TE OGH 2020/4/24 7Ob108/19m

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Veröffentlicht am 24.04.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. J***** H*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** H*****, vertreten durch MMag. Dr. Martin Hasibeder, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen Unterlassung und Feststellung, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Mai 2019, GZ 10 R 13/19s-48, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 6. September 2018, GZ 41 Cg 33/17x-34, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

II. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens dahin abgeändert, dass das klageabweisende Urteil des Erstgerichts samt dessen Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

III. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.948,60 EUR (darin 586,28 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streiteile sind Brüder. Der Kläger ist seit 1997 Alleineigentümer der Liegenschaft bestehend aus den Grundstücken 1124 und 1125. Der Beklagte ist seit 1988 Alleineigentümer der Liegenschaft bestehend aus dem Grundstück 1122/6. Zwischen diesen Grundstücken befindet sich das Grundstück 1122/5, das im Eigentum der Schwester der Streitteile steht.

Die Liegenschaften sind über einen 3 m breiten Weg erreichbar. Ihre Lage ergibt sich aus nachstehender Übersicht:

Bereits vor 1975 wurde ein Geh- und Fahrweg errichtet, der zum Teil auf dem Grundstück 1128 und zum Teil auf dem (nunmehrigen) Grundstück 1122/6 verlief. Im Vertrag vom 3. 3. 1977 verpflichteten sich die seinerzeitigen Eigentümer dieser Grundstücke, auf dem Weg keine Fahrzeuge abzustellen und auch nicht zu dulden, dass ihre Besucher und Lieferanten dort Fahrzeuge abstellen.

Im Jahr 1991 unterfertigten der Rechtsvorgänger des Klägers, die Schwester der Streitteile, der damalige Eigentümer der Grundstücke 1126 (1127) und 1128, und der Beklagte für sich und ihre Rechtsnachfolger einen später verbücherten Dienstbarkeitsvertrag, in dem die Eigentümer der in Fahrtrichtung zuerst liegenden Grundstücke den Eigentümern der nachfolgenden Grundstücke ua das immerwährende und unentgeltliche Recht des Gehens und Fahrens über ihre jeweiligen Grundstücke entsprechend einem im Vertrag näher dargelegten Wegverlauf einräumten. Der Beklagte ist aus dem Servitutsvertrag sowohl Berechtigter als auch Verpflichteter. Punkt VIII des Vertrags lautet:

„Die Vertragsteile verpflichten sich für sich und ihre Rechtsnachfolger, den Servitutsweg nur als Weg sowie zur Verlegung der Ver- und Entsorgungsleitungen zu benützen und in diesem Bereich keine Fahrzeuge abzustellen und auch nicht zu dulden, dass ihre Besucher und Lieferanten dort Fahrzeuge abstellen. [...]“

Es sollte nach den damaligen Gesprächen verhindert werden, dass jemand sein Fahrzeug im Bereich des Servitutswegs abstellt und „verschwindet“. Es wurde aber nicht besprochen, was genau unter „abstellen“ zu verstehen ist, insbesondere ob auch kurzfristiges Halten zum Zu- und Aussteigen sowie Be- und Entladen darunter fällt, und zwar auch dann, wenn gerade niemand das Servitutsrecht ausüben will, oder was während einer Bauphase gelten sollte.

Bis zum Jahr 2015 bestand zwischen den Streitteilen ein sehr gutes Einvernehmen. In der Zeit von 1991 bis zum 20. 6. 2016 hatten der Beklagte, seine Familienangehörigen und seine Bekannten ihre Fahrzeuge immer wieder kurzfristig im Bereich des Servitutswegs abgestellt, wobei sie in Hörweite verblieben. Jedenfalls bis zum Beginn des Jahres 2015 forderte der Kläger den Beklagten, dessen Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte nie auf, dieses Verhalten zu unterlassen. Vielmehr stellte er seine Fahrzeuge selbst wiederholt so ab. Als der Beklagte in einem Streit, der zwischen dem Kläger und seiner Mutter entflammte, Partei für die Mutter ergriff, änderte sich die Situation schlagartig. Der Kläger war enttäuscht und gekränkt. Deshalb begann er den Beklagten und dessen Familienmitglieder spätestens ab Mitte des Jahres 2016 aufzufordern, ihre Fahrzeuge nicht mehr auf dem Servitutsweg abzustellen, und zwar auch nicht für das Be- und Entladen oder für Reinigungsarbeiten. Gleichzeitig begann er, das „Abstellverhalten” des Beklagten und seiner Familie fotografisch und handschriftlich festzuhalten.

