TE OGH 2018/5/23 15Os47/18b

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Veröffentlicht am 23.05.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Mai 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Gschiel, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nouredin K***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten K***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. Februar 2018, GZ 24 Hv 112/17k-267a, sowie über dessen Beschwerde gegen den unter einem gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten K***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Freispruch sowie unangefochten in Rechtskraft erwachsene Schuld- und Freisprüche weiterer Angeklagter enthält, wurde Nouredin K***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 1 SMG als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB (A./II./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 und Z 3, Abs 4 Z 1 SMG (B./I./) sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (D./) schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz zusammengefasst wiedergegeben –

vorschriftswidrig Suchtgift als Mitglied einer kriminellen Vereinigung bestehend (zumindest) aus ihm selbst, Erol D***** und Hamid Kh*****, wobei er bereits einmal, nämlich mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 11. Mai 2012, GZ 23 Hv 42/12a, wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war,

A./ nach Österreich eingeführt, indem er Hamid Kh***** durch entsprechende Bestellung der Lieferung bei dessen Hintermann und Zusage der Übernahme und Bezahlung zur Durchführung von mehreren Schmuggelfahrten von Jahresbeginn 2017 bis 29. April 2017, sohin zur Einfuhr von insgesamt 300 g Kokain beinhaltend 190 g reines Cocain (12,6 Grenzmengen) bestimmte;

B./ anderen durch Weitergabe an teils im Urteil namentlich genannte, teils weitere unbekannte Abnehmer überlassen, und zwar:

I./ gewerbsmäßig im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Erol D***** als Mittäter, wobei die beiden ihre Taten mit Bezug auf Suchtgift in einer die Grenzmenge um mehr als das 15-fache übersteigenden Menge begingen, und zwar:

1./ zwischen November 2016 und Ende Februar 2017 täglich zumindest 5 g Kokain, insgesamt 600 g Kokain mit einem Reinheitsgrad von 35 % (210 g reines Cocain, entsprechend 14 Grenzmengen);

2./ im Zeitraum von Ende Februar bis zum 29. April 2017 zumindest weitere 50 g Kokain mit einem Reinheitsgrad von zumindest 35 % (17,5 g reines Cocain, entsprechend 1,16 Grenzmengen).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3 und 4 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

Der Verteidiger des Zweitangeklagten D***** stellte in der Hauptverhandlung am 29. November 2017 den Antrag, der Gerichtshof möge es unterlassen, dem Erstangeklagten bei seiner Vernehmung Vorhalte aus der Telefonüberwachung der Lorena de Paula F***** zu machen, weil sie dessen Lebensgefährtin sei und von ihm ein Kind erwarte, und ihr daher ein Aussageverweigerungsrecht zukomme. Nur bei Verzicht der Zeugin auf ihr Entschlagungsrecht könnten die Protokolle über die Telefonüberwachung „rechtmäßig in die Hauptverhandlung eingeführt werden“, ansonsten handle es sich um eine Umgehung. Diesem Antrag schloss sich der Verteidiger des Beschwerdeführers an (ON 207 S 16 f).

Die Vorsitzende erklärte zunächst, eine Beschlussfassung durch den Schöffensenat finde – da nicht erforderlich – nicht statt, weil dem Erstangeklagten keine Aussagen der Genannten, sondern die Ergebnisse der rechtmäßig angeordneten und durchgeführten Telefonüberwachung vorgehalten würden (ON 207 S 17).

Nach Beendigung der Vernehmung des Erst- und Zweitangeklagten fasste der Schöffensenat dann den Beschluss auf Abweisung des Antrags (ON 207 S 44).

Der Nichtigkeitswerber, der aus Z 3 eine Verletzung des § 157 Abs 2 StPO rügt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich das Umgehungsverbot nach dieser Gesetzesstelle nicht auf die Aussagebefreiung von Angehörigen nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO oder deren Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO bezieht.

Soweit die Verfahrensrüge (der Sache nach einen Verstoß gegen § 252 StPO geltend machend) gegen die „Bedachtnahme“ auf die Protokolle „in der Hauptverhandlung und im Urteil“ gerichtet ist, übersieht sie, dass der hier kritisierte „Vorhalt“ (Anführung eines Beweismittels; § 245 Abs 1 zweiter Satz StPO) im Rahmen der Vernehmung des Angeklagten über den Inhalt der Anklage – anders als dessen Vorführung im Rahmen des Beweisverfahrens (§ 246 Abs 1 StPO) – keine Verlesung iSd § 252 StPO darstellt und daher nicht den damit verbundenen Beschränkungen unterliegt (RIS-Justiz RS0117390, RS0113446; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 237; Kirchbacher, WK-StPO § 245 Rz 64 ff). Im Übrigen sind schriftliche Aufzeichnungen über den Inhalt von Telefonüberwachungen keine Protokolle über die Vernehmung von Zeugen oder Schriftstücke, die mit dem Ziel errichtet wurden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 228), Aussagen von Zeugen festzuhalten (§ 252 Abs 1 StPO). Vielmehr handelt es sich dabei um Schriftstücke iSd § 252 Abs 2 StPO, welche – wenn sie für die Sache von Bedeutung sind – grundsätzlich verlesen werden müssen, sofern die Überwachung rechtlich zulässig war (§ 135 Abs 3 StPO; Entgegenstehendes behauptet die Beschwerde nicht), auch sonst kein Verlesungs- und Verwertungsverbot entgegensteht und nicht beide Parteien auf die Verlesung verzichten (RIS-Justiz RS0117025; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 124).

Dementsprechend stellt der „Vorhalt“ (§ 245 Abs 1 zweiter Satz StPO) der „Ergebnisse der Telefonüberwachung“ (ON 207 S 16) – die im Übrigen inhaltlich des Protokolls über die Hauptverhandlung im Rahmen des Beweisverfahrens ebenso einvernehmlich vorgetragen (§ 252 Abs 2a StPO) wurden wie die Vernehmung (ON 156 S 319 ff) der F***** als Beschuldigte im Ermittlungsverfahren (ON 267 S 45) – weder einen Verstoß gegen die Verlesungsvorschriften des § 252 Abs 1 und Abs 4 StPO noch eine unzulässige Umgehung von Vernehmungsvorschriften (§§ 157 Abs 2, 159 Abs 3 StPO) dar (vgl 12 Os 32/17y).

Im Hinblick auf die Zulässigkeit des gerügten Vorgangs vermag auch das aus Z 4 erstattete Vorbringen, das die Nichtentsprechung des auf Unterlassung von Vorhalten gerichteten Antrags – mit dem kein über den behaupteten Verstoß gegen das Umgehungsverbot hinausgehendes Vorbringen erstattet wurde (vgl RIS-Justiz RS0099618) – kritisiert, keine Verletzung von Verteidigungsrechten aufzuzeigen.

Soweit die Verfahrensrüge im Übrigen auch kritisiert, dass das Schöffengericht über den Antrag nicht sofort, sondern erst „später in der Hauptverhandlung“ entschieden habe, ist sie darauf hinzuweisen, dass die Einhaltung des § 238 Abs 3 StPO nur insoweit unter Nichtigkeitssanktion steht, als einem gerade darauf abzielenden – hier aber nicht gestellten – Antrag des Beschwerdeführers zuwider nicht entschieden wurde (RIS-Justiz RS0121628, RS0118924; Danek/Mann, WK-StPO § 238 Rz 8).

Mit Blick auf die Entscheidung des verstärkten Senats AZ 12 Os 21/17f bleibt festzuhalten, dass die Urteilsannahmen zur gewerbsmäßigen Tendenz, dem Angeklagten sei es darauf angekommen, sich durch die wiederkehrende Begehung „derartiger Suchtgiftgeschäfte“ über längere Zeit hinweg ein fortlaufendes monatliches Einkommen zu verschaffen (US 23 f), die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG nicht zu tragen vermögen. Dazu wäre es erforderlich, dass der Täter die Absicht hat, sich über längere Zeit hindurch durch wiederkehrendes In-Verkehr-setzen von bereits je für sich die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigender Suchtgiftquanten ein nicht bloß geringfügiges Einkommen zu verschaffen.

Da sich dieser Subsumtionsfehler weder bei der Strafrahmenbildung (nach § 28a Abs 4 SMG) noch bei der Strafbemessung (US 83 f) auswirkte, ist ein konkreter Nachteil für den Angeklagten nicht zu fassen. Das Oberlandesgericht ist bei der Entscheidung über die Berufung nicht an diese fehlerhafte Subsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde ergibt (§ 285i, § 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E121708

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00047.18B.0523.000

Im RIS seit

18.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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