TE OGH 2020/7/23 1Ob129/20g

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** R*****, und 2. M***** R*****, vertreten durch Dr. Josef Kattner, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagte Partei K***** H*****, vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in Zwettl, wegen Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit, Entfernung (in eventu Duldung) und Feststellung der Haftung für künftige Schäden, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Teilurteil und den Rekurs sämtlicher Parteien gegen den darin enthaltenen Beschluss des Landesgerichts St. Pölten (als Berufungsgericht) vom 26. Februar 2020, GZ 21 R 255/19m-48, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 30. September 2019, GZ 20 C 260/17y-43, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.032,91 EUR (darin enthalten 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

II. Dem Rekurs der klagenden Parteien wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten dieses Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

III. Der Revision der klagenden Parteien wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 688,92 EUR (darin enthalten 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind Eigentümer diverser Grundstücke, darunter auch des Grundstücks 750/4. Der Beklagte ist Eigentümer der im Süden daran anschließenden Grundstücke 751/2 und 755. Ausgehend vom öffentlichen Gut verläuft zunächst über zwei im Eigentum eines Dritten stehende Grundstücke und danach über die Grundstücke 755 und 751/2 des Beklagten ein unbefestigter Weg mit einer Breite von 2,30 m an der engsten Stelle und von 2,60 m im normalen Wegverlauf direkt zum Grundstück 750/4 der Kläger, wo dieser Weg als Wiesenweg weiter zu den einheitlich als Wiese bewirtschafteten weiteren Grundstücken der Kläger verläuft.

Die Kläger erhielten ihre Grundstücke im Jahr 2000 von den Eltern des Erstklägers übergeben. Diese wiederum hatten die Grundstücke 1999 erworben. Die Voreigentümer der Grundstücke (Familien R***** und H*****) hatten diese Grundstücke zwischen 1981 und 1998 an die Eltern des Beklagten verpachtet. Diese waren damals Eigentümer der nunmehrigen Grundstücke des Beklagten.

Seit 1979 führt oberhalb der Grundstücke der Kläger eine asphaltierte Landesstraße vorbei, von der eine Zufahrtsmöglichkeit zu ihren Grundstücken besteht.

Vor 1981 befuhren die damaligen Eigentümer der Grundstücke der Kläger (Familie R*****) den gegenständlichen Weg zur Bewirtschaftung ihrer Grundstücke. Die Eltern des Beklagten sowie der Beklagte selbst benutzten während der Pachtzeit ebenfalls den auch über ihre eigenen Grundstücke verlaufenden Weg als auch die Zufahrt „von oben“ (gemeint: von der Landesstraße) her, um die nunmehrigen Grundstücke der Kläger zu erreichen.

Die Kläger selbst begehen (fast täglich) und befahren (mehrmals pro Jahr) diesen Weg mit Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen (Traktoren, Mähwerk, Ladewagen, Kreiselwerk, Schwader, Güllefass, Düngestreuer) zur Bewirtschaftung ihrer Wiese, wobei sie davon überzeugt sind, hiezu berechtigt zu sein. Beim Kauf durch die Mutter des Erstklägers wurde über ein Wegerecht nicht gesprochen. Je nachdem, wie es für die Bewirtschaftung besser ist, fuhren die Kläger über die „obere Zufahrt“ (die Landesstraße) oder den streitgegenständlichen Weg.

Dem Beklagten war jedenfalls erkennbar, dass die Kläger auf diesem Weg zu ihren Grundstücken zufahren. Im Verlauf des Wegs ab der rechts abführenden Abzweigung in den Wald hängen Baum- und Strauchteile in den Weg, sodass die lichte Höhe nur ca 3 m bis 3,50 m beträgt. Durch die in den Weg hineinwachsenden Äste und Stauden kam es zu Beschädigungen der Fahrzeuge der Kläger, etwa durch kaputte Spiegel oder Kratzer im Lack. Der Beklagte schneidet die Stäucher seitlich in etwa jährlich mit einem Mähwerk, trifft aber zu den überhängenden Ästen keine Maßnahmen. Die von den Klägern genutzten landwirtschaftlichen Fahrzeuge und Maschinen benötigen einen Fahrkanal in der Breite von mindestens 3 m und einer Höhe von 4 m, um ohne Beschädigung von Maschinen und Geräten fahren zu können.

Die Kläger begehrten die Feststellung des Bestehens eines Geh- und Fahrrechts über den in der Natur bestehenden, auf den Grundstücken 755 und 751/2 des Beklagten verlaufenden Weg sowie die Zustimmung in die Einverleibung dieser Dienstbarkeit (Punkt 1.), die Entfernung des Geästes und der Stauden auf den Grundstücken des Beklagten im Bereich dieses Wegs, sodass eine lichte Weite von 3 m und ein Freiraum von 4 m für das Befahren mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Geräten zur Verfügung steht (Punkt 2.); hilfsweise erhoben sie dazu das Eventualbegehren, dass der Beklagte schuldig sei, die Entfernung des Geästes und der Stauden durch sie in der in Punkt 2. beschriebenen Weise zu dulden. Überdies begehrten sie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden, die ihnen durch in den Weg hereinwachsendes Geäst sowie durch Abrutschen von Fahrzeugen entstehen (Punkt 3.). Die Zufahrt und Abfahrt sowie der Zugang zu ihren Grundstücken erfolge seit jeher, jedenfalls schon seit mehr als 50 Jahren über den in der Natur klar ersichtlichen Wirtschaftsweg, der über die Grundstücke des Beklagten verlaufe. Sie hätten die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens ersessen. Auch ihre Rechtsvorgänger seien über den Weg zu- und abgefahren, wobei sie eine Spurweite von 2 m und aufgrund einer Wegkrümmung eine Wegbreite von 2,50 m in Anspruch genommen hätten. Über die Landesstraße sei vor deren Sanierung mangels Einfahrten ein Zufahren nicht möglich gewesen. Eine „allfällige“ Verpachtung an die Rechtsvorgänger des Beklagten könne zu keiner Änderung des bestehenden Servitutsrechts führen, weil die Pächter sämtliche Rechte und Pflichten nur namens der Eigentümer ausgeübt hätten. Auch die Rechtsvorgänger des Beklagten seien stets über diesen Weg zugefahren. Die Kläger würden seit jeher insbesondere Traktoren und Ladewägen mit einer Spurbreite von rund 2,40 m einsetzen. Im gesamten Bereich des Wegs würden zudem Äste und Strauchwerk sowohl seitlich als auch von oben hereinragen, was zu einer Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts führe. Dadurch bestehe jedenfalls eine immanente Gefahr einer Beschädigung ihrer Geräte und Maschinen, insbesondere dass Spiegel beschädigt würden; durch die Äste seien bereits Schäden an den Fahrzeugen entstanden. Der Beklagte sei als Eigentümer der dienenden Grundstücke jedenfalls zu fachgerechten Pflegemaßnahmen auch nach dem ForstG verpflichtet und es müsse eine lichte Weite von 3 m und ein Freiraum von 4 m über der Trasse zur Verfügung stehen. Der Beklagte habe die Stauden immer wieder auch entfernt, doch würden diese nunmehr derartig in den Weg hineinragen, dass ein Befahren nicht mehr möglich sei.

Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, dass auf die Grundstücke der Kläger seit jeher über die Landesstraße zugefahren werde. Seine Rechtsvorgänger hätten Grundstücke der Kläger in den Jahren 1981 bis 1998 in Pacht gehabt, sodass keine Ersitzung eines Wegerechts zu Gunsten der Kläger eingetreten sei. Der Erstkläger habe den Weg eigenmächtig immer weiter westlich befahren und damit selbst um einen halben Meter verlegt. Bisher sei lediglich mit kleinen Traktoren mit maximaler Spurbreite von 1,90 m zugefahren worden. Die Äste würden zudem ein Mal im Jahr geschnitten, wobei hiefür das Mähwerk seitlich senkrecht aufgestellt werde und damit der Waldrand abgefahren werde. Eine lichte Weite von 3 m und einen Freiraum von 4 m über der Trasse habe es nie gegeben. Dieses Ansinnen stelle eine unzulässige Ausweitung eines etwaig bestehenden Fahrrechts dar. Da bis dato kein Schaden eingetreten sei, sei schon aus diesem Grund das diesbezügliche Feststellungsbegehren nicht berechtigt. Jedenfalls bestehe kein Wegerecht auf dem nordwestlich abzweigenden Weg zum Grundstück 750/1, sondern nur eines bei der nordöstlichen Abzweigung Richtung Grundstück 750/4. Im Übrigen seien etwaige Ansprüche auf Entfernung verjährt bzw verfristet, weil der nunmehrige Zustand bereits seit dem Jahr 2000 so sei. Die Kläger seien weder redlich noch sei die Benützung des Wegs notwendig oder biete eine bequemere Erreichbarkeit. Die von ihnen bewirtschafteten Grundstücke seien genau so leicht von der anderen Zufahrtsstraße zu erreichen. Auch sei von ihm und seinen Rechtsvorgängern das Befahren des Wegs durch die Kläger zu keiner Zeit vor 2016 bemerkt worden oder erkennbar gewesen.

Das Erstgericht gab dem Begehren auf Feststellung und Einverleibung des Geh- und Fahrrechts sowie dem Entfernungsbegehren und dem Begehren auf Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige, durch hereinwachsendes Geäst den Klägern entstehende Schäden statt und wies – unbekämpft und daher rechtskräftig – das Mehrbegehren auf Feststellung der Haftung für künftige, infolge des Abrutschens von Fahrzeugen verursachte Schäden ab. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt sei die Ersitzung einer Wegeservitut zu bejahen. Es schade nicht, dass der Beklagte bzw sein Rechtsvorgänger während der Pachtzeit „gleichsam Verpflichtete und Berechtigte“ des Servitutswegs gewesen seien, solange der Weg im gleichen oder ähnlichen Umfang genutzt worden sei. Die Begehren auf Feststellung und Einverleibung der Dienstbarkeit seien deshalb berechtigt. Da der Beklagte durch mangelhafte Pflege den Weg offenbar erschwerend gestalten möchte, seien auch die Begehren auf Entfernung und Feststellung der Haftung für dadurch verursachte Schäden berechtigt. Rechtsgrundlage dafür sei „Schadenersatz und Eigentumsschutz aufgrund der bereits durch die Äste und Sträucher verursachten Schäden an den Maschinen der Kläger, in Verbindung mit § 422 ABGB“.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies mit Teilurteil das Entfernungsbegehren und das Begehren auf Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige, durch hereinwachsendes Geäst den Kläger entstehende Schäden ab. Im Übrigen (hinsichtlich der Begehren auf Feststellung und Einverleibung des Geh- und Fahrrechts sowie des Eventualbegehrens auf Duldung) hob es das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtlich führte es zum Entfernungsbegehren und zum Feststellungsbegehren über die Haftung für zukünftige Schäden durch hereinwachsende Äste aus, dass der Dienstbarkeitsverpflichtete lediglich zur Duldung notwendiger Instandsetzungs- oder Erhaltungsarbeiten verpflichtet sei. Das Begehren auf Entfernung sei selbst unter Zugrundelegung einer ersessenen Wegeservitut nicht berechtigt. Dass der Beklagte es bisher unterlassen habe, die in den Weg (von oben) hängenden Äste – die seitlich hereinwachsenden schneide er ohnehin ein Mal jährlich ab – zurückzuschneiden, sei ihm nicht anzulasten, weil das Ausschneiden der Bäume für eine Wegtrasse nicht zur üblichen Waldpflege gehöre. Da ihm ein Unterlassen von der üblichen Waldpflege gebotenen Maßnahmen grundsätzlich nicht vorzuwerfen sei und er zu einem Zurückschneiden der Äste auch im Fall einer ersessenen Wegeservitut nicht verpflichtet sei, scheide eine Haftung für allfällige durch hereinwachsende Äste verursachte Schäden an den Fahrzeugen der Kläger aus, weshalb auch das diesbezügliche Feststellungsbegehren nicht berechtigt sei.

