TE OGH 2020/6/5 15Os47/20f

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Veröffentlicht am 05.06.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Walter, LL.M., LL.M., BA, als Schriftführerin in der Strafsache gegen D***** K***** wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. Oktober 2019, GZ 19 Hv 67/19a-25, ferner über dessen Beschwerde gegen den Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde D***** K***** des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 3 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er von einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2019 an bis zum 17. April 2019 in Graz mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, A***** G***** mit Gewalt, nämlich durch Würgen, Stöße und Schläge, sowie durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, nämlich durch die wiederholt getätigte Ankündigung, ihn niederzuschlagen, sollte er ihm nicht „Schutzgeld“ bezahlen, zu Handlungen, welche diesen am Vermögen schädigten, nämlich zur wöchentlichen Überlassung von zumindest zwei Packungen Zigaretten der Marken „Memphis Blue“ bzw „Marlboro Gold“ genötigt, wobei die Tat den Selbstmord von A***** G***** am 17. April 2019 zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Entgegen der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 24 S 25) der in der Hauptverhandlung am 24. Oktober 2019 gestellten Beweisanträge Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht geschmälert.

Der Antrag auf Beiziehung eines neurologischen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass A***** G***** „aufgrund der bei der Autopsie festgestellten schweren Hirnschäden ('größeren Defektes') nicht in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen und in seiner Wahrnehmung stark beeinträchtigt war“ (ON 24 S 8 f, 22), ließ nicht erkennen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lassen sollte, und zielte somit auf eine im Stadium der Hauptverhandlung unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0099353). Denn angesichts des auf einer Untersuchung zwei Monate vor dem Selbstmord beruhenden psychiatrischen Gutachtens über G*****, wonach dieser bei bekannter milder hirnorganischer Symptomatik (Ende Jänner 2019) diskretions- und dispositionsfähig war und auch keine Hinweise auf das Vorliegen von „kognitiven Einschränkungen“ oder „einer schwerwiegenden psychosewertigen Erkrankung“ gegeben waren (ON 23), hätte es eines ergänzenden Vorbringens zur Eignung des Beweismittels, das Beweisthema zu klären, bedurft (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO).

Im Übrigen ging das Erstgericht ohnehin nicht davon aus, dass die Übergriffe des Angeklagten der einzige Grund für den Suizid des A***** G***** waren (US 4 dritter Abs).

Auch der Antrag auf Vernehmung des Zeugen J***** H***** zum Beweis dafür, dass G***** sich von Anfang an „wegen Problemen mit den meisten Mitinsassen [auf einen anderen Stock] versetzen lassen wollte“ und „der Selbstmord tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass diesen Verlegungsbitten nicht Folge geleistet wurde“ (US 24 S 20), wurde zu Recht abgewiesen.

Dass G***** von Beginn seiner Haft an eine Verlegung auf einen anderen Stock begehrte, wurde vom Schöffengericht als erwiesen angenommen (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; ON 24 S 25). Soweit der Antrag auf die Klärung der Gründe für den Selbstmord gerichtet war, legte er nicht dar, weshalb der beantragte Zeuge diesbezügliche Wahrnehmungen haben sollte.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) bekämpft die Annahme der Qualifikation des § 145 Abs 3 StGB.

Soweit sie die objektive Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten verneint, vernachlässigt sie, dass diese bei erfolgsqualifizierten Delikten in der Regel schon durch die Erfüllung des Grundtatbestands mitverwirklicht wird (RIS-Justiz RS0089151; RS0089253).

Weshalb bei wiederholten Gewalthandlungen und Drohungen gegen einen als labil und schwächlich erkannten, an Multipler Sklerose leidenden Mitinsassen (US 3, 8) eine – nur ausnahmsweise anzunehmende – „atypische Ungefährlichkeit“ der Begehungsweise des Grunddelikts bzw eine „überschwere Folge“ und somit keine objektive Sorgfaltswidrigkeit vorliegen sollte, erklärt die Beschwerde nicht (vgl dazu Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 7 Rz 21 f; 15 Os 159/98; RIS-Justiz RS0089264; vgl auch Eder-Rieder in WK2 StGB § 145 Rz 19).

Dass der Grundtatbestand des § 144 Abs 1 StGB einen „komplett anderen Rechtsgutangriff“ als die Erfolgsqualifikation des § 145 Abs 3 StGB beschreiben sollte, behauptet die Beschwerde bloß (vgl aber § 144 Abs 1 StGB: „mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung“).

Das Zurechnungserfordernis des Adäquanzzusammenhangs (= objektive Vorhersehbarkeit) ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung stets dann zu bejahen, wenn der konkrete Kausalverlauf (samt dem eingetretenen Erfolg) nicht völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt (RIS-Justiz RS0088955).

Mit dem generellen Hinweis auf „die konkreten Umstände, die Art der Tathandlungen“ und den Wert des abgepressten Vermögens zeigt die einen atypischen Kausalverlauf behauptende Beschwerde keine in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse auf, die Konstatierungen zu einem solchen Ausnahmesatz indiziert hätten (vgl Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 7 Rz 23 ff und zu den Voraussetzungen prozessordnungsgemäßer Geltendmachung eines Feststellungsmangels RIS-Justiz RS0118580).

Soweit die Rüge schließlich die subjektive Zurechenbarkeit bestreitet, weil der Angeklagte den eingetretenen Erfolg und den zu ihm führenden Kausalverlauf nicht voraussehen habe können, übergeht sie – entgegen den Kriterien der Geltendmachung materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810) – die entgegenstehenden Konstatierungen, wonach der Angeklagte „in der Lage zu erkennen“ war und „es sogar zumindest für möglich“ hielt, dass sich G***** aufgrund der durch die wiederkehrenden Übergriffe bewirkten Traumatisierungen und der Ausweglosigkeit seiner Situation letztlich das Leben nehmen könnte (US 4 vierter Abs, 8 und 12).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E128296

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00047.20F.0605.000

Im RIS seit

17.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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