TE OGH 2020/5/7 11Os15/20w

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Veröffentlicht am 07.05.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Stephanie M***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 23. Oktober 2019, GZ 23 Hv 28/18z-44, gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Der Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stephanie M***** im zweiten Rechtsgang (zum ersten: 11 Os 45/19f) des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB (B./) schuldig erkannt und unter Einbeziehung (und überflüssiger Wiederholung – RIS-Justiz RS0100041, RS0098685; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 33) des im ersten Rechtsgang rechtskräftig gewordenen Schuldspruchs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach hat sie am 17. April 2018 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, Peter R***** durch die sinngemäße Äußerung, sollte er ihr nicht bis 20. April 2018 500 Euro übergeben, werde sie ihrem Anwalt mitteilen, dass Peter R***** 10.000 Euro zum Nachteil der F***** F***** L***** veruntreut habe, somit durch Drohung mit der Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung, zu einer Handlung, die ihn am Vermögen schädigen sollte, nämlich zur Übergabe von 500 Euro zu nötigen versucht, wobei die Tat den Selbstmord des Peter R***** zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

Dem Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) zuwider ist den Entscheidungsgründen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Nachricht unmissverständlich zu entnehmen, dass nach der für den Fall der Zahlungsweigerung in Aussicht gestellten Kontaktaufnahme der Angeklagten mit ihrem Anwalt die unberechtigten Geldentnahmen des Peter R***** publik gemacht und dadurch dessen gesellschaftliche Stellung vernichtet werden würde (US 6 f, 12 ff, 15 f, 19).

Für die Feststellung dieses Sinngehalts haben sich die Tatrichter mit zwischen der Angeklagten und R***** am 17. April 2018 „und auch davor“ ausgetauschten Nachrichten im durch das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) vorgegebenen Umfang (vgl RIS-Justiz RS0106642) – im Gegenstand sogar sehr eingehend – beweiswürdigend auseinandergesetzt (vgl US 10 ff, 15), weshalb keine Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe (Z 5 zweiter Fall) auszumachen ist.

Inwiefern eine (im Übrigen nicht durch Fundstellen belegte; vgl aber RIS-Justiz RS0124172) Nachricht des R***** („Jetzt wird einiges auf uns zukommen, das wollte ich verhindern“) der Feststellung entgegenstehen sollte, die Angeklagte habe mit der inkriminierten Nachricht ihrer Geldforderung Nachdruck verleihen wollen (US 6, 12 ff, 15 [zweiter Absatz]), macht die Beschwerde nicht klar. Mit der Frage, ob die Nichtigkeitswerberin im Gesamtkontext bloß die Einholung eines anwaltlichen Rats gemeint haben könnte, haben sich die Tatrichter jedenfalls ausführlich beschäftigt (US 13). Indem die Beschwerde beweiswürdigend für den Standpunkt der Angeklagten günstigere Schlüsse gezogen wissen will, begibt sie sich auf die Ebene einer im schöffengerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Schuldberufung, ohne Urteilsmängel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzuzeigen.

Das Erstgericht leitete die Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite aus einer vernetzten Betrachtung zahlreicher Umstände ab: Dem vorliegenden Nachrichtenverkehr; dem Wortlaut und Kontext der inkriminierten Nachricht; dem – in jahrelanger und beispiellos skrupelloser (finanzieller) Ausnützung der Zuneigung des R***** bestehenden – Verhalten der Angeklagten in der Vergangenheit (US 10 ff, 15); den Angaben der Zeugin E***** zu diesbezüglichen Äußerungen der Angeklagten (US 12, 15); dem (von der Angeklagten zugestandenen) Wissen um die Bedeutung der gesellschaftlichen Stellung für R***** und um dessen Angst vor dem Bekanntwerden seines Fehltritts in seinem sozialen Umfeld (US 12, 16); dem unmittelbar vor der inkriminierten Nachricht akut gewordenen Geldbedarf der Angeklagten und dem drohenden Verlust der finanziellen Unterstützung durch R***** (US 12 f); den Angaben der Angeklagten vor der Polizei (US 14) sowie dem persönlichen Eindruck von der Genannten (US 15).

Entgegen dem Vorwurf der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) sind diese Erwägungen der Tatrichter unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit in keiner Weise zu beanstanden und erschöpfen sich auch nicht in „Pauschalfloskeln“.

Die Konstatierungen zur Kausalität der Tathandlung für den Selbstmord des R***** in seiner konkreten Gestalt (US 7, 17, 19) stützte das Erstgericht gleichfalls ohne Verstoß gegen Kriterien logischen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze (Z 5 vierter Fall) auf die Nachrichten des Genannten, aus welchen seine Verzweiflung und seine Angst vor dem Bekanntwerden der Veruntreuungen sprach, im Zusammenhalt mit dem zeitlichen Konnex zwischen der inkriminierten Äußerung und dem Suizid (US 15 ff).

Dass für die Angeklagte günstigere Schlüsse denkbar gewesen wären, begründet keine Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO. Schließlich wird auch mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 zweiter Halbsatz StPO) keine Urteilsnichtigkeit dargetan (RIS-Justiz RS0102162).

Der weiteren Mängelrüge ist voranzustellen, dass jede Handlung als kausal zu betrachten ist, die auch nur das geringste dazu beigetragen hat, dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt eingetreten ist, für die Zurechnung einer Erfolgsqualifikation zu einer Tat also grundsätzlich deren Mitursächlichkeit (neben anderen Ursachen) genügt (RIS-Justiz RS0092036, RS0092063, RS0092078).

Die Tatrichter brachten im Urteil – unter Berücksichtigung des gesamten Chatverlaufs und der umfassenden WhatsApp-Kommunikation (vgl US 9 ff, 15 f), der sich ab November 2017 verschlechternden Gemütslage des R***** und des Umstands, dass dieser „zum Schluss sogar meinte, dass selbst … 10.000 Euro nicht mehr helfen würden“ (US 5 f, 12, 14 ff) – unmissverständlich (vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass das Verhalten der Angeklagten eine im Zeitpunkt des Erfolgseintritts (Selbstmord des R*****) noch wirksame (Mit-)Bedingung für diesen war und das Risiko des Selbstmordes in seiner konkreten Gestalt (in der Nacht zum 21. April 2018, nachdem der Termin für die Geldforderung der Angeklagten am Morgen des 20. April 2018 abgelaufen war und R***** aufgrund der Drohung nun unmittelbar mit dem Publikwerden seines Fehltritts rechnen musste – US 6 f, 12 f, 16, 19) zweifelsfrei erhöht hat (allgemein zu Äquivalenztheorie, Adäquanz- und Risikozusammenhang sowie Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten vgl Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 80 Rz 68–71, 85 f, 91; Leukauf/Steininger/Stricker StGB4 Vorbem zu § 1 Rz 13, 17, 19–22, 28–32, 37 sowie Leukauf/Steininger/Nimmervoll StGB4 § 80 Rz 13 f, 26 f, 29, 31; zur fahrlässigen Herbeiführung einer qualifizierenden Tatfolge vgl Leukauf/Steininger/Huber StGB4 § 7 Rz 28, 30, 32 f). Vor diesem Hintergrund bedurften einzelne von der Beschwerde ins Treffen geführte Textbotschaften des Tatopfers, die seine sich zuspitzende Verzweiflung über die (durch die kontinuierliche Unterstützung der Angeklagten entstandene – US 5 f) finanzielle Schieflage zum Ausdruck brachten, keiner gesonderten Erörterung (Z 5 zweiter Fall).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) spricht der Drohung die Eignung zur Einflößung begründeter Besorgnis in Bezug auf die angekündigte Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung (und Verletzung der Ehre – RIS-Justiz RS0092529) des Tatopfers durch Publikmachung seines Fehltritts ab, stellt dabei aber bloß beweiswürdigende Überlegungen an, wie R***** die Äußerung in einem anderen Sinn als mit dem im Urteil konstatierten Bedeutungsinhalt (US 6 f) verstanden haben könnte. Damit orientiert sie sich nicht am im Urteilssachverhalt gelegenen Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Dies gilt auch für die urteilsfremde Behauptung, die Angeklagte habe nicht mit Bereicherungsvorsatz gehandelt, weil sie den Betrag von 500 Euro bloß „als Darlehen“ gefordert habe. Denn die Tatrichter gingen davon aus, dass R***** das Geld der Intention der Angeklagten zufolge – nach ihren vergeblichen Bitten um weitere finanzielle Unterstützung – bloß aus Angst um die Vernichtung seiner gesellschaftlichen Existenz übergeben sollte und dass die Angeklagte überdies wusste, keinen Rechtsanspruch auf eine solche Geldübergabe zu haben, sich vielmehr mittels Drohung einen faktischen Vermögensvorteil zu verschaffen trachtete, den sie sich zueignen wollte (vgl US 7, 16, 18).

Im Übrigen würde selbst eine (auch ohne Nötigungsmittel erwirkte) Darlehenszuzählung im Fall bloß vorgetäuschter Rückzahlungsfähigkeit oder -willigkeit des Darlehensnehmers der Feststellung eines im Tatzeitpunkt auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatzes keineswegs entgegenstehen (siehe insbesondere US 3 ff und den rechtskräftigen Schuldspruch aus dem ersten Rechtsgang wegen des von Sommer 2015 bis 16. April 2018 durch Herauslockung von Darlehen zum Nachteil des Peter R***** begangenen Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB).

Ebensowenig an den (bereits dargelegten) Feststellungen des Erstgerichts zur Kausalität des Verhaltens der Angeklagten für den (gerade in der Nacht zum 21. April 2018 verübten) Selbstmord des R***** orientiert sich die Subsumtionsrüge (Z 10) mit dem Vorbringen, die Nachricht der Angeklagten sei weder für die Tatfolge nach § 145 Abs 3 StGB ursächlich gewesen noch habe sie das Risiko für deren Eintritt erhöht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E128237

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00015.20W.0507.000

Im RIS seit

04.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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