TE OGH 2019/5/28 10Ob36/19w

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Julian Korisek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T*****, Schweiz, vertreten durch Mag. Ernst Michael Lang, Rechtsanwalt in Hohenems, wegen 11.360 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 7. März 2019, GZ 36 R 284/18h-17, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 2. Oktober 2018, GZ 13 C 555/18g-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einreden des Fehlens der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit abgewiesen werden.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.578,42 EUR (darin enthalten 263,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten, einem in der Schweiz niedergelassenen Notar und Rechtsanwalt, mit ihrer am 4. 4. 2018 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eingebrachten Klage die Zahlung von 11.360 EUR samt Zinsen aus dem Titel des Schadenersatzes. Die Klägerin habe am 4. 1. 2016 mit einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz zwei Verträge über den Ankauf und die Verwahrung von Edelmetallen abgeschlossen. Die Gesellschaft habe sich vertraglich gegenüber ihren Anlegern verpflichtet, ihre Edelmetallbestände daraufhin zu überprüfen, ob diese ausreichen, um ihren Anlegern die für sie gehaltenen Edelmetallbestände vollständig auszuliefern. Der Beklagte habe notariell beglaubigte Prüfberichte ausgestellt, in denen er bestätigt habe, dass der Ist-Bestand an Edelmetallen im Besitz der Gesellschaft mit dem Soll-Bestand übereinstimme. Diese Prüfberichte seien der Klägerin vorgelegt worden, um sie von der Sicherheit der Anlage vor Vertragsabschluss zu überzeugen. Die Klägerin habe die Veranlagungssumme im Vertrauen auf die Richtigkeit der Prüfberichte investiert. Die Prüfberichte des Beklagten seien jedoch unrichtig gewesen. Die Ausstellung unrichtiger Prüfberichte durch den Beklagten sei kausal für den Vertragsabschluss und die Zahlungen der Klägerin gewesen, die Klägerin habe dadurch die von ihr veranlagte Summe zur Gänze verloren.

Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beruhe auf Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007. Der Beklagte habe gewusst, dass seine Prüfberichte für die Anwerbung von Anlageinteressenten in Österreich verwendet werden. Er habe die Vorgesellschaft der Vertragspartnerin der Klägerin errichtet und die Gesellschaftsanteile der Vertragspartnerin treuhändig gehalten. Die Vertragspartnerin der Klägerin sei Alleingesellschafterin einer österreichischen Tochtergesellschaft gewesen, die Anlageinteressenten in Österreich Vertragsabschlüsse mit der Vertragspartnerin der Klägerin angeboten habe. Der Schaden der Klägerin habe sich auf ihrem Bankkonto bei einer Bank mit Sitz im Sprengel des angerufenen Gerichts ereignet. Von diesem Konto aus habe die Klägerin die Veranlagungssumme auf das Bankkonto der österreichischen Tochtergesellschaft ihrer Vertragspartnerin bei einer österreichischen Bank überwiesen.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Infolge eines Überweisungsantrags der Klägerin wurde die Klage an das Erstgericht (Bezirksgericht Leopoldstadt) überwiesen.

Der Beklagte erhob die Einrede des Fehlens der internationalen und örtlichen Zuständigkeit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007.

Zur behaupteten internationalen Unzuständigkeit bestritt der Beklagte das Vorliegen eines Handlungs- und Erfolgsorts im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007 in Österreich. Im Sprengel des angerufenen Gerichts liege lediglich der Überweisungsort. Die bloße Überweisung eines Geldbetrags sei nicht einer Schadenszufügung gleichzusetzen. Auch das Konto der österreichischen Tochtergesellschaft bei einer österreichischen Bank sei nicht Erfolgsort.

Die behauptete örtliche Unzuständigkeit begründete der Beklagte damit, dass der Ort des schädigenden Ereignisses sich allenfalls am Sitz der Bank der österreichischen Tochtergesellschaft der Vertragspartnerin der Klägerin befinden könne, da das schädigende Ereignis frühestens dort eingetreten sein könne. Es sei daher jenes Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel sich der Sitz der kontoführenden Bank der österreichischen Tochtergesellschaft der Vertragspartnerin der Klägerin befinde.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Es fehle an seiner internationalen Zuständigkeit im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007. Der Erfolgsort liege nicht in Österreich, weil der Überweisungsort keinen Gerichtsstand begründe. Auch das Konto der österreichischen Tochtergesellschaft der Vertragspartnerin der Klägerin in Österreich begründe nicht die internationale Zuständigkeit Österreichs. Andere spezifische Gegebenheiten, die eine Zuweisung nach Österreich rechtfertigen könnten, lägen nicht vor.

