TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/15 W278 2246185-1

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Veröffentlicht am 15.09.2021
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Entscheidungsdatum

15.09.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W278 2246185-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Habitzl als Einzelrichter im am 09.09.2021 amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, in Schubhaft, zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein russischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober 2009 im Alter von acht Jahren gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte durch seine gesetzliche Vertreterin am 16.10.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, Bundesamt oder Behörde) vom 11.06.2010 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des damals minderjährigen Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, ihm gemäß „§ 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005“ der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter wurde in den folgenden Jahren regelmäßig gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert, zuletzt erfolgte mit Bescheid des BFA vom 28.05.2018 eine Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung bis 10.06.2020.

Mit Urteil eines Landesgerichtes, rechtskräftig am 23.05.2019, wurde der BF wegen §§ 84 Abs. 2, 127, 136 Abs. 1 und 2, 15 iVm 269 Abs. 1 1. Fall, 142 Abs. 1 und 143 Abs. 1 2. Fall, 229 Abs. 1, 148a Abs. 1 sowie 241e Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, bei einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt (Jugendstraftat).

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2019 wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 14.07.2020 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Am 28.11.2020 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BFA vom 11.01.2021 hinsichtlich der Zuerkennung der Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.) wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 10.02.2021 als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Mit am 16.03.2021 rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (EUR 640,00) bei einer Ersatzfreiheitsstrafe von 80 Tagen verurteilt.

Nachdem ein Abschiebeversuch im April 2021 – ein bis 22.04.2021 gültiges Heimreisezertifikat (HRZ) für den BF lag vor – scheiterte, da der BF an seiner Meldeadresse tatsächlich nicht aufhältig war und auch nach telefonischem Kontakt seinen Aufenthaltsort nicht bekanntgab, wurde am 08.04.2021 durch das BFA ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG (Vorliegen der Voraussetzungen für Sicherungsmaßnahmen) gegen den BF erlassen. Die Zustimmung zur Ausstellung des HRZ wurde bis 22.07.2021 verlängert.

Am 18.05.2021 konnte der BF von Organen einer Landespolizeidirektion (LPD) am Steuer eines Fahrzeuges wahrgenommen werden. Die Beamten setzten deutliche Anhaltesignale. Das vom BF gelenkte Fahrzeug hielt an und der BF ergriff zu Fuß die Flucht. Er konnte nach einer Nacheile über ca. 400 Meter aufgegriffen und festgenommen werden.

Am 19.05.2021 wurde der BF von Organen einer LPD niederschriftlich einvernommen und gab im Wesentlichen an, er sei vor etwa zwölf Jahren aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes seiner Mutter nach Österreich gereist. Wenn er abgeschoben werde, sei sein Leben zu Ende. Die Familie habe dort nach wie vor Probleme. Er leide nicht an schwerwiegenden Krankheiten und nehme keine Medikamente. In Österreich habe er einen Wohnsitz sowie Familienangehörige in Form seines Bruders und seiner drei Schwestern. Die Adresse seines Bruders und die Telefonnummern sämtlicher Geschwister kenne er nicht. Er könne bei zwei seiner Schwestern leben. Persönliche Gründe, die einer möglichen Schubhaft entgegenstehen würden, gebe es nicht. Allerdings habe der BF Aussicht auf zwei Jobs in Österreich, wo er langfristig eine Anstellung finden könne. Er wolle sein Leben wieder auf die Reihe bekommen, das wäre ihm in Tschetschenien keinesfalls möglich, wenn es ihm in Österreich schon schwerfalle.

Mit Mandatsbescheid des BFA vom 19.05.2021 wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Begründend wurde ausgeführt, der BF halte sich nicht rechtmäßig in Österreich auf, es bestehe eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung und die Frist für die freiwillige Ausreise sei abgelaufen. Sein Folgeantrag vom 28.11.2020 sei, ebenfalls rechtskräftig, zurückgewiesen worden. Einer Erwerbstätigkeit gehe der BF nicht nach und verfüge nicht über die für seinen Aufenthalt notwendigen finanziellen Mittel. Er verhalte sich unkooperativ und habe bereits eine Abschiebung verhindert, da er nicht greifbar gewesen sei. Im Rahmen seines Aufgriffs am 18.05.2021 sei er zu Fuß geflohen. Der BF besitze kein gültiges Reisedokument, jedoch sei bereits ein HRZ ausgestellt und die Verlängerung desselben bereits beantragt worden. Schon in der Vergangenheit sei der BF untergetaucht und habe mittlerweile keinen ordentlichen Wohnsitz mehr, da eine amtliche Abmeldung vorgenommen habe werden müssen. Er sei bereits zwei Mal straffällig geworden. Zwar verfüge der BF über Familienangehörige in Österreich, jedoch werde durch diese sein illegaler Aufenthalt unterstützt und sei eine Wohnmöglichkeit bei einer seiner Schwestern nicht geeignet den BF an einem Untertauchen zu hindern. Der BF habe sich als nicht vertrauenswürdig erwiesen. Die Verhängung der Schubhaft sei notwendig und verhältnismäßig, die Anordnung eines gelinderen Mittels jedoch nicht tunlich.

