TE OGH 2020/9/3 5Ob25/20t

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und die Hofrätin Mag. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J*****, vertreten durch MMag. Dr. Gerd Konezny, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. M*****, vertreten durch Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Rechnungslegung und Zahlung über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2019, GZ 45 R 565/19z-51, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. September 2019, GZ 7 C 15/18p-44, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagte ist Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin eines Hörstudios, das im selben Gebäude liegt wie die Praxis des klagenden HNO-Facharztes. Das Hörstudio liegt im Erdgeschoss, die Ordination im 3. Stock.

Die Streitteile waren von 1997 bis 2014 verheiratet. Während der Ehe führten sie ein Tinnituszentrum, in dem Patienten durch den Kläger und danach von Akustikern im Hörstudio der Beklagten betreut wurden. Es gab einen gemeinsamen Internetauftritt, Teamsitzungen zur Besprechung von Marketingmaßnahmen und Ähnliches. Die Patienten konnten selbst entscheiden, wo sie das vom Kläger verordnete Hörgerät kauften. Lage von Ordination und Hörstudio legten den Kauf im Hörstudio jedoch nahe.

Im Rahmen der Scheidung nach § 55a EheG schlossen die Streitteile am 7. 2. 2014 einen Scheidungsvergleich. In dessen Punkt 6 verpflichtete sich die Beklagte, an den Kläger „in Erledigung wie immer Titel habender Aufteilungsansprüche“ eine Ausgleichszahlung von 450.000 EUR in jährlichen Raten, deren Höhe sich nach der Ertragsfähigkeit des Unternehmens richtete, zu zahlen, sowie zur Rechnungslegung.

Dieser Ausgleichszahlung standen keine aufzuteilenden Vermögenswerte gegenüber. Die sonstigen Vermögenswerte (Liegenschaften) wurden annähernd gleichwertig aufgeteilt.

Hintergrund der Ausgleichszahlung war das Bedürfnis der Beklagten, durch die Fortsetzung der beruflichen Kooperation finanziell abgesichert zu sein. Ein Unterhalt zu ihren Gunsten wurde im Scheidungsvergleich nicht vereinbart. Die Beklagte wollte mit einer Ausgleichszahlung „Zuweisungen“ absichern und eine Verlegung der Ordination verhindern. Der Kläger wollte, „dass es der Beklagten weiterhin gut gehe und die erfolgreiche berufliche Zusammenarbeit weitergeführt werde“. Konkrete „Zuweisungen“ wurden nicht zugesichert und im Zug der Besprechung im Zusammenhang mit dem Scheidungsvergleich auch nicht erwähnt. Grund der Ausgleichszahlung war, die Kooperation fortzusetzen und einen allfälligen Leistungsaustausch zu gewährleisten.

Grundlage für die Berechnung der Höhe der Rate war das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit des Hörstudios für das vorangehende Geschäftsjahr abzüglich des Geschäftsführerbezugs oder eines Äquivalents in der Höhe von 100.000 EUR, abzüglich aller verbundenen Abgaben (Lohnnebenkosten, der Körperschaftssteuer, einer Investitionsrücklage von 10.000 EUR und der Kapitalertragsteuer). Von dem sich daraus ergebenden Betrag sollten 50 % als jährliche Rate (die erste Rate in Höhe von 25 %) gezahlt werden. Die Zahlungsverpflichtung sollte unabhängig davon, ob die Summe der Ausgleichszahlungen 450.000 EUR erreicht, in folgenden Fällen enden:

a) bei Vollendung des 67. Lebensjahres des Klägers;

b) bei Beendigung seiner kassenärztlichen Tätigkeit;

c) bei Eintritt seiner gänzlichen oder teilweisen Berufsunfähigkeit sowie im Fall seines Todes.

Im Fall des Verkaufs sämtlicher Geschäftsanteile der Beklagten am Hörstudio, des Verkaufs dieses Unternehmens an Dritte, Einstellung des Betriebs und/oder Liquidation der Gesellschaft sollte die Verpflichtung zur Ratenzahlung enden, im Fall eines nur teilweisen Verkaufs der Geschäftsanteile sollte sie entsprechend reduziert werden.

