TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/8 W133 2205217-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.06.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
FPG §93 Abs1 Z1
FPG §94 Abs5

Spruch


W133 2205217-1/42E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen die Spruchpunkte III. bis VIII. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2018, Zl. 44495007-180417038, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.07.2019 und 22.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 57 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Spruchpunkte IV., V., VI und VII. werden ersatzlos behoben, die Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß §§ 55 Abs. 1 iVm 54 Abs. 2 AsylG für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheids wird gemäß §§ 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistan, reiste am 04.10.1994 gemeinsam mit seinem Vater und seinen fünf Brüdern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 05.10.1994 brachte der Vater des damals noch minderjährigen Beschwerdeführers als dessen gesetzlicher Vertreter einen Asylantrag ein.

Mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, BFA) vom 09.06.2000 wurde dem Asylantrag des Beschwerdeführers schließlich gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und ihm in Österreich Asyl gewährt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Im Juni 2002 kam es zu einer Anzeige des zum damaligen Zeitpunkt bereits volljährigen Beschwerdeführers wegen des Verdachtes des Diebstahles einer Geldbörse in einem Tanzlokal.

Im Mai 2004 erfolgte eine weitere Anzeige des Beschwerdeführers wegen des Verdachtes der Beteiligung an einem Raufhandel auf der Straße.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 20.07.2006 wurde der damals 22-jährige Beschwerdeführer wegen §§ 125, 91 Abs. 2 1. Fall StGB (Sachbeschädigung und Raufhandel mit tätlicher Beteiligung an einem Angriff) unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.05.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB (Diebstahl) zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je 4 Euro (gesamt somit 200 Euro) bzw. im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen verurteilt.

Im Akt befindet sich ein Abschlussbericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 16.07.2010. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht auf sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen bestand. Der Beschwerdeführer habe am 11.07.2010 – im Alter von 26 Jahren und nur zwei Monate nach der letzten Verurteilung – in einem Freibad zwei minderjährige Schülerinnen im Alter von 14 bzw. 15 Jahren unsittlich angesprochen, diese hinter ein Gebüsch geführt, und dort unsittliche und geschlechtliche Handlungen gegen deren Willen vorgenommen. Gegenüber den Polizeibeamten habe sich der Beschwerdeführer äußerst aggressiv verhalten.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 15 StGB (versuchter Diebstahl) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen bedingt und Setzung einer Probezeit von drei Jahren (in weiterer Folge auf fünf Jahre verlängert) verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 208 Abs. 1 StGB (sittliche Gefährdung von Personen unter 16 Jahren) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monate, bedingt auf drei Jahre nachgesehen, unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Im Akt befindet sich ein Abschlussbericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 24.05.2011. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit einer anderen Person einem Taxilenker mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzt und diesen dadurch am Körper verletzt haben soll.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.11.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB (Diebstahl) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Im Akt befindet sich ein Abschlussbericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 17.01.2013. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer neuerlich der Verdacht auf sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen bestehe. Der Beschwerdeführer habe am 15.01.2013 in seiner Funktion als Taxilenker einen weiblichen Fahrgast durch mehrmalige Handlungen sexuell belästigt. Dieses Verfahren wegen § 218 Abs. 1 StGB (sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen) wurde gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt.

Mit 22.07.2015 wurde dem Beschwerdeführer ein bis 21.07.2020 gültiger Konventionsreisepass ausgestellt.

Ein weiteres strafrechtliches Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 84 StGB (schwere Körperverletzung) wurde am 24.10.2017 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt.

Im Akt befindet sich ein Abschlussbericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 29.04.2018. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht auf Gefährliche Drohung, Körperverletzung und fortgesetzte Gewaltausübung im familiären Bereich bestand. Der Beschwerdeführer habe am 29.04.2018 in der Nacht seine Ehefrau alkoholisiert im Zuge eines Streits mit dem Umbringen bedroht. Da er bereits mehrmals gewalttätig gegen seine Ehefrau geworden sei, habe sie diese Drohung ernst genommen. Weiters wurde der Beschwerdeführer beschuldigt, seine Ehefrau im Zuge des Streits am rechten Unterarm verletzt zu haben. Ebenso wird der Beschwerdeführer beschuldigt, ab dem Jahr 2011 seine Ehefrau im Zuge von Streitigkeiten in unregelmäßigen Abständen durch Zwicken am Körper, durch Ohrfeigen und Ziehen an den Haaren am Körper verletzt zu haben. Eine Anzeige durch seine Ehefrau sei aus Furcht und ethnischen Gründen nie erfolgt. Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Betretungsverbot ausgesprochen, wobei sich der Beschwerdeführer dabei gegenüber den Polizeibeamten äußerst aggressiv verhalten hatte. Da sich der Beschwerdeführer nicht an das Betretungsverbot hielt, wurde er vorläufig festgenommen und zu einer Polizeiinspektion gebracht. Schließlich wurde wegen Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr über den Beschwerdeführer die U-Haft verhängt, er wurde in eine näher genannte Justizanstalt eingeliefert. Der Beschwerdeführer befand sich von 29.04.2018 bis 09.05.2018 in Untersuchungshaft.

Mit Aktenvermerk vom 07.05.2018 wurde vom BFA gegen den Beschwerdeführer ein Aberkennungsverfahren wegen Straffälligkeit bzw. Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung infolge geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat eingeleitet.

Am 05.06.2018 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers betreffend das Aberkennungsverfahren vor dem BFA statt, in welcher der Beschwerdeführer insbesondere zur seinerzeitigen Ausreise aus Afghanistan, seinen Verwandtschaftsverhältnissen sowie seinem Leben und seiner Straffälligkeit in Österreich befragt wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 107 b Abs. 1, 107 Abs. 1 StGB (fortgesetzte Gewaltausübung und gefährliche Drohung) wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.08.2018 erkannte das BFA dem Beschwerdeführerden Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Des Weiteren wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 und § 94 Abs. 1 FPG wurde dem Beschwerdeführer der Konventionsreisepass entzogen (Spruchpunkt VIII.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer 03.09.2018 in vollem Umfang fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Im Akt befindet sich ein Abschlussbericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 27.02.2019, aus dem hervorgeht, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht auf Veruntreuung bestehe. Der Beschwerdeführer habe im Zuge einer Anmietung eines Lokals einen Einbaukühlschrank sowie eine Elektroplatte veruntreut und die beiden Geräte schließlich verkauft.

Im Akt befindet sich weiters ein Abtretungs-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 04.06.2019. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass der Beschwerdeführer beschuldigt wurde, im Zeitraum von Jänner 2019 bis Ende April 2019 Suchtmittel in Form von Cannabis besessen und von einer anderen Person erworben zu haben.

Am 02.07.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, dessen Rechtsvertretung, ein Dolmetscher für die Sprachen Dari und Paschtu sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers wurde in der Verhandlung als Zeugin einvernommen.

Mit Erkenntnis vom 25.07.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass diese nicht zuletzt im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer und die in Österreich lebenden Angehörigen – die Ehegattin und vier Kinder sowie zwei Brüder – einen starken Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers darstelle, dieser Eingriff jedoch aufgrund der vom in der Vergangenheit bereits mehrfach verurteilten Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zulässig sei.

Mit Erkenntnis vom 06.10.2020, Zl. Ra 2019/19/0332-8, wies der Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision des Beschwerdeführers gegen diese Entscheidung, insoweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtete, zurück (Spruchpunkt I.) und hob das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf (Spruchpunkt II.).

Zu Spruchpunkt II. führte der Verwaltungsgerichtshof begründend im Wesentlichen aus, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht hinreichend auf die besonders lange und nahezu durchgehend rechtmäßige Aufenthaltsdauer von 25 Jahren Bedacht genommen. Zudem sei das Kindeswohl nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es fehle an ausreichender Auseinandersetzung mit der Frage, ob es der - dann alleinstehenden - Mutter mit vier kleinen Kindern möglich und zumutbar wäre, regelmäßig nach Afghanistan oder ein Nachbarland zu fahren, um den Revisionswerber zu besuchen oder das gemeinsame Familienleben in einem anderen Land als Österreich fortgesetzt werden könnte.

Am 22.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, dessen Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprachen Dari und Paschtu teilnahmen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers wurde in der Verhandlung neuerlich als Zeugin einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der nunmehr volljährige Beschwerdeführer wurde am XXXX in Kabul in Afghanistan geboren, er ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Der Beschwerdeführer ist sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, der Beschwerdeführer spricht außerdem fließend Deutsch.

Der Beschwerdeführer reiste am 04.10.1994 im Alter von 10 Jahren gemeinsam mit seinem Vater und seinen fünf Brüdern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 05.10.1994 brachte der Vater des damals noch minderjährigen Beschwerdeführers als dessen gesetzlicher Vertreter einen Asylantrag ein. Kurz nach der gemeinsamen Einreise verließ der Vater des Beschwerdeführers Österreich wieder, der Beschwerdeführer blieb jedoch mit seinen Brüdern in Österreich zurück.

Mit Bescheid des Magistrats XXXX vom 17.10.1995 wurde dem Beschwerdeführer eine bis zum 30.09.1996 befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt, welche letztmalig von der Bezirkshauptmannschaft XXXX bis zum 24.08.2001 verlängert wurde.

Mit Bescheid des (damaligen) Bundesasylamtes vom 09.06.2000 wurde dem Asylantrag vom 05.10.1994 des seinerzeit minderjährigen, sich ohne seine Eltern in Österreich befindlichen Beschwerdeführers schließlich gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und ihm in Österreich Asyl gewährt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Entscheidung des Bundesasylamtes erwuchs in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer hat von 1995 bis 2000 in Österreich die Schule besucht und 2001 seinen Hauptschulabschluss gemacht. Der Beschwerdeführer hat in Österreich eine Lehre als Koch begonnen, diese jedoch abgebrochen. Er hat in Österreich unter anderem Arbeitserfahrung in einem Casino und als Taxifahrer gesammelt. Er hat jedoch auch immer wieder Notstandshilfe/Überbrückungshilfe und Arbeitslosengeld bezogen. Von 2014 bis Ende November 2018 betrieb er gemeinsam mit seiner Frau eine Pizzeria. Nach längerem Arbeitslosengeldbezug und Schulungsmaßnahmen, im Zuge derer der Beschwerdeführer eine Ausbildung zum Schweißtechniker gemacht hat, war der Beschwerdeführer ab September 2019 bis Ende Dezember 2020 als Schweißer beschäftigt, wo er nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit wieder seit 14.04.2021 arbeitet und dafür einen monatlichen Nettolohn von über 1600 Euro bezieht.

Der Beschwerdeführer fühlt sich – trotz seines langen Aufenthaltes in Österreich – nach wie vor mit den traditionellen afghanischen Werten verbunden:

Er hat im Jahr 2010 nach muslimischem Recht eine afghanische Staatsangehörige geheiratet, es handelt sich dabei um eine arrangierte, jedoch keine Zwangsehe. Der Beschwerdeführer reiste zur Eheschließung nach Pakistan, die Ehefrau befand sich in Afghanistan und heiratete den Beschwerdeführer in dessen Abwesenheit, ohne ihn jemals persönlich gesehen zu haben. Ihr waren zum Zeitpunkt der Eheschließung nur ein Foto und der Umstand bekannt, dass er sich in Österreich aufhielt. Über die strafrechtlichen Vorkommnisse des Beschwerdeführers wusste sie zum Zeitpunkt der Eheschließung ebenfalls nicht Bescheid. Die Ehefrau des Beschwerdeführers reiste schließlich 2011 legal nach Österreich ein, vor diesem Zeitpunkt gab es kein Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und ihr. Sie und der Beschwerdeführer haben vier gemeinsame Kinder, welche alle in Österreich geboren wurden. Ihr erster Sohn wurde am 22.01.2013, die erste Tochter am 23.06.2014, eine weitere Tochter am 08.05.2017 und ein weiterer Sohn am 19.04.2018 geboren.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers und die vier gemeinsamen Kinder besitzen alle die afghanische Staatsbürgerschaft und haben in Österreich einen eigenen, befristeten Aufenthaltstitel (Rot-Weiß-Rot - Karte plus). Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist eine selbstständige und unabhängige Frau. Sie hat bereits in Afghanistan gearbeitet und war in Österreich Geschäftsführerin einer Pizzeria, welche sie gemeinsam mit dem Beschwerdeführer betrieb. Außerdem ist sie die Berechtigte an der Wohnung, in der die Familie in Österreich lebt.

Neben seiner Kernfamilie halten sich noch zwei Brüder des Beschwerdeführers in Österreich auf. Drei Brüder des Beschwerdeführers leben in Deutschland, seine Schwestern leben in Europa verteilt. In Afghanistan halten sich noch die Schwiegereltern sowie ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers auf. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Schwiegereltern in Afghanistan in Kontakt, es besteht ein gutes familiäres Verhältnis zu diesen. Die Eltern des Beschwerdeführers sind beide in Afghanistan eines natürlichen Todes gestorben.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich nicht unbescholten:

Er wurde zuletzt mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2018 wegen §§ 107 b Abs. 1, 107 Abs. 1 StGB wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. Mit diesem Urteil wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer schuldig ist, im Zeitraum von zumindest 2016 bis 29.04.2018 gegen seine Ehefrau eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt zu haben, indem er sie regelmäßig ein bis zweimal pro Monat an den Unterarmen kräftig zwickte, wodurch sie wiederholt Hämatome erlitt, sowie an den Haaren zog und ihr Ohrfeigen versetzte sowie am 29.04.2018 seine Ehefrau durch die Äußerung, er werde sie schlagen, während er eine Holzstrebe eines Gitterbettes in der Hand hielt, zumindest mit Verletzungen am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Aufgrund des Vorfalles am 29.04.2018 wurde gegen den Beschwerdeführer ein Betretungsverbot ausgesprochen, er befand sich von 29.04.2018 bis 09.05.2018 in Untersuchungshaft. Nach dem Vorfall am 29.04.2018 war die Frau des Beschwerdeführers zwei Wochen lang in einem Frauenhaus, der Beschwerdeführer durfte drei Monate lang nicht zu seiner Familie nach Hause kommen. Die Familie des Beschwerdeführers wurde von Juni 2018 bis März 2019 im Rahmen einer Unterstützung der Erziehung durch eine mobile Familienhilfe betreut.

Bereits zuvor war der Beschwerdeführer mehrmals wegen folgender Delikte strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt worden, wobei diese Verurteilungen zum Entscheidungszeitpunkt jedoch getilgt sind:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 20.07.2006 wurde der damals 22-jährige Beschwerdeführer wegen §§ 125, 91 Abs. 2 1. Fall StGB (Sachbeschädigung und Raufhandel mit tätlicher Beteiligung an einem Angriff) unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Wochenverurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.05.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB (Diebstahl) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je 4 Euro (gesamt somit 200 Euro) bzw. im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 15 StGB (versuchter Diebstahl) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen bedingt und Setzung einer Probezeit von drei Jahren (in weiterer Folge auf fünf Jahre verlängert) verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 208 Abs. 1 StGB (sittliche Gefährdung von Personen unter 16 Jahren) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monate, bedingt auf drei Jahre nachgesehen, unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.11.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB (Diebstahl) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um eine Person, welche im Laufe des Aufenthaltes in Österreich umfassende kriminelle Energie sowohl im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte als auch der Delikte gegen Leib und Leben und der strafbaren Handlungen gegen die Freiheit sowie darüber hinaus im Bereich der strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zeigte.

Seitens der XXXX wurde mit Schreiben vom 24.03.2021 bestätigt, dass seit Abschluss der Betreuung durch die mobile Familienhilfe des Anbieters XXXX im März 2019 keine innerfamiliären Vorfälle betreffend den Beschwerdeführer bekannt wurden, welche einer Betreuung bedurft hätten.

Mit Schreiben vom 24.03.2021 bestätigte die XXXX , dass der Beschwerdeführer von Juli 2018 bis Oktober 2019 regelmäßig am Antigewalttraining der XXXX teilgenommen und dieses auch abgeschlossen hat.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers sowie seiner Ehegattin XXXX im Rahmen der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht am 02.07.2019 und 22.03.2021.

