TE OGH 2017/9/27 9ObA97/17f

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Veröffentlicht am 27.09.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. M***** N*****, und 2. M***** A*****, beide vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_Innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.) 43.543,79 EUR brutto sA und 2.) 61.678,91 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2017, GZ 10 Ra 136/16t-43, mit dem der Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 17. März 2016, GZ 16 Cga 21/13v-38, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Parteien wird zurückgewiesen.

Die erstklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei an anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung 1.074,98 EUR (darin 179,20 EUR USt) und der Nebenintervenientin an anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung 1.074,97 EUR (darin 179,20 EUR USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die zweitklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei an anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung 1.546,92 EUR (darin 257,80 EUR USt) und der Nebenintervenientin an anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung 1.546,90 EUR (darin 257,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Die Beklagte ist als Caterer Vertragspartnerin der Nebenintervenientin, die ein Flugunternehmen betreibt. Die Beklagte liefert auf den Flügen der Nebenintervenientin die Bordverpflegung. Auf Langstreckenflügen umfasst die Leistung der Beklagten auch die Beistellung „fliegender Köche“, die für die Passagiere der Business Class die von der Beklagten halbfertig vorbereiteten Speisen direkt an Bord fertig zubereiten. Die beiden bei der Beklagten beschäftigt gewesenen Kläger waren als „fliegende Köche“ tätig und wurden von der Beklagten nach dem Kollektivvertrag für Arbeiter im Österreichischen Hotel- und Gastgewerbe entlohnt.

Die Kläger behaupten das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung iSd § 4 AÜG. Gestützt auf § 10 AÜG streben sie mit ihren Klagen die Zahlung von Entgeltdifferenzen nach Maßgabe des Kollektivvertrags für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda GmbH (im Folgenden: KollV Bord) an. Danach seien sie als Senior-Flugbegleiter einzustufen und zu entlohnen, weil ihre Tätigkeiten mit jenen dieser Stammbeschäftigten der Nebenintervenientin vergleichbar seien.

Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren ab. Ob die Voraussetzungen einer Arbeitskräfteüberlassung vorliegen, könne dahin gestellt bleiben, weil die von den Klägern behauptete Vergleichbarkeit ihrer Tätigkeit mit jener der Senior-Flugbegleiter nicht gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Revision zur Auslegung des KollV Bord zugelassen. Entgegen diesem
– den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig, weil die Revisionswerber nicht aufzeigen, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhinge. Die Frage der Vergleichbarkeit der im Einzelfall konkret festgestellten Tätigkeit eines Dienstnehmers mit den im Kollektivvertrag festgelegten Einstufungskriterien bildet keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0110650 [T2]; RS0107154 [T11]). Allein der Umstand, dass die zu lösende Frage in einer größeren Zahl von Fällen auftreten könne, bewirkt auch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0042816).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, den Klägern stünde keinesfalls das begehrte angemessene Entgelt iSd § 10 Abs 1 AÜG zu, weil ihre konkreten Tätigkeiten mit jenen der Senior-Flugbegleiter (Pkt 67.2.4 des KollV Bord) nicht vergleichbar seien, ist nicht korrekturbedürftig:

Hauptaufgabe der Kläger war die Zubereitung der Speisen an Bord. Sie hatten die Küche aufzuräumen und zu sichern. Die Verantwortung für die Sicherheit in der Küche lag aber bei einem der Flugbegleiter, der diesbezüglich die Arbeit der Köche zu kontrollieren hatte. Die Kläger halfen auch beim – zeitlich überwiegenden – Service in der Kabine mit und übernahmen das „Cockpitservice“. Teilweise unterstützten sie die Flugbegleiter beim Austeilen und Einsammeln der Kopfhörer, teilten Aufenthaltskarten aus und leerten auf bestimmten Flügen nach der Landung die Sitztaschen und bestückten sie mit dem vorgesehenen Inhalt neu. Über Ersuchen eines Passagiers halfen sie auch beim Verstauen des Handgepäcks.

Zu Beginn ihrer Arbeitsverhältnisse waren die Kläger im Rahmen einer zwei- bis dreiwöchigen Grundausbildung in der zentralen Produktionsküche der Beklagten in Wien tätig. Daran schloss eine praktische und theoretische Ausbildung in einem Bordküchennachbau an, um die Kläger auf ihre Kochtätigkeit an Bord der Flugzeugtypen B767 und B777 der Nebenintervenientin und die Umsetzung der detaillierten Vorgaben der Beklagten einzuschulen. In einem eintägigen „Identity Training“ durch Fluglinienmitarbeiter wurden die Kläger über Zollbestimmungen, Bekleidungsrichtlinien etc informiert und durch den Flughafen geführt. Die Kläger absolvierten zudem eine eintägige Sicherheitsschulung, in der sie lernten, wie ein Brand in der Küche zu löschen ist, wie die Sicherung der Küchengeräte gezogen wird und wo sich Feuerlöscher befinden. Ihnen wurde das Flugzeug gezeigt und für den Notfall erklärt, wie Flugzeugtüren geöffnet werden. Im regulären Betrieb waren die Kläger nicht befugt, Flugzeugtüren zu öffnen. Das Öffnen von Türen und Notausgängen wird auf Flügen stets auch geeigneten Passagieren („Able-Bodied Passengers“) erklärt, die in der Nähe solcher Einrichtungen sitzen. Mit der Nutzung der Notrutsche wurden die Kläger so weit vertraut gemacht, dass sie als erste hätten rutschen und nachfolgenden Passagieren hätten helfen können. Bei Bedarf hätten das – nach Einweisung durch einen Flugbegleiter – auch andere „Able-Bodied Passengers“ machen können. Vor ihrem ersten Flug auf einer B777 wurden die Kläger von der Kabinenchefin über die Sicherheitsvorschriften bei der Nutzung des Schlafabteils belehrt.

