TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/21 L504 2202948-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2019
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Entscheidungsdatum

21.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §20
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L504 2202948-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2018, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der Antrag der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Aus dem unbestritten gebliebenen Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ergibt sich Folgendes:

"[...]

Wann Sie zuletzt in das Bundesgebiet einreisten entzieht sich der Kenntnis der Behörde. Ein aktueller ZMR - Auszug hat ergeben, dass Sie, abgesehen von Ihren Aufenthalten in verschiedenen österreichischen Justizanstalten - im Bundesgebiet noch nie gemeldet waren. Sie verfügen über keinen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet und sind auch keiner legalen Beschäftigung nachgegangen.

Am 13.10.2017 stellten Sie einen Antrag auf internationalen Schutz, zogen diesen jedoch im Zuge der Erstbefragung zurück.

Im Bundesgebiet wurden Sie bereits zum zweiten Mal rechtskräftig verurteilt:

Am XXXX 04.2014 (rechtskräftig am 15. XXXX ) wurden Sie vom LG F.STRAFS.WIEN, wegen §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3), 27 (1) Z 1 1. 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 9 Monate bedingt, auf eine Probezeit von 3 Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Am XXXX 02.2018 wurden Sie vom LG F.STRAFS.WIEN, wegen § 28a (1) 5. Fall, (2) Z 3 SMG § 28 (1) 1. Satz 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Im Urteil ist angeführt, dass Sie schuldig sind, Sie haben zu nachgenannten Zeiten in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Heroin mit den Wirkstoffen Heroin in einem Reinheitsgehalt von zumindest 24,9 %, Monoacetylmorphin in einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,5 % und Acetylcodein in einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,5 %

A./ im Zeitraum 08.06.2017 bis 19.06.2017 in Bezug auf Suchtgift in einer das 15-fachen der Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge anderen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen und zwar zumindest 280 Gramm an teilweise bekannte und teilweise unbekannte Abnehmer;

B./ in einer die Grenzmenge (28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem Sie am 19.06.2017 insgesamt 92,5 Gramm Heroin und ein Gramm Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain in einem Reinheitsgehalt von 97 %) in seinem Zimmer im Hotel XXXX bunkerten.

Sie haben hiedurch das Verbrechen des Suchtgifthandels sowie das Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel begangen.

Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die mehrfachen Tatangriffe sowie Ihre einschlägige Vorstrafe; als mildernd das reumütige Geständnis, sowie die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes.

Mit Schreiben vom 03.07.2018 (zugestellt am 06.07.2018) wurde Ihnen die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme versucht zuzustellen und somit Parteiengehör zu gewähren. Sie hatten die Möglichkeit zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot innerhalb von 10 Tagen Stellung zu nehmen. Sie verzichteten auf eine Stellungnahme.

Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

[...]"

Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid hat das Bundesamt entschieden, dass die bP, ein türkischer Staatsangehöriger, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs 2 AsylG eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, gem. § 52 Abs 9 FPG iVm § 46 FPG die Abschiebung in die Türkei zulässig sei und gem. § 55 Abs 4 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde. Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung werde gem. § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wird gegen die bP ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Mit E-Mail vom 09.08.2018 wies das BVwG auf die unterschiedlichen Feststellungen hinsichtlich eines Aufenthaltstitels der bP hin und ersuchte um eine dahingehende Stellungnahme. Mit E-Mail vom selben Tag stellte das BFA klar, dass die bP noch nie über einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde, Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität steht fest.

Die bP ist türkischer Staatsangehöriger, welcher zu einem unbekannten Zeitpunkt alleine nach Österreich einreiste. Sie stellte anlässlich ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.10.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen sie jedoch sofort wieder zurückzog. In der Türkei besuchte sie 9 Jahre die Grundschule und arbeitete danach als Kebabkoch. Sie ist ledig, hat keine Sorgepflichten und ist im arbeitsfähigem Alter. Sie ist gesund und der türkischen Sprache mächtig.