Die Feststellungen zum Geburtsdatum sowie zum Geburtsort des Beschwerdeführers, zu seiner Staatsangehörigkeit, zu seiner Religionszugehörigkeit und zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus dem Verwaltungsakt sowie aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahme betreffend das Aberkennungsverfahren vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer legte bis dato keine identitätsbezeugenden Dokumente seines Herkunftsstaates Afghanistan vor. Der Beschwerdeführer verfügte in Österreich über einen am 22.07.2015 ausgestellten Konventionsreisepass, welcher bis 21.07.2020 gültig war und in Kopie im Akt aufliegt.

Die Feststellung betreffend die Muttersprache des Beschwerdeführers ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 02.07.2019. Der Beschwerdeführer führte aus, dass bei ihm zuhause immer Dari gesprochen worden sei, auch er spreche mit seinen Kindern in Österreich zu Hause in der Sprache Dari, obwohl er fließend Deutsch sprechen kann. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer fließend Deutsch spricht, gründet sich insbesondere auf die Wahrnehmungen der erkennenden Richterin in der Beschwerdeverhandlung vom 02.07.2019. Die Verhandlung konnte überwiegend in deutscher Sprache durchgeführt werden.

Die Feststellungen zur Einreise des damals minderjährigen Beschwerdeführers nach Österreich und zur Asylantragstellung ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Daraus ergeben sich auch die Feststellungen, dass der Vater des Beschwerdeführers Österreich kurz nach der Einreise wieder verlassen hat, in den Herkunftsstaat Afghanistan zurückkehrte und den Beschwerdeführer und dessen Brüder in Österreich zurückließ, sowie die Feststellungen zur Erteilung der befristeten Aufenthaltsbewilligung sowie zur Asylgewährung durch das ehemalige Bundesasylamt.

Die Feststellungen zur Bildung und den Schulungsmaßnahmen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Rahmen der Einvernahme betreffend das Aberkennungsverfahren vor der belangten Behörde und in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus den vorgelegten Zeugnissen. Die Feststellungen zur Berufstätigkeit des Beschwerdeführers beruhen ebenfalls auf seinen Angaben in Zusammenschau mit dem Inhalt des Versicherungsdatenauszugs betreffend den Beschwerdeführer und den vorgelegten Urkunden. Aus dem eingeholten Versicherungsdatenauszug ergibt sich neben den bisherigen Arbeitgebern des Beschwerdeführers insbesondere, dass dieser in regelmäßigen Abständen Notstandshilfe/Überbrückungshilfe und Arbeitslosengeld bezogen hat. Zu seiner derzeitigen Beschäftigung legte der Beschwerdeführer Lohnzettel sowie einen aktuellen Arbeitsvertrag vor.

Dass der Beschwerdeführer im Jahr 2010 nach muslimischem Recht geheiratet hat, ist den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Frau und der im Akt aufliegenden afghanischen Heiratsurkunde zu entnehmen. Der Beschwerdeführer brachte im bisherigen Verfahren konsistent und glaubhaft vor, es handle sich um eine arrangierte, aber keine Zwangsehe, was seine Ehegattin vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte. Der Beschwerdeführer gab an, dass eine seiner Schwestern, welche damals noch in Afghanistan gelebt habe, seine jetzige Frau für ihn in Afghanistan ausgesucht habe. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau gaben an, dass es sich bei ihrer Ehe aber nicht um eine Zwangsehe handle. Die Feststellungen zum Geburtsland und den Geburtsdaten der vier gemeinsamen Kinder des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau ergeben sich aus den am 04.07.2019 vorgelegten Geburtsurkunden der Kinder. Die Feststellungen betreffend die Einreise der Frau des Beschwerdeführers ins Bundesgebiet sowie betreffend die eigenen Aufenthaltstitel der Ehefrau und der vier Kinder ergeben sich aus den eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister. Aus den Auszügen ergibt sich weiters, dass sowohl die Kinder, als auch die Ehefrau des Beschwerdeführers die afghanische Staatsangehörigkeit besitzen. Die Feststellungen zur Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Ehefrau des Beschwerdeführers ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und seiner Frau in beiden mündlichen Beschwerdeverhandlungen. Die Ehefrau brachte am 02.07.2019 glaubhaft vor, dass sie in Afghanistan als Supervisorin im gesundheitlichen Bereich gearbeitet habe, außerdem sagten der Beschwerdeführer und sie übereinstimmend glaubhaft aus, dass die Ehefrau die Geschäftsführerin der von 2014 bis 2018 gemeinsam betriebenen Pizzeria gewesen sei. Aus den glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 02.07.2019 ergibt sich weiters, dass die Genossenschaftswohnung der Familie auf seine Ehefrau läuft.

Aus den glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergeben sich die Feststellungen, dass zwei Brüder des Beschwerdeführers in Österreich und drei seiner Brüder in Deutschland leben. In der mündlichen Verhandlung sagte der Beschwerdeführer glaubhaft aus, dass seine Schwestern in ganz Europa verteilt leben würden. Aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung ergeben sich auch die Feststellungen betreffend die Verwandten des Beschwerdeführers in Afghanistan. Dort halten sich noch seine Schwiegereltern sowie ein Onkel mütterlicherseits auf. Es konnte aufgrund der eigenen Angaben des Beschwerdeführers festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit seinen Schwiegereltern in Afghanistan in Kontakt steht und zu diesen ein gutes familiäres Verhältnis besteht. Die Feststellung, dass die Eltern des Beschwerdeführers in Afghanistan eines natürlichen Todes gestorben sind, ergibt sich aus seinen glaubhaften Angaben im Rahmen der Einvernahme betreffend das Aberkennungsverfahren vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Sämtliche Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen und getilgten Verurteilungen sowie zu den strafrechtlichen Ermittlungen betreffend den Beschwerdeführer ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.