Zu den Begehren auf Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit sowie zum Eventualbegehren auf Duldung führte es aus, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt sei nicht ableitbar, dass die Ersitzungszeit von 30 Jahren für die behauptete Wegeservitut bereits abgelaufen sei. Der Einwand des Beklagten, dass das Fahren des Beklagten oder seiner Eltern während der Jahre 1981 bis 1998 (als Pächter der „herrschenden“ Grundstücke) über den Weg keinesfalls zur Ersitzung beitragen könne, weil diese über ihren eigenen Grund zugefahren seien und es ihnen an dem für die Ersitzung notwendigen Rechtsbesitzwillen gemangelt habe, sei berechtigt. Die Zeit dieses Pachtverhältnisses sei nicht in die Ersitzungszeit und insbesondere nicht zu der danach liegenden Zeit, in der die Kläger bzw ihre Rechtsvorgänger Eigentümer des herrschenden Grundstücks gewesen seien, ein- bzw hinzuzurechnen. Die Rechtsvorgänger des Beklagten seien im Zeitraum 1981 bis 1998 einerseits Pächter der herrschenden Grundstücke und andererseits Eigentümer der dienenden Grundstücke gewesen. Bei einer derartigen Konstellation würden die Pächter als Besitzmittler für den Ersitzenden ausscheiden, weil bei einer Nutzung durch den Grundeigentümer nicht zwischen der Nutzung bloß im Interesse des herrschenden und im Interesse des dienenden Grundstücks unterschieden werden könne und der Ersitzende davon ausgehen müsse, dass die Pächter das Fahren über den Weg aus ihrem Eigentum ableiten. Wenn auch die Zeit nach Beendigung des Pachtverhältnisses keinesfalls für eine Ersitzung ausreiche, haben sich die Kläger jedenfalls darauf gestützt, dass seit jeher, jedenfalls schon seit weit mehr als 50 Jahren über den Weg auf den Grundstücken des Beklagten zu ihren Grundstücken zugefahren werde. Zu prüfen sei daher noch, ob die Ersitzungszeit bereits vor diesem Pachtverhältnis abgelaufen sei und daher eine Unterbrechung der Ersitzungszeit durch dieses gar nicht mehr bewirkt worden sei. Diesbezüglich würden allerdings Feststellungen fehlen, seit wann vor 1981 und mit welchen Fahrzeugen und Geräten die Rechtsvorgänger der Kläger über diesen Weg zugefahren bzw zugegangen sind und inwieweit dies für die damaligen Eigentümer des belasteten Gutes erkennbar war. Sollte vor 1981 über 30 Jahre lang über den Weg auf die herrschenden Grundstücke zugefahren bzw zugegangen worden sein, sei die Frage zu prüfen, ob der von den Klägern geforderte Fahrkanal eine unzulässige Erweiterung der ersessenen Dienstbarkeit wäre. Zu prüfen sei, inwieweit die festgestellte Nutzung durch die Kläger im Rahmen der allenfalls ersessenen Dienstbarkeit liegt oder nicht. Sollte infolge Ersitzung der Klage stattzugeben sein, werde zu berücksichtigen sein, dass der Weg in dem dem Urteilsbegehren zugrunde gelegten Plan abweichend von den unbekämpften Feststellungen eine Breite von 3 m und damit eine größere Breite aufweise, wobei diesbezüglich eine Klarstellung im Spruch erforderlich sein werde (§ 405 ZPO).

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der „von der Abänderung und der Aufhebung betroffene“ Wert des Entscheidungsgegenstands „jeweils“ 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision und den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil keine Rechtsprechung vorliege, inwieweit zur ordentlichen Waldpflege auch das Ausschneiden von Bäumen im Bereich von Wegtrassen gehöre, sowie ob es zu einer Unterbrechung der Ersitzungszeit in Ansehung eines Wegerechts während eines Pachtverhältnisses komme, wenn der Eigentümer des dienenden Grundstücks der Pächter des herrschenden Grundstücks ist und auf dem Weg zur Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks zu- und abfährt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten, der mangels einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

Die Revision, die sich gegen das klageabweisende Teilurteil wendet, und der Rekurs der Kläger sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie sind jedoch nicht berechtigt.

