TE OGH 2020/9/23 7Ob150/20i

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Veröffentlicht am 23.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. D***** K*****, vertreten durch die Koch Jilek Rechtsanwälte Partnerschaft in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei F***** AG, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 28.601,75 EUR sA, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2020, GZ 133 R 116/19k-16, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. August 2019, GZ 20 Cg 64/18t-8, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.647,18 EUR (darin enthalten 274,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1.1. Dass der Kläger zum Spätrücktritt vom Versicherungsvertrag auch nach Kündigung und Auszahlung des Rückkaufswerts berechtigt war, steht im Revisionsverfahren nicht mehr in Frage; der klagsstattgebende Teil der Entscheidungen der Vorinstanzen wurde von der Beklagten im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft.

1.2. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Kläger in seiner Berufung zwar die Klagsstattgebung zur Gänze begehrte, zur Frage des Abzugs der Versicherungssteuer aber nichts ausführte.

Hat – wie hier – die Rechtsrüge in zweiter Instanz nur einen bestimmten Aspekt aufgegriffen, wurde das Ersturteil aber nicht aus dem nunmehr relevierten Grund bekämpft, dann kann die diesbezügliche rechtliche Beurteilung im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden (RS0043338 [T10 – T13, T27, T31]; RS0041570 [T8, T11]).

1.3. Dasselbe gilt auch für den Abzug der Risikokosten, wozu die Revision keine Ausführungen enthält. Kommt der Revisionswerber in seiner Revision auf bestimmte Rechtsgründe oder selbstständige Einwendungen nicht mehr zurück, so sind damit auch diese aus der ansonsten umfassenden Beurteilungspflicht des Obersten Gerichtshofs ausgeschieden (RS0043338 [T15]).

1.4. Der rechtskräftige Zuspruch von 3.271,11 EUR und die Abweisung von zusammen 1.998,80 EUR sind daher nicht Gegenstand der Revisionsentscheidung.

2.1. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil es an Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob beim Lebensversicherungsvertrag eine Belehrung anlässlich einer Vertragsänderung das ursprüngliche Fehlen der Belehrung heilen könne, sowie zum Beginn der Verjährungsfrist für – Gegenstand seiner Entscheidung bildende – Vergütungszinsen beim Spätrücktritt von Lebensversicherungen fehle.

2.2. Selbst wenn das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen hat, die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, das Rechtsmittel aber dann nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist das Rechtsmittel trotz der Zulässigkeitserklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RS0102059). Wird die vom Berufungsgericht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO beurteilte Rechtsfrage im Rechtsmittel gar nicht angesprochen, ist auf die Frage nicht weiter einzugehen, weil der Oberste Gerichtshof nicht dazu berufen ist, theoretisch zu einer Rechtsfrage Stellung zu nehmen, deren Lösung durch die zweite Instanz vom Rechtsmittelwerber gar nicht bestritten wird (RS0102059 [T8, T13, T18]).

2.3. Der Revisionswerber geht auf die Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts nicht ein, meint aber, dass sich trotz der zwischenzeitig vorliegenden Entscheidungen des Senats zu 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y weitere erhebliche Rechtsfragen stellen.

3.1. Der erkennende Fachsenat judiziert in nunmehr ständiger Rechtsprechung, dass Vergütungszinsen bei bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung nach einem Spätrücktritt von einem Lebensversicherungsvertrag der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1480 ABGB unterliegen (RS0033829 [T1] = RS0031939 [T4]). Die Frist beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung (RS0133108), das heißt mit der Zahlung der Prämie (7 Ob 88/20x).

3.2. Ausgehend von der Entscheidung des EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, hat der Senat in seinen Entscheidungen 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y und 7 Ob 88/20x bereits ausgesprochen: Im Grundsatz steht das Unionsrecht einer Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren nicht entgegen, wenn dies die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst nicht beeinträchtigt. Der EuGH wies darauf hin, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine solche Verjährung des Anspruchs auf Vergütungszinsen geeignet ist, die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst zu beeinträchtigen, zumal Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietenden Versicherern große Unterschiede aufweisen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können. Wenn unter diesen Umständen die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen. Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht.

4.1. Der Revisionswerber vertritt die Auffassung, dass der EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, bei Beantwortung von Frage 5 davon ausgegangen sei, es existiere eine gesetzliche Bestimmung, wonach Bereicherungszinsen binnen drei Jahren verjähren würden; tatsächlich liege aber eine „gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung“ vor, zu der sich der EuGH nicht geäußert habe.

