TE OGH 2018/5/17 12Os33/18x

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.05.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Mai 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Gschiel, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gheorghe F***** wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 33 Hv 44/17t des Landesgerichts Linz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 25. Juli 2017, GZ 33 Hv 44/17t-243, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani sowie des Verurteilten und seines Verteidigers Mag. Prückler zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus ihrem Anlass wird das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 25. Juli 2017, GZ 33 Hv 44/17t-243, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II./ ersatzlos und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben.

Zur Strafneubemessung für das Gheorghe F***** nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch I./ zur Last liegende Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB wird die Sache an das Landesgericht Linz verwiesen.

Text

Gründe:

Gheorghe F***** wurde aufgrund des von der Staatsanwaltschaft Linz am 15. Dezember 2016 angeordneten und vom Landesgericht Linz am 19. Dezember 2016 bewilligten Europäischen Haftbefehls (ON 90, 99) von den französischen Justizbehörden an Österreich übergeben, ohne auf den Grundsatz der Spezialität verzichtet zu haben (ON 213, 216, 219).

Im genannten Haftbefehl wurde die (auch) Gheorghe F***** vorgeworfene Straftat wie folgt dargestellt:

Es „haben am 14. 8. 2016 in L***** nachangeführte Personen als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit Gewalt gegen eine Person, anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abgenötigt, durch deren Zueignung sich oder andere unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

- der zur Tatzeit 78-jährigen Erika T***** Bargeld in einer Gesamthöhe von zumindest EUR 3.200,--, ein Mobiltelefon der Marke Samsung […] im Wert von ca. EUR 300,-- sowie einen Goldring im Wert von ca. EUR 300,-- und

- Dashbaatar D***** einen Ring aus Silber und Gold im Wert von ca. EUR 150,--,

indem

1.) Florin Dragos S*****, Gheorghe Hagi Ionut Sebastian F***** und Ionut Alexandru P***** sich maskiert (unter Verwendung von Sturmhauben und Gartenhandschuhen) mithilfe einer (selbstgebauten) Holmleiter über den Balkon Zutritt zu der im 2. Stock des Hauses ***** gelegenen Eigentumswohnung der Erika T***** verschafften und dort diese als auch den bei ihr aufhältigen Mongolen Dashbaatar D***** fesselten und knebelten, mit einem harten Gegenstand mehrmals gegen den Kopf bzw. das Gesicht der Erika T***** schlugen, wodurch sie ein großflächiges Hämatom im Bereich des linken Auges sowie eine Beule am Hinterkopf und mehrere Schürfwunden und Dashbaatar D***** Abschürfungen im Bereich der Handgelenke und des rechten Ringfingers erlitt, Geld und Schmuck von ihr forderten und einer der Täter Dashbaatar D***** auch ein Messer vorzeigte,

wobei sie die Tat unter Verwendung einer Waffe (Messer und Schlitzschraubenzieher) verübten“ (ON 99 S 4).

Mit dem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 25. Juli 2017, GZ 33 Hv 44/17t-243, wurde Gheorghe F***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./; vgl jedoch RIS-Justiz RS0130302) und der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 14. August 2016 in L***** in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit zwei abgesondert verfolgten Mittätern

I./ mit Gewalt gegen eine Person sowie mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz anderen fremde bewegliche Sachen abgenötigt und weggenommen (US 5 f), und zwar

- Erika T***** 3.200 Euro Bargeld, sowie ein Mobiltelefon und einen goldenen Ring je im Wert von rund 300 Euro und

- Dashbaatar D***** einen Ring aus Silber und Gold im Wert von rund 150 Euro,

indem er und seine Mittäter sich maskiert über den Balkon Zutritt zu der im zweiten Stock gelegenen Wohnung der Erika T***** verschafften, wo sie diese und Dashbaatar D***** fesselten und knebelten, T***** mehrmals gegen den Kopf bzw das Gesicht schlugen (wodurch diese und D***** näher beschriebene Verletzungen erlitten) und Geld und Schmuck forderten sowie den Genannten wegnahmen (US 5 f);

II./ „im Zuge der unter Punkt I./ genannten Tathandlung“ Erika T***** und Dashbaatar D***** widerrechtlich gefangen gehalten oder ihnen auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, indem er und seine Mittäter die beiden gefesselt und geknebelt in der Wohnung der Erika T***** „zurückließen“.

Bei der Ausmessung der dafür verhängten Freiheitsstrafe berücksichtigte der Schöffensenat das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen ausdrücklich als erschwerend (US 15).

Nach Ansicht der Generalprokuratur verletzt das genannte Urteil in seinem Schuldspruch II./ das Gesetz. In ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt sie dazu Folgendes aus:

„Das genannte Urteil ist mit einem Feststellungsmangel im Sinne des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behaftet. Aufgrund der in der Hauptverhandlung vorgekommenen (vgl das Hauptverhandlungsprotokoll ON 242 S 17) Unterlagen über die Übergabe des Gheorghe F***** von den französischen Justizbehörden an Österreich liegen Indizien für ein prozessuales Verfolgungshindernis, nämlich eine Verletzung der Spezialität der Übergabe gemäß § 31 Abs 1 EU-JZG (Hinterhofer in WK² EU-JZG § 31 Rz 8, 12 f, 16 f und 37 ff) vor, die das Erstgericht nicht durch Feststellungen geklärt hat (vgl RIS-Justiz RS0122332).

Der seit seiner Festnahme am 30. April 2017 in Frankreich (ON 200) durchgehend in Haft befindliche Angeklagte Gheorghe F***** wurde am 18. Mai 2017 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Linz vom 15. Dezember 2016 (ON 90) vom Vollstreckungsstaat an Österreich übergeben (ON 219). Auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität wurde ausdrücklich nicht verzichtet (ON 216).

Nach § 31 Abs 1 EU-JZG darf eine Person, die aufgrund eines von einer österreichischen Justizbehörde erlassenen Europäischen Haftbefehls an Österreich übergeben wurde, ohne die Zustimmung des Vollstreckungsstaats wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen anderen Handlung, auf die sich der Europäische Haftbefehl nicht erstreckte, weder verfolgt noch verurteilt noch einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme unterworfen, noch auf Grund eines weiteren Europäischen Haftbefehls an einen anderen Mitgliedstaat übergeben werden. Die Spezialität der Übergabe findet keine Anwendung, wenn eine der Ausnahmebestimmungen des § 31 Abs 2 EU-JZG vorliegt, somit unter anderem, wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet oder der Verfolgung wegen bestimmter vor der Übergabe begangener strafbarer Handlungen zustimmt, wobei ein solcher Verzicht nur wirksam ist, wenn die betroffene Person diese Erklärung nach Belehrung zu Protokoll gibt (Z 5 iVm Abs 3), die Person vor der vollstreckenden Justizbehörde ihrer Übergabe zustimmt und ausdrücklich auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet hat (Z 6) oder die vollstreckende Justizbehörde auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet oder ihre Zustimmung zur Verfolgung wegen anderer vor der Übergabe begangener strafbarer Handlungen erteilt hat (Z 7).

Fallbezogen liegt keine der Voraussetzungen des § 31 Abs 2 EU-JZG vor.

Eine Spezialitätsbindung besteht nur für solche Straftaten der übergebenen Person, auf die sich der von den österreichischen Justizbehörden erlassene Europäische Haftbefehl nicht erstreckt. Es darf also nur dieser historische Lebenssachverhalt eine Strafverfolgung der übergebenen Person in Österreich auslösen, der Gegenstand des Europäischen Haftbefehls ist. Der Sachverhalt, welcher der Strafverfolgung in Österreich zu Grunde liegt, und jener, auf den sich der Europäische Haftbefehl bezieht, müssen übereinstimmen (Identität der Tat).

Der Schuldspruch II. betrifft einen im genannten Europäischen Haftbefehl nicht angeführten Sachverhalt, nämlich eine Tat nach dem im Europäischen Haftbefehl Gheorghe F***** angelasteten Raubgeschehen (arg „zurückließen“, zur Konkurrenz vgl Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 70; dies, SbgK § 28 Rz 59, 69 mwN; RIS-Justiz RS0093111 [T1]).

Folglich ist der Schuldspruch II. mit einem prozessualen Verfolgungshindernis im Sinn des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behaftet.“

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der Grundsatz der Spezialität bezieht sich stets auf die Tat als tatsächlichen Lebenssachverhalt (RIS-Justiz RS0087147 [T3]).

Es darf also nur jener historische Lebenssachverhalt eine Strafverfolgung der übergebenen Person in Österreich auslösen, der Gegenstand des Europäischen Haftbefehls ist. Jener Sachverhalt, welcher der Strafverfolgung in Österreich zu Grunde liegt, und jener, auf den sich der Europäische Haftbefehl bezieht, müssen übereinstimmen (Identität der Tat). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Handlung mehrere, in Idealkonkurrenz zueinander stehende strafbare Handlungen begründet (Hinterhofer in WK2 EU-JZG § 31 Rz 13 f; für § 70 ARHG Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 70 Rz 5). Ist dieses Verhalten Gegenstand des Europäischen Haftbefehls, dürfen die österreichischen Justizbehörden die übergebene Person wegen sämtlicher, in Idealkonkurrenz zueinander stehender strafbarer Handlungen strafrechtlich verfolgen; infolge der Identität der Tat liegt darin keine Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes. Unter Wahrung der Tatidentität ist daher auch eine rechtliche Beurteilung der Tat im österreichischen Strafurteil zulässig, die von der (juristischen) Qualifikation im Europäischen Haftbefehl abweicht (RIS-Justiz RS0087147; Hinterhofer in WK2 EU-JZG § 31 Rz 14; ebenso Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 70 Rz 5).

Hier hat Gheorghe F***** nach der Umschreibung der Tat im Europäischen Haftbefehl durch das Fesseln der beiden Opfer Ausführungshandlungen gesetzt, in denen die strafbaren Handlungen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB im objektiven Tatbestand zusammentreffen (vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 12 f). Der im Europäischen Haftbefehl dargestellte Sachverhalt ermöglicht daher die Subsumtion unter die strafbaren Handlungen des Raubes und der Freiheitsentziehung. Der Spezialitätsgrundsatz wurde somit durch die Verfolgung und Verurteilung des Gheorghe F***** (auch) wegen des bereits im Rahmen des Raubgeschehens vollendeten Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (vgl US 5 f; zum Zeitpunkt der Vollendung dieses Dauerdelikts vgl Schmoller SbgK § 99 Rz 15 f mwN) nicht verletzt.

Demgemäß liegt die von der Generalprokuratur relevierte Gesetzesverletzung nicht vor, sodass ihre zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 292 StPO), dass dem angefochtenen Urteil ein anderer – von der Generalprokuratur nicht geltend gemachter – Rechtsfehler anhaftet:

Beim Verbrechen des Raubes sind alle Handlungen des Täters vom Beginn der Ausführung des räuberischen Vorsatzes bis zur materiellen Vollendung der Tat grundsätzlich als einer gesonderten strafrechtlichen Zuordnung in der Regel nicht zugängliche Einheit anzusehen. Diese einheitliche Beurteilung verschiedener Phasen der Raubtat als ein einziges Delikt findet ihre Grenze darin, dass ein unmittelbarer und sachlicher Zusammenhang zwischen ihnen bestehen muss. Eine gegen die Person des Raubopfers gerichtete Freiheitsentziehung geht daher dann im Tatbestand des Raubes auf, wenn diese Bewegungseinschränkung entweder bereits im Zuge der Ausführung der Raubtat an sich als Mittel zur Durchsetzung des deliktischen Vorhabens erfolgt ist oder aber wenn sie unmittelbar nach Wegnahme oder Abnötigung des Raubgutes der Sicherung der Beute beziehungsweise der Einleitung der Flucht dient (RIS-Justiz RS0093085, RS0091298, RS0091310 [insbesondere T1], RS0093111; vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 67; Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 69 f; Eder-Rieder SbgK § 28 Rz 59, 69 mwN).

Diese Voraussetzungen treffen im vorliegenden Fall zu, weil die Fesselung der beiden Opfer nach den Urteilsfeststellungen (US 5 f) bereits im Zuge der Ausführung der Raubtat als Tatmittel eingesetzt wurde (vgl Hintersteininger SbgK § 142 Rz 15) und das (bloße) „Zurücklassen“ der gefesselten Opfer unter Absperren der Wohnungstür (US 6) erkennbar dazu bestimmt war, dem Verurteilten eine ungehinderte Flucht zu ermöglichen.

Die Freiheitsentziehung ist daher unter dem Gesichtspunkt der Konsumtion als straflose Begleittat (vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 57 ff) durch die Verurteilung nach § 142 StGB abgegolten.

Die solcherart begründete materielle Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) gereicht dem Verurteilten zum Nachteil; sie war deshalb auf die im Spruch ersichtliche Weise von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0096667; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 39).

Zur Strafneubemessung in Ansehung des Gheorghe F*****, der auf eigene Veranlassung zum Gerichtstag vorgeführt wurde, aber nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte, war die Sache an das Erstgericht zu verweisen.

Textnummer

E121842

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00033.18X.0517.000

Im RIS seit

29.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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