TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/5 W202 2239949-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2021
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Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs4

Spruch


W202 2239949-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard Schlaffer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2021, Zl. 124740006-200312161, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 46, 52 Abs. 5 und 9, 53 Abs. 3 Z 5 und 55 Abs. 4 FPG i.d.g.F. und §§ 9, 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG i.d.g.F. als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein volljähriger Staatsangehöriger Serbiens, ist als Kleinkind mit seinen Eltern nach Österreich gezogen. Er ist im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung „Daueraufenthalt EU“, die zuletzt mit einer Gültigkeit bis zum 24.06.2020 ausgestellt wurde.

2. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wegen der Vergehen der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 iVm § 15 StGB und wegen des Verbrechens der Vergewaltigung, wobei er das Opfer über einen längeren Zeitraum in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt hat, gemäß § 201 Abs. 1 und 2 dritter und vierter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3. Der BF wurde sodann seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Schreiben vom 04.12.2020 darüber verständigt, dass das BFA beabsichtige, eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Aufenthaltsverbot gegen ihn zu erlassen.

Konkret wurde dem BF Parteiengehör gewährt und aufgefordert, zu den nachstehenden Fragen der Behörde binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen:

1.)      Geben Sie an, wann und wie Sie ins Bundesgebiet eingereist sind. Was war der Zweck Ihrer Einreise nach Österreich? Seit wann halten Sie sich durchgehend in Österreich auf?

2.)      Wie stellt sich Ihre gesundheitliche Situation dar? Wenn Krankheiten bestehen, legen Sie aktuelle Befunde vor!

3.)      Wie lange befinden Sie sich schon im Bundesgebiet und welche Visa und/oder Aufenthaltstitel berechtigen Sie dazu? Seit wann halten Sie sich durchgehend im Bundesgebiet auf?

4.)      Welche Schul- und Berufsausbildung wurde absolviert? Wo wurde diese absolviert?

5.)      Wie ist Ihr Familienstand?

6.)      Haben Sie Familienangehörige im Bundesgebiet? Falls ja, geben Sie Namen, Anschrift, Geburtsdaten, Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsberechtigung der in Österreich lebenden Familienangehörigen an.

7.)      In welchen Vereinen oder Organisationen sind Sie Mitglied?

8.)      Welche Integrationsleistungen können Sie in Vorlage bringen?

9.)      Können Sie Deutsch? Falls nicht, verfügen Sie zumindest über Kenntnisse der deutschen Sprache? Falls ja, konkret welches Niveau? Haben Sie einen Deutschkurs mit Zertifikat abgeschlossen? Falls ja, legen Sie das aktuellste Zertifikat bitte vor!

10.)    Geben Sie Ihre letzte Wohnanschrift in Ihrer Heimat vor Ihrer Einreise in das Bundesgebiet an!

11.)    Geben Sie an, welche Familienangehörige im Heimatland leben und in welcher Form Kontakt mit Ihnen besteht.

12.)    Führen Sie Ihre derzeitige Beschäftigung samt Name und Anschrift des Arbeitgebers an. Wie hoch ist das Einkommen und seit wann besteht das Arbeitsverhältnis? Welche vorangegangenen Arbeitsverhältnisse lagen vor? Bitte genaue Angaben zur Dauer dieser Arbeitsverhältnisse sowie Vorlage von dafür dementsprechend belegbaren Unterlagen.

13.)    Wenn Sie selbständig beruflich tätig sind, legen Sie bitte Nachweise (Steuerbescheide von Finanzamt u. dgl.) über die tatsächliche Ausübung Ihrer gewerblichen Tätigkeit sowie Höhe Ihres Einkommens vor.

14.)    Wenn keine aufrechten oder durchgehenden Beschäftigungsverhältnisse vorliegen: wovon wurde bzw. wird der Unterhalt und der sonstige Lebenswandel bestritten? Welche Existenzmittel stehen Ihnen zur Verfügung, um sich Ihren Aufenthalt im Bundesgebiet zu finanzieren? Legen Sie bitte Nachweise über ausreichende Existenzmittel vor!

15.)    Liegt bei Ihnen nun eine aufrechte umfassende, alle Risiken abdeckende Kranken-und Unfallversicherung vor? Falls ja, legen Sie bitte die dementsprechenden Unterlagen vor.

16.)    Aufgrund welchen Rechtsverhältnisses (Miete, Untermiete, Eigentum, etc.) benutzen Sie Ihre Unterkunft (Vorlage von Mietvertrag, Einzahlungsbestätigung des Mietzinses der letzten drei Monate, etc.)?

17.)    Werden Sie in Ihrem Heimatland strafrechtlich oder politisch verfolgt? Wenn ja, begründen Sie dies ausführlich.

18.)    Warum streben Sie einen Aufenthalt im Bundesgebiet (Aufenthaltszweck) an?