Die bP ist im Besitz eines 2014 von der türkischen Botschaft in Italien ausgestellten Reisepasses.

Die bP ist Ende 2009 nach Italien gereist, wo sie eine Aufenthaltsberechtigung für 2 Jahre bekam. Nicht festgestellt werden konnte mangels Mitwirkung der bP, dass sie momentan über eine Aufenthaltsberechtigung für Italien verfügt.

In der Zeit von 2009 bis 2017 war die bP in Italien, Deutschland und Österreich aufhältig, wobei der genaue Zeitraum nicht feststellbar ist. Die bP war abgesehen von ihren Aufenthalten in österreichischen Justizanstalten, im Bundesgebiet noch nie behördlich gemeldet. Sie verfügte für das Bundesgebiet über keinen Aufenthaltstitel und hat einen solchen auch nicht beantragt. Die bP ist damit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Die bP stand in Österreich noch nie in einem aufrechten, legalen Beschäftigungsverhältnis, sondern verdiente ihren Lebensunterhalt mit illegaler Beschäftigung.

Verhalten in Österreich:

Die bP wurde am XXXX 04.2014 vom LG f. Strafs. Wien, Zl. XXXX , rechtskräftig am XXXX 04.2014 wegen des Vergehens der §§ 27 (1) Z 1

8. Fall, 27 (3), 27 (1) Z 1 1. 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 9 Monate bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt worden. Die bP hat vom 15.03.2014 bis 13.06.2014 den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe in Österreich vollzogen.

Die bP befand sich ab 20.06.2017 in Österreich in Untersuchungshaft. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Zl. XXXX , vom XXXX wurde die bP wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs. 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren, unter Anrechnung der Vorhaft, rechtskräftig verurteilt. Bei der Strafzumessung wurde das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die mehrfachen Tatangriffe und die einschlägige Vorstrafe als erschwerend gewertet. Mildernd war das reumütige Geständnis und die Sicherstellung eines Teils des Suchtgiftes.

Die bP beschloss auf Grund seiner finanziellen Verhältnisse im Sommer 2017 in Wien Heroin gewinnbringend zu verkaufen.

In Umsetzung dieses Tatentschlusses überließ die bP 280 Gramm Heroin, mit den Wirkstoffen Heroin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 24,9 %, Monoacetylmorphin in einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,5 % und Acetylcodein in einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,5 % gewinnbringend an teilweise bekannte und teilweise unbekannte Abnehmer. Die bP erwirtschaftete dadurch ein Einkommen von zumindest € 10.000,00. Zudem lagerte die bP noch weitere 92,5 Gramm Heroin und ein Gramm Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain in einem Reinheitsgehalt von 97 %) in ihrem Zimmer im Hotel XXXX . Auch dieses Suchtgift hätte verkauft werden sollen. Nicht festgestellt werden konnte, dass sich die bP mit weiteren zwei Personen für einen längeren Zeitraum zusammenschloss, um das Suchtgift zu verkaufen. Die bP war an kein Suchtgift gewöhnt.

Die bP wusste bei der Überlassung des Heroins um dessen Eigenschaft als Suchtgift und dass sie dadurch anderen ein Suchtgift überließ; dies wollte sie auch. Ebenso wusste sie um die Qualität des überlassenen Suchtgiftes Bescheid und dass sie nicht berechtigt war, Suchtgift zu verkaufen. Zumindest nach Laienart wusste sie, dass in Heroin verbotene Substanzen enthalten sind. Dies bedenkend und billigend in Kauf nehmend, entschloss sie sich dessen ungeachtet, laufend und wiederholt Suchtgift in kleinen Mengen, die sich jedoch zu einer Grenzmenge um das 15-fache übersteigenden Menge summierten und nach der Vorstellung der bP auch summieren sollten, zu verkaufen. Dabei hatte sie von Beginn an die Absicht, die einzelnen Tathandlungen in der Weise zu wiederholen, dass sie mittels eines Kleinhandels von Heroin, ein die Grenzmenge um das 15-fache übersteigenden Sichtgiftquantum anderen überließ. Die einzelnen überlassenen Suchtgiftmengen waren daher von einem auf fortlaufende Tatbegehung gerichteten Additionsvorsatz umfasst.