Aus dem beigeschafften Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2018 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bereits vier Monate nach dem Umzug seiner Ehefrau nach Österreich im Jahr 2011 begann, sie im Zuge von Streitigkeiten wiederholt, jedoch nur gelegentlich, am Unterarm zu zwicken. Nach einem Vorfall Ende April 2015, den seine Ehefrau zur Anzeige gebracht hatte, wurde gegen den Beschwerdeführer ein vierzehntägiges Betretungsverbot ausgesprochen. Das Ehepaar versöhnte sich dann wieder, doch konnte der Beschwerdeführer seiner Frau nicht verzeihen, dass sie Anzeige gegen ihn erstattet hatte und er hielt ihr dies in der Folge im Zuge von Streitigkeiten immer wieder vor. Ab dem Jahr 2016 kam es vermehrt - ca. ein- bis zweimal pro Monat - zu derartigen Streitigkeiten, wenn der Beschwerdeführer betrunken war. Im Zuge dieser Streitigkeiten zwickte der Beschwerdeführer seine Gattin, wodurch sie wiederholt Hämatome erlitt, zog sie an den Haaren und versetzte ihr Ohrfeigen. Dem Beschwerdeführer war dabei bewusst, dass er in einer gewissen Regelmäßigkeit, wiederholt und fortgesetzt, über eine längere Zeit hinweg, Gewalt gegen seine Frau ausübte und er hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass seine Frau dadurch in ihrer freien Lebensführung schwerwiegend beeinträchtigt wurde. Der Beschwerdeführer hielt es auch ernstlich für möglich und fand sich damit ab, seine Frau durch die Äußerung, er werde sie schlagen, während er eine Holzstrebe eines Gitterbettes in der Hand hielt, in Furcht und Unruhe zu versetzen. Aufgrund der damaligen über längere Zeit hindurch ausgeübten Gewalt des Beschwerdeführers gegen seine Frau war die Drohung geeignet, um seine Frau in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Aufgrund des Vorfalles am 29.04.2018 wurde gegen den Beschwerdeführer ein Betretungsverbot ausgesprochen. Da sich der Beschwerdeführer nicht an das Betretungsverbot hielt, wurde er vorläufig festgenommen. Schließlich wurde wegen Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr über den Beschwerdeführer die U-Haft verhängt, er wurde in eine näher genannte Justizanstalt eingeliefert. Dies ergibt sich aus einem im Verwaltungsakt aufliegenden Abschluss-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 29.04.2018 (vgl. 757 ff). Aus dem Urteil vom 02.08.2018 ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer ab 29.04.2018 bis 09.05.2018 in Untersuchungshaft befand. Aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und seiner Frau in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ergibt sich die Feststellung, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers nach dem Vorfall am 29.04.2018 zwei Wochen lang in einem Frauenhaus war und der Beschwerdeführer drei Monate lang nicht zu seiner Familie nach Hause kommen durfte. Die Feststellung, dass die Familie des Beschwerdeführers von Juni 2018 bis März 2019 im Rahmen einer Unterstützung der Erziehung durch eine mobile Familienhilfe betreut wurde, ergibt sich aus den diesbezüglich am 04.07.2019 nachgereichten Unterlagen.

Die Feststellung, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine Person mit einer umfassenden kriminellen Energie handelt, ergibt sich zweifelsfrei aus einer Gesamtbetrachtung seines bisher in Österreich gezeigten, oben bereits ausführlich dargestellten Verhaltens und der häufigen strafrechtlichen Vorkommnisse in verschiedensten Deliktsbereichen in geradezu auffälliger Regelmäßigkeit im Zuge seines Aufenthaltes seit dem Eintritt seiner Volljährigkeit, welche im Akt dokumentiert sind.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Angaben zu seinen getilgten Verurteilungen, konnte festgestellt werden, dass beim Beschwerdeführer auch noch zum Entscheidungszeitpunkt nur ein eingeschränktes Unrechtsbewusstsein und geringe Reue bestehen. Er tat seine getilgten Verurteilungen in der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2019 als "Jugend-Blödheiten" und "Diskogeschichten" ab. Im Zuge der Verhandlung am 22.03.2021 gab der Beschwerdeführer nochmals auf seine Straffälligkeit angesprochen immerhin an, er bereue alles Geschehene sehr, relativierte seine eigene Verantwortung doch sogleich mit Hinweis auf sein elternloses Aufwachsen. Als schwierigste Situation seines Lebens beschrieb der Beschwerdeführer nicht etwa die Bewältigung seiner Aggression, sondern das Aberkennungsverfahren.

Auch das Vorbringen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers am 22.03.2021, der Beschwerdeführer habe seine finanziellen Verhältnisse verbessern und alte Schulden und Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der betriebenen Pizzeria weitgehend tilgen können, somit sei der Stress aufgrund der finanziellen Verhältnisse als Grund für die damaligen „Spannungen in der Familie“ weggefallen, ist insofern als starke Relativierung anzusehen, als damit für das gewaltsame Verhalten des Beschwerdeführers die damaligen Umstände verantwortlich gemacht werden. Jedoch ist Gewalt nicht durch eine schwierige Lage bedingt, sondern durch ein Denk- und Verhaltensmuster, in dem eine solche Art des Umgangs mit Stress akzeptabel ist.

