TE OGH 2020/10/15 12Os71/20p

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Haslwanter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Nikolic in der Strafsache gegen Kevin B***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Markus T***** gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Jugendschöffengericht vom 9. März 2020, GZ 9 Hv 161/19p-56, sowie über die Beschwerde des Genannten gegen den unter einem ergangenen Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, des Angeklagten Markus T***** und seines Verteidigers Mag. Sommerauer zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden

I./ das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt,

a./ im Schuldspruch II./B./ (insoweit ersatzlos) und

b./ soweit es darüber hinausgehend den Angeklagten Markus T***** betrifft sowie

II./ der Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe hinsichtlich Markus T*****

aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang – mit Ausnahme der Aufhebung des Schuldspruchs II./B./ – an das Landesgericht St. Pölten mit dem Auftrag verwiesen, nach den Bestimmungen des 11. Hauptstücks der Strafprozessordnung vorzugehen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte Markus T***** auf die Kassation verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Kevin B*****, Mohamed B*****, Enes I***** und Ibrahim O***** jeweils des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./) und Markus T***** des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 und 4 zweiter Satz StGB (II./A./) sowie des Vergehens der „Geldwäsche nach § 165 Abs 1, Abs 2 und 5 StGB“ (II./B./) schuldig erkannt.

Danach haben

I./ Kevin B*****, Mohamed B*****, Enes I***** und Ibrahim O***** am 10. Juni 2019 in K********** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Pascal P***** mit Gewalt gegen seine Person fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Mobiltelefon I-Phone X im Wert von 1.519 Euro, eine Handyhülle im Wert von 195 Euro, eine Kappe der Marke Gucci im Wert von 230 Euro und eine Uhr der Marke Tommy Hilfiger im Wert von 250 Euro mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem Kevin B***** Pascal P***** zum Tatort lockte, Ibrahim O***** diesen über eine Stiege auf den Treppelweg direkt neben der Donau im Bereich der Schiffsstation zerrte, wo ihm Kevin B*****, Mohamed B***** und Ibrahim O***** Faustschläge gegen Nacken, Kopf, Rücken und gegen den Körper versetzten, während Enes I***** ihn festhielt, wodurch Pascal P***** Prellungen im Bereich des Kopfes und des Rückens sowie Abschürfungen am rechten Handballen, am Ellenbogen und an beiden Knien erlitt;

II./ Markus T*****

A./ Kevin B*****, Mohamed B*****, Enes I***** und Ibrahim O***** nach der zu I./ beschriebenen Tat gegen fremdes Vermögen dabei unterstützt, die Sachen zu verheimlichen, die diese Täter durch den Raub erlangt hatten, indem er die Raubbeute auf dem Weg zwischen H***** und He***** in seinem Fahrzeug verbarg, wobei die mit Strafe bedrohte Handlung, durch die die Sachen erlangt worden waren, aus einem anderen Grund als wegen gewerbsmäßiger Begehung mit Freiheitsstrafe bedroht ist, die fünf Jahre erreicht, und Markus T***** die Umstände gekannt hat, die diese Strafdrohung begründen;

B./ „am 10. 06. 2019 in He***** Vermögensbestandteile in der Höhe von EUR 100,00, die er für die Begehung der Hehlerei im Sinne des Faktums II./A./, also für eine mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte Handlung und damit für deren Begehung, erhalten hat, an sich gebracht, und zwar dadurch, dass ihm nach der Tat Ibrahim O***** diese EUR 100,00 übergeben hat“.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldsprüche II./A./ und II./B./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 8, 9 lit a und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Markus T*****, der teilweise Berechtigung zukommt.

Zum Schuldspruch II./B./:

Mit Anklageschrift vom 3. November 2019 (ON 31) legte die Staatsanwaltschaft St. Pölten Markus T***** zur Last, er habe zur Ausführung des unter I./ dargestellten Raubes durch Kevin B*****, Mohamed B*****, Enes I***** und Ibrahim O***** beigetragen, indem er diese „im Wissen um die geplante Tat“ mit seinem Auto zum Tatort in K***** brachte und sich während der Tat zur anschließenden gemeinsamen Flucht mit diesem Auto bereithielt. Nachfolgend sei er gemeinsam mit den unmittelbaren Tätern Richtung W***** gefahren, „wo sie die weggenommenen Sachen verkauften“ (ON 31 S 4 f).

Davon ausgehend zeigt die Beschwerde – worauf auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme hinweist – zutreffend eine Überschreitung der Anklage (Z 8) auf:

Gemäß § 267 StPO ist das Schöffengericht an die Anträge des Anklägers insoweit gebunden, als es den Angeklagten nicht einer Tat schuldig erklären kann, auf die die Anklage weder ursprünglich gerichtet war, noch während der Hauptverhandlung ausgedehnt wurde (§ 4 Abs 3 StPO).

