TE OGH 2018/5/9 13Os31/18k

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Veröffentlicht am 09.05.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Mai 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Imran O***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der Angeklagten Imran O***** und Turpal Ok***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Jänner 2018, GZ 142 Hv 78/17g-86, sowie über deren Beschwerden gegen die vom Gericht unter einem gemäß § 494a StPO gefassten Beschlüsse nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten O***** und Ok***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Imran O***** und Turpal Ok***** – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 zweiter Fall StGB (I) schuldig erkannt.

Danach haben Imran O*****, Tamirlan A***** und Turpal Ok***** in W***** und B***** am 16. April 2017 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe Yusuf E***** fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem Imran O***** und Tamirlan A***** ihn in einen PKW zerrten, wo er zwischen A***** und Ok***** auf der Rückbank Platz nehmen musste, Ok***** ihm eine Pistole anhielt, sie mit ihm in ein Waldstück fuhren, wo Imran O***** auf ihn einschlug und ihm ein Ladegerät der Marke Samsung, zwei Packungen Zigaretten, Bargeld in Höhe von 60 Euro und eine Armbanduhr im Wert von 70 Euro wegnahm und sie im Anschluss mit ihm zu verschiedenen Bankomaten fuhren, wo sie ihn zur Behebung von 1.500 Euro und Übergabe an sie nötigten.

Dagegen richten sich die von Imran O***** auf Z 3, 5a und 10, von Turpal Ok***** auf Z 3, 5 und 5a jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden. Sie verfehlen ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Imran O*****:

Nach der Erklärung des Zeugen Yusuf E***** in der Hauptverhandlung, nicht aussagen zu können (ON 77 S 5), wurden dessen Angaben vor der Polizei (ON 4 S 39 f und S 45 f) gemäß § 252 Abs 1 Z 3 StPO wörtlich verlesen (ON 77 S 6). Der Verteidiger des Beschwerdeführers sprach sich gegen die Verlesung der Aussage aus (ON 77 S 7).

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Verstoß gegen das Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO, weil der Zeuge Yusuf E***** nicht über das gemäß § 157 Abs 1 Z 1 StPO bei Selbstbezichtigungsgefahr bestehende Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden sei. Der Einwand geht schon im Ansatz fehl, weil eine allfällige Verletzung des § 157 Abs 1 Z 1 StPO nicht mit Nichtigkeit bewehrt ist (§ 159 Abs 3 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0124907). Die Angaben des Zeugen wurden im Übrigen zu Recht gemäß § 252 Abs 1 Z 3 StPO verlesen, weil dessen Begründung, sich seiner Verpflichtung zu entziehen, kein Recht zur Verweigerung der Aussage indizierte. Ein im Zuge der polizeilichen Ermittlungen allenfalls zu Stande gekommenes „Aussagedelikt“ nach § 288 oder § 297 StGB würde ebenso wenig zum Zeugnisverweigerungsrecht führen (Kirchbacher, WK-StPO § 157 Rz 4; RIS-Justiz RS0097660).

Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsfeststellungen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583).

Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Tatsachenrüge (Z 5a), indem sie sich gegen den persönlichen Eindruck der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit von Beweispersonen richtet oder aus dem Verhalten des Belastungszeugen in der Hauptverhandlung für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse zieht.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt den Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit, indem sie eine Unterstellung des Tatgeschehens unter „§§ 144, 145 StGB“ anstrebt, dabei die Feststellungen zum Anhalten einer Pistole, zur Verbringung des E***** nach B*****, zum Versetzen von Faustschlägen und zur Wegnahme von Bargeld und anderen Wertgegenständen mit Bereicherungsvorsatz (vgl US 8) zwar zum Teil erwähnt, bei ihrer Argumentation des Fehlens eines engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs aber gänzlich außer Acht lässt oder bestreitet (RIS-Justiz RS0099810). Im Übrigen sei hinzugefügt, dass es sehr wohl Raub darstellt, wenn verlangtes Bargeld im Moment der Begegnung zwischen Täter und Opfer nicht präsent ist, der Täter das Opfer aber (wie hier unter der Wirkung von Zwang oder qualifizierter Drohung) zum Bankomaten begleitet und dort mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz die Eingabe des Codes und solcherart auch die Behebung von Bargeld erzwingt (vgl Eder-Rieder in WK2 StGB § 144 Rz 40).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Turpal Ok*****:

Die Verfahrensrüge (Z 3) geht schon daran vorbei, dass die Verfahrensbeteiligten, also auch der Beschwerdeführer, zum Vortrag des gesamten Akteninhalts gemäß § 252 Abs 2a StPO ihre Zustimmung erteilten (vgl das ungerügte Protokoll über die Hauptverhandlung am 13. Dezember 2017, ON 77 S 6). Während die Verteidiger der Mitangeklagten in der Folge einer Verlesung der Aussage des Belastungszeugen ausdrücklich widersprachen, gaben der Beschwerdeführer oder seine Verteidigerin keine der generellen Zustimmung widerstreitende Erklärung ab (ON 77 S 7, vgl auch ON 85 S 3). Da der Vortrag die Verlesung nach § 252 Abs 1 oder Abs 2 StPO substituiert, beinhaltet die Zustimmung des Beschwerdeführers dazu auch dessen Einverständnis (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO), dass alle vom Vortrag umfassten Aktenstücke in der Hauptverhandlung vorkommen (RIS-Justiz RS0127712). Davon ausgehend ist auf die Kritik an der Verlesung der Aussage gemäß § 252 Abs 1 Z 3 StPO nicht einzugehen. Im Übrigen ist der Strafprozessordnung eine Zweifelsregel, im Fall einer unbegründeten Aussageverweigerung von einer berechtigten Aussageverweigerung auszugehen, fremd (vgl §§ 154 Abs 2, 159 Abs 2 StPO). Auf den aus der Behauptung abgeleiteten Einwand, die Verlesung sei ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO erfolgt, ist nicht einzugehen.

Die Mängelrüge (Z 5) kritisiert die Feststellungen zur Begehung der Raubtat unter Verwendung einer Waffe, nämlich einer Pistole (US 8), als unzureichend begründet. Dem Vorbringen zuwider ist deren Ableitung aus der Aussage des Yusuf E***** vor der Polizei (US 10 iVm ON 4 S 46 f) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS-Justiz RS0118316). Indem die Mängelrüge die Echtheit der Waffe und das Wissen des Beschwerdeführers darum in Zweifel zieht, aber offen lässt, welchem in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnis dies zu entnehmen gewesen wäre, zeigt sie den behaupteten Begründungsfehler (Z 5 zweiter Fall) nicht auf.

Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse (Sanktionsfragen werden von der Beschwerde nicht angesprochen) – über schuld- oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS-Justiz RS0106268).

Mit ihrer Kritik an einer Urteilspassage, wonach sich die Angeklagten, also auch der Beschwerdeführer, vor Gericht weigerten, zum Raubfaktum Stellung zu nehmen, verlässt die Rüge diesen Anfechtungsrahmen.

Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurden die gegen die Annahme von Bereicherungsvorsatz sprechenden Angaben des Zeugen Yasim T***** bei den Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht übergangen, sondern als unglaubwürdig verworfen (US 11).

Mit dem Hinweis auf das Verhalten des Zeugen Yusuf E***** in der Hauptverhandlung und dessen in einem Aktenvermerk festgehaltenen Versuch, die Anzeige – unter Aufrechterhaltung des Tatvorwurfs (ON 4 S 7) – aus Anlass einer Entschuldigung des Erstangeklagten zurückzuziehen, weckt die Tatsachenrüge (Z 5a) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E121521

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00031.18K.0509.000

Im RIS seit

01.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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