I. Rekurs des Beklagten

1. Bei der Frage, ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt; auch ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht bzw wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042828). Auch der Frage, wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist, kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0042828 [T3]).

2. Die Kläger haben sich zur Ersitzung darauf gestützt, dass seit jeher, jedenfalls schon seit weit mehr als 50 Jahren über den Weg auf den Grundstücken des Beklagten zu ihren Grundstücken zugefahren werde. Abgesehen davon, dass es aus den nachstehenden Gründen (dazu 4.4.) auf eine 30-jährige Ersitzungszeit vor 1981 gar nicht ankommt, wäre die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich die Kläger für die Ersitzung auch auf eine solche Zeitspanne berufen hätten, nicht zu beanstanden. Der Ausdruck „seit jeher, jedenfalls schon seit weit mehr als 50 Jahren“ hätte die Ansicht des Berufungsgerichts gedeckt, dass auch für die Zeit vor 1981 ein schlüssiges Klagebegehren erhoben wurde.

3. Der Rekurs des Beklagten ist somit mangels Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Kläger haben auf die fehlende Zulässigkeit des Rechtsmittels des Beklagten hingewiesen.

II. Rekurs der Kläger

4. Begehren auf Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit sowie Eventualbegehren auf Duldung

4.1. Die Kläger wenden sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Zeit zwischen 1981 und 1998, als die Eltern des Beklagten Pächter des herrschenden Grundstücks waren und über den in ihrem Eigentum stehenden Weg zugefahren sind, nicht in die Ersitzungszeit einzurechnen sei. Der Beklagte habe gar nicht vorgebracht, dass die Nutzung des Wegs als Zufahrt zur „herrschenden Liegenschaft“ vom Eigentum am Weggrundstück während der Dauer des Pachtverhältnisses abgeleitet wurde. Der Weg diene nur der Zufahrt zu ihrem Grundstück. Die Zeit zwischen 1981 und 1998, als die Eltern des Beklagten als Pächter des „herrschenden Grundstücks“ über ihren im Eigentum stehenden Weg zugefahren sind, sei in die Ersitzungszeit einzurechnen.

Der Beklagte verneint die für die Ersitzung erforderliche Ausübung des Rechtsbesitzes im Zeitraum von 1981 bis 1998, seien doch die Pächter der nunmehrigen Grundstücke der Kläger über ihren Eigengrund gefahren. Die Rechtsvorgänger des Beklagten hätten weder selbst erkennen können noch müssen, „dass dadurch ein Recht für die Klagegrundstücke ausgeübt werde“.

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

4.2. Voraussetzungen für die Ersitzung nach § 1477 ABGB sind neben dem Zeitablauf (hier: 30 Jahre) echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat, und der Besitzwille (RS0034138 [T2]). Der Ersitzende hat Art und Umfang der Besitzausübung und die Vollendung der Ersitzungszeit zu behaupten und zu beweisen (RS0034237; RS0034243; RS0034251).

Zum Erwerb des Besitzes eines Rechts an einer Liegenschaft (als Voraussetzung der Ersitzung) ist nicht nur der Wille des Besitzers, ein Recht auszuüben, sondern außerdem erforderlich, dass die Leistung oder Duldung durch den Grundeigentümer erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschieht, als hätte derjenige, dem geleistet wird und dessen Handlungen geduldet werden, ein Recht darauf (RS0009762 [T1]; vgl RS0010140). Der erforderliche Besitzwille muss sich aus dem äußeren Verhalten ergeben; bloßes damit nicht im Einklang stehendes inneres Vorhaben stellt noch keinen Besitzwillen her (RS0034138 [T1]). Die Besitzausübung muss so beschaffen sein, dass derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, die Ausübung eines bestimmten individuellen Rechts erkennen kann (RS0010135 [T1]).

4.3. Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache ist zwar grundsätzlich die Ausübung des Rechtsinhalts im eigenen Namen erforderlich, doch ist Besitzausübung auch durch Stellvertreter, Gehilfen und Besitzmittler möglich, wozu auch Bestandnehmer (Pächter) zählen können (RS0011655; RS0034597). Dass ein Besitzmittler die Absicht hat, ein Recht für eine bestimmte andere Person auszuüben, ist nicht erforderlich (1 Ob 10/15z), sofern nur der Besitzwille beim Ersitzenden vorhanden ist. Für den Eigentümer des angeblich dienenden Grundstücks muss aber erkennbar sein, dass der Besitzmittler für den Eigentümer des angeblich herrschenden Grundstücks handelt und den Rechtsbesitz so ausübt, als hätte dieser ein Recht. Von der Rechtsprechung wurde für den Erwerb von neuen Besitzrechten des Bestandgebers durch seinen Bestandnehmer als Besitzmittler auch als erforderlich angesehen, dass sie ihrer äußeren Erscheinung nach zum Bestandgegenstand gehören und diesem wirtschaftlich zugeordnet sind (RS0011655 [T2]). Damit wird auf die Erkennbarkeit eines ausreichenden Bezugs des – (faktisch) nicht vom Eigentümer, sondern von einem Dritten – in Anspruch genommenen Rechts zum angeblich herrschenden Gut abgestellt, was seine Rechtfertigung darin hat, dass die Servitutsersitzung voraussetzt, dass das Recht im Interesse der vorteilhafteren Benützung eines Grundstücks in Anspruch genommen wird (RS0034213; 3 Ob 36/13k mwN).

Ein Pächter ist für Ersitzungszwecke auch dann ein tauglicher Besitzmittler, wenn er zugleich Pächter des dienenden Grundstücks ist, weil zwischen dessen (unmittelbarer) Nutzung und der Nutzung im Interesse des herrschenden Grundstücks zu unterscheiden ist (2 Ob 159/04b = RS0034597 [T3]). Auch in diesem Fall muss aber der Eigentümer der belasteten Liegenschaft aus der Art der Benützungshandlungen erkennen können, dass damit ein Recht (des Verpächters) ausgeübt werden soll (7 Ob 256/05f mwN).

4.4. Nach dem Inhalt des im Akt als Beilage ./E erliegenden Grundbuchsauszugs der Liegenschaft des Beklagten wurde er 2011 Eigentümer. Die Eltern des Beklagten waren im Zeitraum 1981 bis 1998, zu dem sie die nunmehrigen Grundstücke der Kläger gepachtet hatten, Eigentümer dieser Liegenschaft. Sie und auch der Beklagte selbst nutzten während der Pachtzeit den Weg, der zunächst über die Liegenschaft eines Dritten und dann über zwei ihrer Grundstücke verläuft, als Zufahrt zur gepachteten Liegenschaft, aber auch die Zufahrtsmöglichkeit von der Landesstraße. Die Eltern des Beklagten waren einerseits Pächter der angeblich herrschenden Grundstücke und andererseits Eigentümer der angeblich dienenden Grundstücke. Bereits vor 1981 fuhren die damaligen Eigentümer der Grundstücke der Kläger über diesen Weg zur Bewirtschaftung ihrer Grundstücke.

Bei verständiger Beurteilung dieses Sachverhalts sind auch in einem solchen Fall die Pächter als Besitzmittler für den ersitzenden Verpächter anzusehen, weil sie den gesamten Weg und damit auch ihren eigenen Grund gerade zur Bewirtschaftung der gepachteten Grundstücke begingen und befuhren. Sie nutzten zwar faktisch auch die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke, aber eben im Interesse der gepachteten Grundstücke, die sie bewirtschafteten. Die Rechtsvorgänger der Kläger, die bereits vor 1981 den Weg benutzt hatten, konnten davon ausgehen, dass auch die Pächter den Weg über die eigenen Grundstücke im Interesse der Bewirtschaftung der fremden Grundstücke befahren und die Benützung nicht aus dem eigenen Eigentum ableiten. Dass durch die im Rahmen der Pacht notwendigen Fahrten die bisherige Wegnutzung durch die Verpächter fortgesetzt werden sollte, musste auch den Pächtern klar sein, mögen sie sich vielleicht auch keine näheren Gedanken über die Rechtsgrundlage und die Rechtsfolgen gemacht haben. Dafür, dass sie der Ansicht gewesen wären, den Verpächtern käme gar kein Wegerecht zu und sie wären alleine aufgrund ihres Eigentums berechtigt dort zu fahren, gibt es keinen Anhaltspunkt. Würde der Zufahrtsweg also im Zeitraum der Pacht – wie schon zeitlich davor (und auch danach) – zur Bewirtschaftung der nunmehrigen Grundstücke der Kläger genutzt, haben die Rechtsvorgänger des Beklagten und der Beklagte selbst durch die Nutzung des eigenen Grundes auch den für die Ersitzung notwendigen Rechtsbesitzwillen für die Rechtsvorgänger der Kläger ausgeübt, was auch deshalb nahe liegt, weil sie ja den gesamten Zufahrtsweg befuhren, der in seinem ersten Abschnitt über die Liegenschaft eines Dritten führt, die kraft eigenen Rechts keinesfalls zur Bewirtschaftung der Pachtflächen befahren werden durfte.

Da der Zeitraum von 1981 bis 1998, als die Rechtsvorgänger des Beklagten Pächter der Grundstücke der Kläger waren, somit in die Ersitzungszeit einzurechnen ist und auch die sonstigen Ersitzungsvoraussetzungen im Zeitraum von 30 Jahren vorliegen, besteht die von den Klägern begehrte Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts grundsätzlich zu Recht.

4.5. Nach den Feststellungen weist der Weg an der engsten Stelle eine Breite von 2,30 m und im normalen Wegverlauf eine solche von 2,60 m auf. Die Kläger begehren aber die Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit mit einer Breite von 3 m. Auch ihr (Eventual-)Begehren auf Duldung der Entfernung der Äste und Stauden stellt auf eine solche Wegbreite ab.

Zutreffend führte das Berufungsgericht aus, dass Feststellungen fehlen, um beurteilen zu können, ob der von den Klägern geforderte Fahrkanal eine unzulässige Erweiterung der ersessenen Dienstbarkeit wäre. Dieser Rechtsansicht treten die Kläger im Rekurs nicht entgegen.

Insofern hat es bei der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zu bleiben, fehlen doch für diese Beurteilung entsprechende Feststellungen.

4.6. Dem Rekurs der Kläger ist daher im Ergebnis nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

III. Revision der Kläger

5. Entfernungsbegehren und Begehren auf Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden

5.1. Aus § 482 und § 484 ABGB ergibt sich, dass der Servitutsverpflichtete in der Regel nicht zu einem positiven Tun, sondern nur zu einem Gestatten verpflichtet ist. Er ist unter bestimmten Umständen sogar berechtigt, die Befugnis aus der Servitut einzuschränken, soweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestatten. Die Rechtsprechung hat daraus unter anderem abgeleitet, dass der Widerstreit zwischen den Interessen der Parteien in ein billiges Verhältnis zu setzen ist (RS0011740 [T1]). Eine Einschränkung der Servitut kommt bei nachträglicher wesentlicher Änderung der Umstände in Frage, die klar für eine stärkere Berücksichtigung der Interessen des Verpflichteten sprechen (RS0011740 [T9]). Diese Grundsätze sind auch für die Beantwortung der Frage heranzuziehen, inwieweit der Servitutsverpflichtete gehalten ist, nachteilige Einwirkungen zu verhindern, die von seiner Liegenschaft aufgrund von Naturereignissen auf den Servitutsgegenstand einwirken (RS0011740 [T10]). Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 1 Ob 139/09m
(= immolex 2010/76, 217 [Maier-Hülle], zustimmend auch Bittner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 484 ABGB Rz 8) ausgesprochen, dass der Servitutsberechtigte eines Wegs, der teilweise durch ein Waldgrundstück führt, von vornherein mit gewissen Behinderungen der Wegbenützung durch von den Bäumen herabfallende Teile (Äste) rechnen muss, was auch bei einer fachgerechten Pflege des Baumbestands nie ganz zu vermeiden ist. Ebenso sei ein gelegentliches Umstürzen von Bäumen bei extremen Wetterverhältnissen (zB Wirbelstürmen) nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten. Derartige Naturereignisse seien vom Servitutsberechtigten grundsätzlich hinzunehmen, ohne dass er Vorkehrungen vom Servitutsverpflichteten gegen derartige Einwirkungen verlangen könnte, sei doch letzterer grundsätzlich nicht zu positiven Handlungen verpflichtet und ergebe auch eine Abwägung der beiderseitigen Interessen, dass eher der Servitutsberechtigte gelegentliche Unannehmlichkeiten und Einschränkungen der Wegbenützung hinzunehmen habe als dass der Verpflichtete zu aufwendigen und umfangreichen Vorkehrungen verhalten wäre.