Der Mandatsbescheid wurde dem BF – ebenfalls am 19.05.2021 – durch persönliche Übergabe zugestellt und der BF in Schubhaft genommen, im Zuge welcher er nach wie vor angehalten wird.

Am 20.05.2021 stellte der BF aus dem Stande der Schubhaft einen weiteren Folgeantrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erstellte das BFA einen Aktenvermerk iSd § 76 Abs. 6 FPG und hielt die Anhaltung aufrecht. Dieser wurde dem BF am 20.05.2021 durch persönliche Übergabe zugestellt. Dieser Folgeantrag wurde am 26.08.2021 erstinstanzlich rechtskräftigem Bescheid des BFA vom wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Unterstützt durch das Rückkehrbüro der BBU, beantragte der BF am 16.06.2021 Unterstützungsleistungen im Rahmen der Unterstützten freiwilligen Rückkehr. Diesem wurde am 17.06.2021 seitens des BFA zugestimmt.

Mit Aktenvermerken des BFA iSd § 80 Abs. 6 FPG vom 10.06.2021, 02.07.2021, 26.07.2021 und 19.08.2021 wurde jeweils die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung dokumentiert.

Am 09.09.2021 legte das BFA dem erkennenden Gericht die Akten zur ersten gerichtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit einer fortdauernden Anhaltung des BF vor und führte, nach Wiedergabe des Verfahrensganges, im Wesentlichen aus, die fortdauernde Anhaltung sei auf das Verhalten des BF zurückzuführen. Wäre dieser nicht untergetaucht hätte eine Abschiebung bereits durchgeführt und die Verhängung der Schubhaft verhindert werden können. Zudem habe der zweite Folgeantrag des BF aus dem Stande der Schubhaft das Verfahren verzögert. Es habe ein neues Verfahren zur Erlangung eines HRZ eingeleitet werden müssen. Aus dem Gesamtverhalten des BF sei eine erhebliche Fluchtgefahr zu erschließen. Daran ändere auch die Anmeldung zur freiwilligen Rückkehr und das Vorhandensein der Familienangehörigen in Österreich nichts. Beantragt wurde die weitere Aufrechterhaltung der Schubhaft.

Mit Schriftsatz des BVwG vom 09.09.2021 wurde dem BF die zum Schubhaftüberprüfungsverfahren eingelangte Aktenvorlage des BFA übermittelt. Ihm wurde Gelegenheit zum Parteiengehör in Form einer Stellungnahme bis 13.09.2021,08:00 Uhr, gegeben. Eine Stellungnahme des BF langte nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Feststellung, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

A. Feststellungen:

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1. Der volljährige BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er ist nicht österreichischer Staatsbürger und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Seine Identität steht fest. Er trat bis zu seiner Identifizierung unter der im Spruch ersichtlichen Aliasidentität auf.

1.2. Der BF befand sich von 28.02.2019 bis 17.11.2019 in Strafhaft.

1.3. Der BF stellte in Österreich bislang drei Anträge auf internationalen Schutz. Zunächst wurde ihm mit Bescheid vom 11.06.2010 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Diese wurde mehrmals verlängert. Mit Bescheid des BFA vom 07.11.2019 wurde ihm sein Schutzstatus aberkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung nach einem Beschwerdeverfahren rechtskräftig entzogen. Am 28.11.2020 und 20.05.2021 stellte der BF Folgeanträge, welche jeweils rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden.

1.4. Der BF wird seit 19.05.2021 in Schubhaft angehalten.

2. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist Fremder iSd Diktion des FPG. Er ist volljährig.

2.2. Mit Bescheid vom 19.05.2021, vom BF am selben Tag übernommen, wurde über ihn die Schubhaft iSd § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG verhängt. Dieser Bescheid wurde vom BF bislang nicht in Beschwerde gezogen.

