TE OGH 2018/5/23 15Os46/18f

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Veröffentlicht am 23.05.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Mai 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Gschiel, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Farhan A***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 29. September 2017, GZ 23 Hv 65/17s-68, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Farhan A***** der Vergehen des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB (1./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2./), des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB (3./), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (4./) sowie des Betrugs nach § 146 StGB (6./) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (5./) schuldig erkannt.

Danach hat er in I*****

1./ am 31. März 2017 den Eintritt in die Winternotschlafstelle des Roten Kreuzes mit Gewalt erzwungen, indem er die Eingangstür kraftvoll aufdrückte und die Mitarbeiterin Laura L***** zur Seite drängte, wobei er gegen eine dort befindliche Person Gewalt zu üben beabsichtigte;

2./ nach der zu 1./ geschilderten Tat Laura L***** (US 6: vorsätzlich) am Körper verletzt, indem er sie an den Oberarmen erfasste, ihr einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht versetzte, sie in den „Schwitzkasten“ nahm und würgte, wodurch sie eine Verstauchung der Halswirbelsäule, eine Abschürfung am Knie, eine Schürfwunde am rechten Ellbogen und Hämatome am linken Oberarm erlitt;

3./ fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro nicht übersteigenden Wert nachgenannten Personen mit dem Vorsatz weggenommen und wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

a./ am 12. März 2017 Verfügungsberechtigten der S*****-Filiale M*****, zwei Flaschen Jägermeister im Gesamtwert von 28,98 Euro, wobei die Tat beim Versuch blieb;

b./ am 9. April 2017 der Dagmar Le***** einen Rucksack, in dem sich unter anderem ein iPad, diverse Bekleidungs- und Toiletteartikel und ein Diktiergerät befanden;

4./ im Zuge der zu 3./b./ geschilderten Tat eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, nämlich den Reisepass der Le*****, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde;

5./ nach der zu 3./b./ geschilderten Tat Tanja S***** mit Gewalt, indem er sie an den Händen erfasste und festhielt, ihr ins Gesicht schlug, sie zu Boden brachte und würgte, ihr die Hose, Unterhose und Strumpfhose auszog, mit seinen flachen Händen auf sie einschlug und sich mit entblößtem Unterkörper auf sie legte, zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht;

6./ am 6. März 2017 gemeinsam mit Faysal H***** mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Andrei D***** durch die wahrheitswidrige Vorgabe, zahlungswillig und -fähig zu sein, zur Herausgabe von Speisen und Getränken im Wert von 20,30 Euro, mithin zu einer Handlung verleitet, die diesen im angeführten Betrag an seinem Vermögen geschädigt hat.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge nach Z 3 (iVm § 228 StPO) behauptet, der Ausschluss der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung während der Vorführung der Ton- und Bildaufnahme über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Laura L***** sei zu Unrecht erfolgt, weil Gegenstand der Vernehmung „die Vergehen des Hausfriedensbruchs und der Körperverletzung (…) und nicht die Erörterung des persönlichen Lebens- oder Geheimnisbereichs“ der Zeugin iSd § 229 Abs 1 Z 2 StPO gewesen sei. Dabei vernachlässigt sie, dass Inhalt der Aussage auch die Erörterung der beim Tatopfer aufgetretenen psychischen Folgen der Tat war (ON 39 S 20 f und 26 f), sodass dadurch dessen – dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnender – Gesundheitszustand (vgl RIS-Justiz RS0122148) betroffen war.

Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider wurden die Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu 5./ nicht unzureichend begründet. Vielmehr durften die Tatrichter ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungen aus dem objektiven Vorgehen des Angeklagten, der Tanja S***** schlug und würgte, ihr Hose, Strumpfhose und Unterhose auszog, seinen Unterkörper entblößte und sich auf sie legte, bevor er von Polizeibeamten von ihr heruntergerissen wurde (US 8), darauf schließen (US 14), dass A***** sein Opfer zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung nötigen wollte (RIS-Justiz RS0116882).

Mit den Aussagen des Angeklagten über seinen Wissensstand in sexueller Hinsicht hat sich das Schöffengericht auseinandergesetzt (US 14), sodass es – entgegen dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) – keiner Erörterung seiner im Wesentlichen gleichlautenden Angaben gegenüber der Sachverständigen (ON 45 S 12) bedurfte.

Ob Gewaltanwendung zur Erreichung eines sexuellen Ziels „instrumentell“ erfolgt oder (auch) ein „Bedürfnis nach Machtausübung, Dominanz und Unterwerfung“ befriedigen soll, ist für die Tatbestandsmäßigkeit nach § 201 Abs 1 StGB unerheblich, sodass auch die darauf bezogenen Ausführungen des Sachverständigengutachtens (ON 45 S 20) unerwähnt bleiben durften.

Die (richtig:) Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall iVm Z 4; RIS-Justiz RS0118581) kritisiert die Abweisung der Anträge (ON 67 S 7 iVm ON 61) auf Beischaffung und Verlesung des (gemeint: den Angeklagten betreffenden) Asylakts des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, „in dem eine Altersbegutachtung vorgenommen wurde“, sowie auf Einholung eines Sachverständigengutachtens „zur Feststellung des Alters des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten“. Diese Beweisaufnahmen würden ergeben, dass der Angeklagte nicht – wie im Urteil festgestellt – am 1. Jänner 1998, sondern am 1. Jänner 2001 geboren worden, demnach einem durch § 5 Z 4 JGG reduzierten Strafrahmen zu unterstellen sei.

Einem Beweisantrag muss neben Beweismittel und Beweisthema – sofern dies nicht offensichtlich ist – unter anderem zu entnehmen sein, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse (§ 55 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0118444; RS0099453).

Anhaltspunkte für im Asylverfahren gewonnene Verfahrensergebnisse, die ein Alter des Angeklagten von unter 18 Jahren zu den Tatzeitpunkten indizieren könnten, wurden im Antrag nicht vorgebracht, weshalb er auf unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte. Indem die Beschwerde ausführt, der Asylakt hätte ergeben, dass es „keinerlei gesicherte Erkenntnisse zu Identität und Geburtsdaten des Angeklagten“ gibt, stellt sie die zur Begründung für die Notwendigkeit der Aktenbeischaffung angeführte Antragsbehauptung einer im Asylverfahren erfolgten Altersbegutachtung im Übrigen selbst in Abrede.

Auch zur Frage, warum ein Sachverständigengutachten ein deutlich niedrigeres Alter des Angeklagten als angenommen ergeben solle, sind dem Antrag keine tauglichen Hinweise zu entnehmen, zumal der Antragsbehauptung, der Angeklagte wisse nicht, wie alt er ist, dessen aktenkundige Angaben gegenüber der Familien- und Jugendgerichtshilfe vom 4. November 2016 entgegenstehen, wonach er im Alter von 15 Jahren aus Somalia geflüchtet und bereits seit dreieinhalb Jahren in Österreich sei (ON 24 S 13). Das über den Antrag hinausgehende Vorbringen verstößt gegen das im Nichtigkeitsverfahren geltende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099117, RS0098978).

Dass das Erstgericht die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe mit der – eine spezialpräventiv günstige Prognose verneinenden – Begründung verwehrt hat, der Angeklagte sei trotz bereits einmal verspürten Haftübels (in Form von Untersuchungshaft) in einem anderen Strafverfahren rückfällig geworden (US 5, 16), stellt keinen unvertretbaren Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung (Z 11 dritter Fall) dar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E121679

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00046.18F.0523.000

Im RIS seit

15.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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