Ob das Urteil die Anklage überschreitet, ist an Hand des prozessualen Tatbegriffs zu beurteilen. Es ist lediglich von Interesse, ob der bekämpfte Schuldspruch im von der Anklagebehörde geschilderten Lebenssachverhalt als historischem Geschehen Deckung findet (RIS-Justiz RS0113142). Dabei bilden Anklagetenor und Begründung der Anklageschrift, die gerade der Konkretisierung der näheren Tatumstände, mit anderen Worten der genaueren Abgrenzung des Prozessgegenstands dient, eine Einheit (RIS-Justiz RS0113142 [T8], RS0097672).

Abweichend vom dargestellten Vorwurf des Beitrags zum Raub hat das Erstgericht Markus T***** hingegen zu II./B./ schuldig erkannt, weil er „Stunden nach dem Rücktransport der Angeklagten vom Tatort nach He***** und Stunden nach dem Verheimlichen der Raubbeute“ in He***** von einem der Täter des – zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch nicht von seinem Vorsatz umfassten – Raubes 100 Euro für die Unterstützung der Täter bei der Verheimlichung der Raubbeute durch deren „Verbergen“ in seinem Fahrzeug bei der Rückfahrt vom Tatort nach He***** entgegennahm (US 2 f, 13, 16). Dieser Schuldspruch bezog sich damit bei wertungsmäßiger Gesamtschau der Einzelkriterien Zeit, Ort und Objekt der Tat sowie Modalität ihrer Ausführung nicht auf die selbe Tat im prozessualen Sinn (vgl dazu RIS-Justiz RS0113142, RS0098487; Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 6 ff, 22, 28, 31; zum Beurteilungsmaßstab Rz 32 ff; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502, 509, 523).

Der ohne Anklage gefällte Schuldspruch war daher ersatzlos aufzuheben (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 529 f; 13 Os 99/12a mwN).

Ein Eingehen auf das weitere gegen den Schuldspruch II./B./ gerichtete Vorbringen der Beschwerde erübrigt sich daher.

Hinzuzufügen bleibt, dass Tathandlungen gemäß § 165 Abs 1 StGB im Verbergen der Vermögensbestandteile oder im Verschleiern ihrer Herkunft bestehen (vgl Kirchbacher in WK2 StGB § 165 Rz 15/1 ff), während Ansichbringen der Vermögensbestandteile von § 165 Abs 1 StGB nicht umfasst ist. Zu einem wissentlichen Ansichbringen eines Vermögensbestandteils aus einer Vortat iSd § 165 Abs 1 StGB eines anderen (§ 165 Abs 2 StGB) finden sich im angefochtenen Urteil hingegen keine Feststellungen.

Zum Schuldspruch II./A./:

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite hat das Erstgericht darauf gegründet, dass der Beschwerdeführer, nachdem er vom Raub und der in seinem PKW befindlichen Beute Kenntnis erlangt hatte, trotz der zweimaligen Möglichkeit von der Schnellstraße abzufahren und die Räuber mit der Beute aussteigen zu lassen, diese (weiter) nach He***** chauffierte (US 14 iVm 16). Diese Ableitung der subjektiven Tatseite aus den äußeren Umständen der Tat ist entgegen der Beschwerde (Z 5 vierter Fall) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0098671).

Mit dem Vorwurf mangelnder Identität von Anklage- (Raub) und Urteilsfaktum II./A./ (Hehlerei) übersieht der Nichtigkeitswerber, dass bereits die Anklage die Verbringung der unmittelbaren Täter samt der Raubbeute vom Tatort beinhaltete (ON 31 S 4; vgl RIS-Justiz RS0099582 [T20]). Die behauptete Anklageüberschreitung (Z 8) liegt daher nicht vor.

Dem in diesem Zusammenhang erhobenen weiteren Einwand, die Parteien seien entgegen der Vorschrift des § 262 StPO nicht über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt gehört worden, ist zu entgegnen, dass der – anwaltlich vertretene – Angeklagte vom Vorsitzenden (zur ausreichenden Information durch das erkennende Gericht selbst vgl Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 96) ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass das Verheimlichen der Raubbeute im Auto „Hehlerei“ darstelle (ON 55 S 74).

Weshalb die Feststellungen zu der nach Abschluss der deliktischen Sacherlangung erfolgten Mitwirkung des Angeklagten beim Beutetransport (US 11 f, 16 f) für die Erfüllung des Tatbestands des § 164 Abs 1 StGB nicht ausreichen sollten, leitet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

Zutreffend kritisiert jedoch – wie auch die Generalprokuratur ausführt – die Diversionsrüge (Z 10a), dass die Urteilskonstatierungen die Nichtannahme der Diversion nicht zu tragen vermögen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 659).

Ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO setzt bei der Straftat eines – wie hier – jungen Erwachsenen neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt und dem Fehlen spezialpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 7 Abs 1 JGG iVm § 19 Abs 2 JGG) unter anderem eine als nicht schwer anzusehende Schuld des (hier) Angeklagten voraus (§ 7 Abs 2 Z 1 JGG iVm § 19 Abs 2 JGG iVm § 7 Abs 3 JGG).

Bei Bewertung des Grades der Schuld als schwer ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Demnach müssen Handlungs-, Erfolgs- und Gesinnungsunwert insgesamt eine Höhe erreichen, die im Weg einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Dabei kommt auch der vom Gesetzgeber in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalts eine Indizwirkung für die Schuldabwägung zu (RIS-Justiz RS0122090, RS0116021 [T8, T12, T17]; Schroll in WK2 JGG § 7 Rz 15).

Bei einem – wie hier – fünf Jahre Freiheitsstrafe erreichenden Strafrahmen signalisiert bereits die Tatbestandsverwirklichung in der Regel ein hohes Maß an krimineller Energie sowie einen erheblichen sozialen Störwert und einen gesteigerten Unrechtsgehalt. Ein bloß durchschnittliches Verschulden setzt daher besondere unrechts- oder schuldmildernde Umstände voraus. Bedeutung kommt aber auch der hier fehlenden Strafuntergrenze (§ 5 Z 4 JGG iVm § 19 Abs 1 JGG) zu, weshalb die vom Gesetzgeber solcherart bedachte Möglichkeit einer besonders geringen Strafzumessungsschuld in Betracht zu ziehen ist (Schroll/Kert, WK-StPO § 198 Rz 28/2; Schroll in WK2 JGG § 7 Rz 15).

Schuldmindernd wirken beim Beschwerdeführer der zuvor ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), die Tatbegehung nach Vollendung des 18., jedoch vor Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB; vgl RIS-Justiz RS0091277 [T3]) sowie der wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB).

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen erst während der Rückfahrt auf der Schnellstraße nach He***** – auf Höhe der Ortschaft H***** – mit dem Umstand konfrontiert wurde, dass sich in seinem Fahrzeug auch Raubbeute befand und er daher, um keine Unterstützungshandlung zu setzen, unverzüglich reagieren, von der Schnellstraße abfahren und die Mitfahrenden zum Aussteigen bewegen hätte müssen. Dass sich der zum Tatzeitpunkt 19-jährige Markus T***** in der konkreten Situation dennoch dazu entschied, die Fahrt fortzusetzen und die (jugendlichen) Täter samt Raubbeute – wie schon zuvor vereinbart – nach He***** (zurück-) zu chauffieren, bringt nur einen deutlich reduzierten Gesinnungsunwert zum Ausdruck.

Schuldsteigernde Umstände liegen hingegen nicht vor.

Bei Gesamtbetrachtung aller nach Lage des konkreten Einzelfalls maßgeblichen Kriterien (Schroll/Kert, WK-StPO § 198 Rz 22 mwN) liegt aufgrund des ausschließlichen Vorliegens schuldmindernder Tatumstände keine schwere Schuld iSd § 7 Abs 2 Z 1 JGG vor.

Die ihm (als Hehlerei) angelastete Tat hat der Angeklagte dem Grunde nach als Fehlverhalten einbekannt (ON 55 S 74), sodass die für diversionelles Vorgehen erforderliche Verantwortungsübernahme (vgl RIS-Justiz RS0116299) vorlag.

Da bei Prüfung eines diversionellen Vorgehens bei einem jungen Erwachsenen generalpräventive Erwägungen nicht anzustellen sind (vgl Schroll in WK2 JGG § 7 Rz 17), lagen hier diversionelles Vorgehen hindernde Umstände nicht vor.

Das angefochtene Urteil sowie der unter einem ergangene – verfehlt in das Urteil aufgenommene (RIS-Justiz RS0120887 [T2, T3]) – Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe waren daher wie im Tenor ersichtlich aufzuheben und die Sache in diesem Umfang mit dem Auftrag, nach den Bestimmungen des 11. Hauptstücks der Strafprozessordnung vorzugehen, an das Erstgericht zu verweisen (§ 288 Abs 2 Z 2a StPO).

Auf diese Entscheidung war der Angeklagte Markus T***** mit seiner Berufung und seiner impliziten Beschwerde zu verweisen.

Textnummer

E129640

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00071.20P.1015.000

Im RIS seit

13.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten