TE OGH 2020/8/6 2Ob78/20i

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Veröffentlicht am 06.08.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. D***** D*****, vertreten durch die Mutter L***** D***** und 2. L***** D*****, beide *****, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte GmbH in Zell am See, gegen die beklagten Parteien 1. F***** B*****, 2. J***** B*****, und 3. U***** Versicherungen AG, *****, sämtliche vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Zell am See, wegen zuletzt (erstklagende Partei) 1.278,50 EUR sA und (zweitklagende Partei) 13.617,14 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 1.000 EUR), über die Revision der zweitklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 21. Februar 2020, GZ 53 R 270/19s-40, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 8. Oktober 2019, GZ 16 C 692/18w-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die zweitklagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.170,20 EUR (darin 195,03 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Die Zweitklägerin ist die Mutter des Erstklägers, der an Trisomie 21 leidet und „kein so guter Fahrradfahrer“ war. Auf einem 2,6 m breiten Güterweg, auf dem sich die Kläger mit ihren Fahrrädern befanden, kam es am 13. 7. 2018 zu einem Unfall, bei dem beide Kläger verletzt wurden. Der Unfallhergang konnte nicht festgestellt werden. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, ob das Fahrverhalten des Erstbeklagten bzw der von ihm gelenkte, vom Zweitbeklagten gehaltene und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherte Radlader in irgendeiner Form ursächlich für diesen Unfall und die damit einhergehenden Verletzungen der Kläger war oder wo sich der Radlader zum Zeitpunkt dieses Unfallgeschehens befunden hatte. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt kam es aber zu einer Kollision zwischen dem 2,8 m breiten und den Güterweg mit 15 bis 20 km/h befahrenden Radlader und den Fahrrädern der Kläger, wodurch die Fahrräder beschädigt wurden. Wäre die Sicht des Erstbeklagten durch vorne am Radlader aufgeladene Heuballen nicht eingeschränkt gewesen, hätte er die Fahrräder rechtzeitig erkennen, vor diesen anhalten und so die Kollision vermeiden können.

[2]            Die Kläger begehrten Schadenersatz, die Zweitbeklagte erhob auch ein Feststellungsbegehren. Sie brachten vor, der Unfall sei auf das Alleinverschulden des Erstbeklagten zurückzuführen, der die ihm entgegenkommenden und ihre Fahrräder schiebenden Kläger aufgrund der Sichtbehinderung durch die aufgeladenen Heuballen übersehen und überfahren habe. Die Kläger hätten zwar keine eigenen Wahrnehmungen zum Unfallgeschehen, jedoch zeigten die Verletzungen der Zweitbeklagten und die Schadensbilder an den Fahrrädern die massive Gewalteinwirkung.

[3]            Die beklagten Parteien wendeten ein, es habe keinen Zusammenstoß zwischen dem Radlader und den Klägern gegeben. Der Erstbeklagte habe die Zweitklägerin gestürzt direkt neben seinem Führerhaus wahrgenommen und aus diesem Grund den Radlader sofort angehalten.

[4]            Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zum Ersatz der durch die Beschädigung der Fahrräder entstandenen Schäden von 74,50 EUR und 230 EUR. Die darüber hinausgehenden Mehrbegehren betreffend die Verletzungen der Kläger wies es ab. Den Klägern sei lediglich der Beweis gelungen, dass die Beschädigungen ihrer Fahrräder durch das Beklagtenfahrzeug verursacht worden seien, nicht hingegen die übrigen Schäden der Kläger.