19.)    Absolvieren Sie derzeit ein Studium oder eine Ausbildung? Wenn ja, dann legen Sie Bestätigungen darüber vor!

20.)    Was hindert Sie an einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

4. Mit handschriftlichem, am 17.12.2020 eingelangten Schreiben erklärte der BF, dass er als Säugling mit seinen Eltern 1991 nach Österreich gekommen sei und er sich seitdem durchgehend in Österreich aufhalte. Er sei im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt. Er habe die ganze Schulpflicht (Volksschule, Hauptschule, polytechnischer Lehrgang) in Österreich absolviert, eine Ausbildung als Restaurantfachmann begonnen sowie später abgebrochen und befinde sich momentan in einer Berufsausbildung zum Schlosser. Der BF sei geschieden, in Österreich würden weiterhin seine Mutter, sein Vater und sein Bruder leben. Er sei kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation, sein gesamter Freundeskreis bestehe aber aus Österreichern und er fühle sich selbst als solcher. Er beherrsche Deutsch in Wort und Schrift und sehe es als seine eigentliche Muttersprache. Er befinde sich derzeit in der JA Sonnberg in Hollabrunn, davor habe er verschiedene Berufe (Friedhofsgärtner, Gastronomie, Einzelhandel) ausgeübt. In seinem Heimatland würden noch die Großeltern des BF leben, er habe aber keinen Kontakt zu ihnen. Auch sonst habe er keine Bindungen zu Serbien, er spreche die Sprache nicht gut und habe keinen Wohnsitz in Serbien. Er würde bei einer Abschiebung vor dem Nichts stehen, in Österreich hingegen habe er Freunde und Familie, die ihm nach der Haftentlassung auf dem Weg zurück in ein ordentliches Leben helfen könnten. Der BF habe auch schon Zusagen für die Zeit nach der Haft, er könne bei seinen Eltern einziehen und könne seinen alten Job als Friedhofsgärtner wieder antreten.

5. Am 22.12.2020 übermittelte die rechtsanwaltliche Vertretung des BF eine Stellungnahme zum Verfahren vor dem BFA. Im Wesentlichen wird darin vorgebracht, dass sich der BF sein gesamtes Leben in Österreich aufgehalten habe und er über keine Bindungen bzw. Kontakte zu Serbien verfüge. Dies gehe auch aus seinem Reisepass hervor, worin sich keine Stempel hinsichtlich Grenzübertritte befinden würden. Der BF könne einen Schulabschluss, perfekte Deutschkenntnisse und einen großen österreichischen Freundeskreis vorweisen, er sei sozial in Österreich sehr gut integriert und sei selbsterhaltungsfähig gewesen. Dem BF sei deshalb eine positive Zukunftsprognose für die Zeit nach Verbüßung der Haftstrafe auszustellen, er werde aufgrund seiner guten Integration keine Probleme haben, eine Arbeit zu finden und seine Existenz weiterhin eigenständig zu finanzieren.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.01.2021 hat das BFA gegen den BF gemäß § 52 Abs. 4 FPG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt II.), gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.), und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Das BFA traf im Rahmen der Entscheidungsbegründung Feststellungen zur Rückkehrsituation von serbischen Staatsangehörigen in ihren Herkunftsstaat, stellte die Identität sowie die Staatsangehörigkeit des BF fest und beleuchtete das strafgerichtliche Urteil gegen den BF vom 13.05.2020 samt den diesem zugrundeliegenden Sachverhalten sowie Milderungs- und Erschwerungsgründen.

Zum Aufenthalt des BF in Österreich sowie zu seinem Privat- und Familienleben erwog das BFA, dass seine familiären Wurzeln in Serbien liegen würden und er seit 1993 durchgehend in Österreich gemeldet sei. Er verfüge wie seine Eltern und sein Bruder, die auch in Wien leben würden, über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“. Der BF habe diverse unselbständige Erwerbstätigkeiten ausgeführt, er habe aber auch immer wieder Sozialleistungen der Republik Österreich bezogen. Der BF sei geschieden. Das BFA erkenne zu einem gewissen Grad eine soziale Integration des BF in Österreich.