Das Rekursgericht gab dem vom Kläger gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs nicht Folge. Anknüpfungspunkt für die internationale und örtliche Zuständigkeit sei im vorliegenden Fall ausschließlich der Sitz der Zentrale der kontoführenden Bank der Klägerin. Weder liege der Wohnsitz der Klägerin im Sprengel des angerufenen Gerichts noch ließen sich sonstige Sachverhaltselemente diesem zuordnen. Ein sich auf dem Bankkonto der Klägerin ereignender finanzieller Verlust reiche allein nicht aus, um den Sitz der kontoführenden Bank mit jenem Ort gleichzusetzen, an dem das schädigende Ereignis im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007 eingetreten sei. Der Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung fehle, ob die örtliche und damit auch die internationale Zuständigkeit am Ort der Zentrale der kontoführenden Bank bei davon abweichendem Wohnsitz des geschädigten Anlegers bestehe.

In ihrem vom Beklagten beantworteten Revisionsrekurs strebt die Klägerin erkennbar die Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen dahin an, dass die internationale und örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts bejaht werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Klägerin hält im Revisionsrekurs an ihrem Standpunkt fest, dass der Ort der Minderung des Kontoguthabens als Erfolgsort im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007 anzusehen sei. Dem hält der Beklagte in der Revisionsrekursbeantwortung entgegen, dass es an der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts fehle.

1. Zur internationalen Zuständigkeit:

1.1 Die internationale Zuständigkeit richtet sich im vorliegenden Fall – was zwischen den Parteien auch nicht strittig ist – im Hinblick auf den Wohnsitz des Beklagten in der Schweiz und das Datum der Einbringung der Klage nach dem LGVÜ 2007 (Art 63, 64 Abs 2 lit a LGVÜ 2007).

1.2 Maßgeblich für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind die Klageangaben (RS0115860, RS0050455). Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (RS0115860 [T4]). Sie sind auch dann der Zuständigkeitsentscheidung zugrunde zu legen, wenn sie vom Beklagten bestritten wurden (RS0050455 [T1]). Die Schlüssigkeit des Klagevorbringens reicht im Fall doppelrelevanter Tatsachen aus (RS0116404). Zwar ist im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit kein Beweisverfahren durchzuführen, doch sind alle Informationen – einschließlich der Einwände des Beklagten – zu würdigen (5 Ob 240/18g mwN).

1.3 Nach Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007 kann eine Person, die ihren Wohnsitz in einem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat geklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Dies entspricht dem Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 (früher Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000). Grundsätzlich kann der Geschädigte seine Ansprüche alternativ am Handlungs- oder am Erfolgsort geltend machen (RS0115357). Bei Auseinanderfallen der beiden Orte kann der Kläger zwischen Handlungs- und Erfolgsort wählen (RS0109078 [T27]). Die Klägerin beruft sich nach ihrem Vorbringen – und auch im Revisionsrekurs – nur auf einen in Österreich gelegenen Erfolgsort im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007.

1.4 In der gleichartige Ansprüche eines österreichischen Anlegers gegen den auch hier Beklagten betreffenden Rechtssache 5 Ob 240/18g hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst mit ausführlicher Begründung ausgeführt, dass die Gerichte am Wohnsitz des Anlegers für auf deliktische Ansprüche gestützte Klagen dann zuständig sind, wenn die anlage- und schadenstypisch beteiligten Konten bei Banken in Österreich gehalten wurden und darüber hinaus auch die sonst vorliegenden Umstände (insbesondere zB Erwerb in Österreich, Eingehen der Verpflichtung aufgrund von notifizierten Prospektangaben in Österreich) zur Zuweisung an österreichische Gerichte anstelle der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten beitragen.

1.5 Wie bereits in der zitierten Entscheidung 5 Ob 240/18g (vgl auch 8 Ob 30/19y; 9 Ob 8/19w, 8 Ob 23/19v; 8 Ob 31/19w) spricht auch hier eine ganze Reihe von Sachverhaltselementen für die Zuweisung der Zuständigkeit an österreichische Gerichte. Der Zahlungsfluss ging vom österreichischen Konto der Klägerin aus, die Klägerin unterfertigte die Vertragsanträge an ihrem österreichischen Wohnsitz (Blg ./G), das Konto, auf das die Klägerin den investierten Betrag überwies, wurde in Österreich geführt. Die vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) geforderte Vorhersehbarkeit eines Erfolgsorts in Österreich für den Beklagten ergibt sich aus den Klageangaben, wonach der Beklagte gewusst habe, dass seine Prüfberichte für die Anwerbung von Anlageinteressenten in Österreich verwendet werden. Damit ist die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte nach den vom EuGH in der Rechtssache C-314/17, Löber, postulierten Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall zu bejahen (ausführlich 5 Ob 240/18g).

2. Zur örtlichen Zuständigkeit:

2.1 Die Regelungen des LGVÜ 2007 sind unmittelbar und zwingend anzuwenden, sie genießen innerhalb ihres Anwendungsbereichs Vorrang vor den innerstaatlichen Zuständigkeitsbestimmungen (insbesondere der JN; RS0106679; RS0109738; Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4, Einleitung LGVÜ 2007 Rz 10). Art 5 Nr 3 LGVÜ 2007 regelt nicht nur die internationale, sondern zugleich auch die (internationale) örtliche Zuständigkeit (4 Ob 181/18y mwH; RS00111094; ebenso 3 Ob 177/18b zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012), sodass insofern die Zuständigkeitsregelungen des innerstaatlichen Rechts nicht zur Anwendung gelangen (RS00118240; Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Einleitung [EuGVVO] Rz 21).

2.2 Der Beklagte hat nach Überweisung der Rechtssache an das Erstgericht nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts rechtzeitig bestritten (§ 230a letzter Satz ZPO), sodass diese nicht durch rügelose Einlassung geheilt ist (3 Ob 177/18b mH auf 5 Ob 188/03p = RS0119313). Es bedarf daher einer Auseinandersetzung auch mit dieser Einrede des Beklagten.

2.3 Wie bereits ausgeführt, ist aus der Rechtsprechung des EuGH (insbesondere zuletzt in der Rs C-304/17, Löber, zu Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000) abzuleiten, dass – wenn, wie hier, auch die sonst vorliegenden Umstände zur Zuweisung der Zuständigkeit an österreichische Gerichte beitragen – für auf deliktische Ansprüche gestützte Klagen die Gerichte am Wohnsitz des Anlegers international örtlich zuständig sind (3 Ob 185/18d; 4 Ob 185/18m ua). Dass das Erstgericht aus diesem Grund örtlich unzuständig wäre – die Klägerin hat ihren Wohnsitz nicht im Sprengel des Erstgerichts – macht der Beklagte in seiner Einrede aber gar nicht geltend. Mit seinen Ausführungen, wonach es nicht auf den Sitz der kontoführenden Bank der Klägerin ankomme (deutlich jedoch diesen Aspekt betonend: EuGH C-304/17, Löber), sondern auf den Sitz der Bank, an die die Überweisung der Klägerin als Anlegerin erfolgt sei, zeigt der Revisionsrekurswerber keine örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts auf, das überdies infolge der Überweisung auch keine Art der Unzuständigkeit mehr von Amts wegen aufgreifen darf (Mayr in Fasching/Konecny³ § 230a ZPO Rz 21).

3. Damit ist die internationale und die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts auch im vorliegenden Fall zu bejahen. Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher abzuändern und die Einreden des Fehlens der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit zu verwerfen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Als Kosten des Zwischenstreits sind nur die vom allgemeinen Verfahrensaufwand klar abgrenzbaren Kosten anzusehen; Kosten von Prozesshandlungen, die im fortgesetzten Verfahren verwertbar sind, sind im Rahmen der Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits nicht zuzusprechen (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.331 mwN). Klar abgrenzbar sind hier nur die Kosten des Rechtsmittelverfahrens in zweiter und dritter Instanz. Der Honoraransatz für den Revisionsrekurs beträgt gemäß TP 3C RATG bei einem Streitwert von 11.360 EUR allerdings nur 476,70 EUR.

Textnummer

E125403

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00036.19W.0528.000

Im RIS seit

26.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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