Der EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, hat in Rn 115 zwar auf das ABGB, im Übrigen aber auf „das auf die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge anwendbare österreichische Recht“ und in seiner Beantwortung der Frage 5 auf „nationale Regelungen“ Bezug genommen, ohne dessen Rechtsnatur näher zu qualifizieren.

Auch in Analogie erschlossene Regeln gehören zum Rechtsbestand, zumal die Analogie eine anerkannte Methode ist, die planwidrige Unvollständigkeit einer anzuwendenden Rechtsvorschrift durch einen Ähnlichkeitsschluss des zur Rechtsanwendung berufenen Organs zu beseitigen (RS0053247; vgl grundlegend Welser/Klete?ka, Grundriss des bürgerlichen Rechts I15 [2018] Rz 108 ff mwN aus der Rsp); dass der EuGH bei seinen Überlegungen nach Quellen nationalen Rechts differenziert hätte, ist seiner Entscheidung nicht zu entnehmen.

4.2. Der Kläger meint weiters, die Beantwortung der Frage 5 durch den EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, beziehe sich nur auf Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619, Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83 und Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138, nicht jedoch auf Art 31 Abs 1 iVm Anh II Buchst A a.13 der Richtlinie 92/96/EWG, der die Belehrungspflicht des Versicherers über die Rücktrittsrechte normiere. Ob diese Bestimmung der analogen Anwendung des § 1480 ABGB entgegenstehe, habe der EuGH nicht beantwortet.

Der EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, hat jedoch vorab (Rn 55) auf Art 15 Abs 1 Unterabs 3 der Richtlinie 90/619 und Art 31 Abs 1 und 4 der Richtlinie 92/96 iVm deren Anh II Buchst A a.13 sowie darauf verwiesen, dass die Regelung der Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts und der Mitteilung von Informationen, insbesondere zur Ausübung dieses Rechts, den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, die beim Erlass der entsprechenden Rechtsvorschriften jedoch dafür sorgen, dass bei den genannten Richtlinien im Hinblick auf den mit ihnen verfolgten Zweck die praktische Wirksamkeit gewährleistet wird.

Bei der Beantwortung der Frage 5, ob einer Verjährung von Bereicherungszinsen nach nationalem Recht unionsrechtliche Bestimmungen entgegenstehen, spielt nach der klaren Auffassung des EuGH die – für die Beantwortung der anderen in EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, relevante – Frage der Auslegung der Bestimmungen, worüber der Versicherer zu belehren habe, unmittelbar keine Rolle; eine Belehrung über nationale Verjährungsbestimmungen ist darin auch nicht vorgesehen. Der EuGH hielt fest, dass die Verjährungsfrist, weil sie nur die Vergütungszinsen betrifft, nicht unmittelbar das Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers berührt (Rn 116). Im Übrigen hat er aber gerade die Frage der praktischen Wirksamkeit grundlegend hervorgehoben: Wenn die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen, insbesondere wenn der Versicherungsnehmer nicht richtig über die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts informiert wurde (vgl Rn 119).

4.3. Zur hier maßgeblichen Unionsrechtslage bestehen daher keine Zweifel (RS0082949).

5.1. Schließlich führt die Revision ins Treffen, der Kläger habe in Anbetracht von EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, bisher noch keine Gelegenheit gehabt, Vorbringen zu erstatten, ob der Lebensversicherungsvertrag im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seinen Bedürfnissen entsprochen habe, und ob und inwiefern er durch die Zinsenverjährung binnen drei Jahren daran gehindert worden wäre, sein Rücktrittsrecht auszuüben. Dass das Berufungsgericht dies ohne Erörterung bereits aufgrund des ihm vorliegenden Sachverhalts verneint habe, mache dessen Verfahren mangelhaft.

5.2. In einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO hat der Rechtsmittelwerber darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (RS0037095 [T5, T7]). Dies wird vom Kläger unterlassen, der lediglich pauschal ausführt, wäre ihm ergänzend Gelegenheit gegeben worden, hätte er vorgebracht, dass der Lebensversicherungsvertrag im konkreten Einzelfall tatsächlich nicht seinen Bedürfnissen entsprochen habe und er durch die Zinsenverjährung am Rücktritt gehindert worden wäre, sodass die dreijährige Verjährungsfrist jedenfalls nicht anzuwenden sei. Damit werden aber keine konkreten Tatsachenbehauptungen aufgestellt, aus denen dies abgeleitet werden könnte (vgl 7 Ob 136/20f).

6. Zusammengefasst zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage auf.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E129681

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00150.20I.0923.000

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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