Der Beklagte wies seine Familienmitglieder und Dritte, die Fahrzeuge vor seinem Haus abstellten, seit Jahren regelmäßig darauf hin, dass sie nicht so parken dürften, dass dadurch die Ausübung des Geh- und Fahrrechts zum Grundstück des Klägers gefährdet wird. Er war und ist aber davon überzeugt, dass ein kurzfristiges Abstellen von Fahrzeugen vor dem Haus im Bereich des Servitutswegs, um dort Ladetätigkeiten vorzunehmen oder den PKW zu reinigen, zulässig ist.

Am 23. 10. 2016 war ein PKW so auf dem westlich des Wohnhauses des Beklagten situierten Parkplatzbereichs geparkt, dass noch eine Durchfahrt von 2,49 m verblieb. Wer der Lenker war, steht nicht fest.

Am 17. 2. 2017 stellte eine Bekannte der Schwiegermutter des Beklagten, ihren PKW so ab, dass ein anderes Fahrzeug auf dem Servitutsweg nicht mehr vorbeifahren konnte. Die Gattin des Beklagten forderte sie sofort auf, wegzufahren, um den Servitutsweg nicht zu blockieren. Als sie dem nachkommen wollte, kam der Kläger und fertigte Lichtbilder an.

Eine Tochter des Beklagten hatte ihr Fahrzeug am 2. 4. 2017 vor der Garage des Hauses des Beklagten so geparkt, dass noch eine Durchfahrt von 2,48 m verblieb.

Im Jahr 2017 ließ der Beklagte einen Carport errichten. Ein Professionist stellte seinen PKW im Bereich des Servitutswegs ab. Der Beklagte wies ihn darauf hin, dass er sein Fahrzeug wegfahren sollte. Wenig später kam der Kläger zu Fuß, begann Lichtbilder vom PKW anzufertigen und forderte den Professionisten, der sich stets in unmittelbarer Nähe seines Fahrzeugs aufgehalten hatte, auf, den Weg frei zu machen, was dieser auch tat.

Ein anderer bei der Errichtung des Carports tätige Professionist stellte sein Fahrzeug während der Bauphase wiederholt im Bereich des Servitutswegs zum Aus- oder Einladen von Materialien ab. Die einzelnen Ladevorgänge dauerten maximal 5 Minuten. Anschließend machte er den Servitutsweg frei. Wenn der Kläger oder seine Frau während des Ladevorgangs den Weg benützen wollten, unterbrach er die Ladetätigkeit unverzüglich und setzte das Fahrzeug zurück.

Für die Errichtung des Carports musste auch ein Aushub vorgenommen werden. Dafür war ein Bagger im Einsatz, dessen Fahrer das Erdreich im Auftrag des Beklagten auf einen LKW lud. Während des Befüllens mit Aushubmaterial war der LKW auf dem Servitutsweg abgestellt. Der Kläger konnte an dem LKW zwar vorbeigehen, aber nicht vorbeifahren.

Im Zeitraum vom 20. 6. 2016 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, am 26. 6. 2018, kam es wiederholt dazu, dass entweder der Beklagte, seine Frau, seine Kinder oder deren Partner sowie Freunde oder Bekannte ihre PKW und/oder einen Anhänger vor der Garage des Hauses des Beklagten parkten, das Auto versperrten und dann nicht mehr in Rufweite waren. Ob die Fahrzeuge in diesen Fällen in den Servitutsweg ragten oder nicht, konnte nicht festgestellt werden.

Ebenso kam es in diesem Zeitraum vor, dass der Beklagte, seine Frau, seine Kinder, deren Partner sowie Freunde oder Bekannte oder Lieferanten ihren PKW und/oder einen Anhänger im Bereich des Servitutswegs anhielten, um Ladetätigkeiten vorzunehmen oder ihre Fahrzeuge zu reinigen. In diesen Fällen war die Zufahrt zum Haus des Klägers nicht mehr möglich. Während der Dauer des Abstellens waren die Lenker stets in Rufweite und machten den Weg unaufgefordert oder über Aufforderung unverzüglich frei, wenn jemand den Weg befahren wollte. In den allermeisten Fällen war es so, dass der Kläger und seine Frau während dieser Arbeiten ohnehin nicht weg- oder zufahren wollten.

Der Kläger begehrte (soweit noch relevant), den Beklagten schuldig zu erkennen, jegliches Abstellen von Fahrzeugen auf dem Servitutsweg, sowie ähnliche Handlungen, die sich als vergleichbare Störungen der Dienstbarkeit des Klägers darstellen, zu unterlassen, und auch auf diejenigen Dritten, die diese oder vergleichbare Störungshandlungen setzen, derart einzuwirken, dass auch diese solche Störungshandlungen unterlassen. Weiters begehrte er die Feststellung, dass ein Recht des Beklagten oder sonstiger Dritter, Kraft- und sonstige Fahrzeuge im Bereich des – näher beschriebenen – Servitutswegs abzustellen, nicht bestehe. Sein Servitutsrecht werde andauernd behindert. Damit habe der Beklagte gegen Punkt VIII. des Dienstbarkeitsvertrags verstoßen, weil klarer Parteiwille gewesen sei, dass es keinerlei Behinderungen der Zufahrt zu seinem Grundstück geben dürfe, selbst wenn er sein Servitutsrecht gerade nicht ausüben wolle. Es sei somit unzulässig, mit einem Fahrzeug auch nur zum Be- und Entladen auf dem Servitutsweg stehen zu bleiben. Der Beklagte dulde es, dass Dritte Fahrzeuge auf dem Servitutsweg abstellten.

Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und brachte vor, weder er noch ihm zuzurechnende Personen hätten jemals Fahrzeuge auf dem Dienstbarkeitsweg abgestellt oder sonst in irgendeiner Weise den Kläger an der Ausübung des Dienstbarkeitsrechts behindert. Be- und Entladen von Fahrzeugen oder das Zu- oder Aussteigen von Personen sei kein Abstellen von Fahrzeugen. Dies sei seit jeher – auch vom Kläger – geübte und geduldete Praxis. Der Kläger moniere auch Vorfälle, in denen er sein Dienstbarkeitsrecht gar nicht ausüben habe wollen. In diesem Umfang sei die Klagsführung jedenfalls schikanös. Beim Feststellungsbegehren mangle es dem Kläger am rechtlichen Interesse.

Das Erstgericht wies das Klagebgehren ab. Der servitutsbelastete Beklagte dürfe zwar die Ausübung des Geh- und Fahrrechts nicht unzumutbar beeinträchtigen oder gefährden, derartige Beeinträchtigungen lägen aber nicht vor. Weder aus dem Wortlaut des Servitutsvertrags noch ausgehend davon, wie ein redlicher Empfänger dessen Punkt VIII. verstehe, könne die vom Kläger vertretene Rechtsansicht abgeleitet werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es gab dem Unterlassungsbegehren statt, bestätigte aber die Abweisung des Feststellungsbegehrens. Die Servitut sei durch jahrzehntelange unbeanstandete Übung durch Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB dahin eingeschränkt worden, dass das kurzfristige Abstellen in Anwesenheit des Lenkers bzw zum Be- und Entladen bzw Ein- und Aussteigen zulässig sei, solange ein Benutzungswunsch des Servitutsberechtigten gewahrt werden könne. Die meisten der festgestellten Vorkommnisse seien daher keine Verstöße. Anders verhalte es sich nur mit dem Befüllen des LKW mit Aushubmaterial. Dadurch sei der Kläger in seinem Servitutsrecht gestört worden. Ein Rechtsmissbrauch des Klägers liege nicht vor, weil ohne die Geltendmachung Freiheitsersitzung drohe. Der Kläger habe kein Feststellungsbegehren iSv § 523 ABGB erhoben, sodass ein rechtliches Interesse erforderlich sei, das hier fehle, weil der begehrte Unterlassungstitel über den Feststellungstitel insoweit hinausgehe, als er dem Kläger bei Zuwiderhandeln des Beklagten die Vollstreckung ermögliche und daher sogar mehr biete als das Feststellungsbegehren.