Im Sommer 2016 hielt der Kläger einen Vortrag für ein Konkurrenzunternehmen des Hörstudios der Beklagten, was zu Streitigkeiten führte. Die Streitteile einigten sich unter Beiziehung ihrer Rechtsvertreter, dass der Kläger keine Vorträge für das Konkurrenzunternehmen halten sollte und die Beklagte die Verpflichtungen aus dem Vergleich erfüllt. Sie bezahlte die ausständige Rate für das Jahr 2015 und übermittelte Finanz-, Gewinn- und Verlustrechnungen an den Kläger. Um von diesem unabhängig zu werden und neue Geschäftsfelder zu erschließen, engagierte sie Berater, gründete eine Tinnitushotline und führte ein Hörtraining ein. Im Anschluss daran wurde die gemeinsame Kooperation zwischen den Streitteilen eingestellt. Gemeinsames Marketing und Teamsitzungen fanden nicht mehr statt. Die Zahl der Patienten in der Ordination des Klägers und „darauf folgende Empfehlungen“ gingen zurück. Die Beklagte übermittelte dem Kläger zuletzt für das Jahr 2016 den Jahresabschluss und leistete eine Ratenzahlung. Von den vereinbarten 450.000 EUR sind noch rund 185.000 EUR offen.

Der Kläger begehrt in seiner Stufenklage Rechnungslegung und Zahlung.

Die Beklagte berief sich auf das Provisionsverbot des § 53 Abs 2 ÄrzteG.

Das Erstgericht gab dem Rechnungslegungsbegehren großteils statt und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des sich daraus ergebenden Betrags abzüglich einer Teilzahlung von 38.730,44 EUR sA, wobei die Festlegung des Zahlungsbetrags bis zur Erfüllung der Rechnungslegungspflicht vorbehalten bleiben sollte. Es sah rechtlich die Vereinbarung im Scheidungsvergleich nicht als gegen § 53 Abs 2 ÄrzteG verstoßende Gewinnbeteiligung eines Arztes, weil sich der Ausgleichsanspruch nach dem Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit richte. Eine beiden Parteien zugute kommende „mittelbare Versorgung“ der Beklagten, die keine Verpflichtung zur Zuweisung beinhalte, unterliege nicht § 53 Abs 2 ÄrzteG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision nicht zu. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Ein Zusammenhang mit der Zuweisung von Patienten bestehe nicht. Nur die Höhe der Rate bemesse sich nach der Ertragsfähigkeit des Hörstudios der Beklagten. Die Vereinbarung sei zur finanziellen Absicherung der Beklagten getroffen worden, ihre Liquidität sei dabei berücksichtigt worden.

Rechtliche Beurteilung

Die – nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete – außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung berechtigt.

1.1 § 53 ÄrzteG (Werbebeschränkung und Provisionsverbot) lautet:

(1) Der Arzt hat sich jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.

(2) Der Arzt darf keine Vergütungen für die Zuweisung von Kranken an ihn oder durch ihn sich oder einem anderen versprechen, geben, nehmen oder zusichern lassen. Rechtsgeschäfte, die gegen dieses Verbot verstoßen, sind nichtig. Leistungen aus solchen Rechtsgeschäften können zurückgefordert werden.

(3) Die Vornahme der gemäß Abs. 1 und 2 verbotenen Tätigkeiten ist auch Gruppenpraxen (§ 52a) und sonstigen physischen und juristischen Personen untersagt.

(4) Die Österreichische Ärztekammer kann nähere Vorschriften über die Art und Form der im Abs. 1 genannten Informationen erlassen.

1.2 Hier ist zu prüfen, ob eine in einem Scheidungsvergleich geschlossene Vereinbarung, in der sich die beklagte Inhaberin eines Hörstudios zu einer von der Ertragslage dieses Unternehmens abhängigen Ausgleichszahlung an den klagenden Hals-Nasen- und Ohrenarzt verpflichtete und deren Erfüllung begehrt wird, nach § 53 Abs 2 iVm Abs 3 ÄrzteG nichtig ist.

