TE OGH 2020/1/31 30R5/20f

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Veröffentlicht am 31.01.2020
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Thunhart und den Kommerzialrat Scheiflinger in der Rechtssache der klagenden Parteien P***** GmbH und 2. S***** GmbH, *****, beide vertreten durch die Ploil Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 100.000,00), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 30.10.2019, 17 Cg 43/19h-5, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

         Die beklagte Partei hat ihre Rekurskosten endgültig, die klagenden Parteien die Kosten ihrer Rekursbeantwortung hingegen vorläufig selbst zu tragen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,00.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung

Die Erstklägerin veranstaltet und sendet die frei empfangbaren privaten Fernsehprogramme „P*****“ und „K*****“, die Zweitklägerin veranstaltet und sendet das frei empfangbare private Fernsehprogramm „S*****“. Die Beklagte ist ein österreichischer Privatrundfunkunternehmer.

Die Klägerinnen begehren von der Beklagten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Fernsehprogramme der Klägerinnen, insbesondere „P*****", „K*****" oder „S*****" ohne ihre Zustimmung als Live-Stream über das Internet — sei es auch nur für vertraglich berechtigte Kunden — öffentlich wiederzugeben, zu senden oder zur Verfügung zu stellen, dies insbesondere im Rahmen des Angebots „X*****" oder Applikationen für mobile Endgeräte. Zur Sicherung dieses Anspruchs beantragten die Klägerinnen die Erlassung einer dem Unterlassungsbegehren entsprechenden einstweiligen Verfügung.

Die Klägerinnen brachten dazu vor, dass die Beklagte ihren Kunden unter der Bezeichnung „X*****" Online-Fernsehen anbiete. Der Zugang erfordere eine Registrierung, woraufhin die Fernsehprogramme im Internet abrufbar seien. Da dieses Angebot auch die Fernsehprogramme „P*****", „K*****" und „S*****" umfasse, greife die Beklagte in die Leistungsschutzrechte der Klägerinnen ein, die keine Zustimmung zur Verbreitung ihrer Fernsehprogramme durch die Beklagte erteilt hätten und auch keinem Kontrahierungszwang unterliegen würden. Ebenso wenig habe die Beklagte Anspruch darauf, dass ihr die Verwertungsgesellschaft Rundfunk (VGR) eine Nutzungsbewilligung erteilt, auch weil diese Verwertungsgesellschaft gar nicht über die Online-Senderechte verfüge.

Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage und des Sicherungsantrags, wobei sie vorbrachte, dass sie nach § 59a UrhG zur Weitersendung der Fernsehprogramme berechtigt sei. Zur Wahrnehmung des Rechts der Weitersendung sei ausschließlich die Verwertungsgesellschaft Rundfunk (VGR) befugt, die der Beklagten jedoch eine Nutzungsbewilligung ohne triftigen Grund verweigert habe. Die Klägerinnen und die Verwertungsgesellschaft Rundfunk (VGR) würden auch aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung einem Kontrahierungszwang unterliegen, weshalb der Unterlassungsanspruch rechtsmissbräuchlich erhoben worden sei.

Mit der angefochtenen Entscheidung erließ das Erstgericht die beantragte einstweilige Verfügung unter der Bedingung, dass die Klägerinnen eine Sicherheitsleistung von EUR 100.000 erlegen. Das Erstgericht nahm dabei den auf Seite 3 und 4 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Sachverhalt als bescheinigt an, auf den verwiesen wird. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass den Klägerinnen nach § 76a Abs 1 UrhG das ausschließliche Recht zukomme, den Verbreitungsweg ihrer Rundfunksendungen zu bestimmen, und die Beklagte in dieses Leistungsschutzrecht der Klägerinnen eingegriffen habe. Die Frage, ob ein Kontrahierungszwang der Verwertungsgesellschaft Rundfunk (VGR) bestehe, sei ohne entscheidungswesentliche Bedeutung, weil die Voraussetzungen der zulässigen Selbsthilfe nach § 19 ABGB nicht vorliegen. Der Beklagten sei das Abwarten des von ihnen bereits eingeleiteten Gerichtsverfahrens ohne weiteres zuzumuten. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerinnen sei nicht erkennbar.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss dahingehend abzuändern, dass der Sicherungsantrag abgewiesen werde, in eventu die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen, in eventu den Klägerinnen den Erlag einer erheblich höheren Sicherheitsleistung aufzutragen.

Die Klägerinnen beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Der Rundfunkunternehmer, der Fernsehprogramme durch Rundfunk oder auf eine ähnliche Art sendet, hat nach § 76a Abs 1 UrhG mit den vom Gesetz bestimmten Beschränkungen das ausschließliche Recht, die Sendung gleichzeitig über eine andere Sendeanlage zu senden, zu verbreiten und zur öffentlichen Zurverfügungstellung zu benutzen. Die Klägerinnen sind grundsätzlich zur Geltendmachung eines sich daraus ergebenden Unterlassungsanspruchs berechtigt, weil § 59a Abs 1 UrhG, wonach das Recht zur Weitersendung von Rundfunksendungen nur von Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden kann, nach Abs 3 leg cit nicht für Rundfunkunternehmer gilt.

2. Die Beklagte macht in ihrem Rekurs geltend, dass sie zur Weiterleitung der Fernsehprogramme der Klägerinnen berechtigt sei, weil die Klägerinnen und die von ihnen betraute Verwertungsgesellschaft einem Kontrahierungszwang unterliegen, der sich aus § 36 VerwGesG und § 59b Abs 2 UrhG sowie aus der marktbeherrschenden Stellung nach § 4 Abs 3 KartG ergebe.

3. Richtig ist, dass Verwertungsgesellschaften nach § 36 Abs 1 VerwGesG verpflichtet sind, den Nutzern die Erlangung der erforderlichen Nutzungsbewilligungen zu angemessenen Bedingungen tunlichst zu erleichtern. Hat die Verwertungsgesellschaft die Verhandlungen darüber nicht nach Treu und Glauben aufgenommen oder einen Vertragsabschluss ohne triftigen Grund verweigert, so hat der Nutzer nach § 36 Abs 2 VerwGesG Anspruch auf Erteilung der Bewilligung zu angemessenen Bedingungen. Die Verwertungsgesellschaften unterliegen damit – soweit ihnen Leistungsschutzrechte an den Fernsehprogrammen tatsächlich übertragen wurden – einem Kontrahierungszwang (4 Ob 222/10s; Walter, Urheber- und Verwertungsgesellschaftenrecht '15 [2015] § 17 VerwGesG 2006 Rz 1.2; Handig in Wittmann, Verwertungsgesellschaftengesetz 2016 § 36 Rz 4).

4. Darüber hinaus sieht § 59b UrhG vor, dass der weitersendende Rundfunkunternehmer, wenn ein Vertrag über die Bewilligung zur gleichzeitigen, vollständigen und unveränderten Weitersendung einer Rundfunksendung nicht zustandekommt, weil die Verwertungsgesellschaft oder der berechtigte Rundfunkunternehmer die Verhandlungen darüber nicht nach Treu und Glauben aufgenommen oder sie ohne triftigen Grund be- oder verhindert hat, nicht nur beim Schlichtungsausschuss Vertragshilfe beantragen kann, sondern auch einen Anspruch auf Erteilung der Bewilligung zu angemessenen Bedingungen hat. Nach dem Grundsatz der technologieneutralen Auslegung umfasst dieses Recht auch die Weitersendung über Internetfernsehen, solange keine zeitversetzte Abfrage möglich ist (Lusser/Krassnigg-Kulhavy in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 59a UrhG Rz 51 ff). Trotz der Ausnahmevorschrift in § 59a Abs 3 UrhG können im Hinblick auf Art 12 Abs 1 der Kabel- und Satellitenrichtlinie 93/83/EWG auch Ansprüche gegen Rundfunkunternehmer nach § 59b UrhG durchgesetzt werden (Walter in Walter, Europäisches Urheberrecht [2001] Art 12 Satelliten- und Kabelrichtlinie Rz 12; Walter, Urheberrecht [2008] I Rn 689). Damit unterliegen auch die Klägerinnen einem Kontrahierungszwang.

5. Richtig ist auch, dass sich aus der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens nach § 4 KartG ein mittelbarer Kontrahierungszwang ergeben kann (RS0016745; RS0063874). Eine Verpflichtung zum Vertragsabschluss setzt aber einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot des § 5 KartG voraus (RS0063874; RS0117542 [T3]). Eine marktbeherrschende Stellung der Klägerinnen wäre aber nur anzunehmen, wenn ihre Fernsehprogramme nach objektiver Einschätzung wirtschaftlich nicht substituierbar sind, sei es wegen der besonderen allgemeinen Umsatzerwartungen, der Bedeutung für die Marketingstrategie der Beklagten oder des besonderen Images der Fernsehprogramme der Klägerinnen (zum Filmverleih: RS0116615). Ob dies zutrifft, muss hier aber nicht beantwortet werden.

6. Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass der Begünstigte bei der Verletzung des Kontrahierungszwangs nach herrschender Ansicht zwischen einer Klage auf Abgabe der Zustimmungserklärung zum Vertrag und einer Klage auf unmittelbare Leistung wählen kann (9 ObS 13/91 = RS0016767; Oberndorfer, Zur Leistungspflicht des daseinsvorsorgenden Staates, FS-Eichler [1977] 433, 443; F. Bydlinski, Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 1980, 1, 24 f; Rummel in Rummel/Lukas4 § 861 ABGB Rz 24). Aber auch damit ist für die Beklagte nichts gewonnen.

7. Der Oberste Gerichtshof hat nämlich bereits ausgesprochen, dass, auch wenn dem Begünstigten eine Klage auf unmittelbare Leistung zusteht, eine eigenmächtige Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs auch bei Vorliegen eines Kontrahierungszwangs schon aufgrund des Verbots der Selbsthilfe nach § 19 ABGB dennoch unzulässig ist (8 Ob 1536/93 = RS0009030). Eine Selbsthilfe wäre ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn staatliche Hilfe zu spät käme (RS0009019; RS0009068). Nach ihrem eigenen Vorbringen hat die Beklagte bereits am 10.4.2019 beim Erstgericht zu 17 Cg 18/19g eine Klage auf Erteilung einer Nutzungsbewilligung eingebracht. Der Beklagten ist es ohne weiteres zuzumuten, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten. Dies gilt umso mehr, weil im Fall einer unberechtigten Verweigerung der Nutzungsbewilligung die von der Beklagten behaupteten wirtschaftlichen Nachteile im Wege des Schadenersatzes ausgeglichen werden könnten. Sollte die Verweigerung der Nutzungsbewilligung mit einem unwiederbringlichen Nachteil verbunden sein, bestünde auch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes (siehe 4 Ob 375/82 ÖBl 1983, 114).

8. Ein eigenmächtiger Eingriff in fremde Leistungsschutzrechte widerspricht auch den klaren Vorgaben des Gesetzgebers, der ein Weitersenden fremder Fernsehprogramme vor Erteilung der Nutzungsbewilligung nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen als zulässig erachtet: So gilt die Bewilligung nach § 36 Abs 3 VerwGesG als erteilt, wenn die Verwertungsgesellschaft die Nutzungsbewilligung nur deshalb verweigert hat, weil keine Einigung über das Entgelt erzielt werden konnte, und der Nutzer daraufhin den nicht strittigen Teil des Entgelts an die Verwertungsgesellschaft gezahlt und eine Sicherheit in der Höhe des strittigen Teils des Entgelts geleistet hat. In allen anderen Fällen beschränkt § 36 Abs 2 VerwGesG und § 59b Abs 2 UrHG die Rechte des weitersendenden Rundfunkunternehmers auf die „Erteilung der Bewilligung zu angemessenen Bedingungen“. Es widerspricht damit den Vorgaben des Gesetzes, wenn die Beklagte so behandelt werden will, als ob ihr eine Nutzungsbewilligung bereits erteilt worden wäre, obwohl die Voraussetzungen des § 36 Abs 3 VerwGesG nicht vorliegen und sie für die Weitersendung der Fernsehprogramme weder ein Entgelt bezahlt noch eine Sicherheit geleistet hat.

9. Die Beklagte moniert als sekundären Feststellungsmangel, dass das Erstgericht keine Feststellungen zu den technischen und vertraglichen Zugangsvoraussetzungen ihres Online-Angebots getroffen hat. Die Feststellungsgrundlage ist aber nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind (RS0053317). Eine entscheidungswesentliche Relevanz der vermissten Feststellungen wurde von der Beklagten nicht dargelegt. Auch die Ausführungen der Beklagten zur Wahrnehmungsbefugnis der Verwertungsgesellschaft Rundfunk (VGR) können nichts daran ändern, dass der Beklagten kein Weitersenderecht eingeräumt wurde.

10. Die Beklagte macht schließlich geltend, dass ihr durch die einstweilige Verfügung ein erheblicher und nicht mehr rückgängig zu machender wirtschaftlicher Schaden drohe, weil sie dadurch ihre prognostizierten Jahresumsätze von 3,6 Mio im Jahr 2019, von EUR 10,8 im Jahr 2020 und von EUR 19,2 Mio im Jahr 2021 nicht erreichen würde. Angesichts des unverhältnismäßigen Eingriffs in ihre Rechtssphäre hätte die einstweilige Verfügung nicht erlassen werden dürfen, zumindest aber wäre den Klägerinnen eine wesentlich höhere Sicherheit aufzutragen gewesen.

11. Richtig ist, dass eine einstweilige Verfügung immer nur eine vorläufige Regelung zum Gegenstand haben kann und daher keine Sachlage schaffen darf, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (RS0005696). Ein allfälliger Schaden durch reduzierte Gewinne kann aber durch Geld ausgeglichen werden und steht einer einstweiligen Verfügung nicht entgegen (RS0005696 [T11]). Allerdings kann das Gericht bei schweren Eingriffen in die Geschäftstätigkeit die Bewilligung der einstweiligen Verfügung nach § 390 Abs 2 EO von einer nach freiem Ermessen zu bestimmenden Sicherheitsleistung abhängig machen (RS0005711 [T5, T6]).

12. Grundsätzlich genügt die Festsetzung einer verhältnismäßig niedrigen Sicherheitsleistung, wenn sich die Höhe des Nachteils nicht mit Sicherheit bestimmen lässt, weil später immer noch die Möglichkeit einer Erhöhung besteht, wenn sie sich als unzureichend herausstellen sollte (RS0005453). Bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung sind aber auch die Erfolgsaussichten eines potentiellen Rechtsmittels zu berücksichtigen. Ist die Sachverhaltsgrundlage unstrittig und die Rechtslage eindeutig, ist keine Sicherheit aufzutragen (RS0005711 [T9]). Aus diesen Erwägungen kommt eine Erhöhung der vom Erstgericht bestimmten Sicherheitsleistung nicht in Betracht. Die Beklagte hat in ihrem Rekurs den von ihr befürchteten Schaden weder beziffert noch auch nur annähernd bescheinigt.

13. Die Kostenentscheidung beruht für die Beklagte auf §§ 78, 402 EO iVm §§ 40, 50 und 52 Abs 1 ZPO, für die Klägerinnen auf § 393 Abs 1 EO.

14. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands ergibt sich aus §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO und entspricht dem wirtschaftlichen Interesse an der Übertragung der Fernsehprogramme.

15. Im Hinblick auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 Ob 1536/93 war der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.

 

Textnummer

EW0001061

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2020:03000R00005.20F.0131.000

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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