Gegen diese Entscheidung richten sich die außerordentlichen Revisionen der Streitteile. Der Kläger beantragt, auch seinem Feststellungsbegehren stattzugeben, der Beklagte strebt die Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils auch hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens an.

In den ihnen vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien jeweils, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind zulässig, jene des Klägers ist nicht, jene des Beklagten hingegen auch berechtigt.

I. Zur Revision des Klägers:

I.1 Der Kläger bringt vor, auch dem Feststellungsbegehren sei stattzugeben, weil bei der Klage nach § 523 ABGB das Feststellungsinteresse nicht zu prüfen sei. Außerdem bestehe es ohnehin insbesondere für die fernere Zukunft gegenüber Rechtsnachfolgern des Beklagten.

I.2 Bei einer gegen den Eigentümer des dienenden Grundstücks gerichteten Servitutenklage leitet sich nach der Rechtsprechung der Anspruch auf Feststellung der Dienstbarkeit aus § 523 ABGB ab, sodass für das Feststellungsbegehren die sonst für Feststellungsklagen erforderlichen Voraussetzungen (§ 228 ZPO) insoweit nicht gegeben sein müssen (RS0038877; RS0011506; RS0012121). Klagegrund der Servitutenklage ist der Bestand der Dienstbarkeit und die Störung oder Bestreitung dieses Rechts; die Klage setzt daher eine Störung der Ausübung der Dienstbarkeit oder eine Bestreitung des Bestandes des Rechts voraus (RS0012116). Dies ist kein Widerspruch (insbesondere auch zu RS0015034), weil ein Feststellungsinteresse iSd § 228 ZPO ohnehin dann gegeben ist, wenn eine objektive Ungewissheit über den Bestand oder Umfang eines Anspruchs besteht, die durch die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils beseitigt werden kann (1 Ob 91/19t mwN; allgemein zum Feststellungsintersse: RS0038964; vgl auch RS0032654). Der Servitutsberechtigte ist nicht nur dann zur Klage berechtigt und das Feststellungsinteresse ohne weiteres zu bejahen, wenn der beklagte Servitutsverpflichtete den Bestand der Servitut bestreitet, sondern auch dann, wenn zwar nicht das Recht selbst strittig ist, aber durch die Bestreitung des Eigentümers des dienenden Grundstücks ungewiss ist, in welchem Umfang es ausgeübt werden darf, weil damit also unklar ist, „wie weit“ das Recht besteht (1 Ob 91/19t; 1 Ob 126/08y; 8 Ob 117/17i mwN). Auch dem Dienstbarkeitsberechtigten, dessen Servitut im Grundbuch eingetragen ist, steht die „materiellrechtliche Feststellungsklage“ des § 523 ABGB zu, weil sich die Bedeutung des Feststellungsurteils nicht in der Verbücherung des Rechts erschöpft, sondern dieses generell der Feststellung eines strittigen Rechts oder Rechtsverhältnisses dient (RS0122144).

1.3 Der Kläger stützt sich sowohl auf eine Störung seiner Dienstbarkeit durch den Beklagten und ihm zuzurechnende Dritte als auch auf eine Bestreitung des Umfangs seines Rechts durch den Beklagten. Das rechtliche Interesse wird auch noch dadurch verdeutlicht, dass die Feststellung auch für künftige Rechtsnachfolger Bedeutung hat (vgl 1 Ob 37/18z). Der Kläger ist daher zur Erhebung eines Feststellungsbegehrens grundsätzlich berechtigt. Daraus ist für ihn allerdings nichts zu gewinnen:

I.4 In dem Fall, in dem nicht das Bestehen, sondern der Umfang der Servitut zwischen den Parteien strittig ist, hat sich das Feststellungsbegehren auf die strittige Frage zu beziehen, andernfalls besteht es nicht zu Recht (1 Ob 126/08y). Abgesehen davon, dass das Feststellungsbegehren des Klägers seiner Rechtsansicht entsprechend daher zu weit gefasst ist, weil zwischen den Parteien nicht das „Abstellen“ an sich, sondern das Abstellen, egal in welcher Dauer und zu welchem Zweck, strittig ist, hat es bei der Klageabweisung zu bleiben, weil der geltend gemachte Anspruch nicht zu Recht besteht, wie sich aus den folgenden Ausführungen zur Revision des Beklagten ergibt.

II. Zur Revision des Beklagten:

II.1 Die Berufung des Klägers ist rechtzeitig. Die Ablehnung eines Richters im Rechtsmittelverfahren führt zur Verfahrensunterbrechung bis zur Entscheidung des für die Ablehnung zuständigen Gerichts (RS0042028 [insbes T7, T8, T11] ua). Die Ausführungen in der Berufung können nicht anders verstanden werden, als dass sie diesem Rechtsgrundsatz Rechnung tragen.

II.2 Der Beklagte vertritt die Ansicht, dass auch der vom Berufungsgericht als Verstoß angesehene Vorfall des Befüllens eines LKW mit Aushubmaterial im Zuge des Baus eines Carports aufgrund der vorzunehmenden Interessenabwägung vom Dienstbarkeitsberechtigten hinzunehmen sei, weil damit keine ernstliche Erschwerung der Ausübung der Dienstbarkeit verbunden sei.

II.3 Das Ausmaß einer Dienstbarkeit richtet sich grundsätzlich nach ihrem Titel, bei dessen Auslegung insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten ist (RS0011720). Es ist zwischen gemessenen Dienstbarkeiten, deren Art und Ausmaß bereits bei Begründung durch den Titel unzweifelhaft festgelegt worden sind, und ungemessenen Servituten, die nicht in diesem Maß konkret bestimmt wurden, sodass das Ausmaß und der Umfang der dem Berechtigten zustehenden Befugnisse im Titel nicht eindeutig begrenzt sind, zu unterscheiden (RS0011752 [T1, T2]). Für den Umfang und die Art der Ausübung einer ungemessenen Dienstbarkeit ist das jeweilige Bedürfnis des herrschenden Guts innerhalb der Schranken des ursprünglichen Bestands und der ursprünglichen Bewirtschaftungsart und nicht jenes zum Zeitpunkt der Servitutsbestellung maßgeblich, wobei die Art der Ausübung aber ihre Grenzen in einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Eigentümers des dienenden Grundstücks findet (RS0016368 [T4, T8, T13]). Dem Berechtigten soll der angestrebte Vorteil ermöglicht, dem Belasteten aber so wenig wie möglich geschadet, werden. Der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit ist in ein billiges Verhältnis zu setzen, wobei aber keine erhebliche Mehrbelastung des dienenden Grundstücks entstehen darf (RS0011733). Eine Dienstbarkeit ist – als Anwendungsfall des Verbots des Rechtsmissbrauchs – also möglichst schonend auszuüben, wobei die Interessen aller Beteiligten abzuwägen sind (4 Ob 106/12k; 4 Ob 21/12k).

Die Beschränkung der Rechtsausübung durch den Belasteten ist ohne die zumindest schlüssige Zustimmung des Berechtigten nur dann zulässig, wenn die Ausübung des Rechts dadurch nicht ernstlich erschwert oder gefährdet wird (vgl RS0011733 [T7]; RS0011740 [T6]). Bei der Beurteilung, ob dem Dienstbarkeitsberechtigten Erschwernisse zumutbar sind, ist ebenfalls auf die Natur und den Zweck der Dienstbarkeit abzustellen (1 Ob 304/01i). Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Interessenabwägung zwischen Belastetem und Berechtigtem einer Dienstbarkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0044201).

II.4 Im Revisionsverfahren, stützt der Kläger sein Unterlassungsbegehren (ebenso wie das Berufungsgericht, das den Bezug zu Bauarbeiten allerdings im Spruch nicht zum Ausdruck brachte) nur mehr auf die Beeinträchtigung seiner Servitut im Zuge der Errichtung des Carports, nämlich durch einen LKW, der den Weg während der Aushubarbeiten so versperrte, dass der Kläger den Weg zwar begehen, aber nicht befahren konnte.

Bei der Beurteilung des Umfangs der Servitut ist zunächst auf den Servitutsvertrag abzustellen, also auf die Natur und den Zweck der Dienstbarkeit. Hier steht fest, dass die Parteien des Servitutsvertrags mit Punkt VIII bezweckten zu verhindern, dass „jemand sein Fahrzeug im Bereich des Servitutswegs abstellt und verschwindet“. Das kann nur bedeuten, dass die Durchfahrts-(gangs-)möglichkeit gewahrt werden sollte und dass dies dann der Fall ist, wenn der Lenker eines Fahrzeugs eben nicht „verschwindet“, sondern erreichbar bleibt, um den Weg bei Bedarf freizugeben. Entgegen der Ansicht des Klägers ist aus diesem Zweck nicht abzuleiten, dass jegliches, auch kurzfristigstes, Abstellen von Fahrzeugen eine Behinderung und damit ein Einriff in das Servitutsrecht ist, der dieses ernstlich erschwert oder gefährdet, wenn der Weg bei Bedarf freigemacht wird. Umso weniger stellt dies einen Eingriff dar, wenn kein konkreter Fahrbedarf der Servitutsberechtigten besteht. Diese Auslegung wird auch durch die rund 25 Jahre lang gelebte Praxis in diesem Sinn durch die Parteien des Servitutsvertrags gestützt. Aus Punkt IX des – unstrittigen und daher gemäß §§ 266 f ZPO auch im Revisionsverfahren ohne Weiteres zugrunde zu legenden (RS0121557 [T3]) – Servitutsvertrags ist ableitbar, dass die Vertragsparteien die Notwendigkeit von Bauarbeiten insofern bedacht haben und diese daher nicht zur Gänze ausschließen wollten, weil sie vereinbarten, dass der Berechtigte für die Wiederherstellung von Beschädigungen vorhandener Einrichtung aufzukommen haben, wenn er oder seine Beauftragten diese „zB im Zuge der Errichtung eines Gebäudes“ beschädigen. Diese Vereinbarung hat auch für den Beklagten Bedeutung, weil er nicht nur Verpflichteter, sondern auch Berechtigter des Servitutsvertrags ist.

Eine Dienstbarkeit ist wie ausgeführt möglichst schonend auszuüben, wobei die Interessen aller Beteiligten abzuwägen sind. Das Ziel ist es stets, dem Dienstbarkeitsberechtigten den angestrebten Vorteil zu ermöglichen, den Verpflichteten aber so wenig wie möglich zu schaden. Ausgehend von den dargestellten Erwägungen kann aus dem Servitutsvertrag nicht abgeleitet werden, dass dem Beklagten die Durchführung von Bauarbeiten generell unmöglich gemacht werden soll, wenn dafür die kurzfristige Blockierung des Servitutswegs notwendig sein sollte. Das festgestellte Abstellen des LKW im Zuge von Bauarbeiten bloß soweit es während des Befüllens mit Aushubmaterial notwendig ist, ist bei der gebotenen Interessenabwägung dem Beklagten nicht als Eingriff in das Servitutsrecht des Klägers anzulasten. Das Unterlassungsbegehren besteht daher nicht zu Recht.

III. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO begründet.

Textnummer

E128493

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00108.19M.0424.000

Im RIS seit

10.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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