2.3. Zunächst wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.06.2010 der Antrag auf internationalen Schutz des damals minderjährigen Beschwerdeführers der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Dieser wurde dem BF mit Bescheid des BFA vom 07.11.2019 – nach gerichtlichem Beschwerdeverfahren rechtskräftig – aberkannt und unter anderem eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen. Die mit diesem Bescheid erlassene Frist zur freiwilligen Ausreise ist abgelaufen. Die Folgeanträge des BF auf internationalen Schutz vom 28.11.2020 und 20.05.2021 wurden jeweils rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Aufenthalt des BF in Österreich ist rechtswidrig.

2.4. Der BF ist gesund und haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließende gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Erkrankungen vor. Eine signifikant erhöhte Gefahr einer Infektion mit COVID-19 besteht im Polizeianhaltezentrum, wo der BF in Schubhaft angehalten wird, nicht.

3. Zu Fluchtgefahr, Sicherungsbedarf und zur Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft:

3.1. Der BF behinderte seine Abschiebung indem er sich nicht an seiner Meldeadresse aufhielt, im Verborgenen lebte und für die Behörden nicht greifbar war. Der BF tauchte im österreichischen Bundesgebiet bereits vermehrt unter, indem er trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung regelmäßig ohne amtliche Wohnsitzmeldung im Inland verblieb. Zuletzt konnte eine für April 2021 geplante Abschiebung nicht durchgeführt werden, da der BF an seiner Meldeadresse nicht aufhältig war. Am 12.05.2021 erfolgte die amtliche Abmeldung des Wohnsitzes des BF.

3.2. Gegen den BF besteht eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem dreijährigen Einreiseverbot.

3.3. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 20.05.2021 befand sich der BF in Schubhaft und es bestand eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung gegen ihn.

3.4. Der BF geht in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, hat in Österreich kein Einkommen und verfügt über kein zur Sicherung seiner Existenz ausreichendes Vermögen. Der BF verfügt aktuell über keine Barmittel.

3.5. Am 18.05.2021 konnte der BF auf Basis eines am 08.04.2021 erlassenen Festnahmeauftrages festgenommen werden. Er versuchte sich der Festnahme zu entziehen, indem er zu Fuß flüchtete. Nach einer Nacheile der Sicherheitsorgane konnte er nach etwa 400 Metern aufgegriffen werden.

3.6. Der BF ist im Hinblick auf seinen Herkunftsstaat nicht ausreisewillig und stellte zumindest seinen letzten Folgeantrag auf internationalen Schutz evident in der missbräuchlichen Absicht, den Vollzug der gegen ihn rechtskräftig bestehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verzögern oder gar zu verhindern. Die Anhaltung in Schubhaft und deren Fortdauern ist auf das Verhalten des BF (Untertauchen, Folgeantrag aus dem Stande der Schubhaft) zurückzuführen.

3.7. Der BF ist nicht kooperationswillig, nicht bereit sich den geltenden Rechtsvorschriften zu unterwerfen, entzog sich den Behörden, trat unter falscher Identität auf, befand sich im Zuge der Anhaltung in Schubhaft bereits zwei Mal in Hungerstreik und weigerte sich mehrmals an Röntgenterminen teilzunehmen. Er ist als nicht vertrauenswürdig anzusehen. Im Falle seiner Entlassung würde der BF erneut untertauchen um sich seiner Abschiebung zu entziehen.

3.8. Einem am 16.06.2021 gestellten Antrag des BF auf Unterstützungsleistungen im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr wurde vom BFA am 17.06.2021 – vorbehaltlich der Übermittlung einer Kopie eines Reisedokumentes sowie der Bestätigung über die erfolgte Ausreise – zugestimmt. Festgehalten wurde, dass die Ausreise bis 16.08.2021 zu erfolgen habe. Diese Frist wurde in der Folge bis 17.10.2021 verlängert.

3.9. Der BF weist im österreichischen Bundesgebiet folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf:

01) Urteil eines Landesgerichtes vom 23.05.2019, rechtskräftig seit 23.05.2019, wegen § 84 (2) StGB, § 127 StGB, §§136 (1), 136 (2) StGB, § 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB, §§ 142 (1), 143 (1) 2. Fall StGB, § 229 (1) StGB, § 148a (1) StGB, § 241e (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monate, davon 16 Monate bedingt nachgesehen bei einer Probezeit von drei Jahren (Jugendstraftat).

