TE OGH 2020/9/15 6Ob79/20s

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Veröffentlicht am 15.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Firmenbuchsache der A***** GmbH, FN *****, *****, vertreten durch die Ehrlich-Rogner & Schlögl Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen Eintragung gemäß § 6 SanktG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 11. März 2020, GZ 6 R 43/20t-15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Vorauszuschicken ist, dass das Rekursgericht entgegen § 59 Abs 2 AußStrG keinen Bewertungsausspruch getroffen hat, weil die Eintragung gemäß § 6 Abs 2 SanktG, dass das Vermögen der betreffenden Person oder Einrichtung eingefroren ist, nach seinem materiell-rechtlichen Inhalt (RS0007110) ein vermögensrechtlicher Streitgegenstand ist. Eine Rückstellung an das Rekursgericht zur Nachholung des Bewertungsausspruchs ist aber entbehrlich, wenn der Entscheidungsgegenstand eindeutig 30.000 EUR übersteigt (RS0007073 [T7, T10]). Diese Voraussetzung ist hier nach der Aktenlage erfüllt.

2. Das Rekursgericht wies den am 30. 1. 2020 eingebrachten Rekurs der Gesellschaft als verspätet zurück, weil der angefochtene Beschluss nach den vorliegenden Zustellnachweisen der Gesellschaft und der Geschäftsführerin am 10. 1. 2010 an deren (übereinstimmender) im Firmenbuch eingetragener Adresse durch Hinterlegung zugestellt worden sei und das zur Unwirksamkeit der Zustellung erstattete Vorbringen zur Dartuung eines Zustellmangels nicht geeignet sei.

3. Das Rekursgericht hat die Grundsätze zur Beweiskraft des Zustellscheins zutreffend wiedergegeben (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO). Gemäß § 292 Abs 2 ZPO ist der Beweis der Unrichtigkeit der im Zustellausweise bezeugten Vorgänge oder Tatsachen oder der unrichtigen Beurkundung zwar zulässig (RS0040473), erfordert bei nicht offenkundigen Mängeln aber die Geltendmachung konkreter Gründe, die in der Folge glaubhaft gemacht werden müssen (RS0040471 [T2, T9, T13]; RS0006957 [T7]; RS0040507 [T2]). Nur konkrete Gründe lösen weitere Erhebungen aus (Stummvoll in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 22 ZustG Rz 7).

4. Ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage ausreicht, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RS0042828 [T9, vgl T14, T20, T21, T33]). Dies gilt auch für die Beurteilung, ob ein Vorbringen geeignet ist, die vom Gesetz im Zusammenhang mit einem Rückschein aufgestellte Vermutung der vorschriftsmäßigen Zustellung zu widerlegen.

5. Ausgehend davon, dass die Gesellschaft – bis auf eine ohne weitere Angaben behauptete Vermietung – lediglich vorbrachte, es bestehe keine Abgabestelle, aber keinerlei Angaben zu den Örtlichkeiten und der Nutzung jener Liegenschaft machte, die als „für Zustellungen maßgebliche Geschäftsanschrift“ gemäß § 3 Abs 1 Z 4 FBG im Firmenbuch eingetragen ist, keine Bescheinigungsmittel anbot und nicht einmal offenlegte, an welchem anderen Ort sie selbst und ihre Geschäftsführerin ihrer Ansicht nach eine Abgabestelle haben, ist die Beurteilung des Rekursgerichts, die Rechtsmittelwerberin habe nur Rechtsbehauptungen, keine überprüfbaren Tatsachenbehauptungen aufgestellt, jedenfalls vertretbar. Indem die Revisionsrekurswerberin ihr bereits im Rekurs erstattetes Vorbringen wiederholt, wird keine Überschreitung des dem Rekursgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums aufgezeigt.

6. Ein Briefkasten darf jeweils nur einer einzigen Abgabestelle zugeordnet sein, um ein solcher im Sinn des § 17 Abs 2 ZustG zu sein (1 Ob 247/99a; RS0113586). Besteht für mehrere Abgabestellen (etwa für mehrere Wohnungen) nur ein Briefkasten, so kann dieser einer Abgabestelle nicht objektiv zugeordnet werden (RS0113586). Ob der Briefkasten mit einem Namensschild versehen ist, ist für die objektive Zuordnung aber nicht entscheidend (9 ObA 51/06z; 9 ObA 53/06z). Der Fall der mangelnden objektiven Zuordenbarkeit zu einer Abgabestelle ist aber von der Fallkonstellation zu unterscheiden, dass mehrere Personen eine gemeinsame Abgabestelle haben; an einer solchen kann jeder von ihnen wirksam zugestellt werden (Stummvoll in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 2 ZustG Rz 36).

7. Das Vorbringen, in dem auf der Liegenschaft befindlichen, nicht beschrifteten Postkasten würden die Poststücke mehrerer Gesellschaften eingeworfen, kann nicht dahin verstanden werden, dass der Postkasten einer Abgabestelle nicht objektiv zuordenbar wäre. Auch dazu fehlt es an einem konkreten Tatsachenvorbringen, zumal sich aus dem Firmenbuch ergibt, dass neben der Revisionsrekurswerberin eine zweite Gesellschaft (die Muttergesellschaft der Revisionsrekurswerberin) an der gleichen Geschäftsanschrift im Firmenbuch eingetragen ist.

8. Eine Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG wird daher insgesamt nicht aufgezeigt.

Textnummer

E129646

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00079.20S.0915.000

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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