2.1 Zum Provisionsverbot des § 53 Abs 2 ÄrzteG nehmen folgende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs Stellung:

2.2 Das von einem Informationsbüro verlangte Entgelt für die Beratung von Patienten darüber, welche Zahnärzte gewünschte ärztliche Leistungen zu bestimmten Preisen anbieten, ist keine Vergütung zugunsten des Arztes (4 Ob 16/99b = RIS-Justiz RS0111952).

2.3 4 Ob 21/99p betraf ein von einer Aktiengesellschaft (AG), deren alleiniger Vorstand ein praktizierender Zahnarzt war, betriebenes Franchise-System. Die AG erbrachte für ihre Franchise-Nehmer (praktizierende und zukünftige Zahnärzte) Leistungen der Patientenbetreuung und diverse Marketingmaßnahmen. Die Franchise-Gebühr betrug 7 % des Monatsumsatzes der Franchise-Nehmer. Der 4. Senat sah darin keinen Verstoß gegen § 53 Abs 2 ÄrzteG. Diese Bestimmung richte sich gegen einen „Patientenkauf“. Ein solcher liege nicht schon vor, wenn gegen Entgelt für ärztliche Leistungen geworben werde. Werbung für ärztliche Leistungen sei immer darauf ausgerichtet, dem Arzt Patienten zuzuführen. Läge schon allein deshalb eine Zuweisung von Kranken iSd § 53 Abs 2 ÄrzteG vor, so enthielte diese Bestimmung ein absolutes Verbot der entgeltlichen Werbung für ärztliche Leistungen. Dass ein solcher – verfassungswidriger – Inhalt nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche, zeige § 53 Abs 1 ÄrzteG. Nur die unsachliche, unwahre oder das Standesansehen beeinträchtigende Information sei dem Arzt im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs verboten. Die Werbebeschränkung solle unter anderem das Interesse der Allgemeinheit wahren, sich bei der Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen von sachlichen Erwägungen leiten zu lassen. § 53 Abs 2 ÄrzteG ergänze die Werbebeschränkung. Der Arzt solle Patienten nicht durch materielle Vorteile für sich oder einen anderen gewinnen. Die Franchise-Gebühr sei jedoch kein materieller Vorteil in diesem Sinn und gelte vielfältige Leistungen der Franchise-Geberin ab.

2.4 Zu 7 Ob 55/13h beurteilte der Oberste Gerichtshof ein Geschäftskonzept, nach dem eine zu gründende GmbH durch gezielte Werbemaßnahmen den Umsatz der von einem Zahnarzt zu betreibenden Ordination fördern sollte. Die Gesellschaft sollte ihre Werbe- und Beratungstätigkeit dem Patienten gegenüber unentgeltlich erbringen und über eine Beteiligung am Umsatz der Zahnarztordination finanziert werden. Angedacht war eine Gewinnaufteilung im Verhältnis 70:30 zwischen der Gesellschaft und dem Zahnarzt. Der 7. Senat sah in der Gewinnbeteiligung am Umsatz infolge Zuführens von Patienten ein gegen das Provisionsverbot des § 53 Abs 2 und 3 ÄrzteG verstoßendes Geschäftskonzept. Er bejahte die Haftung des beklagten Rechtsanwalts, der nicht auf diese Unzulässigkeit hingewiesen habe.

Beiden zuletzt zitierten Entscheidungen lässt sich eine klare übereinstimmende Definition des Begriffs „Zuweisung von Kranken“ iSd § 53 Abs 2 ÄrzteG nicht entnehmen.