02) Urteil eines Landesgerichtes vom 10.03.2021, rechtskräftig seit 16.03.2021, wegen § 83 (1) StGB zu einer Geldstrafe von 160 Tags zu je 4,00 EUR (640,00 EUR) bei einer Ersatzfreiheitsstrafe von 80 Tagen (Junge(r) Erwachsene(r)).

3.10. Der BF verfügt in Österreich über keinen ordentlichen Wohnsitz. In Österreich sind drei Schwestern des BF zum Aufenthalt berechtigt, der Aufenthalt seines älteren Bruders im Bundesgebiet ist geduldet. Der BF hat eine Freundin im Bundesgebiet. Der BF spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem spricht er Russisch und Deutsch. Er könnte bei zumindest zwei seiner Schwestern Unterkunft nehmen. Eine solche Unterkunftnahme und die Anwesenheit seiner Geschwister und seiner Freundin im Bundesgebiet sind nicht geeignet den BF an einem erneuten Untertauchen zu hindern.

3.11. Das BFA ist seiner Verpflichtung, auf eine möglichst kurze Dauer der Schubhaft hinzuwirken, nachgekommen. Das Bundesamt hat rechtzeitig angemessene Bemühungen betreffend die HRZ Erlangung betrieben. Bereits vor Inschubhaftnahme lag ein HRZ vor, welches ursprünglich bis 22.04.2021 gültig war. Nach Scheitern der Abschiebung im April 2021 wurde die Zustimmung einmalig bis 22.07.2021 verlängert. Aufgrund des Verstreichens dieser Frist musste ein Neuantrag gestellt werden. Das Verfahren für den Neuantrag auf Ausstellung eines HRZ wurde vom BFA am 11.08.2021 eingeleitet. Mit einer Antwort der Vertretungsbehörde der Russischen Föderation ist bis Mitte bzw. Ende November zu rechnen. HRZ werden von der Vertretungsbehörde der Russischen Föderation ausgestellt und auch Flüge in die Russische Föderation sind aktuell möglich. Eine Abschiebung des BF fand bislang nur deswegen nicht statt, weil er am 20.05.2021 in evidenter Missbrauchsabsicht einen weiteren Folgeantrag auf internationalen Schutz stellte und somit die Gültigkeit des HRZ abgelaufen ist. Realistisch ist mit einer Abschiebung im Dezember 2021 zu rechnen.

Aktuell liegt keine Bewilligung für die Einreise nach Russland vor.

3.12. Seit dem Beginn der Anhaltung in Schubhaft ist keine Änderung der maßgeblichen Voraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft eingetreten.

B. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Akt des BFA, den Gerichtsakten zu den Erkenntnissen des BVwG vom 14.07.2020 und 10.02.2021 sowie dem gegenständlichen Akt des Bundesverwaltungsgerichtes. Einsicht genommen wurde in das Strafregister, das Zentrale Fremden- (IZR) und Melderegister (ZMR), die Anhaltedatei sowie in das GVS-Informationssystem.

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1. Die persönlichen Daten des BF sowie seine Aliasidentität ergeben sich aus dem IZR. Die tatsächliche Identität des BF geht auch aus der Mitteilung des Ministeriums für innere Angelegenheiten der Russischen Föderation hervor (vgl. AS 239). Zudem liegt eine Kopie des am 01.08.2013 abgelaufenen russischen Reisepasses des BF im Akt ein (vgl. AS 191).

1.2. Die Zeit der Anhaltung in Strafhaft ergibt sich aus dem ZMR in Zusammenschau mit dem Strafregister.

1.3. Der erste Antrag auf internationalen Schutz des BF geht insbesondere aus den genannten Vorerkenntnissen sowie dem Aberkennungsbescheid des BFA vom 07.11.2019 hervor, die beiden Folgeanträge ergeben sich aus dem IZR. Die Antragstellung aus dem Stande der Schubhaft ist zudem in der Anhaltdatei vermerkt. Der Bescheid vom 07.11.2019 ist vorliegend. Ebenso die Erkenntnisse des BVwG vom 14.07.2020 und 10.02.2021. Der Bescheid des BFA, mit welchem der zweite Folgeantrag des BF zurückgewiesen wurde, ergibt sich aus dem Vorbringen der Behörde in Zusammenschau mit dem entsprechenden Eintrag im IZR.