Die bP wusste und wollte auch, dass 92,5 Gramm Heroin mit den Wirkstoffen Heroin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 24,9 %, Monoacetylmorphin in einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,5 % und Acetylcodein in einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,5 % und ein Gramm Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain in einem Reinheitsgehalt von 97 %) in ihrem Hotelzimmer gebunkert waren. Sie wusste auch hierbei über die Suchtgifteigenschaften von Heroin und Kokain und über deren Qualität Bescheid, wobei sie es zumindest ernstlich für möglich hielten und sich damit abfand, dass das Heroin und das Kokain die oa Wirkstoffe enthielt. Zumindest nach Laienart wusste sie, dass in Heroin und Kokain verbotene Substanzen enthalten sind. Dies bedenkend und billigend in Kauf nehmend, lag es in der Absicht des Angeklagten, sämtliches im Hotelzimmer aufgefundene Heroin und Kokain zu verpacken und gewinnbringend zu veräußern; dies wollte die Angeklagte auch.

Zum Privat und Familienleben in Österreich:

Die bP ist ledig und hat in Österreich weder familiäre noch relevante oder berufliche Bindungen.

Zur Situation im Falle einer Rückkehr:

Die beschwerdeführende Partei verfügt über familiäre bzw. verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in der Türkei, wovon 2 Brüder in Deutschland leben. Die beschwerdeführende Partei brachte in der Beschwerde vor, dass sie im Falle einer Rückkehr in die Türkei den Militärdienst leisten müsse und deshalb um ihr Leben fürchte.

Zur Situation im Herkunftsstaat:

Aus den vom Bundesamt herangezogenen Berichtsquellen zur Türkei (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) ergibt sich - auch unter Berücksichtigung aktuellster Berichte (Quelle: www.ecoi.net) - keine reale bzw. mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für die bP zu erwartende Gefährdungslage. Auch in der Beschwerde wurde die von ihr behauptete Gefährdung im Falle der Ableistung des Militärdienstes nicht näher konkretisiert oder mit aktuellen Berichten untermauert. Die bP ist den im angefochtenen Bescheid dargestellten Berichten bzw. der sich daraus ergebenden Lage in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur ergeben sich im Wesentlichen unstreitig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt der Behörde.

Die bP ist den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht konkret entgegengetreten und stehen diese damit außer Streit. Die Beschwerde richtet sich im Wesentlichen gegen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren in Bezug auf den Status der bP bzw. gegen die rechtliche Beurteilung. In ihrer handschriftlichen Beschwerde bringt die bP vor, dass sie bei einer Rückkehr in die Türkei den Militärdienst ableisten müsse und deshalb um ihr Leben fürchte.

Die bP bringt im Asylverfahren erstmals in der Beschwerde vor, dass sie, wenn sie in die Türkei zurückgeschickt werde zum Militär müsse und deshalb um ihr Leben fürchte.

Gemäß § 20 BFA-VG idgF dürfen in Beschwerden gegen Entscheidungen des BFA neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden

1. wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert hat;

2. wenn das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war;

3. wenn diese dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes nicht zugänglich waren oder

4. wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen.

(2) Über die Zulässigkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweise muss nicht entschieden werden, wenn diese für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht maßgeblich sind.

(3) Abs. 1 ist auf Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes auf Grund eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 nicht anzuwenden.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Neuerungsverbot ist dem Anliegen des Gesetzgebers, Missbräuchen vorzubeugen, auch dadurch Rechnung getragen, dass die Ausnahmen vom Neuerungsverbot "auf jene Fälle beschränkt" werden, in denen der Asylwerber "aus Gründen, die nicht als mangelnde Mitwirkung" am Verfahren zu werten sind, "nicht in der Lage war", Tatsachen und Beweismittel bereits beim Bundesamt vorzubringen. Somit bleibt vom Neuerungsverbot ein Vorbringen erfasst, mit dem ein Asylwerber das Verfahren missbräuchlich zu verlängern versucht. (VfGH 15. 10. 2004, G 237/03 ua)

Aus dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist demnach abzuleiten, dass nicht jede Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu einer Durchbrechung des Neuerungsverbotes führt, sondern nur jene, welche "kausal" dafür ist, dass der Asylwerber "nicht in der Lage war" die erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachten neuen Tatsachen und Beweismittel schon im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen (vgl. auch VwGH 25.9.2007, 2007/18/0418).

Weder hat die bP in ihrer Beschwerde konkret und substantiiert dargetan, dass sie durch eine Mangelhaftigkeit (Z 2 leg cit) des erstinstanzlichen Verfahrens "nicht in der Lage war", diesen erstmals in der Beschwerde vorgetragenen Sachverhalt schon im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen, noch kann dies aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes amtswegig festgestellt werden.

Weder hat die bP bei ihrer ersten Befragung am 13.10.2017 eine diesbezügliche Furcht geäußert, noch hat sie im Rahmen einer ihr gewährten Stellungnahme vom 03.07.2017 dazu Stellung genommen. Die bP hat in der Erstbefragung explizit auf einen Antrag auf internationalen Schutz verzichtet, indem sie auf die Frage "Warum haben Sie ihr Land verlassen (Fluchtgrund) vorbrachte "Ich will keinen Asylantrag mehr". Dies obwohl die bP dort offenbar schon in Kenntnis der Sachlage, nämlich, dass sie - behauptetermaßen aber unbescheinigt geblieben - ihren Militärdienst ableisten müsse, war.

Dass die bP, wie in der Beschwerde vorgebracht, wegen des Militärdienstes um ihr Leben fürchten müsse, ist nicht evident. Die bP hätte jedenfalls im Zuge der Einvernahme und auch beim Parteiengehör genügend Gelegenheit gehabt eine derartige Rückkehrgefährdung zu äußern, wenn sie den Tatsachen entspräche. Dass sich die Sachlage seit der letzten Einvernahme beim Bundesamt und der Beschwerde diesbezüglich relevant geändert hätte, wurde nicht dargelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher im Ergebnis zur Ansicht, dass - ohne hier auf die Glaubwürdigkeit dieses neuen Vorbringens einzugehen - eine mangelnde Mitwirkung der bP ursächlich dafür war, dass sie diesen Sachverhalt erst im Beschwerdeverfahren vorbrachte und nicht eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, zumal sie schon im Verfahren vor dem Bundesamt hinlänglich die Möglichkeit hatte diesen Sachverhalt dort vorzutragen.

Auf Grund des Ermittlungsverfahrens ergeben sich keine konkreten Hinweise, dass einer der anderen Ausnahmetatbestände des § 20 leg cit erfüllt wäre. Auch die bP hat diesbezüglich keine aufgezeigt.

Am Boden der zu dieser Bestimmung ergangenen und für deren Auslegung maßgeblichen Judikatur der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (siehe VfGH 15.10.2004, Zahl G237/03 ua., Punkt III.4.7.4.2.; VwGH 27.09.2005, Zahl 2005/01/0313) ist in diesem Kontext noch zu beurteilen, ob diese späte, erst im Stadium der Beschwerde erfolgte Tatsachenbehauptung von dem Versuch gekennzeichnet ist, das Verfahren missbräuchlich zu verlängern. Im Rahmen einer gesamthaften Abwägung gelangt das Bundesverwaltungsgericht angesichts der ob dargelegten Ausführungen zu der Ansicht, dass im Falle der bP das Vorliegen eines Missbrauchs zu bejahen ist.

Überdies kann es für einen türkischen Staatsbürger und für das Bundesamt als Spezialbehörde als notorisch bekannt angesehen werden, dass kurdische Rekruten generell in andere Landesteile einberufen werden, damit diese die Türkei kennen lernen sowie dass man sich vom Wehrdienst freikaufen kann (vgl. etwa zu Kurdisch-stämmige Rekruten in der Armee BVwG v. 27.08.2018, L519 2198125-2).

Sofern die Beschwerde ein unterlassenes Parteiengehör moniert, entspricht dies nicht den Tatsachen. Wie aus dem Verwaltungsakt hervorgeht, ist der bP mit Schreiben vom 03.07.2017 im Rahmen der "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" Gelegenheit gegeben worden, sich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot zu äußern, was sie aber unterlassen hat.

Mit der amtswegigen Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung korrespondiert die Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken. Die Offizialmaxime befreit die Parteien nicht davon, durch substanziiertes Vorbringen zur Ermittlung des Sachverhaltes beizutragen, wenn es einer solchen Mitwirkung bedarf. Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069). Gem. § 39 Abs 2a AVG trifft die bP auch eine Verfahrensförderungspflicht, nämlich dass sie ihr Vorbringen so rechtzeitig und vollständig zu erstatten hat, dass das Verfahren so rasch als möglich durchgeführt werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist auch die weitere Rüge, wonach das BFA eine Abklärung des tatsächlichen Aufenthaltsstatus der bP in Italien vornehmen hätte müssen, zu sehen. Es handelt sich hier um in der persönlichen Sphäre der bP liegende Umstände. Im Übrigen hat die bP in ihrer handschriftlichen Beschwerde aufgezeigt, dass sie zwar 2017 nach Italien gereist ist um ihr "Visum" zu verlängern, aber bevor ihr "Visum" überhaupt verlängert wurde, sie sich bereits auf dem Weg nach Österreich befand. Darüber hinaus ist die bP im Besitz eines von der türkischen Botschaft in Italien 2014 ausgestellten türkischen Reisepasses und nicht im Besitz eines Konventionsreisepasses.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG / Rückkehrentscheidung

§ 57 AsylG Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.

Ein Sachverhalt, wonach der bP gem. § 57 Abs 1 Z 1-3 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen wäre, liegt hier nicht vor.

Da sich die bP nach Abschluss des Verfahrens nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG [Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung] fällt und ihr auch amtswegig kein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG zu erteilen war, ist diese Entscheidung gem. § 10 Abs 2 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung gem. dem 8. Hauptstück des FPG [Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Fremde] zu verbinden.

Dem zur Folge hat das Bundesamt gemäß § 52 Abs 1 FPG [Rückkehrentscheidung] gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z2).

Gemäß Abs. 2 leg cit hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z2) und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die bP ist Staatsangehöriger der Türkei und kein begünstigter Drittstaatsangehöriger. Es kommt ihr auch kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Daher ist gegenständlich gem. § 52 Abs 1 FPG grds. die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu prüfen.

Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens in Österreich käme:

§ 9 BFA-VG

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

Für die Beurteilung ob ein relevantes Privat- und/oder Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegt sind nach der höchstgerichtlichen Judikatur insbesondere nachfolgende Umstände beachtlich:

Privatleben

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Rückkehrentscheidungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Bei der Schutzwürdigkeit des Privatlebens manifestiert sich der Grad der Integration des Fremden insbesondere an intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124; 11.10.2005, 2002/21/0124).