[5]            Der dagegen erhobenen Berufung der Kläger gab das Berufungsgericht nicht Folge. Hinsichtlich der Zweitklägerin bewertete es den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[6]            Nach Ansicht des Berufungsgerichts scheitere der Anscheinsbeweis schon deshalb, weil im vorliegenden Fall keineswegs von einem typischen Geschehensablauf gesprochen werden könne, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglichen würde. Es gäbe vielmehr verschiedene mögliche Unfallversionen, wobei es letztlich auch sein könne, dass die Kläger zunächst ohne jegliche Beteiligung des Radladers zu Sturz gekommen seien, etwa weil sie miteinander kollidiert seien, und durch den Radlader nur die bereits am Boden liegenden Fahrräder beschädigt worden seien. Ein Anscheinsbeweis müsste damit aber auch daran scheitern, dass es eine ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit einer anderen Schadensursache gebe.

[7]            Auf Antrag der Zweitklägerin ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Verbesserungsauftrag auch dann zu erteilen sei, wenn in der Berufungsschrift Seiten mit Teilen der Ausführungen zu einem Berufungsgrund fehlten. Auch komme einer Verdeutlichung der Abgrenzung, wann ein Anscheinsbeweis zulässig und wann er als erbracht anzusehen sei, weil „überwiegende Gründe“ für eine Verursachung des Schadens sprächen, zur Wahrung der Rechtssicherheit Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

[8]            Die dagegen gerichtete Revision der Zweitklägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

[9]            1. Ob das Unterbleiben eines Verbesserungsauftrags wegen zweier fehlender Seiten im Text der Berufungsschrift eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens bedeutet, braucht nicht beantwortet zu werden. Denn der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nur dann gegeben, wenn der behauptete Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RS0043027). Der Rechtsmittelwerber hat diese Eignung darzutun, wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist (RS0043027 [T6, T10]). Von einer Offenkundigkeit kann hier aber keine Rede sein, zumal die Zweitklägerin weder den Inhalt der nicht übermittelten beiden Seiten der Berufungsschrift ausreichend darlegt noch diese nachträglich vorgelegt hat. Dem bloßen Hinweis, auf diesen Seiten hätten sich „die relevanten Ausführungen bezüglich des Beweises der Kausalität“ befunden, „weshalb davon auszugehen sei, dass das Berufungsgericht sodann eine andere, für die Revisionswerberin günstigere Entscheidung gefällt hätte“, ist die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht zu entnehmen, weil sich das Berufungsgericht mit der Frage der Kausalität ohnehin ausführlich auseinandergesetzt hat.

[10]           2. Der Anscheinsbeweis ist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht (RS0040274). Die zu beweisende Tatsache muss sich also aus anderen feststehenden Tatsachen ergeben (RS0040274 [T1]). Der Anscheinsbeweis ist nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (2 Ob 1/15h; 2 Ob 213/13g; RS0040287). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, erlaubt die Anwendung des Anscheinsbeweises nicht (RS0040287 [T5]).

[11]           Ob der Anscheinsbeweis zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RS0022624; RS0040196), deren Lösung im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (2 Ob 227/12i).

[12]           3. Das Berufungsgericht hat schon die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises verneint. Im vorliegenden Fall steht nicht fest, dass die Kläger sich zum Zeitpunkt der Kollision des Radladers mit ihren Fahrrädern auf den Fahrrädern befunden oder diese geschoben haben. Unter diesen Umständen liegt in der Ansicht des Berufungsgerichts, dass zwischen der Kollision des Radladers mit den auf dem Güterweg befindlichen Fahrrädern und den erlittenen Verletzungen der Zweitklägerin keine typische formelhafte Verknüpfung besteht, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[13]           Ob die Zweitklägerin die Verursachung ihrer Verletzungen durch den vom Erstbeklagten gelenkten Radlader ausreichend bewiesen hat, betrifft somit nur mehr Fragen der Beweiswürdigung, die im Revisionsverfahren nicht überprüft werden können (RS0043371).

[14]           4. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

[15]     5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Im Revisionsverfahren gebühren ihnen jedoch lediglich 15 % Streitgenossenzuschlag (§ 15 RATG).

Textnummer

E129184

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00078.20I.0806.000

Im RIS seit

01.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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