1.4. Die Anhaltung des BF in Schubhaft seit 19.05.2021 geht aus der Anhaltedatei hervor.

2. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Dafür, dass der BF die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen würde gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Seine Volljährigkeit ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

2.2. Der Mandatsbescheid vom 19.05.2021 und die Übernahmebestätigung liegen im Akt ein (vgl. AS 43-69 und 83). Aus dem internen System des BVwG ist ein Beschwerdeverfahren hinsichtlich des Schubhaftbescheides zurzeit nicht ersichtlich.

2.3. Der rechtskräftige Bescheid des BFA vom 11.06.2010 ist im IZR vermerkt. Der Bescheid vom 07.11.2019 liegt vor. Ebenso, wie erwähnt, das zugehörige Erkenntnis des BVwG vom 14.07.2020. Die Frist für die freiwillige Ausreise ist zweifelsohne verstrichen. Hinsichtlich der Zurückweisung der Folgeanträge kann auf die Ausführungen in 1.3. verwiesen werden.

2.4. Der BF selbst gab in seiner Einvernahme vom 19.05.2021 an, er sei gesund und nehme keine Medikamente. Zudem liegen die medizinischen Unterlagen des BF vor, aus denen keine gravierenden gesundheitlichen Probleme ersichtlich sind. Zuletzt geht aus dem amtsärztlichen Befund und Gutachten vom 10.09.2021 ein sehr guter Gesundheitszustand des BF sowie seine uneingeschränkte Haftfähigkeit hervor.

3. Zu Fluchtgefahr, Sicherungsbedarf und zur Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft:

3.1. Dass der BF sich nicht an seiner Meldeadresse aufhielt, ergibt sich aus dem Mandatsbescheid vom 19.05.2021 (vgl. insb. AS 46f) in Verbindung mit einer im Akt einliegenden E-Mail Nachricht, aus welcher hervorgeht, dass die für den 08.04.2021 geplante Charterabschiebung des BF storniert werden musste, da mehrere Festnahmeversuche scheiterten (vgl. AS 245) und den Berichten einer LPD vom 07.04.2021. Aus einem der Berichte ist auch ersichtlich, dass telefonischer Kontakt zu dem BF hergestellt werden konnte, dieser seinen Aufenthaltsort jedoch nicht bekannt gab. Es war dem BF somit bewusst, dass die Behörden auf ihn zugreifen wollten und er entzog sich diesem Zugriff absichtlich. Dass er bereits zuvor ohne amtliche Wohnsitzmeldung war, ist dem ZMR zu entnehmen. In der Zeit zwischen 20.11.2019 und 09.01.2020, 17.01.2020 und 01.07.2020, 10.08.2020 bis 29.11.2020 sowie 30.12.2020 bis 26.02.2021 wies der BF keine amtliche Wohnsitzmeldung in Österreich auf. Die amtliche Abmeldung geht aus dem Behördenvorbringen in Verbindung mit dem ZMR hervor.

Die Feststellungen in 3.2. ergeben sich aus dem Bescheid des BFA vom 07.11.2019, dem Erkenntnis des BVwG vom 14.07.2020 und dem IZR.

3.3. Dass der Bescheid vom 07.11.2019 am 20.05.2021 bereits rechtskräftig und durchsetzbar war und der BF sich in Schubhaft befand, ergibt sich aus dem IZR und der Anhaltedatei.

3.4. Dass der BF in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgeht ist evident, zumal er zur Ausübung einer solchen gar nicht befugt ist. Er selbst gab zum Zeitpunkt seines Aufgriffs an, lediglich über einen Betrag vom EUR 76,00 zu verfügen. Aus der Anhaltedatei geht hervor, dass er aktuell keinerlei finanzielle Mittel zur Verfügung hat.

3.5. Der Festnahmeauftrag und der Übergabebericht einer LPD liegen im Akt ein (vgl. AS 9 und 19). Aus dem Bericht geht die versuchte Flucht des BF hervor.