5.2. Zutreffend führte das Berufungsgericht aus, sowohl das Entfernungsbegehren als auch das Feststellungsbegehren über die Haftung für künftige Schäden durch hereinwachsende Äste seien selbst unter Zugrundelegung einer ersessenen Wegedienstbarkeit nicht berechtigt, weil die von oben in den Weg hängenden Äste nicht vom Beklagten als angeblich Servitutsverpflichteten zurückzuschneiden sind und gerade das Ausschneiden von Bäumen für eine Wegtrasse nicht zur üblichen Waldpflege gehört. Die seitlich hereinwachsenden Äste und Sträucher schneidet der Beklagte ein Mal jährlich. Zum Zurückschneiden der herabwachsenden Äste ist er als Eigentümer der dienenden Grundstücke nicht verpflichtet.

5.3. Entgegen der Ansicht der Kläger ist der Beklagte im Rahmen der ersessenen Wegeservitut also nicht verpflichtet, die auf natürlichem Weg herabwachsenden Äste zurückzuschneiden. Eine einschlägige gesetzliche Grundlage vermögen sie dafür auch nicht zu nennen.

Nach § 472 Satz 1 ABGB wird durch das Recht einer Dienstbarkeit ein Eigentümer verbunden, zum Vorteil eines anderen in Rücksicht einer Sache etwas zu dulden oder zu unterlassen. Nach § 482 ABGB kommen alle Servituten darin überein, dass der Besitzer der dienstbaren Sache in der Regel nicht verbunden ist, etwas zu tun, sondern nur einem anderen die Ausübung eines Rechts zu gestatten oder das zu unterlassen, was er als Eigentümer sonst zu tun berechtigt wäre. § 483 Satz 1 ABGB bestimmt darüber hinaus, dass auch der Aufwand zur Erhaltung und Herstellung der Sache, welche zur Dienstbarkeit bestimmt ist, in der Regel von dem Berechtigten getragen werden muss. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass der Beklagte die auf natürlichem Weg hineinwachsenden Äste und Stauden nicht selbst beseitigen muss und ihn auch keine Haftung für allfällige durch hereinwachsende Äste verursachte Schäden an Fahrzeugen der Kläger trifft.

Dass das Immissionsverbot des § 364 (Abs 2) ABGB einschlägig sein soll, behaupten die Kläger zwar, vermögen dies aber nicht rechtlich zu begründen. Diese Bestimmung betrifft Rechte benachbarter Eigentümer gegenüber sie beeinträchtigenden Immissionen und hat keinen Bezug zum vorliegenden Sachverhalt.

Warum die Entfernung der Äste zu einer „forstwirtschaftlich gebotenen fachgerechten Pflege des Baumbestandes entlang der Wegtrasse“ gehören sollte, legen die Kläger ebenfalls nicht dar. Soweit sie erstmals im Revisionsverfahren auf § 176 Abs 4 ForstG erkennbar zur Begründung ihres Feststellungsbegehrens über die Haftung der Beklagten für hereinragende Äste Bezug nehmen, handelt es sich dabei um eine unzulässige Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO). Sie haben im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht, dass es sich beim Weg um eine Forststraße handelt (vgl § 59 Abs 2 ForstG).

5.4. Der Revision der Kläger ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO.

Textnummer

E129138

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00129.20G.0723.000

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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