Weder die ursprüngliche Sicherheitseinschulung noch die alle zwei bis drei Jahre stattfindenden eintägigen Auffrischungen, an denen die Kläger freiwillig teilnehmen konnten, qualifizierten sie dazu, über die Brandvermeidung und -bekämpfung in der Küche und das vorschriftsmäßige Verhalten im Schlafabteil hinaus sicherheitsrelevante Agenden an Bord zu übernehmen. Die Kläger waren für solche Aufgaben nicht vorgesehen und mussten über solche Themen auch keine Prüfungen ablegen. Eine Zuteilung der Kläger auf sicherheitsrelevante Positionen mit entsprechenden Aufgaben erfolgte daher nicht und wäre auch nicht zulässig gewesen. Die „fliegenden Köche“ waren in die luftfahrtrechtlich vorgeschriebene Mindestpersonenzahl der Kabinenbesatzung nicht einzurechnen und konnten einen ausgefallenen Flugbegleiter nicht ersetzen.

Die Basisausbildung eines Flugbegleiters zum Junior-Flugbegleiter ohne Diplom dauerte sieben Wochen, darin 17 Tage Sicherheitsschulung und elf Tage Service und Dienstleistung. Für Junior-Flugbegleiter bestand die Möglichkeit, eine Diplomprüfung abzulegen, nach deren Absolvierung sie frühestens nach Vollendung des dritten Dienstjahrs als Junior-Flugbegleiter mit Diplom eingestuft wurden. Der dazu von der Nebenintervenientin angebotene einwöchige Diplomkurs umfasste Flugsicherheit in Theorie und Praxis (Notfalltraining), Gastronomielehre, technisches Grundwissen zur Flugdurchführung und Erste Hilfe. Die Erlangung des Diploms setzte auch eine erfolgreiche Prüfung über die Beherrschung einer zweiten lebenden Fremdsprache voraus. Die Kläger erfüllten diese Voraussetzung nicht.

Das Diplom war Voraussetzung für den Aufstieg zum Senior-Flugbegleiter oder Purser. Um Senior- Flugbegleiter zu werden, musste eine weitere Prüfung zu den Themen Führungskompetenz, Interkulturelles, Konfliktlösung und Administration abgelegt werden. Voraussetzung für den Einsatz als Senior-Flugbegleiter waren drei Jahre Flugpraxis und das Ablegen einer Diplomprüfung. Ein Senior-Flugbegleiter ist Vertreter des Purser (dessen Position nur auf Langstreckenflügen vorgesehen ist), auf Kurzstreckenflügen ist der Senior-Flugbegleiter der aufsichtsführende Flugbegleiter.

Aufgabe der Flugbegleiter ist es, auf die Sicherheit in der Kabine zu achten, wofür jedem von ihnen ein bestimmter Bereich des Flugzeugs in seine Verantwortung übertragen ist. Auch den Flugbegleitern obliegt das Getränke- und Speisenservice sowie die Betreuung der Fluggäste im Allgemeinen. Die Senior-Flugbegleiter wärmen das von der Beklagten angelieferte Essen für die Passagiere der Economy Class auf; die Qualität des Essens hatten die Kläger zu prüfen.

Wenn das Berufungsgericht daher zusammengefasst davon ausgeht, dass sich bei Gesamtbetrachtung die beiden hier zu beurteilenden Berufsbilder im Wesentlichen nur im Getränke- und Speisenservice, der für beide nicht die Hauptaufgabe, sondern nur eine Nebentätigkeit darstellt, überschneiden, sich hingegen die Haupttätigkeiten der Kläger als „fliegende Köche“ von jenen der Senior-Flugbegleiter nicht nur ihrer Art, sondern auch ihrer Qualifikation nach erheblich unterscheiden, so ist diese Beurteilung vertretbar. Da zum strittigen Thema der Diensteinteilung der Kläger Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0053317).

In ihren Revisionsausführungen zur behaupteten Sittenwidrigkeit des gemeinsamen Vorgehens der Beklagten und der Nebenintervenientin zeigen die Kläger keine über die Bedeutung des Einzelfalls hinausgehende Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Die Zurückweisung der ordentlichen Revision konnte sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 und 46 ZPO. Die Kläger haften nur entsprechend ihrem Anteil am Gesamtstreitwert (RIS-Justiz RS0125635). Die Beklagte und die Nebenintervenientin haben auf die Unzulässigkeit der Revision in ihren Revisionsbeantwortungen hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979 [T16]).

Textnummer

E119687

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00097.17F.0927.000

Im RIS seit

06.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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