TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/5 W117 2229825-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.02.2021
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Entscheidungsdatum

05.02.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W117 2229825-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. DRUCKENTHANER als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl: 740007310/200956363 zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung von Herrn XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, in Schubhaft zu Recht:

A) Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Am 05.10.2020, um 15:09 Uhr wurde der BF festgenommen und in das PAZ Hernalser Gürtel eingeliefert. Am 05.10.2020, um 20:00 Uhr wurde der BF niederschriftlich einvernommen.

Am 05.10.2020, um 21:30 Uhr wurde dem BF der Schubhaftbescheid zur im Spruch angeführten Zahl persönlich zugestellt.

Am 02.11.2020 wurde gem. § 80 Abs. 6 FPG die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft von Amtswegen geprüft, ebenso am 30.11.2020 und am 28.12.2020 sowie am 25.01.2020 wurde gem. § 80 Abs. 6 FPG und diese als weiterhin vorliegend beurteilt.

Das BFA legte am 29.01.2021 die Akten zwecks Ansuchen um Genehmigung der Verlängerung der Schubhaft vor und führte in diesem Kontext im Rahmen der Stellungnahme vom selben Tag entscheidungsrelevant aus, dass

?        „der BF am 01.12.2020 hat den PCR-Test verweigert und er für den Charter am 03.12.2020 von den russischen Behörden nicht übernommen bzw. für diesen Charter keiner Rückübernahme zugestimmt wurde;

?        der Sicherungsbedarf noch immer gegeben ist, da dem BF aufgrund mehrerer rechtskräftiger Verurteilungen der Status des Asylberechtigten aberkannt wurde. Er daraufhin mehrmals einen Asylantrag stellte und alle rechtskräftig zurückgewiesen wurden. Beim letzten Folgeantrag wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vom BVwG für rechtmäßig erklärt.

Zur Abschiebesituation teilte das Bundesamt mit, dass

?        „bereits der Ausstellung eines HRZ zugestimmt wurde, jedoch beim letzten Charter von den russischen Behörden einer Rückübernahme nicht zugestimmt wurde, wobei dies nicht für einen weiteren Charter gilt;

?        am 04.03.2021 ein Charter nach Russland geplant ist und er nach Ausstellung eines HRZ, wobei die Ausstellung mit der russischen Botschaft noch abgeklärt werden muss, mit den Charter abgeschoben werden wird.“

Diese Stellunhnahme wurde am 01.02.2021 dem BF gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG mit der unpräjudiziellen Ansicht des Bundesverwaltungsgericht, wonach zwischenzeitlich keine entscheidungsrelevanten Änderungen eingetreten seien, zur Kenntnis gebracht und ihm dazu Parteiengehör eingeräumt. Als Frist für eine Stellungnahme wurde ihm dazu der 02.02.2021, gesetzt. In weiterer Folge langte keine Stellungnahme des BF ein.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Der Beschwerdeführer (BF) reiste am 02.01.2004 illegal ins Bundesgebiet ein. Er stellte am gleichen Tag einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylamtes Außenstelle Salzburg vom 12.05.2004 wurde gem. § 7 iVm 12 AsylG festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der BF wurde am 28.11.2005 vom LG Leoben zur GZ: 13 HV 115/2005P wegen §§ 127, 130 1. SATZ 1. FALL StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten, unter einer Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Weiters wurde der BF am 27.12.2005 vom Bezirksgericht Mürzzuschlag zur GZ: 2 U 60/2005M wegen §§ 133 Abs. 1, 229Abs. 1 StGB, 27 Abs. 1 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Der BF wurde am 09.10.2007 vom Bezirksgericht Amstetten zur GZ: 32 U 84/2007Y wegen § 127 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 1 Monat rechtskräftig verurteilt.

Weiters wurde der BF vom Bezirksgericht Amstetten zur GZ: 32 U 55/2009M am 14.11.2009 wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten, unter einer Probezeit von 3 Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Am 11.05.2012 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien zur GZ: 072 HV 12/2012d wegen §§ 27 Abs. 1 Z. 1 1. Fall und 2.Fall, 27 Abs. 2, 27 Abs. 1 Z. 1 8. Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Weiters wurde der BF vom Bezirksgericht Meidling zur GZ: 016 U 206/2012d am 16.02.2013 wegen § 50 Abs. 1 Z. 2 WaffG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten, unter einer Probezeit von 3 Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Am 13.08.2013 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien zur GZ: 064 HV 40/2013i wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG § 15 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Dem BF wurde mit 16.06.2015 der zuerkannte Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z. 2 AsylG aberkannt. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung mit einem 6-jährigen Einreiseverbot erlassen.

Am 16.03.2017 wurde ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates gestartet.

Am 28.09.2017 wurde das zweite Asylverfahren des BF gem. § 68 AVG in 2. Instanz rechtskräftig zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen.

Gegen BF wurde am 21.02.2018 das gelindere Mittel gem. § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG angeordnet.

Am 17.04.2018 hat der BF einen Antrag gem. § 46a Abs. 1 Z. 1 FPG ha. eingebracht.

Mit 19.07.2018 wurde von der Russischen Botschaft einer HRZ Ausstellung zugestimmt. Mit 14.08.2018 wurde der ha. Behörde mitgeteilt, dass sich der BF mit 09.08.2018 dem gelinderen Mittel entzogen hat.

Am 14.08.2018 wurde ein Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs. 3 Z. 3 BFA-VG ausgeschrieben. Aufgrund dessen, dass sich der BF wieder bei der zust. Polizeiinspektion gemeldet hat, wurde der Festnahmeauftrag mit 20.08.2018 widerrufen.

Am 29.03.2019 wurde das dritte Asylverfahren des BF gem. § 68 AVG rechtskräftig zurückgewiesen.

Erstmalig wurde der BF am 21.08.2019 für den Charter am 25.09.2018 gebucht. Aufgrund des neuerlichen unbekannten Aufenthaltes wurde am 21.09.2018 ein Festnahmeauftrag ausgeschrieben und auch der Charter für ihn storniert.

Der BF hat sich vom 13.10.2018 bis 01.11.2018 in Schubhaft befunden. Er wurde aufgrund von Haftunfähigkeit wegen Hungerstreiks entlassen.

Am 28.08.2019 stellte der BF einen weiteren Folgeantrag. Bei diesem wurde mit 17.10.2019 in 2. Instanz rechtskräftig die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz für rechtmäßig erklärt.

Am 24.09.2019 wurde der BF vom Landesgericht Wr. Neustadt zur GZ: 037 HV 30/2019x wegen §§ 127, 15 StGB, 141 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Der BF wurde am 17.06.2020 festgenommen und ins PAZ Hernalser Gürtel eingeliefert. Am 18.06.2020 wurde das Gelindere Mittel gegen ihn angeordnet. Der BF wurde am 10.07.2020 in die Justizanstalt Wien Josefstadt in Untersuchungshaft eingeliefert.

Zuletzt wurde der BF am 31.07.2020 vom Landesgericht für Strafsachen Wien zur GZ: 145 HV 29/2020b wegen §§ 27 Abs. 2a SMG, 15 StGB, 27 Abs. 1 Z. 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z. 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Am 05.10.2020, um 15:09 Uhr wurde der BF festgenommen und in das PAZ Hernalser Gürtel eingeliefert. Am 05.10.2020, um 20:00 Uhr wurde der BF niederschriftlich einvernommen.

Am 05.10.2020, um 21:30 Uhr wurde dem BF der Schubhaftbescheid zur im Spruch angeführten Zahl persönlich zugestellt.

Am 02.11.2020 wurde gem. § 80 Abs. 6 FPG die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft von Amtswegen geprüft, ebenso am 30.11.2020 und am 28.12.2020 sowie am 25.01.2020 wurde gem. § 80 Abs. 6 FPG und diese als weiterhin vorliegend beurteilt.

Am 05.11.2020 wurde der BF für den Charter am 03.12.2020 gebucht.

Am 01.12.2020 hat der BF den PCR-Test verweigert und wurde der BF für den Charter am 03.12.2020 von den russischen Behörden nicht übernommen bzw. für diesen Charter keiner Rückübernahme zugestimmt.

Beim letzten Folgeantrag wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vom BVwG für rechtmäßig erklärt.

Es wurde bereits der Ausstellung eines HRZ zugestimmt und ist am 04.03.2021 ein Charter nach Russland geplant, um die Abschiebung durchzuführen.

Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit der letzten Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zu Gunsten des BF hat sich im Verfahren nicht ergeben.

Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des BVwG das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in den Akt des BVwG das Asylverfahren des BF betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

Die Feststellungen zur Person, den negativen Asylverfahren, den zahlreichen Verurteilungen, dem sind unzweifelhaft dokumentiert und bedürfen keiner weiteren Erörterung.

Der Beschwerdeführer hat auch keine Stellungnahme trotz ausdrücklicher Einräumung von Parteiengehör abgegeben.

Unzweifelhaft ist also der Beschwerdeführer der ihn betreffenden Rückkehrentscheidung zuwider illegal in Österreich verblieben und hatte im Verborgenen seinen illegalen Aufenthalt genommen. Dazu kommen die zahlreichen strafbaren Handlungen, die letztlich zu neun Verurteilungen führten – hervorzuheben ist auch die jüngste Verweigerung des Corona-Tests, sodass er seine für den 03.12.2020 vorgesehene Abschiebung vereitelte.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A) Fortsetzungsausspruch

1. Gesetzliche Grundlagen

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lauten (auszugsweise):

Der mit „Begriffsbestimmungen“ betitelte § 2 FPG lautet:

§ 2 (4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

1. Fremder: wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 FPG lautet:

§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Der mit „Gelinderes Mittel“ betitelte § 77 FPG lautet:

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 lautet:

§ 80 (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3.der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4.die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

§ 22a (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.

2. Zur Judikatur

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

Der festgestellte Sachverhalt zeigt, dass der Beschwerdeführer sich durch die zahlreich gestellten Asylanträge, durch die jüngste Verweigerung des Corona-Tests der ihm drohenden Abschiebung jedenfalls zu entziehen versuchte und offensichtlich weiter zu entziehen versuchen wird. Damit ist jedenfalls der Tatbestand des §76 Abs. 3 Z 1 FPG weiterhin erfüllt.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine nennenswerten sozialen Bezugspunkte verfügt und dass er massiv straffällig wurde, bedeutet wiederum das Erfülltsein von §76 Abs. 3 Z 9 FPG.

Es ist daher auch weiterhin Sicherungsbedarf gegeben.

In diesem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen ist, dass der Beschwerdeführer, wie oben ausgeführt, aufgrund seiner massiven Straffälligkeit – zahlreiche Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz, unter anderem gegen § 28a (1) 5. Fall SMG, weiterhin als Gefahr für Österreich anzusehen ist – siehe nachfolgende detaillierte Ausführungen:

Gerade an der Verhinderung von Drogenkriminalität besteht ein besonders hohes öffentliches Interesse. Diesem hat der BF massiv zuwidergehandelt, und ist auf die mit der Suchtgiftkriminalität im Allgemeinen verbundene große Wiederholungsgefahr hinzuweisen, von der auch im vorliegenden Fall angesichts der Mittellosigkeit des BF in Verbindung mit dem in der Vergangenheit gezeigten Verhalten auszugehen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556; 20.12.2012, 2011/23/0554).

Die weitere Anhaltung zur Sicherung der gesetzlich zwingend vorgesehenen Durchsetzung fremdenrechtlicher Normen ist daher gerade unter dem Aspekt des §76 Abs. 2a FPG wegen seiner schon mehrfach angeführten massiven Straffälligkeit geboten und insofern auch unter diesem Aspekt verhältnismäßig.

Zu prüfen ist also, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung kann auf Grund der fehlenden finanziellen Mittel des BF nicht zur Anwendung kommen. Aber auch die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des neuerlichen Untertauchens des BF besteht. Da gegen den BF bereits eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde und die Abschiebung schon einmal durch den Beschwerdeführer verhindert wurde, ist nicht zu erwarten, dass ein gelinderes Mittel für die Sicherung des Verfahrens und in weiterer Folge für die Sicherung seiner Abschiebung ausreichend ist.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung. Der BF hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er die ihn treffenden Verpflichtungen nicht einhält und er zur Finanzierung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes auch vor der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen nicht zurückschreckt. Im Verfahren liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er dieses Verhalten in Zukunft ändern wird.

Die angeordnete Schubhaft erfüllt daher auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, das Asylverfahren und in weiterer Folge die Außerlandesbringung des BF zu sichern.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des BVwG nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt Ultima Ratio Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W117.2229825.2.00

Im RIS seit

04.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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