Zur Begründung der Rückkehrentscheidung wurde seitens des BFA ausgeführt, dass der BF von einem inländischen Gericht rechtskräftig verurteilt worden sei und deswegen der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG entgegen stehe. Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet widerstreite öffentlichen Interessen. Daher sei gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Zur Interessensabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK führte das BFA aus, dass der BF rechtmäßig im Bundesgebiet sei und einen Daueraufenthaltstitel besitze. In Österreich würden seine Eltern und sein Bruder leben, auch sie seien im Besitz eines Daueraufenthaltstitels. Der BF habe sich zwar ein gewisses Privatleben in Österreich aufgebaut, dessen Schutzwürdigkeit werde jedoch wesentlich durch die Schwere seiner begangenen Straftat relativiert. Es könne beim BF auch keine nennenswerte Integration festgestellt werden, er habe lediglich die Pflichtschule besucht und keine Berufsausbildung abgeschlossen. Er sei immer wieder Erwerbstätigkeiten nachgegangen, habe aber auch öfters Sozialleistungen bezogen. Die begangene Straftat zeige, dass er die österreichischen Wertvorstellungen und die Rechtsordnung nicht verinnerlicht habe. Der BF sei in Österreich aufgewachsen, es würden aber Bindungen zu Serbien bestehen. Er spreche die Landessprache und habe Großeltern in Serbien. Auch wenn er keinen Kontakt zu ihnen habe, könne davon ausgegangen werden, dass sie ihn bei einer Rückkehr unterstützen werden. Die öffentlichen Interessen an der Hintanhaltung von gegen die freie Willensbildung bzw. gegen die sexuelle Integrität gerichtete Kriminalität würden angesichts der sich objektiv aus dem Strafmaß ergebenden Schwere und des individuell besonders verwerflichen Charakters der Straftat gegenüber den privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich klar überwiegen. Soweit ein Privat- oder Familienleben in Österreich bestehe, könne darauf verwiesen werden, dass die Angehörigen mit dem BF in Serbien jederzeit Kontakt haben könnten und ihnen auch Besuche freistehen würden. Der über zehnjährige Aufenthalt des BF führe im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen, da sich die vom BF begangene Straftat als besonders schwer dargestellt habe, sodass den öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens und der öffentlichen Ordnung bzw. Sicherheit mehr Gewicht einzuräumen sei.

Eine Abschiebung des BF nach Serbien sei zulässig, da sich weder aus den Feststellungen zur Lage im Zielstaat noch aus seinem Vorbringen eine Gefährdung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG ergebe.

Zur Begründung des Einreiseverbotes wurde erwogen, dass der BF von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren rechtskräftig verurteilt worden sei. Unter Darlegung des im Zuge des Strafverfahrens festgestellten Sachverhalts führte das BFA aus, dass das diesbezügliche Motiv des BF als besonders verwerflich anzusehen sei, da er in die sexuelle Integrität und die persönliche Freiheit des Opfers eingegriffen habe, weshalb von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit auszugehen sei. Das BFA gehe davon aus, dass der BF nicht nur gegenwärtig, sondern auch zukünftig eine massive Bedrohung für die öffentliche Ordnung sein werde und deshalb mit einem Einreiseverbot von zehn Jahren vorgegangen werden müsse, sodass in dieser Zeitspanne beim BF ein Gesinnungswandel und eine finanzielle Stabilisierung eintreten könne.

Letztlich wurde ausgeführt, dass die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde abzuerkennen gewesen sei, da der BF ein besonders verwerfliches Verbrechen begangen habe, das beim Opfer erhebliche psychische Belastungen und Spätfolgen hervorrufe, und beim BF eine hohe Wiederholungsgefahr bestehe und somit der Verbleib des BF in Österreich eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedeutete, was seine sofortige Ausreise erforderlich mache. Aufgrund der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde habe das BFA schließlich keine Frist für eine freiwillige Ausweise gewähren können.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch die Vertretung des BF am 24.02.2021 eingebrachte vollumfängliche Beschwerde, zu deren Begründung im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass ein erheblicher Verfahrensmangel vorliege, da die belangte Behörde den BF trotz Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme nicht persönlich einvernommen habe. Auch durch mangelnde Feststellungen zur Rückkehrsituation des BF und durch mehrere - in der Beschwerde näher angeführte - Fehler im Bescheid ergebe sich der Anschein, dass sich das BFA nicht ausreichend mit dem Sachverhalt beschäftigt habe. Der angefochtene Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig, da keine Interessensabwägung durch die belangte Behörde stattgefunden habe. Es seien lediglich die für den BF negativen Umstände herangezogen worden, obwohl der BF in Österreich ein schützenswertes Privat- und Familienleben habe. Es sei dem BF auch eine positive Zukunftsprognose auszustellen, da der BF sich in Therapie befinde, er in Österreich ein stabiles Umfeld habe, sich während der Haft um einen Lehrabschluss bemühe und alle weiteren Angebote zur Resozialisierung nutze. Nach der Haft könne er bei seinen Eltern einziehen und seinen alten Job wiederaufnehmen. Bei der Erlassung eines Einreiseverbotes wäre das Privat- und Familienleben des BF zu berücksichtigen und eine Prognoseentscheidung zu erstellen gewesen, vom BF gehe jedenfalls keine ein Einreiseverbot rechtfertigende Gefahr aus. Der Beschwerde sei daher die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuzuerkennen. Der BF beantrage zudem die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF, ein Staatsangehöriger Serbiens, kam im kleinkindlichen Alter mit seinen Eltern nach Österreich und hielt sich seither aufgrund ihm erteilter Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Schließlich war er Inhaber des unbefristeten Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“, welcher zuletzt mit einer Gültigkeit bis zum 24.06.2020 ausgestellt wurde.

Der BF befand sich seit 27.03.2020 in U-Haft und ist seit 13.05.2020 in Strafhaft in der JA Sonnberg, das errechnete Strafende ist der 27.09.2026.

1.2. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wegen der Vergehen der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 iVm § 15 StGB und wegen des Verbrechens der Vergewaltigung, wobei er das Opfer über einen längeren Zeitraum in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt hat, gemäß § 201 Abs. 1 und 2 dritter und vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Dem Strafurteil lag zugrunde, dass der BF

I.       seine damalige Ehefrau mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu Handlungen genötigt bzw. zu nötigen versucht hat, und zwar

1.       am 26.03.2020 zur Bekanntgabe, wohin sie gehe, indem er äußerte, er wolle wissen, wohin sie gehe, da er ihr sonst „eine runterhaue und sie in weiterer Folge an den Schultern packte, ins Schlafzimmer stieß und zu einer Ohrfeige ausholte, wobei es beim Versuch blieb;

2.       in der Nacht von 26. auf 27.03.2020 zum Rauchen einer Zigarette, indem er ihr ein Messer vorhielt, wobei sie Nichtraucherin ist;

II.      in der Nacht von 26. auf 27.03.2020 mit Gewalt und durch gegen sie gerichtete Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Vornahme bzw. Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender Handlung genötigt hat, indem er ihr ständig ein Küchenmesser vorhielt bzw. damit über ihren Körper und ihre Vagina streifte, und ihr zu verstehen gab, dass er sie „abstechen“ werde, sollte sie um Hilfe rufen, sie ohrfeigte, am Hals packte, sie mit dem Penis vaginal penetrierte, sie zur wiederholten Durchführung von Oralverkehr an ihm aufforderte bzw. ihr den Penis in den Mund einführte, sie aufforderte, sich einen ca. 30 cm langen und dicken Vibrator wiederholt so weit in den Mund und Hals einzuführen, dass sie sich übergeben musste, sie weiters dazu aufforderte, sich den Duschschlauch anal einzuführen und das Wasser aufzudrehen bzw. seinen Anus zu lecken und sich in die Badewanne zu knien, wo er auf sie urinierte und sie zwang, seinen Urin zu schlucken, wodurch die vergewaltigte Person längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt bzw. in besonderer Weise erniedrigt wurde.

Als mildernd wurde der bisher ordentliche Lebenswandel, das umfassende bzw. reumütige Geständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, gewertet, während als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen, die doppelte Qualifikation der Vergewaltigung, die mehrfachen Tathandlungen im Rahmen der Vergewaltigung, die Begehung gegen eine Angehörige, die Verwendung einer Waffe und die Verletzung des Opfers im Analbereich ins Kalkül gezogen wurde.

1.3. Im Bundesgebiet leben die Eltern sowie der Bruder des BF, mit denen er jedoch vor Haftantritt nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Der BF selbst ist geschieden und hat keine Sorgepflichten. Zu den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen besteht kein spezielles, über die üblichen Bindungen unter erwachsenen Familienmitgliedern hinausgehendes, Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis.

Der BF hat die Pflichtschule in Österreich abgeschlossen und ist diversen Beschäftigungen nachgegangen. Zum Zeitpunkt des Haftantritts befand er sich in einer Lehrausbildung zum Schlosser. Eine Berufsausbildung hat der BF nicht abgeschlossen.

Die Großeltern des BF leben in Serbien. Der BF kann sich in der serbischen Sprache verständigen.

1.4. Der BF hat nicht vorgebracht, dass ihm in Serbien eine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit droht. Der BF leidet an keinen Erkrankungen und steht nicht in ärztlicher oder medikamentöser Behandlung. Aufgrund seines Alters und Gesundheitszustandes ist er zu einer eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts im Zielstaat in der Lage.

1.5. Zur Lage in Serbien:

24. Rückkehr

Serbische Staatsangehörige, die zurückgeführt wurden, können nach ihrer Ankunft unbehelligt in ihre Heimatstädte fahren. Eine Befragung durch die Polizei u.ä. findet nicht statt, sofern nicht in Serbien aus anderen Gründen Strafverfahren anhängig sind. Sanktionen wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland gibt es bisher weder de iure noch de facto. Besondere staatliche Auffang- bzw. Aufnahmeorganisationen für zurückkehrende Bedürftige gibt es nicht; grundsätzlich sind die Sozialämter in den einzelnen Städten und Gemeinden mit der Wahrnehmung solcher Aufgaben betraut. Im Bedarfsfall kann bei rechtzeitiger Ankündigung (auf Zeit oder auf Dauer) eine Unterbringung in staatlichen Waisenhäusern erfolgen. Faktisch setzt die Regierung (inoffiziell) auf die im Allgemeinen funktionierenden verwandtschaftlichen Beziehungen der Betroffenen im Gastland. In Erfüllung der im Rahmen des im Jahr 2008 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens mit der EU übernommenen Verpflichtungen verabschiedete die serbische Regierung im Februar 2009 die „Strategie zur Reintegration von Rückkehrern im Rahmen eines Rückführungsabkommens“. Als erste Anlaufstelle für Rückkehrer dient ein Wiederaufnahmezentrum für Rückgeführte am Flughafen Belgrad, das eine Informationsbroschüre auf Deutsch, Serbisch und Romanes bereithält, die u.a. Fragen zur Registrierung und den dafür erforderlichen Unterlagen sowie Kontakttelefonnummern enthält (AA 19.11.2017).

Durch das StarthilfePlus - Level D Programm, bietet IOM Serbien konkrete Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrenden an. Außerdem stellt das DIMAK Beratungszentrum (Deutsches Informationszentrum für Migration, Ausbildung und Karriere in Serbien) durch sein “Build Your Future”-Programm immaterielle Unterstützung bei der Reintegration zur Verfügung. Das Programm klärt darüber auf, welche Möglichkeiten es für die Betroffenen in Serbien gibt (inklusive Weiterbildungsmöglichkeiten) und unterstützt bei der Jobbewerbung. Zusätzlich organisiert DIMAK in Zusammenarbeit mit Firmen, die neues Personal suchen, regelmäßig Berufsmessen in Serbien. Nach der Rückkehr sollte die rückkehrende Person sich bei relevanten Behörden und Stellen (wieder) anmelden; dazu ist unbedingt der Personalausweis erforderlich - dieser kann, falls nötig, bei einer lokalen Polizeistelle beantragt werden; sich für die (staatliche) Krankenversicherung/Rentenversicherung anmelden; Sozialhilfe beantragen; Stellen kontaktieren, die bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützen; die Anmeldung bei Kinderbetreuung, Schule und weitere Bildungsinstitutionen in die Wege leiten (IOM Country Fact Sheet 2018).

In Zusammenarbeit mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen werden Hilfsleistungen und Unterstützung für intern Vertriebene (Kosovo), Flüchtlinge, Asylwerber, Staatenlose und andere hilfsbedürftige Personen bereitgestellt (USDOS 20.4.2018).

Die Situation der 200.000 innerhalb Serbiens lebenden Flüchtlinge (Kosovovertriebene) ist weiterhin nicht die Beste. Es gibt zwar nur mehr ein Erstaufnahmelager in Serbien selbst mit 52 dort aufhältigen Personen, aber noch fünf im Nordkosovo. Von den 200.000 Vertriebenen wird die Unterbringungs- und Wirtschaftssituation von ungefähr 1/3 - genannt wurde die Zahl 70.000 - als sehr schlecht beschrieben. Ihre Integration in Gemeinden in Serbien ist vor allem dann, wenn sie der ROMA Minderheit angehören, schwierig und langwierig (VB 3.11.2018).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des BF gründen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes, in welchem dokumentiert ist, dass er serbischer Staatsangehöriger ist und ihm ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ zukommt, der zuletzt mit einer Gültigkeit bis 24.06.2020 dokumentiert wurde. Die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Inhalt der entsprechenden Verwaltungs- und Gerichtsakten.

Die Feststellungen über die Dauer des legalen Aufenthaltes des BF in Österreich ergeben sich aus dessen Angaben, welche mit den Daten im Zentralen Melderegister und im Zentralen Fremdenregister zu seiner Person in Einklang stehen. Die Feststellung zu seiner Haft basieren auf der im Akt einliegenden Vollzugsinformation.

2.2. Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF ergeben sich aus der im Akt befindlichen Urteilsausfertigung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu XXXX .

2.3. Aus den Angaben des BF im gesamten Verfahren, vorgelegten Dokumenten der Angehörigen und Abfragen aus dem Zentralen Melderegister ergeben sich die Feststellungen zum Familienleben des BF in Österreich. Der BF hat nicht vorgebracht, zu seinen Angehörigen in Österreich in einem speziellen Abhängigkeitsverhältnis zu stehen.

Dass der BF die Pflichtschule abgeschlossen hat, diversen Erwerbstätigkeiten nachgegangen ist, keine Berufsausbildung erfolgreich absolviert hat und sich zum Zeitpunkt des Haftantritts in einer Lehrausbildung zum Schlosser befunden hat, ergibt sich aus seinen Angaben im behördlichen Verfahren.

Die Feststellung zu den Großeltern des BF in Serbien beruht auf seinen diesbezüglichen Angaben. Er gab zwar an, dass er Serbisch nur gebrochen spreche, dies wurde im Beschwerdeschriftsatz wiederholt, doch bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass sich der BF in Serbien nicht verständigen könnte. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Eltern des BF mit ihm Anfang der 1990er Jahre aus Serbien nach Österreich kamen, womit davon auszugehen ist, dass die Eltern zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend Deutsch konnten, um den BF in dieser Sprache groß zu ziehen, sondern musste dies damals zwangsläufig in der Muttersprache Serbisch erfolgen.

2.4. Der BF hat im Verfahren keine konkreten Rückkehrbefürchtungen bezogen auf Serbien, einen sicheren Herkunftsstaat im Sinne der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), geäußert. Da es sich beim BF um einen volljährigen Mann handelt, welcher ausreichend Serbisch spricht und grundsätzlich arbeitsfähig ist (so hat der BF über mehrere Jahre hinweg - mit Unterbrechungen - gearbeitet und wiederholt betont, direkt nach der Haftentlassung wieder eine Arbeit aufnehmen zu wollen), können auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sein Lebensmittelpunkt langjährig in Österreich gelegen hat, keine exzeptionellen Umstände erkannt werden, vor deren Hintergrund anzunehmen wäre, dass er zur eigenständigsten Erwirtschaftung seines Lebensunterhaltes in Serbien nicht in der Lage sein und konkret gefährdet sein würde, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

2.5. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die im angefochtenen Bescheid zitierten Quellen, welche nicht in Zweifel gezogen wurden. Der BF ist den Feststellungen, demzufolge in Serbien eine weitgehend unbedenkliche Sicherheitslage sowie eine ausreichende Grundversorgung besteht, nicht konkret entgegengetreten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Serbien um einen Staat handelt, der weder von bürgerkriegsähnlichen Zuständen noch Kampfhandlungen betroffen ist, und auch sonst nicht - etwa im Vergleich zu Krisenregionen wie Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien, u.a. - als Staat mit sich rasch ändernder Sicherheitslage auffällig wurde. Letztlich ist abermals darauf hinzuweisen, dass Serbien aufgrund der Ermächtigung nach § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG laut § 1 Z 1 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung - HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, als sicherer Herkunftsstaat gilt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2. Zur Rückkehrentscheidung:

3.2.1. § 52 FPG idgF lautet:

„(1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Liegt ein Fall des § 55a vor, so wird die Rückkehrentscheidung mit dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise durchsetzbar. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF ist Staatsangehöriger Serbiens und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er verfügte zuletzt über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" und war vor Verwirklichung des mit der gegenständlichen Entscheidung festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen.

Personen, die über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" verfügen, kommt nach § 20 Abs. 3 NAG 2005 in Österreich - unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokumentes - ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024). Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist in diesem Fall am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG zu prüfen, wobei sich Einschränkungen der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung auch noch aus § 9 BFA-VG ergeben (VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0067; 30.11.2020, Ra 2020/21/0355). Es ist daher nicht auf die Gültigkeitsdauer des für diesen Aufenthaltstitel auszustellenden Dokumentes (von fünf Jahren) abzustellen, sondern es ist der Beurteilung ein unbefristetes Niederlassungsrecht zugrunde zu legen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024).

Im gegenständlichen Fall ist es daher irrelevant, dass der Aufenthaltstitel des BF zuletzt mit Gültigkeit bis 24.06.2020 ausgestellt wurde, da dem BF ein unbefristetes Niederlassungsrecht zukommt. Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist daher entgegen der Annahme des BFA, das die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 Z 4 FPG stützte, am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG zu beurteilen. Demnach ist gegen einen Drittstaatsangehörigen im Besitz eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU" eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Die relevanten Bestimmungen des § 53 FPG lauten:

„(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

[…]
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

[…]

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
[…]

Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt, weshalb der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 5 FPG vorliegt.

Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 3 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.2.2013, 2012/18/0230).

Im vorliegenden Fall liegt unzweifelhaft eine gravierende Straffälligkeit vor. Der BF wurde zwar lediglich einmal strafgerichtlich verurteilt, bei der begangenen Straftat handelte es sich jedoch um eine besonders Verwerfliche. Nicht nur, dass der BF die sexuelle Integrität seiner damaligen Ehefrau gröblichst verletzte, er tat dies auch über einen längeren - mehr als zwei Stunden andauernden - Zeitraum und setzte diverse inkriminierte und abscheuliche Tathandlungen. Er wurde schließlich auch wegen des Aufeinandertreffens eines Verbrechens sowie zweier Vergehen verurteilt. Auch ist wesentlich zu berücksichtigen, dass die Tat auf eine besonders erniedrigende Art und Weise begangen wurde und er das Opfer über einen längeren Zeitraum in einen qualvollen Zustand versetzte, das Strafgericht stellte die Erfüllung einer doppelten Qualifikation des Vergewaltigungsdeliktes fest, die Taten des BF weisen folglich einen ungleich höheren Unrechtsgehalt auf.

Die Tathandlungen des BF, die ausführlich im Strafurteil festgestellt wurden, zeigen eine besondere Grausamkeit und einen äußerst starken Willen zur Erniedrigung seiner damaligen Ehefrau. Es ging dem BF bei der Begehung des Sexualdeliktes nicht um seine sexuellen Bedürfnisse, er wollte vielmehr das Opfer immens demütigen, was er auch vor den Strafverfolgungsbehörden so zu Protokoll gab. Der BF stellte im Zuge der Tathandlungen mehrere den durch die österreichische Rechtsordnung festgelegten Grenzen widersprechende Verhaltensweisen zur Schau, die auch vom Strafgericht als besonders verwerflich beurteilt wurden. Dabei kam es nicht nur (sic!) zu einer Vergewaltigung an seiner damaligen Ehefrau, sondern er zwang sie unter Androhung von Gewalt durch Vorhalten eines Messers, sich an ihrem eigenen Körper Schaden zuzufügen. Unter anderem wurde sie dazu gezwungen, sich einen großen Vibrator in den Mund einzuführen, bis sie sich mehrmals übergeben musste und sich einen Duschschlauch in den Anus einzuführen und das Wasser aufzudrehen, sodass sie jeweils über länger andauernde Schmerzen in den Bereichen litt.

Eine besondere Gefährlichkeit und kriminelle Energie des BF ist auch darin zu erkennen, dass er bei sämtlichen Tathandlungen ein Küchenmesser mit 14 Zentimeter langer Klinge bei sich hatte und dies dazu nutzte, sein Opfer einzuschüchtern und zu nötigen. Er strich mit dem Messer während der Vergewaltigung über den Körper sowie die Vagina und stach in die Bettdecke ein. Der BF schreckt folglich nicht davor zurück, eine Waffe einzusetzen und dem Opfer damit sexuelle Handlungen abzunötigen.

Angesichts der besonders verwerflichen Handlungen des BF und der zur Schau gestellten aggressiven bzw. kriminellen Energie treten die vom Strafgericht angeführten Milderungsgründe - insbesondere sein bisher ordentlicher Lebenswandel und das umfassende Geständnis - ins Hintertreffen. Vor allem das Geständnis kann aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht wesentlich zu Gunsten des BF in die Gefährdungsprognose einfließen, da diesem die ausgereifte Planung und Absicht zum Setzen der Tathandlungen gegenüberzustellen ist. Im Zuge des Geständnisses offenbarte der BF nämlich, dass er sich von seiner Frau schon über einen längeren Zeitraum schlecht behandelt gefühlt habe und es ihm schließlich gereicht hätte, weswegen er sich rächen bzw. seine Ehefrau sexuell erniedrigen habe wollen. Seinen inkriminierten Tathandlungen ging daher eine gewisse Planung voraus, was die Taten noch verwerflicher macht. Aufgrund der Abscheulichkeit der verschiedenen Tathandlungen und des langen Zeitraumes (ungefähr zweieinhalb Stunden) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der BF die Verwerflichkeit seiner Taten tatsächlich eingesehen hat und es nicht wieder zu so einem Racheausbruch kommen kann.

Deshalb ist im Hinblick auf die zu erstellende Gefährdungsprognose des BF auszuführen, dass aufgrund der vorliegenden Umstände von einer negativen Prognose bezüglich seines künftigen Wohlverhaltens ausgegangen werden muss: Der BF zeigte durch mehrere im Zuge eines schwerwiegenden Sexualdeliktes gesetzte Tathandlungen besonders verwerfliches und abscheuliches Verhalten, die den Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung eklatant widersprechen. Die Gefährlichkeit des BF zeigt sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes darin, dass der BF bis zu diesem Ereignis ein unbescholtenes Leben führte, es aber folglich zu einem plötzlichen Ausbruch solch erheblicher, krimineller und gefährlicher Energie kam, dass eine schnelle, notwendige Besserung des BF nicht erwartet werden kann.

Auch konnte der BF nicht nachvollziehbar darstellen, warum ihm ein solcher Fehler nicht nochmals passieren sollte. Dass er sich seit der letzten Tat wohlverhalten hat, kann nicht in die Prognose einfließen, da er sich seit Tatbegehung durchgehend in Haft befindet. Aufgrund des Umstandes, dass der BF seine Taten in gewisser Weise plante - er wollte seine Frau sexuell erniedrigen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der BF bei erneuten Rachegelüsten erneut so handeln wird. Der Schutz von Frauen und generell vor Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung gehört zu wesentlichen Eckpfeilern der österreichischen Rechtsordnung, deren Schutz hat eine bedeutende Rolle einzunehmen, gerade weil das Risiko psychischer Beeinträchtigungen von Opfern in diesem Zusammenhang schwer wiegt. Im gegenständlichen Fall sind solche Folgen beim Opfer aufgrund der besonders erniedrigenden und qualvollen Vorgangsweise des BF durchaus zu erwarten. Der BF stellt augenscheinlich eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, kann auch aus einem einmaligen Fehlverhalten - entsprechende Schwere vorausgesetzt - eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden. Im Hinblick darauf ist die Verhängung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, auch gegen langjährig rechtmäßig in Österreich aufhältige Fremde, gegebenenfalls nicht zu beanstanden (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2016/21/0338; VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0021).

Auch hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB eine massive Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle (vgl. zuletzt etwa VwGH 7.3.2019, Ra2019/21/0002; 3.7.2018, Ra 2018/21/0099; 24.10.2019, Ra 2019/21/0232).

In Betrachtung aller dargelegten Erwägungen rechtfertigt das Gesamtverhalten des BF folglich die Annahme, dass ein Verbleib des BF im Bundesgebiet eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen würde.

3.2.2. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479; 26.1.2006, 2002/20/0423).

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist weiters eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl. etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340, mwN).

Diese Rechtsprechungslinie betraf allerdings nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Fremde, selbst wenn sie - anders als im vorliegenden Fall - Ehegatten österreichischer Staatsbürger sind, nicht in Frage (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0249 mwN).

§ 9 Abs. 4 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 70/2015 lautete:

„Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1.       ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2.       er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.“

§ 9 Abs. 4 BFA-VG wurde durch das FrÄG 2018 mit Ablauf des 31. August 2018 aufgehoben. Dazu hielt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR 26. GP 27 f) ausdrücklich fest, § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG erweise sich "lediglich als Konkretisierung bzw. Klarstellung dessen, was sich unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur ohnehin bereits aus Abs. 1 iVm Abs. 2 ergibt". Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof schon zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet des Außerkrafttretens des § 9 Abs. 4 BFA-VG die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG weiter beachtlich seien (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0121, Rn. 9, mit dem Hinweis auf VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152, Rn. 20), ohne dass es aber einer ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG bedürfe (siehe neuerlich VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152, Rn. 20). Es ist also weiterhin darauf Bedacht zu nehmen, dass für die Fälle des bisherigen § 9 Abs. 4 BFA-VG allgemein unterstellt wurde, diesfalls habe die Interessenabwägung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme dürfe in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden. Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. dazu noch einmal RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo diesbezüglich von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Dazu zählen jedenfalls die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach den Z 6, 7 und 8 des § 53 Abs. 3 FPG, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (siehe zu solchen Fällen der Sache nach zuletzt VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung, und VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel) (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238; siehe zuletzt auch VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0276-8).

Es wird nicht verkannt, dass sich der BF zum Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung seit vielen Jahren und damit den allergrößten Teil seines Lebens rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat, hier die festgestellten verwandtschaftlichen Bindungen aufweist, die Pflichtschule in Österreich abschloss, mehrere Jahre gearbeitet hat und die deutsche Sprache beherrscht, doch ist ihm, wie schon oben dargestellt, eine gravierende Straffälligkeit im Sinne der obzitierten Judikatur vorzuwerfen.

Der volljährige BF wird sich seine beruflichen Erfahrungen und begonnenen Berufsausbildungen gleichermaßen am serbischen Arbeitsmarkt zu Nutze machen können. Er hat nicht konkret vorgebracht, zu seinen im Bundesgebiet zum Aufenthalt berechtigten Eltern und seinem Bruder in einem besonders intensiven Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis zu stehen. Der BF hat durch seine schwerwiegende Straffälligkeit eine Trennung von seinen Angehörigen und seinen freundschaftlichen Kontakten in Österreich bewusst in Kauf genommen. Angesichts der dargestellten und aufgrund der erniedrigenden und qualvollen Behandlung des Opfers besonders verwerflichen Tathandlungen, die sich gegen die sexuelle Integrität seiner damaligen Ehefrau gerichtet haben, sind die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zwecks Schutz der Rechte anderer als höher zu bewerten als die persönlichen Interessen des BF an einem gemeinsamen Aufenthalt mit seinen Angehörigen in Österreich. Durch eine Rückkehrentscheidung wird auch kein gänzlicher Abbruch der Beziehung zu seinen Angehörigen bewirkt, sondern es steht seinen Angehörigen einerseits offen, den BF im Herkunftsstaat zu besuchen, andererseits wird diesen eine Aufrechterhaltung des Kontaktes über Telef

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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