3.6. In verschiedenen Einvernahmen, sowohl in den Vorverfahren zu den genannten Erkenntnissen des BVwG als auch in der Einvernahme vom 19.05.2021 gab der BF an, er könne nicht in seinen Herkunftsstaat zurück. Dass er zuletzt einen Antrag auf Unterstützung der freiwilligen Ausreise stellte, ist im Hinblick auf das Verhaltens es BF (Untertauchen, Flucht vor der Polizei, Stellung eines Folgeantrages in Missbrauchsabsicht nur einen Monat zuvor, zweimaliger Hungerstreik auch nach Stellung des Antrags auf unterstützte freiwillige Ausreise) nicht geeignet den Eindruck der Ausreiseunwilligkeit zu erschüttern. Die Feststellung, dass der zweite Folgeantrag des BF in Missbrauchsabsicht gestellt wurde, geht aus dem begründeten Aktenvermerk nach § 76 Abf. 6 FPG und einer E-Mail Nachricht hervor (vgl. AS 93 und 95f). Der Eindruck der Missbrauchsabsicht erhärtet sich, bedenkt man, dass der BF seit der zurückweisenden Entscheidung hinsichtlich seines ersten Folgeantrages viele Monate Zeit hatte, erneut an eine öffentliche Stelle heranzutreten und ein neues Fluchtvorbringen geltend zu machen, er dies jedoch keineswegs tat, sondern sich vielmehr dem behördlichen Zugriff entzog. Er wartete zu, bis er sich in Schubhaft befand und mit einer unmittelbaren Abschiebung rechnen musste. Dass die Anhaltung in Schubhaft und ihr Fortdauern auf das Verhalten des BF zurückzuführen ist, ist klar ersichtlich. So hätte die Verhängung der Schubhaft gänzlich unterbleiben können, wenn der BF sich den Behörden nicht entzogen hätte und wäre sie bereits beendet, wenn er keinen Folgeantrag gestellt hätte, der zu einem Ablauf der HRZ-Zustimmungsfrist vor einer Abschiebung geführt hätte. Die fortdauernde Anhaltung ist somit dem Verhalten des BF zuzuschreiben.

3.7. Die mangelnde Kooperationswilligkeit des BF ergibt sich aus seinem bereits beschriebenen Verhalten. Er missachtete wiederholt die österreichische Rechtsordnung durch Verstöße gegen das Melde- und Strafgesetz und seinen Unwillen, die gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung zu akzeptieren. Die Aliasidentität des BF ergibt sich klar aus dem IZR und der Nachricht des Ministeriums der Russischen Föderation (vgl. AS 239). Die Hungerstreiks und Verweigerungen der Röntgen-Termine sind aus der Anhaltedatei ersichtlich. Der BF ist somit insgesamt als nicht vertrauenswürdig anzusehen und im Falle seiner Entlassung wäre das Risiko eines erneuten Untertauchens erheblich.

3.8. Der Antrag vom 16.06.2021 und die Zustimmung des BFA vom Folgetag liegen im Akt ein (vgl. AS 147ff und 153f). Die Verlängerung der First geht aus einer im Akt einliegenden Nachricht hervor (vgl. AS 195f).

3.9. Die Vorstrafen des BF sind einem aktuellen Strafregisterauszug entnommen.

3.10. Dass der BF in Österreich über keinen ordentlichen Wohnsitz verfügt, ergibt sich aus einem ZMR-Auszug aus dem – in Zusammenschau mit dem Akteninhalt – die amtliche Abmeldung des Wohnsitzes am 12.05.2021 hervorgeht. Der Aufenthalt seiner Geschwister im Bundesgebiet, deren Aufenthaltsstatus und die Sprachkenntnisse des BF gehen aus dem Erkenntnis des BVwG vom 14.07.2020 hervor. Dass der BF auch eine Freundin hat ist der Anhaltedatei (Punkt: Vorkommnisse) entnommen. Die Familie des BF und sonstige soziale Kontakte waren jedoch auch bislang nicht geeignet den BF an einem Untertauchen zu hindern oder zu einem gesetzeskonformen Benehmen zu verhalten. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb sich dies hinkünftig ändern sollte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sein soziales Netz den BF (wieder) bei einem Leben im Verborgenen unterstützen würde.

3.11. Die Bemühungen des BFA gehen aus dem Akt hervor (vgl etwa AS 175, 195f, E-Mailnachricht der HRZ-Abteilung des BFA an das BVwG vom 10.09.2021). Eine der Behörde zuzurechnende Verzögerung ist nicht hervorgekommen. Die Stellung des zweiten Folgeantrages in Missbrauchsabsicht durch den BF wurde bereits zu 3.6. erörtert.