Mit der letzten Verurteilung des Beschwerdeführers vom 02.08.2018 wurde der Beschwerdeführer - wie oben bereits ausführlich dargelegt - wegen der fortgesetzten Gewaltausübung und der gefährlichen Drohung gegenüber seiner Ehefrau verurteilt. Im Anschluss besuchte der Beschwerdeführer ein Jahr lang einmal wöchentlich eine Männerberatung, wofür er eine Teilnahmebestätigung einer näher genannten Männerberatung vorlegte. Befragt zu seinen Besuchen bei der Männerberatung gab der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung am 02.07.2019 an, dass er dort gelernt habe, "dass man Frauen ausreden lassen solle". Am 22.03.2021 sagte der Beschwerdeführer aus, er habe die Männerberatung nach dem Besuch von 52 Sitzungen abgeschlossen. Diese sowie ein Aggressionsbewältigungskurs hätten ihm sehr geholfen. Er habe diskutieren gelernt und streite nicht mehr so heftig mit seiner Frau.

Seitens der XXXX wurde mit Schreiben vom 24.03.2021 bestätigt, dass seit Abschluss der Betreuung durch die mobile Familienhilfe des Anbieters XXXX im März 2019 keine innerfamiliären Vorfälle betreffend den Beschwerdeführer bekannt wurden, welche einer Betreuung bedurft hätten.

Mit Schreiben vom 24.03.2021 bestätigte die XXXX , dass der Beschwerdeführer von Juli 2018 bis Oktober 2019 regelmäßig am Antigewalttraining der XXXX teilgenommen und dieses auch abgeschlossen hat.

In den mündlichen Verhandlungen entstand beim erkennenden Gericht der Eindruck, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers von ihm unter Druck gesetzt wurde. So gab sie am 02.07.2019 - trotz der aktenkundigen rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der fortgesetzten Gewaltausübung und der gefährlichen Drohung ihr gegenüber - zunächst in Anwesenheit des Beschwerdeführers an, dass sie vom Beschwerdeführer nicht geschlagen worden sei. Der Beschwerdeführer wurde vom erkennenden Gericht schließlich ersucht, für eine gewisse Zeit den Verhandlungssaal zu verlassen. Daraufhin relativierte die Frau des Beschwerdeführers ihre Angaben und brachte zögerlich vor, dass sie in diesem Jahr noch nicht geschlagen worden sei, sie und der Beschwerdeführer hätten nur mündlich gestritten. Beim erkennenden Gericht entstand der Eindruck, dass sich die Ehefrau des Beschwerdeführers, obwohl dieser nicht mehr im Verhandlungssaal anwesend war, überhaupt nicht traute, offen über ihre Ehe und die Gewaltausübung durch den Beschwerdeführer zu sprechen. Es entstand vielmehr der Eindruck, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers große Angst vor diesem hat. Dieser Eindruck wird durch das Gerichtsurteil vom 02.08.2018 bestätigt. Daraus ergibt sich, dass nach einem Vorfall Ende April 2015, den die Ehefrau des Beschwerdeführers zur Anzeige gebracht hatte, gegen den Beschwerdeführer ein vierzehntägiges Betretungsverbot ausgesprochen wurde. Das Ehepaar versöhnte sich dann wieder, doch konnte der Beschwerdeführer seiner Frau nicht verzeihen, dass sie Anzeige gegen ihn erstattet hatte und hielt ihr dies in der Folge im Zuge von Streitigkeiten immer wieder vor.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22.03.2021 wurde eine Besserung der Lage vorgebracht. Der Beschwerdeführer gab an, er habe die Männerberatung nach dem Besuch von 52 Sitzungen abgeschlossen. Der Aggressionsbewältigungskurs, wofür er nach der Verhandlung eine Bestätigung vorlegte, habe ihm sehr geholfen. Er habe diskutieren gelernt und streite nicht mehr so heftig mit seiner Frau. Er beschrieb sich in dieser Verhandlung als um die Versorgung und Betreuung seiner Kinder bemühter Vater. Die Ehegattin des Beschwerdeführers bestätigte dessen Angaben und sagte aus, dieser habe ein gutes Verhältnis zu seinen Kindern. Er habe die Kinder nie geschlagen; es gebe hin und wieder Streit, aber keine körperlichen Übergriffe mehr gegen sie. Sie vertraue ihrem Ehegatten und halte zukünftige Übergriffe des Beschwerdeführers auf die Kinder, insbesondere die Töchter, für ausgeschlossen. Dazu meinte sie, „so etwas mache kein Vater“.

Trotz der beiderseitigen dahingehenden Beteuerungen des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin bestehen erhebliche Zweifel an der nachhaltigen Besserung des Beschwerdeführers, nicht zuletzt aufgrund seiner latent aggressiven Haltung auch am 22.03.2021. Der Eindruck, dass die Ehegattin vom Beschwerdeführer unter Druck gesetzt wird, bestand auch in der zweiten mündlichen Verhandlung.

