänderung des Berufungsurteils auszusprechen, dass das (restliche) Leistungsbegehren gegenüber dem Erst-, der Zweit- und der Drittbeklagten einerseits sowie dem Viert-, der Fünft- und der Sechstbeklagten andererseits dem Grunde nach zu jeweils zwei Dritteln zu Recht besteht, die Klägerinnen aber insgesamt nicht mehr als vier Fünftel der eingeklagten Zahlungen erhalten können (siehe oben Punkt D.1.). Ein Drittel der Leistungsbegehren kann sogleich abgewiesen werden. Analoges gilt für die Feststellungsbegehren.

[65]     3. Die Kostenvorbehalte gründen sich auf die §§ 50, 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.

Textnummer

E133419

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00120.21T.1021.000

Im RIS seit

07.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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