3.12. Insgesamt ergibt sich keine relevante Änderung der maßgeblichen Voraussetzungen.

C. Rechtliche Beurteilung:

1. Zu Spruchteil A

1.1 Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Der mit „Gelinderes Mittel“ betitelte § 77 FPG idgF lautet:

„§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“

Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 FPG lautet:

„(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ überschriebene § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes idgF lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

In Verfahren nach § 22a Abs. 4 BFA-VG vom BFA erstattete Stellungnahmen sind einem Parteiengehör zu unterziehen. Dies kann schriftlich oder auch im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erfolgen. Jedenfalls ist dem in Schubhaft angehaltenen Fremden Gelegenheit zu geben, sich zu der Stellungnahme und zum maßgeblichen Sachverhalt zu äußern (vgl. VwGH 27.08.2020, Ro 2020/21/0010, mwN).

In seinem Erkenntnis zur Zahl Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 hielt der VwGH fest, dass die Frage der rechtzeitigen Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates bei länger andauernden Schubhaften, die gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG überprüft werden, für die weitere Verhältnismäßigkeit der Anhaltung (typischerweise) entscheidend ist. Dabei ist insbesondere relevant, ob die Bemühungen der Behörde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgsversprechend sind. Bei der Ermittlung des gefordertes Grades dieser Wahrscheinlichkeit können auch die bisherige Anhaltedauer und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen. Bisherige Erfahrungswerte mit der jeweiligen Vertretungsbehörde können – sofern diese nachvollziehbar festgestellt und nicht bloß behauptet würden – wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung bieten (vgl. VwGH Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 Ra 2020/21/0174 vom 22.12.2020, mwN).

1.3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft:

Aufgrund der oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Bundesamt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung vorzulegen. Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Im Rahmen dieser Überprüfung hat sich im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Bundesverwaltungsgericht ergeben, dass die weitere Anhaltung des BF als notwendig und verhältnismäßig angesehen werden kann:

Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter oder auch Asylwerber weshalb die Aufrechterhaltung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist.

Der BF war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin. Für Gegenteiliges gab es im Verfahren keinerlei Anhaltspunkte.

Die Schubhaft wurde ursprünglich auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt verhängt. Aktuell liegt gegen den BF eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor. Die Anhaltung kann daher im Entscheidungszeitpunkt weiterhin auf leg cit. und die Sicherung der Abschiebung gestützt werden.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:

Gemessen an § 76 Abs. 3 FPG, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1" - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der BF einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird. Die Gründe, aus denen das Bundesamt die Schubhaft anordnete (Ziffer 1, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG), haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Hinzu tritt, dass mittlerweile auch Ziffer 5 leg cit erfüllt ist. Im Einzelnen ist hierzu auszuführen:

§ 76 Abs. 3 Z. 1 FPG ist insbesondere deshalb als erfüllt anzusehen, weil der BF sich durch seinen Aufenthalt im Verborgenen den Behörden entzog, den Behörden gegenüber eine falsche Identität angab und auch bereits eine geplante Abschiebung verhinderte.

Da aktuell eine rechtskräftige, mit Bescheid des BFA vom 07.11.2019 erlassene und mit Erkenntnis des BVwG vom 14.07.2020 bestätigte, Rückkehrentscheidung gegen den BF vorliegt, ist auch Z 3 leg cit als erfüllt anzusehen. Der BF unternahm einen konkreten Fluchtversuch indem er das Haltezeichen von Exekutivbeamten nicht befolgte und im Weiteren auch zu Fuß zu flüchten versuchte.

Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt ist nunmehr auch § 76 Abs. 3 Z. 5 FPG gegeben, da der BF aus dem Stande der Schubhaft und trotz Vorliegens einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung am 20.05.2021 einen zweiten Folgeantrag auf internationalen Schutz in Missbrauchsabsicht, einzig und alleine um seine Abschiebung zu verzögern, stellte.

Zu Ziffer 9 leg cit ist auzuführen, dass der BF zwar Familie (Bruder und Schwestern) und – wie das Beweisverfahren ergeben hat – auch eine Freundin im Bundesgebiet hat und auch festgestellt wurde, dass der BF bei zumindest zwei seiner Schwestern wohnen könnte, dies jedoch nichts an dem vorliegenden Sicherungsbedarf ändert. Wie in der Beweiswürdigung bereits ausgeführt, hatte der BF auch bislang bereits sein familiäres Netz in Österreich, was ihn jedoch nicht zu rechtskonformen Verhalten bewegte. Es ist nicht anzunehmen, dass der BF hinkünftig aufgrund seiner Sozialkontakte oder auch seiner Wohnmöglichkeit anderweitig verfahren würde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass seine Kontakte ihm erst ein Leben im Verborgenen ermöglichen würden. Weiters beherrscht der BF zwar die deutsche Sprache, einer legalen Erwerbstätigkeit geht er jedoch nicht nach und auch ausreichende Mittel zur Existenzsicherung besitzt er nicht. Im Ergebnis ist auch Ziffer 9 als erfüllt anzusehen.