2.5 Nach 4 Ob 21/99p genügt eine entgeltliche Werbung für ärztliche Leistungen aufgrund des Verhältnisses zwischen § 53 Abs 1 und Abs 2 ÄrzteG nicht für eine Zuweisung, ungeachtet dessen, dass eine derartige Werbung immer auf die Zuführung von Patienten an den Arzt ausgerichtet ist. Als entscheidend sieht es der Oberste Gerichtshof offenbar an, dass nur diese Werbetätigkeit dem beworbenen Arzt oder einem Dritten materielle Vorteile bringt oder bringen soll. Eine Kausalität zwischen Werbemaßnahmen (eines Dritten) für einen Arzt und Vergütung forderte der Oberste Gerichtshof auch in 7 Ob 55/13h. Die Werbemaßnahmen fördern den Umsatz einer Ordination, wovon sowohl der Arzt als auch das gewinnbeteiligte werbende Unternehmen finanziell profitieren (sollten).

3.1 Im Zusammenhang mit dem Werbeverbot des § 53 Abs 1 ÄrzteG hat die Österreichische Ärztekammer aufgrund des § 53 Abs 4 iVm § 117b Abs 2 Z 9 lit b ÄrzteG 1998 eine Verordnung erlassen (Arzt und Öffentlichkeit 2014).

3.2 Nach § 3 Satz 1 dieser Verordnung ist die Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber unzulässig. Zulässig ist hingegen nach § 3 Satz 2 der Verordnung die sachliche, wahre und das Ansehen der Ärzteschaft nicht beeinträchtigende Information über Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige Medizinprodukte sowie über deren Hersteller und Vertreiber in Ausübung des ärztlichen Berufs.

3.3 Der Oberste Gerichtshof hat sich – Kooperationen zwischen Augenärzten und Optikern betreffend – bereits mehrfach mit wettbewerbsrechtlich und berufsrechtlich (§ 53 Abs 1 und 4 ÄrzteG iVm § 3 der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen der Öffentlichkeit) unzulässiger Werbung befasst:

Zu 4 Ob 352/76 (= ÖBl 1977, 35) wurde die Kooperation zwischen Optiker und im selben Haus tätigem Augenarzt, der Patientenrezepte über Rohrpost dem Optiker zuleitete, als unlauterer Wettbewerb beurteilt.

Zu 4 Ob 34/14z (= ÖBl 2014/55) sah der Oberste Gerichtshof in der bloßen räumlichen Kooperation von Augenarzt und Optiker noch keinen unlauteren Wettbewerb, weil die räumlichen Verhältnisse für sich die Entscheidungsfreiheit von Patienten hinsichtlich der Wahl des Optikers nicht beschränken. Verweise jedoch die Ordinationshilfe des Augenarztes Patienten hinsichtlich weiterer Fragen bei Sehhilfen an den im selben Haus ansässigen Optiker, läge darin eine nach § 53 Abs 1 ÄrzteG iVm Art 3d der Richtlinie Arzt und Öffentlichkeit unzulässige Werbung. Letztere Beurteilung kritisiert Appl in seiner Entscheidungsbesprechung (ÖBl 2014, 269 ff). Die zugrunde gelegte Richtlinie der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK-RL – Arzt und Öffentlichkeit) sei mit Wirksamkeit vom 30. 6. 2014 von der ÖÄK-V Arzt und Öffentlichkeit 2014 abgelöst worden, die zwar Werbung, nicht aber sachliche Informationen verbiete. Ein Konsument dürfe als Teil einer umfassenden therapeutischen Begleitung erwarten, dass ihn ein Arzt auf geeignete Anlaufstellen hinweise und vor ungeeigneten Angeboten entsprechend warne.

Zu 4 Ob 133/16m wurde die auf Wunsch eines Patienten geäußerte Empfehlung eines bestimmten Optikers durch einen Augenarzt nicht als unzulässige Werbung beurteilt. Eine solche liege erst bei einem ungefragten Empfehlen bestimmter Betriebe oder bei sachfremden Motiven – insbesondere bei einem finanziellen Interesse – vor. Blum (RDM 2017, 28 f) pflichtet diesem Ergebnis nur bei Hinzutreten wirtschaftlicher Aspekte (Gewährung von Vorteilen an den Arzt für jeden vermittelten Patienten) bei. Ihrer Ansicht nach muss aber auch eine ungefragte Empfehlung nicht zwingend eine unzulässige Werbung begründen.

