TE OGH 2020/9/23 1Ob138/20f

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Veröffentlicht am 23.09.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj J*****, geboren am ***** 2007, und der mj A*****, geboren am ***** 2009, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter N*****, vertreten durch die Peissl & Partner Rechtsanwälte OG, Köflach, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 2. Juni 2020, GZ 3 R 107/20p-33, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 1. April 2020, GZ 10 Ps 41/20y-29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Auch im Verfahren außer Streitsachen ist die materielle Rechtskraft einer Entscheidung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (§ 43 AußStrG; RIS-Justiz RS0007477; RS0007171). Diese hält nur nachträglichen Tatbestandsänderungen nicht stand (RS0007140; RS0007201 [T4]; 7 Ob 174/16p). Ist die Obsorge endgültig geregelt, kann nach § 180 Abs 3 ABGB ein Elternteil bei Gericht (nur) dann eine Neuregelung der Obsorge beantragen, wenn sich die Verhältnisse maßgeblich geändert haben. Die nachträgliche Änderung einer bestehenden Obsorgeregelung setzt zwar keine Gefährdung des Kindeswohls voraus, es muss aber eine gewichtige Änderung der für die Obsorgeentscheidung relevanten Umstände eingetreten sein (vgl 3 Ob 212/14v; 8 Ob 152/17m; 7 Ob 77/19b), die eine Neuregelung der Obsorge geboten erscheinen lassen. Entscheidungen über die Obsorge sind stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu treffen, es kommt ihnen daher typischerweise keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht tragende Grundsätze oder das Kindeswohl verletzt wurden (vgl RS0007101; RS0115719; RS0097114; 5 Ob 185/19w zu einem Antrag nach § 180 Abs 3 ABGB). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf.

2. Die Mutter stützte ihren Antrag auf Neuregelung der Obsorge (die für beide Kinder zur Gänze dem Vater übertragen worden war; mit ihrem Antrag begehrte sie die alleinige Obsorge) darauf, dass sich in einem gegen sie (wegen einer angeblichen Misshandlung des Vaters) geführten Strafverfahren aufgrund eines dort eingeholten Gutachtens zur Aussagefähigkeit der Kinder ergeben habe, dass diese vom Vater instrumentalisiert worden seien, „um die Mutter zu überwachen“. Der Vater habe die Kinder durch ein „hochgradig suggestives Verhalten“ gegen die Mutter aufgebracht, sie bei Auseinandersetzungen mit dieser mitgenommen und um Unterstützung gebeten und sie seine Verletzungen fotografieren lassen, „deren Ursache er ihnen erklärt habe“. Die Kinder hätten daher gegenüber der Polizei zur behaupteten Misshandlung des Vaters durch die Mutter (was auch zu ihrer Wegweisung geführt habe) unrichtige Angaben gemacht, sodass ihr schließlich die Obsorge entzogen worden sei.

3. Damit macht sie aber keine nachträglichen Änderungen gegenüber dem der Vorentscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt geltend. Aber selbst wenn man – wie das Rekursgericht – die „maßgebliche Änderung der Verhältnisse“ im Sinn des § 180 Abs 3 ABGB dahin verstünde, dass auch bei einer früheren Entscheidung bewusst oder irrtümlich unberücksichtigt gebliebene Umstände einem Elternteil die Möglichkeit einräumen könnten, eine andere Regelung zu erwirken (vgl etwa Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 107 Rz 35; siehe auch RS0007148), zeigt der Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf. Entgegen dem Standpunkt der Mutter in ihrem Neuregelungsantrag wurde die Obsorge dem Vater nämlich keineswegs nur deshalb (zur Gänze) übertragen, weil über sie – wegen einer angeblichen (von den Kindern gegenüber der Polizei bestätigten) Misshandlung des Vaters – ein Betretungsverbot verhängt wurde. Der Obsorgeentscheidung lag vielmehr vor allem die Erwägung zugrunde, dass die Kinder angegeben hatten, beim – vom Erstgericht als erzieherisch und pädagogisch ausreichend kompetent angesehenen – Vater leben zu wollen, was die Mutter als „Verrat und persönlichen Angriff“ wertete und worauf sie mit Wut und Schuldzuweisungen gegenüber den Kindern reagierte. Da sie deshalb nicht in der Lage sei, die Bedürfnisse der Kinder in den Vordergrund zu stellen, komme ihr (derzeit) nur eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit zu. In ihrem Neuregelungsantrag ging die Mutter – wie auch im vorliegenden Revisionsrekurs – auf diese Begründung (also ihre mangelnde Erziehungsfähigkeit) nicht ein und behauptet insbesondere nicht, dass insoweit eine relevante Änderung eingetreten wäre. Es begegnet daher keinen Bedenken, dass die Vorinstanzen bereits aufgrund des Antragsvorbringens keinen ausreichenden Grund für eine Änderung der erst rund drei Monate zuvor getroffene Obsorgeentscheidung annahmen, der zudem den – von der Mutter unberücksichtigt gelassenen – Grundsatz der Erziehungskontinuität (vgl RS0132056; RS0128809 [T5]) in den Hintergrund treten ließe.

Textnummer

E129498

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00138.20F.0923.000

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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