Sowohl das Vorverhalten – Verwendung einer Aliasidentität, Untertauchen, mangelnde Kooperationsbereitschaft, Stellung eines zweiten Folgeantrages in klarer Missbrauchsabsicht, Hungerstreiks, Verweigerung von Terminen, Flucht vor der Polizei – als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem BF ein überaus hohes Risiko des Untertauchens sowie Sicherungsbedarf ergeben. Daran vermögen, wie beweiswürdigend ausgeführt, auch der Antrag auf Unterstützung der freiwilligen Ausreise oder seine sozialen Kontakte nichts zu ändern.

In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden von der Judikatur bereits als erhöht angesehen wird. Überdies war aufgrund seines aktuellen sowie seines Verhaltens in der Vergangenheit festzustellen, dass der BF in erheblichem Ausmaß als nicht vertrauenswürdig anzusehen war. Im Lichte dieser Umstände bestehen aktuell Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der BF untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten, um sich einer Abschiebung zu entziehen.

Insgesamt ergibt sich sohin klar das Vorliegen von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5 und 9 FPG.

Verhältnismäßigkeit und Dauer der Anhaltung:

Die Anhaltung in Schubhaft darf gemäß § 80 Abs. 2 FPG grundsätzlich die Dauer von sechs Monaten nicht übersteigen. Dies steht im Einklang mit Art. 15 Abs. 5 der Rückführungs-RL. Zu prüfen ist, ob in der vorliegenden Konstellation aufgrund der Bestimmungen des § 80 Abs. 4 FPG iVm Art. 15 Rückführungs-RL von einer Schubhaftdauer von bis zu 18 Monaten auszugehen ist.

Der BF befindet sich zum Entscheidungszeitpunkt seit knapp vier Monaten in Schubhaft. Die Dauer der Anhaltung des BF ist – wie ausgeführt – maßgeblich auf seinen in Verzögerungsabsicht gestellten Folgeantrag vom 20.05.2021 zurückzuführen, durch den der Gültigkeitszeitraum des vorliegenden HRZ überschritten wurde. Verzögerungen, die in der Sphäre des BFA liegen, sind nicht zu erkennen. Wie den Feststellungen zu entnehmen ist, hat das Bundesamt vielmehr rechtzeitig und zielführend ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF geführt und ein solches auch erlangt. In Anbetracht der noch relativ kurzen Anhaltedauer und der mannigfaltigen Gründe für die Aufrechterhaltung der Anhaltung in Zusammenschau mit seinem gemäß § 76 Abs 2a FPG relevanten Fehlverhalten, sieht das erkennende Gericht den Grad der Wahrscheinlichkeit einer alsbaldigen tatsächlichen Abschiebung des BF als in einem für die Bejahung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung mehr als ausreichendem Maß gegeben an.

Die weitere Anhaltung über 6 Monate hinweg– zumal die Abschiebung nun realistisch im Dezember 2021 erfolgen kann – ist zulässig:

Nach § 80 Abs. 4 Z. 2 FPG kann die Schubhaft für höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt. Im Entscheidungszeitpunkt fehlt die für die Einreise erforderliche Bewilligung, obwohl das Bundesamt sämtliche angemessenen Bemühungen zur HRZ Beschaffung rechtzeitig getroffen hat. Die Zustimmung zu dem HRZ des BF ist, wie ausgeführt, abgelaufen, da der BF missbräuchlich einen weiteren Folgeantrag aus dem Stande der Schubhaft stellte. Nun ist mit einer neuen Zustimmung – aufgrund der in Russland notwendigen administrativen Schritten - erst Mitte/Ende November 2021 zu rechnen, sodass im Entscheidungszeitpunkt die Einreisebewilligung seines Herkunftsstaates Russland nicht vorliegt. Dass der BF nunmehr voraussichtlich erst im Dezember 2021 überstellt werden kann ist seinem eigenen Verhalten geschuldet. Aus diesem Grund ist somit eine Aufrechterhaltung der Schubhaft über die Dauer von sechs Monaten zulässig und steht auch mit Art. 15 Abs 6 lit b der Rückführungsrichtlinie im Einklang.

Zur Anwendbarkeit von § 80 Abs 4 Z 2 FPG siehe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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