In dem zu 4 Ob 66/17k entschiedenen Fall waren zwei Augenärzte, einer davon auch Kontaktlinsenoptiker, persönlich haftende Gesellschafter einer Gesellschaft, die eine Ordination betrieb. An der selben Adresse hatte ein Optiker seine Geschäftsräumlichkeiten. Als unzulässige Werbung für das Optikergeschäft wurde unter anderem das Anbringen von Klebefolien auf Ordinationsfenstern und Kraftfahrzeugen beurteilt, nicht jedoch die von einem Ordinationsmitarbeiter erteilte Auskunft, dass bestimmte Brillenfassungen vom im selben Haus ansässigen Optiker vertrieben werden. Im Zusammenhang mit dieser Information setzte sich der Oberste Gerichtshof mit dem Begriff „Empfehlung“ auseinander. Nach gewöhnlichem Sprachgebrauch bedeute eine Empfehlung, dass sich der Äußernde zusätzlich persönlich mit dem Empfohlenen identifiziert und diesen nach eigener Prüfung als gut, vorteilhaft, vertrauenswürdig, nachahmenswert etc befindet. Standesrechtlich seien dem Arzt nur unsachliche Informationen verboten. Eine zulässige sachliche Information sei eine als nicht ungefragte Empfehlung angegebene, auf die Aufklärung des Patienten gerichtete und dessen Entscheidungsfreiheit wahrende, nicht von sachfremden (etwa dem eigenen Vorteil dienenden) Interessen des Arztes geleitete, sowie wahren und wissenschaftlichen Erkenntnissen oder medizinischen Erfahrungen nicht widersprechende Information über eine Leistung oder deren Erbringer, die im Zusammenhang mit Eigenschaften dieser Leistung (oder ihres Erbringers) stehe.

Zu 4 Ob 118/17g wurde die Werbung eines Augenarztes für seinen eigenen gewinnbringenden Brillen-Webshop als unzulässig beurteilt.

4 Ob 204/19g betraf den Betrieb einer Augenarzt-Ordination, eines Optikerbetriebs und eines Kontaktlinseninstituts an einer Adresse. Der Augenarzt war zu 50 % an der Optikerbetrieb-Gesellschaft beteiligt. Auch hier kam der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass die bloße räumliche Nähe zwischen Arzt und Optiker keine unzulässige Werbung begründet.

3.4 Nach Karollus, Grenzen bei der Beratung über Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte, RdM 2006/2, werden sachliche Informationen über Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie über deren Hersteller und Vertreiber, die im Beratungsgespräch mit dem Patienten erteilt werden, nicht vom Verbot der unzulässigen Werbung nach Art 3 lit d der Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ in der Fassung 2003 (nunmehr ÖÄK-V, Arzt und Öffentlichkeit 2014) erfasst.

4.1 Nach § 2 Abs 1 der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über den ärztlichen Verhaltenskodex (Ärztlicher Verhaltenskodex 2014) ist die Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit gegenüber der Pharma- und Medizinprodukteindustrie eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für die ärztliche Tätigkeit.

4.2 Nach § 4 Abs 1 des Verhaltenskodex dürfen unangemessene Zuwendungen, Geschenke und/oder andere Vorteile nicht angenommen werden. § 4 Abs 3 des Kodex verbietet selbst die Annahme von Geschenken geringen Werts, sofern die Entgegennahme derselben direkt oder indirekt von der Verschreibung eines Arzneimittels oder vom Erwerb eines Medizinprodukts durch eine Patientin (einen Patienten), der über Empfehlung einer Ärztin (eines Arztes) erfolgt, abhängig gemacht wird.