Auf das erkennende Gericht machte der Beschwerdeführer durch sein im Zuge der Verhandlungen an den Tag gelegtes Verhalten einen zwar gebesserten, jedoch nach wie durchaus bedrohlichen Eindruck. Beim Beschwerdeführer handelt es sich nach der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes um einen Mann, von welchem nach wie vor eine gewisse Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit, vor allem im Hinblick auf Delikte gegenüber Frauen und insbesondere gegenüber seiner eigenen Ehefrau bzw den heranwachsenden Töchtern ausgeht – und zwar trotz allseitiger Beteuerung der mittlerweile eingetretenen Besserung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Infolge der Zurückweisung der außerordentlichen Revision des Beschwerdeführers hinsichtlich der Abweisung seiner Beschwerde gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 06.10.2020, Zl. Ra 2019/19/0332-8, umfasst der Beschwerdegegenstand nur noch die übrigen Spruchpunkte III. bis VIII. des angefochtenen Bescheids.

Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt.

Gemäß § 57 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

„1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.“

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer ein Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Die nicht erfolgte Erteilung dieses Aufenthaltstitels durch die belangte Behörde war sohin nicht zu beanstanden und die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids abzuweisen.

Zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß § 52 Abs. 9 AsylG 2005 hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - folgende Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423):

- die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

- das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

- der Grad der Integration,

- die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

- die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

- die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

- die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 12, mwN). Jedoch können auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt und einer gewissen Integration Umstände – insbesondere strafrechtliche Verurteilungen – vorliegen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren, sodass ein Überwiegen des persönlichen Interesses nicht zwingend anzunehmen sind (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 sowie VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0113). Auch bereits getilgte Straftaten dürfen bei der Abwägung gem. Art. 8 EMRK berücksichtigt werden, insbesondere beim Hinzukommen weiterer Straftaten nach der Tilgung (vgl. VwGH 22.2.2011, 2010/18/0073; 18.12.1998, 97/19/0858).

Strafbares Verhalten, das sich gegen Familienmitglieder richtet, relativiert den Eingriff in das Familienleben mit diesen (VwGH 6.7.2010, 2010/22/0096).

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch kann in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua v. Norwegen, Appl. 265/07).

Was einen allfälligen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, ist Folgendes festzuhalten:

Im vorliegenden Fall ist - nicht zuletzt wegen der sehr langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers von rund 27 Jahren und dem Vorhandensein von vier Kindern (3, 4, 6 und 8 Jahre alt), der Ehepartnerin und von zwei Brüdern - von einem bestehenden Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen. Die Rückkehrentscheidung würde somit einen starken Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers darstellen.

Die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung fällt – unter Beachtung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes in dessen Erkenntnis vom 06.10.2020, Zl. Ra 2019/19/0332-8 zum vorliegenden Beschwerdefall – zugunsten des Beschwerdeführers aus und stellt aus folgenden Erwägungen einen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar:

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich mit seinen vier Kindern und seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt. Er hat im Jänner 2010 nach muslimischem Recht seine Ehefrau geheiratet, es handelt sich dabei um eine arrangierte, jedoch keine Zwangsehe. Die Ehefrau des Beschwerdeführers reiste 2011 in der Folge legal nach Österreich ein. Vor dem Zeitpunkt der Einreise bestand keinerlei Familienleben zwischen den beiden. Die Ehefrau kannte den Beschwerdeführer nur von einem Foto. Sie wusste von ihm nur, dass er in Österreich lebt. Seine zum damaligen Zeitpunkt bereits bestandenen Vorstrafen waren ihr ebenfalls nicht bekannt.

Neben seiner Kernfamilie leben noch zwei Brüder des Beschwerdeführers in Österreich, wobei nicht festgestellt werden konnte, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Brüdern eine außergewöhnlich enge Bindung besteht. Der Beschwerdeführer lebt nicht mit seinen Brüdern zusammen, es liegt somit kein gemeinsamer Haushalt vor. Außerdem ist der Beschwerdeführer finanziell nicht von seinen Brüdern abhängig.

Zwischen dem Zeitpunkt der Eheschließung und der Einreise der Ehefrau wurde der Beschwerdeführer wegen eines Vorfalles in einem Freibad im Juli 2010 - er hatte in einem Freibad zwei minderjährige Schülerinnen (14 und 15 Jahre alt) unsittlich angesprochen, diese hinter ein Gebüsch geführt, und dort unsittliche und geschlechtliche Handlungen gegen deren Willen vorgenommen - in Österreich zur Anzeige gebracht und in der Folge im März 2011 für diese Tat wegen sittlicher Gefährdung von Personen unter 16 Jahren auch strafgerichtlich verurteilt. Diese Vorstrafe ist zum Entscheidungszeitpunkt getilgt. Dieser Ablauf zeigt aber deutlich auf, in welcher Form der Beschwerdeführer sich trotz erfolgter Eheschließung in Österreich verhielt. Der Ehefrau war eine Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Sexualdeliktes auch noch im Zuge der Verhandlung im Juli 2019 nicht bekannt gewesen.

