TE OGH 2021/10/22 12Os116/21g

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Veröffentlicht am 22.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der AAss Schaffhauser als Schriftführerin in der Strafsache gegen P***** P***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des genannten Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 9. Juni 2021, GZ 17 Hv 155/20s-29, sowie über dessen Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die gegen den Strafausspruch gerichtete Berufung und über die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten P***** P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft gebliebenen Schuldspruch des Mitangeklagten M***** P***** enthält, wurde P***** P***** der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB StGB (I./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er am 23. Oktober 2020 in A***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit M***** P***** als Mittäter

I./ Angestellten des O***** (US 5) fremde bewegliche Sachen, nämlich im Urteil näher bezeichnete Kleinwaren in einem Gesamtwert von weniger als 100 Euro, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem sie die Gegenstände aus Verkaufsregalen nahmen, unter ihrer Bekleidung verbargen, ohne die Waren zu bezahlen den Baumarkt verließen und sich trotz Andrängens des sie bei der Tatausführung beobachtenden Baumarktdetektivs mit den Waren entfernten;

II./ den Baumarktdetektiv ***** F***** mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der weiteren Anhaltung des P***** P*****, genötigt, indem M***** P***** nach spontaner Verabredung mit P***** P***** mit der Faust, in der er einen Schlüsselbund hielt, auf den Kopf des ***** F***** schlug und M***** P***** und P***** P***** von zwei Seiten auf ***** F***** einschlugen, sodass dieser verletzt von der Anhaltung des P***** P***** abließ;

III./ durch die zu II./ beschriebene Tat ***** F*****, der Rissquetschwunden am Hinterkopf, im Bereich des rechten Scheitelbeins und an der Nase, Prellungen im rechten Unterkieferbereich und am Kopf sowie eine Schürfwunde im Bereich des rechten Brustkorbs erlitt, am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 sowie Z 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde (vgl RIS-Justiz RS0100007) des Angeklagten P***** P*****, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.

[4]       Urteilsanfechtung aus Z 5 zielt im Unterschied zur Berufung wegen Schuld nicht darauf ab, dass anderslautende Feststellungen getroffen werden mögen, sondern macht geltend, dass eine getroffene Feststellung über eine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0106268) wegen ihrer Darstellung (undeutlich, widersprüchlich) oder angesichts der Beweiswürdigung dazu (undeutlich, unvollständig, widersprüchlich, nicht oder offenbar unzureichend begründet, aktenwidrig) unhaltbar ist (vgl Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 281 Rz 46/1).

[5]       Soweit die Mängelrüge unter selektiver Hervorhebung und eigenständiger Würdigung von Beweisergebnissen für den Beschwerdeführer günstigere Feststellungen fordert, verfehlt sie demnach die Anfechtungskriterien.

[6]       Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt vor, wenn im Urteil der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (RIS-Justiz RS0099431).

[7]       Derartige Fehlzitate zeigt die Beschwerde mit der Behauptung, das Erstgericht habe entgegen den Beweisergebnissen und der Verantwortung des Angeklagten „aktenwidrige Feststellungen“ bzw „nicht dem Akteninhalt entsprechende Feststellungen“ getroffen, nicht auf; dass die Tatrichter aus den Beweisergebnissen nicht die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlüsse gezogen haben, stellt den Nichtigkeitsgrund nicht her (RIS-Justiz RS0099431 [T2]).

[8]       Keine oder eine nur offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn zu einer getroffenen Feststellung über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS-Justiz RS0118317).

[9]       Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Feststellungen zum Schuldspruch I./ (US 5 ff) aus den Angaben des Zeugen ***** F***** sowie der Auffindung von Verkaufsware des O***** im Pkw der Angeklagten logisch und empirisch einwandfrei erschlossen und nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Erwägungen sie der leugnenden Verantwortung der Angeklagten keinen Glauben schenkten, wobei sie auch den Umstand der Anzeigenerstattung durch diese bei der PI K***** berücksichtigten (US 8 bis US 10).

[10]     Indem der Beschwerdeführer aus diesen vom Erstgericht erörterten Verfahrensergebnissen selbständig beweiswürdigend für seinen Standpunkt günstigere Schlüsse zieht, argumentiert er nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Schuldberufung.

[11]     Soweit die Mängelrüge die Konstatierungen zum Wert der weggenommenen Sachen kritisiert, bezieht sie sich fallbezogen auf keine entscheidende Tatsache (vgl RIS-Justiz RS0099406, RS0117499 [T5]) und geht daher ins Leere. Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf unterbliebener Erhebungen zum konkreten Wert der Gegenstände spricht keine der Anfechtungskategorien des § 281 Abs 1 Z 5 StPO an.

[12]     Dem weiteren Einwand (Z 5 vierter Fall) zuwider ist die Urteilsfeststellung, wonach die Angeklagten bei der Sachwegnahme nicht aus Not, Unbesonnenheit oder zur Befriedigung eines Gelüstes, sondern aus wohlüberlegter Berechnung handelten (US 5), nicht unbegründet geblieben (US 10, US 13).

[13]     Der gegen die Schuldsprüche II./ und III./ gerichteten Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Schöffengericht die Konstatierungen zum Tatablauf (US 6 f) aus der Aussage des ***** F*****, dessen – in der Ambulanzkarte und auf Lichtbildern – dokumentierten Verletzungen und dem Umstand, dass sich am Pkw der Angeklagten Blutspritzer des Opfers befanden, sowie aus den Angaben der Zeugen ***** M***** und ***** S***** mängelfrei abgeleitet (US 11 ff).

[14]     Entgegen dem weiteren Beschwerdevorwurf (Z 5 vierter Fall) haben die Tatrichter ihre Überzeugung vom bewussten und gewollten Zusammenwirken der beiden Angeklagten aufgrund eines spontan gefassten gemeinsamen Vorsatzes (US 6 ff) ebenso logisch und empirisch einwandfrei begründet (US 11 f) wie die Konstatierungen (US 6, US 8) zum Zweck der Tätlichkeiten und zum darauf bezogenen Vorsatz des P***** P***** (US 13 f).

[15]     Indem die Mängelrüge die Feststellungen und beweiswürdigenden Erwägungen des Schöffengerichts kritisiert, diesen eigene Überlegungen gegenüberstellt und
aus einzelnen Verfahrensergebnissen selbständig beweiswürdigend für den Beschwerdeführer günstigere Schlüsse zieht, begibt sie sich erneut auf die Ebene einer unzulässigen Schuldberufung.

[16]     Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (RIS-Justiz RS0117247, RS0099810).

[17]     Diese Anfechtungskriterien verfehlt die Rechtsrüge (Z 9 lit a), wenn sie meint, „bei richtiger Würdigung der angebotenen Beweise sowie rechtsrichtiger Beurteilung des Beweisverfahrens“ wäre „jedenfalls ein Freispruch zu fällen gewesen“.

[18]     Der Beschwerdeeinwand, „die Beweisergebnisse [reichen] keinesfalls aus, eine Verurteilung gemäß § 127 StGB zu tragen“, insbesondere weil die im Auto der Angeklagten gefundenen Kleinwaren nicht zweifelsfrei dem O***** hätten zugeordnet werden können und „völlig unspezifiziert“ sei, „wer [gemeint wohl: welcher] der Beteiligten, wann, wo, welche Fahrnisse zu sich genommen oder vielleicht wieder abgelegt hat“, orientiert sich nicht an dem im Urteil festgestellten Sachverhalt (US 5 ff) und verfehlt damit den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.

[19]     Die Beschwerdebehauptung, der „Tatbestand gemäß § 88 StGB und § 105 StGB“ sei nicht erfüllt, weil „die verletzenden Schläge“ ausschließlich vom Mitangeklagten M***** P***** gesetzt worden und „somit nicht im bewussten und gewollten gemeinsamen Zusammenwirken, sondern durch einen ausschließlichen Alleingang des M***** P***** zustande gekommen“ seien, übergeht die Feststellungen zum Tatablauf und zur Mittäterschaft (US 6 ff) und entzieht sich damit einer inhaltlichen Erwiderung.

[20]     Das eine Subsumtion der vom Schuldspruch I./ erfassten Tat als Entwendung (§ 141 StGB) anstrebende und auf dieser Grundlage fehlende Ermächtigung zur Strafverfolgung (§ 141 Abs 2 StGB) einwendende Vorbringen (Z 9 lit b) orientiert sich nicht an den Urteilsfeststellungen zur Motivlage der beiden Angeklagten, wonach sie bei der Wegnahme der Waren „weder aus Not noch aus Unbesonnenheit noch zur Befriedigung eines Gelüstes, sondern aus wohlüberlegter Berechnung“ handelten (US 5), und verfehlt damit erneut die Anfechtungskriterien.

[21]     Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P***** P***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[22]     Ebenso war dessen – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (ON 30 S 2, ON 33 S 19 ff) als unzulässig zurückzuweisen (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO).

[23]     Die Entscheidung über die Berufung gegen den Strafausspruch und die (implizit erhobene) Beschwerde obliegt dem Oberlandesgericht (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[24]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E133166

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00116.21G.1022.000

Im RIS seit

01.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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