4.3 § 10 des Verhaltenskodex 2014 regelt das Anbieten gewerblicher Dienstleistungen und Produkte. Im Hinblick auf die Erwerbsfreiheit gemäß Art 6 StGG dürfen Ärztinnen unter Einhaltung der für sie geltenden (insbesondere berufsrechtlichen) Bestimmungen auch gewerbliche Dienstleistungen und Produkte anbieten. Die ärztliche Behandlung oder Beratung muss jedoch davon unbeeinflusst sein. Auf den Patienten darf kein Druck ausgeübt und diesem dürfen nur sachliche Informationen erteilt werden. Gemäß § 10 Abs 3 Z 5 des Verhaltenskodex darf der Arzt von Dritten keine Vergütungen für die Empfehlung und/oder Vermittlung von Produkten und/oder Dienstleistungen fordern, sich versprechen lassen oder annehmen.

5.1 Ähnlich § 53 Abs 2 ÄrzteG enthält § 108 Medizinproduktegesetz (MPG) ein Provisionsverbot im Zusammenhang mit dem Verkauf von Medizinprodukten. Solche sind nach der Legaldefinition des § 2 Abs 1 MPG alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Apparate, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen zum Zweck des Ersatzes physiologischer Vorgänge bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden. Im hier interessierenden Zusammenhang sind Hörgeräte als Medizinprodukt zu qualifizieren (ErläutRV 313 BlgNR 20. GP 50).

5.2 § 108 MPG verbietet es, für die Auswahl/ Empfehlung/Vermittlung eines bestimmten Medizinprodukts ein Entgelt zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen (vgl 4 Ob 104/03b = RS0118197; Larcher in Petsche/Mair, Handbuch Compliance3 Kap III A1 Health Care Compliance 484 ff). Die Beschränkung der Erwerbsmöglichkeit durch § 108 MPG wird durch den Zweck des Gesetzes gerechtfertigt, die sachgerechte Beratung des Patienten dadurch abzusichern, dass der mögliche finanzielle Vorteil nicht Einfluss auf die Entscheidung habe solle, welches Medizinprodukt (welches Heilmittel oder welcher behandelnde Arzt/Krankenanstalt) empfohlen wird (RS0118198 [T1]).

5.3 In der Literatur wird eine Kapitalbeteiligung von Ärzten an einem Unternehmen, das Arzneimittel oder Medizinprodukte herstellt, nicht beanstandet, es sei denn, ein Arzt könne durch seine ärztlichen Leistungen als Zuweiser oder Verordner direkt und unmittelbar den Wert seines Kapitalanteils steuern (Wallner in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht3 Kap XXI Rz 297; Wallner, Handbuch ärztliches Berufsrecht2 151).

5.4 Der BGH beurteilt Fälle, in denen ein Arzt nur mittelbar, insbesondere über allgemeine Gewinnausschüttungen am Erfolg eines Unternehmens beteiligt ist, differenziert. Die Beteiligung des Arztes an einem größeren pharmazeutischen Unternehmen ist nicht verboten, wenn bei objektiver Betrachtung ein spürbarer Einfluss der Patientenzuführungen des einzelnen Arztes auf seinen Ertrag aus der Beteiligung ausgeschlossen erscheine. Ob dies der Fall sei, hänge grundsätzlich vom Gesamtumsatz des Unternehmens, dem Anteil der Verweisungen des Arztes an diesen und an der Höhe seiner Beteiligung ab (BGH, I ZR 111/08 NJW 2011, 2211 Hörgeräteversorgung II).

5.5 Die berufsrechtliche deutsche Rechtsprechung stellt ebenfalls auf den spürbaren Einfluss auf den Gewinn des Unternehmens ab, der dadurch erzielt wird, dass Ärzte Patienten an Apotheker verweisen, die ebenfalls an einem Pharmaunternehmen beteiligt sind (Landesberufsgericht Heilberufe Münster 6 tA 1816/09).

6.1 Anders als § 108 MPG oder § 10 Abs 3 Z 5 Ärztlicher Verhaltenskodex 2014 verwendet § 53 Abs 2 ÄrzteG nicht den Begriff „Empfehlung“, sondern jenen der „Zuweisung“ (von Kranken). In der bisherigen Rechtsprechung wurde dieser Begriff nicht näher erläutert. Der Entscheidung 7 Ob 55/13h ist nicht zu entnehmen, wie die im angedachten Geschäftsmodell vorgesehenen gezielten, den Umsatz einer Zahnarztordination fördernden Werbemaßnahmen (die Zuführung von Patienten) konkret erfolgen sollten.

6.2 Das Ärztegesetz verwendet den Begriff „Zuweisung“ nur in seinem § 53 Abs 2 und definiert ihn nicht. Die Gesetzesmaterialen zu der mit § 53 ÄrzteG 1998 identischen Vorgängerbestimmung des § 25 ÄrzteG 1984 idF BGBl 1992/461 geben keinen Aufschluss. § 25 ÄrzteG ziele darauf ab, Patienten ein sachliches Informationsangebot zu vermitteln, andererseits jedoch Verfälschungen des Berufsbildes und nicht weiter überprüfbare Aussagen, die unrichtige Vorstellungen oder Erwartungen entstehen lassen können, hintanzuhalten. Eine Umgehung dieser Bestimmungen solle auch durch andere Personen ausgeschlossen werden (ErläutRV 524 BlgNR 18, 12).

6.3 Nach § 350 Abs 4 ASVG obliegt die Wahl der Apotheke, in denen von berechtigten Personen verordnete Heilmittel und Heilbehelfe (§ 350 Abs 1 Z 2 ASVG) abgegeben werden, den Anspruchsberechtigten; die Zuweisung an eine bestimmte Apotheke ist unzulässig. Auch in diesem Zusammenhang findet sich keine Definition des Begriffs „Zuweisung“.

6.4 § 135 ASVG regelt die vom Versicherungsträger im Rahmen der Krankenbehandlung (§ 133 Abs 2 ASVG) gewährte ärztliche Hilfe. Dieser ist nach § 135 Abs 1 Z 2 ASVG eine aufgrund ärztlicher Verschreibung oder psychotherapeutischer Zuweisung erforderliche diagnostische Leistung eines klinischen Psychologen oder einer klinischen Psychologin gleichgestellt. Der Begriff „Zuweisung“ wird nicht erläutert.

6.5 Jede Gesetzesauslegung beginnt zunächst mit der wörtlichen Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt (RS0008896 [T4]; RS0008895). Fachausdrücke sind in der Regel im fachsprachlichen Sinn auszulegen (9 ObA 35/15k mwN). Die Gesetzesauslegung darf nicht bei der Wortinterpretation stehen bleiben. Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (RS0008836 [T4]).

6.6 Eine fach- oder normspezifische Bedeutung des Begriffs „Zuweisung“ ist weder dem ÄrzteG noch den Verordnungen der Ärztekammer zu entnehmen. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist als Zuweisung eine konkrete und bindende Zuteilung an einen bestimmten Arzt oder sonstigen Gesundheitsdienstleister oder Hersteller/Vertreiber von Medizinprodukten zu verstehen.

6.7 Gegen dieses enge Wortverständnis sprechen teleologische Erwägungen. Gemeinsamer telos der Bestimmungen des § 53 Abs 1 und 2 ÄrzteG, des § 108 MPG sowie der zitierten Verordnungen der Österreichischen Ärztekammer ist die Wahrung von Interessen der Patienten, deren Entscheidungsfreiheit bei der Wahl eines Arztes oder eines Medizinprodukts nicht eingeschränkt werden soll. Eine sachgerechte, die Bedürfnisse von Patienten nach Information erfüllende Empfehlung ist aber nicht per se unzulässig. Sie ist nur dann verboten, wenn der dadurch bewirkte Einfluss auf die Entscheidung des Patienten dem Empfehlenden oder Ratenden einen finanziellen Vorteil verschafft oder verschaffen soll. Entscheidend ist somit, ob der Arzt für eine erfolgreiche Patientenzuführung an einen anderen Leistungserbringer einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt (vgl BGH I ZR 111/08 Rn 68).

6.8 Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, ein Verhalten, das von einem Arzt nicht zu erwarten ist, in einer eigenen Bestimmung mit Nichtigkeit zu sanktionieren. Diese Sanktion wäre sinnlos, wenn es bindende Zuweisungen in der Realität nicht gibt. Ein Gesetz darf nicht so interpretiert werden, dass ihm praktisch kein Anwendungsbereich verbleibt. Der Zweck der Norm, der in der Wahrung von Patienteninteressen an einer von finanziellen Interessen des Arztes unabhängigen Behandlung und Verordnung liegt, gebietet es, alle Fälle von Überweisung, Zuweisung und Empfehlung von Patienten an bestimmte Gesundheitsdienstleister unter den Begriff der „Zuweisung“ nach § 53 Abs 2 ÄrzteG zu subsumieren.

7.1 Ob die im Scheidungsvergleich getroffene Vereinbarung nach diesen Kriterien nichtig ist, lässt sich an Hand der Feststellungen der Vorinstanzen nicht abschließend beurteilen. Diese sind nicht eindeutig und lassen offen, wie (nach der für die Auslegung der Vereinbarung maßgeblichen Parteienabsicht) sich Zuweisungen oder Empfehlungen des klagenden Arztes gestalten und ob durch eine aktive und erfolgreiche Patientenzuführung (wie durch die Empfehlung, das verordnete Hörgerät im Hörstudio der Beklagten zu erwerben) das Betriebsergebnis des Hörstudios zugunsten des Arztes gesteuert werden sollten. Die Beklagte verfolgte zwar subjektiv das Ziel, mit einer Ausgleichszahlung „Zuweisungen“ abzusichern, weil die Entwicklung ihres Unternehmens mittelbar von der Tätigkeit des Klägers und seinen Zuweisungen abhängig war. Sie wollte auch verhindern, dass der Kläger seine Ordination verlegt. Konkrete Zuweisungen wurden allerdings nicht erwähnt und auch nicht zugesichert. Andererseits stellte das Erstgericht als Grund der Ausgleichszahlung fest, die während der Ehe bestandene Kooperation fortzusetzen und „einen allfälligen Leistungsaustausch zu gewährleisten“. Dass der Kläger Patienten den Kauf eines verordneten Hörgeräts im Hörstudio der Beklagten empfehlen sollte oder dies tatsächlich jemals tat, wurde nicht festgestellt. Zur Kooperation während der aufrechten Ehe finden sich Feststellungen, dass es den Patienten selbst überlassen war, in welchem Unternehmen sie ein Hörgerät kauften, allerdings die örtliche Nähe zwischen Ordination und Hörstudio den Erwerb im Unternehmen der Beklagten nahelegte. Ohne konkrete Einflussnahme durch den Arzt reicht diese örtliche Nähe für sich alleine nicht aus (vgl zu Werbeverboten 4 Ob 34/14z; 4 Ob 204/19g). Andererseits hat das Erstgericht auch festgestellt, dass sich nach Einstellung der Kooperation „die Zahl der Patienten in der Ordination des Klägers und der darauffolgenden Empfehlungen rückläufig gestalteten“.

7.2 Entscheidend ist, ob der Kläger durch konkrete Empfehlungen („Zuweisungen“) des Hörstudios der Beklagten die Entscheidung von Patienten beeinflussen sollte und konnte und sich diese Aktivitäten zu seinen Gunsten positiv auf das Betriebsergebnis des Hörstudios auswirken sollten und konnten. Dazu wird das Erstgericht konkrete Feststellungen zu treffen haben, insbesondere zur Art der „Empfehlungen“.

8. Sollten die Vorinstanzen nach Ergänzung des Verfahrens einen Verstoß gegen das Provisionsverbot des § 53 Abs 2 ÄrzteG verneinen, werden sie zunächst ein Teilurteil nur über den Rechnungslegungsanspruch zu fällen und erst danach über das Leistungsbegehren zu entscheiden haben (RS00355069; RS0108687; RS0034978).

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E129412

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00025.20T.0903.000

Im RIS seit

21.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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