Aus dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2018 ergibt sich zudem, dass der Beschwerdeführer bereits vier Monate nach dem Umzug seiner Ehefrau nach Österreich im Jahr 2011 bereits begann, sie im Zuge von Streitigkeiten wiederholt zu misshandeln. Nach einem Vorfall Ende April 2015, den seine Ehefrau zur Anzeige gebracht hatte, wurde gegen den Beschwerdeführer ein vierzehntägiges Betretungsverbot ausgesprochen. Das Ehepaar versöhnte sich dann wieder, doch konnte der Beschwerdeführer seiner Frau nicht verzeihen, dass sie Anzeige gegen ihn erstattet hatte und er hielt ihr dies in der Folge im Zuge von Streitigkeiten immer wieder vor. Ab dem Jahr 2016 kam es vermehrt - ca. ein- bis zweimal pro Monat - zu derartigen Streitigkeiten, wenn der Beschwerdeführer betrunken war. Im Zuge dieser Streitigkeiten zwickte der Beschwerdeführer seine Gattin, wodurch sie wiederholt Hämatome erlitt, zog sie an den Haaren und versetzte ihr Ohrfeigen. Dem Beschwerdeführer war dabei bewusst, dass er in einer gewissen Regelmäßigkeit, wiederholt und fortgesetzt, über eine längere Zeit hinweg, Gewalt gegen seine Frau ausübte und er hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass seine Frau dadurch in ihrer freien Lebensführung schwerwiegend beeinträchtigt wurde. Der Beschwerdeführer hielt es auch ernstlich für möglich und fand sich damit ab, seine Frau durch die Äußerung, er werde sie schlagen, während er eine Holzstrebe eines Gitterbettes in der Hand hielt, in Furcht und Unruhe zu versetzen. Aufgrund der damaligen über längere Zeit hindurch ausgeübten Gewalt des Beschwerdeführers gegen seine Frau war die Drohung geeignet, um seine Frau in Furcht und Unruhe zu versetzen. Aus dem im Akt aufliegenden Polizeibericht betreffend den Vorfall vom 29.04.2018 (vgl. AS 757 ff), wegen dem es zur Verurteilung vom 02.08.2018 kam, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer während des Streites mit seiner Ehefrau ein Gitterbett zerschlug, obwohl sich die kleine Tochter des Ehepaares darin befand. Nach dem Vorfall am 29.04.2018 war die Frau des Beschwerdeführers zwei Wochen lang in einem Frauenhaus, der Beschwerdeführer durfte drei Monate lang nicht zu seiner Familie nach Hause kommen. Die Familie des Beschwerdeführers wurde von Juni 2018 bis März 2019 im Rahmen einer Unterstützung der Erziehung durch eine mobile Familienhilfe betreut, mittlerweile besteht nach der vorliegenden Bestätigung jedoch kein Betreuungsbedarf mehr. Der Beschwerdeführer hat auch seine Gewaltprävention bereits abgeschlossen. Es besteht nach wie vor ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Kindern. Die Ehefrau gab in der Verhandlung im März 2021 an, dass vom Beschwerdeführer keine Gefahr mehr für sie selbst und für ihre Kinder ausgeht.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist grundsätzlich eine selbstständige und unabhängige Frau. Sie hat bereits in Afghanistan gearbeitet und war in Österreich Geschäftsführerin einer Pizzeria, welche sie gemeinsam mit dem Beschwerdeführer betrieb. Außerdem ist die Ehefrau die Vertragspartnerin der Wohnbaugenossenschaft betreffend die häusliche Wohnung. Die Frau und die Kinder des Beschwerdeführers sind daher nicht von diesem abhängig, noch steht der Beschwerdeführer zu seiner Familie in einem Abhängigkeitsverhältnis. Die Frau und die Kinder verfügen über eigene Aufenthaltsberechtigungen in Österreich. Die Ehefrau bemüht sich zudem nach ihren eigenen Angaben in der Verhandlung bereits um einen unbefristeten Aufenthaltstitel für sich und die Kinder in Österreich.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers und die vier gemeinsamen Kinder besitzen alle die afghanische Staatsbürgerschaft und haben in Österreich einen eigenen befristeten Aufenthaltstitel (Rot-Weiß-Rot - Karte plus). Es steht ihnen daher grundsätzlich frei, den Beschwerdeführer in Afghanistan - zumindest gelegentlich - zu besuchen, jedoch unterliegt diese Möglichkeit insbesondere im Hinblick auf die gegenwärtigen Reisebeschränkungen sowie das Alter und die Anzahl der Kinder erheblichen Einschränkungen. Ein stabiler und den Bedürfnissen der Kinder nach persönlichem Kontakt mit dem Vater Rechnung tragender Kontakt ist im Hinblick auf das Alter insbesondere der jüngeren beiden Kinder über elektronische Medien (z.B. Skype), Briefe und Telefon im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht möglich (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0128 sowie 06.10.2020, Ra 2019/19/0332-8).

Eine Rückkehrentscheidung scheint sohin bereits mit dem Wohl der Kinder des Beschwerdeführers im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vereinbar. Zusätzlich zu seinem Familienleben verfügt der Beschwerdeführer auch über ein erhebliches privates Interesse am Verbleib in Österreich.

Der Beschwerdeführer war bisher infolge seines Status als Asylberechtigter legal in Österreich aufhältig; er hält sich (ausgenommen von diversen Urlauben) durchgehend seit 1994, sohin rund 27 Jahre, in Österreich auf, weswegen er über ein Privatleben in Österreich iSd Art. 8 EMRK verfügt.

Der Beschwerdeführer hat 2001 in Österreich seinen Hauptschulabschluss gemacht. Danach hat er eine Lehre als Koch begonnen, er hat diese jedoch abgebrochen. Er in Österreich unter anderem Arbeitserfahrung in einem Casino und als Taxifahrer (der Taxischein wurde ihm entzogen) gesammelt. Von 2014 bis Ende November 2018 betrieb er gemeinsam mit seiner Frau eine Pizzeria. Nach längerem Arbeitslosengeldbezug und Schulungsmaßnahmen, war der Beschwerdeführer ab September 2019 bis Ende Dezember 2020 als Schweißer beschäftigt, wo er nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit wieder seit 14.04.202

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten