TE OGH 2019/6/27 12Os5/19f

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Veröffentlicht am 27.06.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Rathgeb in der Strafsache gegen Norbert H***** und eine Angeklagte wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster und dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Norbert H***** und Helga H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 15. Juni 2018, GZ 15 Hv 6/18f-64, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Norbert H***** und Helga H***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden

Norbert H***** jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./A./1./a./ und b./), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./A./2./ und 4./), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I./A./3./) und der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 erster, vorletzter und letzter Fall StGB (I./B./), eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster und dritter Fall StGB (I./A./5./) sowie jeweils mehrerer Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 2 StGB (I./A./6./) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (I./A./7./) und

Helga H***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 2, 206 Abs 1 StGB und eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 2, 206 Abs 1, Abs 3 erster und dritter Fall StGB (II./A./) sowie jeweils mehrerer Vergehen der Blutschande nach §§ 2, 211 Abs 2 StGB (II./B./) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 2, 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./C./)

schuldig erkannt.

Danach haben in N***** und anderen Orten

I./ Norbert H*****

A./ mehrmals monatlich an und mit seiner am 20. Juni 1988 geborenen, sohin zu den Tatzeitpunkten zu
1./–5./ jeweils noch unmündigen Tochter C***** H*****

1./ geschlechtliche Handlungen vorgenommen, und zwar

a./ von 1995 bis 1996 durch intensives Berühren ihres Geschlechtsteils,

b./ vom 1. Oktober 1998 bis zum 19. Juni 2002, indem sie ihn mit der Hand befriedigen musste,

2./ von 1996 bis zum 19. Juni 2002 den Beischlaf unternommen,

3./ von 1996 bis zum 30. September 1998 auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sie mit seinem Finger penetrierte, mit ihr wechselseitigen Oralverkehr sowie Analverkehr unternahm und sie auch Handonanie an ihm durchführen musste,

4./ vom 1. Oktober 1998 bis zum 19. Juni 2002 durch die zu A./3./ geschilderten Handlungen eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen,

5./ wobei die zu I./A./2./ bis 4./ beschriebenen Taten eine länger als 24 Tage dauernde (US 33) Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Traumafolgestörung mit Depressionen und Zwangsstörungen zur Folge hatten, und die Unmündige durch diese Taten längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde,

6./ von 1996 bis zum Frühjahr 2009 eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf verführt,

7./ von 1995 bis zum 19. Juni 2006 durch die zu I./A./1./ bis 4./ beschriebenen Handlungen an einer minderjährigen Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, geschlechtliche Handlungen vorgenommen und an sich vornehmen lassen,

B./ bis zum 14. Oktober 2017 C***** H***** durch die wiederholte Äußerung, wenn sie ihn anzeige, werde er sich umbringen und würde sie die Existenz der Familie zerstören, somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod und der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz oder gesellschaftlichen Stellung zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Erstattung einer Strafanzeige gegen ihn wegen der sexuellen Missbräuche, genötigt,

II./ Helga H*****

ab 1998 die zu I./A./ (zu ergänzen [US 9]) 2./ und 4./ bis 7./ beschriebenen strafbaren Handlungen begangen, indem sie es unterließ, deren Begehung zu verhindern, obwohl sie durch die Rechtsordnung, nämlich die im Familienrecht begründeten Elternpflichten dazu verpflichtet gewesen wäre, und zwar

A./ bis 19. Juni 2002 die schweren sexuellen Missbräuche ihrer Tochter durch Norbert H*****, die eine länger als 24 Tage dauernde (US 33) Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Traumafolgestörung mit Depressionen und Zwangsstörungen der C***** H***** zur Folge hatten und die Unmündige durch diese Taten längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde, obwohl sie im Jahr 1998 Zeugin eines Beischlafs wurde und das Zimmer verließ, ohne etwas zu unternehmen und auch in weiterer Folge nichts unternahm, um derartige Übergriffe ihres Ehemannes zu verhindern, obwohl ihr schon zu einem früheren Zeitpunkt von ihrer Tochter erzählt wurde, dass sie, wenn sie beim Papa auf dem Schoß sitzen würde, er nachher mit ihr zum Einkaufen fahren würde, sodass ihr zumindest ab dem Zeitpunkt der von ihr gemachten eigenen Beobachtungen im Jahre 1998 klar war, dass die schweren sexuellen Übergriffe auch tatsächlich stattfinden,

B./ bis zum Frühjahr 2009, dass Norbert H***** eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf verführt,

C./ bis zum 19. Juni 2006, dass Norbert H***** an einer minderjährigen Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, geschlechtliche Handlungen vornimmt. 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wenden sich die gemeinsam ausgeführten, auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Norbert H***** und Helga H*****, denen keine Berechtigung zukommt.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) liegt im Ausschluss der Öffentlichkeit nach dem Vortrag der Anklage, aber vor Erstattung der Gegenäußerung durch die Verteidigung kein nichtigkeitsbegründender Verstoß gegen § 228 StPO. Bei Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen der kritisierten (hier ersichtlich auf § 229 Abs 1 Z 2 StPO gestützten) Beschlussfassung ist auf deren Zeitpunkt abzustellen. Nach dem Aufruf der Sache kann jederzeit der Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt und vorgenommen werden (vgl Danek/Mann, WK-StPO § 229 Rz 7). Eine Erörterung des persönlichen Lebensbereichs des Angeklagten und des Opfers war vom Erstgericht schon mit Blick auf den Verhandlungsgegenstand zwanglos anzunehmen. Ob allenfalls durch die vor Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführten Verfahrensschritte „bereits ein großer Teil des im Zuge dieses Verfahrens relevanten höchstpersönlichen Lebensbereiches des Opfers bzw der Beteiligten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“ wurde, ist entgegen der Beschwerdeauffassung für den gerechtfertigten Ausschluss der Öffentlichkeit für (weitere) Verfahrensschritte, in denen Umstände aus dem persönlichen Lebens- und Geheimnisbereich des Angeklagten oder eines Zeugen erörtert werden (vgl auch RIS-Justiz RS0098875 [T4], RS0098868), nicht von Bedeutung.

Entgegen dem zu den Schuldsprüchen I./A./1./ bis 5./ und II./A./ erhobenen Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) haben die Tatrichter die Feststellung des Geburtsdatums des Opfers auf dessen eigene Angaben gegründet (US 13 iVm ON 29 S 2), sodass die Rüge schon im Ansatz versagt.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Unter dem Aspekt des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt hinzuzufügen:

./ Zu den Schuldsprüchen I./A./7./ und II./C./ wegen Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB hat das Erstgericht in Ansehung des Tatzeitraums vom 20. Juni 2002 bis zum 19. Juni 2006 verfehlt nicht berücksichtigt, dass im Fall der – hier festgestellten (US 10 f) – Verführung eines minderjährigen Nachkommen zum Beischlaf (zum Begriff vgl Philipp in WK2 StGB § 211 Rz 7) § 212 Abs 1 StGB hinter § 211 Abs 2 StGB zurücktritt (RIS-Justiz RS0091123 [T7]; Philipp in WK2 StGB § 211 Rz 11).

./ Eine Drohung mit Selbstmord kann nur dann eine zur Verwirklichung des Tatbestands nach § 105 StGB geeignete gefährliche Drohung im Sinn des § 74 Abs 1 Z 5 StGB sein, wenn sie sich ihrem Bedeutungsinhalt nach unter einem als auch gegen den Bedrohten selbst oder eine diesem nahestehende dritte Person (Sympathieperson) gerichtete Drohung mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre, Vermögen oder des höchstpersönlichen Lebensbereichs erweist, die geeignet ist, dem Bedrohten mit Rücksicht auf die Verhältnisse und seine persönliche Beschaffenheit oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete Besorgnisse einzuflößen (RIS-Justiz RS0123065; Schwaighofer in WK² StGB § 105 Rz 53; vgl auch Kienapfel/Schroll StudB BT I4 § 105 Rz 51 mwN). Davon ausgehend tragen die Feststellungen zum Schuldspruch I./B./ (US 12, 15) die Subsumtion nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 vorletzter und letzter Fall StGB. Allerdings hat das Erstgericht die konstatierte Ankündigung des Selbstmords des Angeklagten (US 12) rechtsirrig (auch) der Qualifikation einer Drohung mit dem Tod (§ 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB; vgl US 34) unterstellt (zur rechtlichen Gleichwertigkeit der Begehungsformen des § 106 Abs 1 Z 1 StGB vgl RIS-Justiz RS0092959 [T2, T3]).

./ Strafgesetze sind auf Taten anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten begangen wurden. Auf früher begangene Taten sind sie dann anzuwenden, wenn die Gesetze, die zur Tatzeit gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren (§ 61 StGB).

Anknüpfungspunkt des nach dem zweiten Satz des § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs ist die Tat, also der im Urteil festgestellte Lebenssachverhalt. Dabei wird die Anordnung, zu prüfen, ob die Gesetze, die im Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter „in ihrer Gesamtauswirkung“ nicht günstiger waren als die jeweils aktuellen, einhellig dahin verstanden, dass eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist. Dies hat zur Folge, dass auch im Fall der Idealkonkurrenz eine solche Kombination nicht möglich ist, somit der zu beurteilende Lebenssachverhalt – nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB – entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen ist (RIS-Justiz RS0089011 [T3], RS0119085 [T5]).

Davon ausgehend folgt auf Basis der tatrichterlichen Feststellungen:

Die rechtliche Unterstellung der von den Schuldsprüchen I./A./5./ und II./A./ umfassten Taten (auch) unter den erst mit Inkrafttreten des BGBl I 2013/116 am 1. August 2013 in § 206 Abs 3 StGB aufgenommenen Qualifikationstatbestand des § 206 Abs 3 dritter Fall StGB erfolgte mit Blick auf den zur Gänze vor diesem Zeitpunkt liegenden Tatzeitraum zu Unrecht. Rechtsrichtig hätte das Erstgericht vielmehr in Ansehung der von den Schuldsprüchen I./A./2./, 4./ und 5./ sowie II./A./ umfassten Taten jeweils Tatzeitrecht (§ 206 StGB idF BGBl 1974/60, BGBl I 1998/153 und BGBl I 2001/130) anzuwenden gehabt.

Aufgrund der davon unberührt bleibenden Verwirklichung der (in sämtlichen der vorgenannten Fassungen des § 206 StGB enthaltenen) Qualifikation, dass die Tat eine schwere Körperverletzung der unmündigen Person zur Folge hatte (§ 206 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60, § 206 Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und BGBl I 2001/130), blieb dieser Subsumtionsfehler jedoch ohne Auswirkung auf den anzuwendenden Strafrahmen von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe (vgl US 4, 35).

Zufolge der gebotenen Gesamtbetrachtung bei hier vorliegender Idealkonkurrenz ist auch die Subsumtion nach § 211 Abs 2 StGB idgF (I./A./6./, II./B./) in Ansehung der vom Schuldspruch I./A./2./ umfassten Taten und nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (I./A./7./, II./C./) in Ansehung der von den Schuldsprüchen I./A./2./ (mit der oben dargestellten Einschränkung) und 4./ umfassten Taten verfehlt.

Gleiches gilt betreffend der Subsumtion nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (I./A./7./, II./C./) in Ansehung der vom Erstgericht zutreffend § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 unterstellten Taten (I./A./3./).

Amtswegige Wahrnehmung der aufgezeigten Subsumtionsfehler (Z 10) nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO war jedoch nicht geboten, weil diese per se keinen Nachteil im Sinn dieser Bestimmung darstellen (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff).

./ Helga H***** hat auf Basis der getroffenen Feststellungen (insbesondere US 8 ff) die ihr angelasteten strafbaren Handlungen nicht als unmittelbare Täterin, sondern (nur) als Beitragstäterin nach § 12 dritter Fall StGB verwirklicht (Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 29, § 211 Rz 10 und § 212 Rz 13; Kienapfel/Schmoller, StudB BT III2
§§ 206–207 Rz 47; RIS-Justiz RS0108869; 14 Os 67/13d; Hinterhofer SbgK § 206 Rz 63, § 207 Rz 46, § 212 Rz 56; vgl Hilf in WK2 StGB § 2 Rz 159 und 162; RIS-Justiz RS0089094).

Auch daraus resultiert jedoch mangels Beschwer (vgl Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 119 f) keine Notwendigkeit einer amtswegigen Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO (vgl 14 Os 67/13d).

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem – nicht an die verfehlten Subsumtionen gebundenen (RIS-Justiz RS0118870) – Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO). Dabei wird dieses auch der daraus resultierenden rechtsfehlerhaften (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO) aggravierenden Wertung der „mehrfache(n) Deliktsqualifikation“ (US 35) Rechnung zu tragen haben (RIS-Justiz RS0090885).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E125719

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00005.19F.0627.000

Im RIS seit

05.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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