Familienleben

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben;

das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00); etwa bei Zutreffen anderer Faktoren aus denen sich ergibt, dass eine Beziehung genügend Konstanz aufweist, um de facto familiäre Bindungen zu erzeugen: zB Natur und Dauer der Beziehung der Eltern und insbesondere, ob sie geplant haben ein gemeinsames Kind zu haben; ob der Vater das Kind als eigenes anerkannt hat; ob Unterhaltszahlungen für die Pflege und Erziehung des Kindes geleistet wurden; und die Intensität und Regelmäßigkeit des Umgans (EGMR v. 8.1.2009, Zl 10606/07, Fall Grant gg. Vereinigtes Königreich).

Kinder werden erst vom Moment ihrer Geburt an rechtlich Teil der Familie. Zu noch ungeborenen Kindern liegt somit bis dahin (noch) kein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK vor (vgl. zB VfGH 24.02.2003, B 1670/01; EGMR 19.02.1996, GÜL vs Switzerland).

Der Begriff des Familienlebens ist jedoch nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere "de facto Beziehungen" ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua).

Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR; des Weiteren auch das Erkenntnis des VwGH vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0423 und die darauf aufbauende Folgejudikatur, etwa die Erkenntnisse vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0235, vom 8. Juni 2006, Zl. 2003/01/0600, vom 22. August 2006, Zl. 2004/01/0220 und vom 29. März 2007, Zl. 2005/20/0040, vom 26. Juni 2007, 2007/01/0479).

Die Beziehung der bereits volljährigen Kinder zu den Eltern ist vor allem dann als Familienleben zu qualifizieren, wenn jene auch nach Eintritt der Volljährigkeit im Haushalt der Eltern weiterleben, ohne dass sich ihr Naheverhältnis zu den Eltern wesentlich ändert (Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 860 unter Hinweis auf Wiederin in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 8 EMRK Rz 76).

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern, die wegen des Fehlens von über die üblichen Bindungen hinausgehenden Merkmalen der Abhängigkeit nicht (mehr) unter den Begriff des Familienlebens fallen, unter den Begriff des ebenfalls von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Privatlebens zu subsumieren (VwGH 21.4.2011, 2011/01/0093-7 [vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 9. Oktober 2003, Slivenko gegen Lettland, Beschwerde Nr. 48321/99, Randnr. 97, vom 15. Juni 2006, Shevanova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 58822/00, Randnr. 67, vom 22. Juni 2006, Kaftailova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 59643/00, Randnr. 63, und vom 12. Jänner 2010, A.W. Khan gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 47486/06, Randnr. 31 ff]).

Alle anderen verwandtschaftlichen Beziehungen (zB zwischen Enkel und Großeltern, erwachsenen Geschwistern [vgl. VwGH 22.08.2006, 2004/01/0220, mwN; 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723-8], Cousinen [VwGH 15.01.1999, 97/21/0778; 26.6.2007, 2007/01/0479], Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten) sind nur dann als Familienleben geschützt, wenn eine "hinreichend starke Nahebeziehung" besteht. Nach Ansicht der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist für diese Wertung insbesondere die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung (vgl. VfSlg 17.457/2005). Dabei werden vor allem das Zusammenleben und die gegenseitige Unterhaltsgewährung zur Annahme eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK führen, soweit nicht besondere Abhängigkeitsverhältnisse, wie die Pflege eines behinderten oder kranken Verwandten, vorliegen.

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR im Fall Cruz Varas gegen Schweden). In diesen Fällen ist nach der Judikatur des EGMR der Eingriff in das Privatleben gegebenenfalls separat zu prüfen (Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 856 mwN).

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Die bP hat keine als Familienleben zu wertende Anknüpfungspunkte in Österreich dargelegt. Die Rückkehrentscheidung bildet daher keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben, weshalb es diesbezüglich auch keiner Abwägung mit den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung bedarf.

Auf Grund der festgestellten Umstände ist gegenständlich auch nicht von einem iSd Art 8 EMRK relevanten Privatleben in Österreich auszugehen. Ihren eigenen Angaben zufolge war die bP ab März 2017 in Österreich ohne einen gültigen Aufenthaltstitel aufhältig und wurde am XXXX vom Landesgericht für Strafsachen Wien über die bP die Untersuchungshaft verhängt; am XXXX erging seitens des BFA betreffend die bP ein Festnahmeauftrag. Die bP war gerade mal drei Monate in Österreich aufhältig, als über sie die Untersuchungshaft verhängt wurde. Folgt man Chvosta, welcher, soweit ersichtlich im Schrifttum bisher unwidersprochen ausführte und dem sich auch das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall anschließt, dass bei [Anm.: damals] Ausweisungen von Asylwerbern nach 10 AsylG [Anm. vgl. § 75 Abs. 23 AsylG] ab einer Verfahrensdauer von 6 Monaten jedenfalls ein Eingriff in das Privat- und Familienleben anzunehmen sein wird, der eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach sich zieht (Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74), ist mangels weiterer qualifizierter Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Verweildauer im Bundesgebiet im gegenständlichen Fall noch kein relevantes Privatleben begründet. Weitergehende relevante private Anknüpfungspunkte im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK kamen nicht hervor.

Da die Rückkehrentscheidung somit keinen Eingriff in das Recht auf Privatleben darstellt, konnte eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK unterbleiben.

Es erfolgte daher zu Recht die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs 1 Z 1 FPG.

Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II.)

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

§ 50 FPG Verbot der Abschiebung

(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Die Zulässigkeit der Abschiebung der bP in den Herkunftsstaat Türkei ist gem. § 46 FPG gegeben, da kein konkretes, zu berücksichtigendes Vorbringen erstattet wurde und auch amtswegig nicht festgestellt werden konnte, dass Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würden.

Aberkennung der aufschiebenden Wirkung / Keine Frist für freiwillige Ausreise

Das Bundesamt erkannte der Beschwerde gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab, weil die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Insbesondere liegt auch das tatsächliche Ende der Strafhaft nicht im Einflussbereich des Bundesamtes.

Das Bundesamt erachtete auf Grund der zweimaligen Verurteilungen nach dem Suchtmittelgesetz, die jeweils mit einer doch unbedingten Freiheitsstrafe endeten, die öffentliche Sicherheit und Ordnung als gefährdet. Dem wurde in der Beschwerde nicht konkret entgegen getreten und vermag auch das BVwG im Wesentlichen nicht zu beanstanden.

Für das BVwG waren die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gem. § 18 Abs 5 BFA-VG nicht gegeben. Auf Grund dieser inhaltlichen Entscheidung in der Sache bedarf es keiner eigenen Entscheidung über diesen Spruchpunkt.

Auf Grund der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung besteht gem. § 55 Abs 1a FPG ex lege keine Frist für die freiwillige Ausreise.

Einreiseverbot

§ 53 FPG Einreiseverbot idF BGBl. I Nr. 56/2018

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;

4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder

9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15.12.2011, Zahl 2011/21/0237 zur Rechtslage vor dem FPG idgF (in Kraft seit 01.01.2014) erwogen, dass bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl ErläutRV, 1078 BlgNR 24. GP 29 ff und Art 11 Abs 2 Rückführungs-RL) sei. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 anzunehmen.

In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinne der Z 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht. Zudem ist festzuhalten, dass - wie schon nach bisheriger Rechtslage (vgl. VwGH 20.11.2008, 2008/21/0603) - in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern immer auf das zugrunde liegende Verhalten (arg.: Einzelfallprüfung) abzustellen ist. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild; darauf kommt es bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots an.

§ 53 Abs. 3 FPG idgF hat im Vergleich zur Rechtslage vor dem 01.01.2014 keine inhaltliche Änderung erfahren. Daraus ist zu schließen, dass auch in Bezug auf die vom VwGH statuierten (obgenannten) Kriterien, die bei der Verhängun

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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