TE OGH 2008/12/17 2Ob127/08b

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Veröffentlicht am 17.12.2008
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Andrea D*****, vertreten durch den Vater Fadil D*****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Papesch Leitner Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagte Partei G*****, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, vertreten durch Weixelbaum Humer Trenkwalder & Partner Rechtsanwälte OG in Linz, wegen 5.600 EUR sA und Feststellung (Revisionsinteresse 7.100 EUR sA), über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Februar 2008, GZ 14 R 157/07t-24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 21. Mai 2007, GZ 33 C 82/06s-20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die 1990 geborene Klägerin stürzte am 16. Februar 2005 um ca 7:05 Uhr auf dem Gehweg, der zwischen den im Eigentum der Beklagten stehenden Häusern S***** 8 und 10 in Linz liegt, da ihr der linke Fuß seitlich wegrutschte. Die Klägerin erlitt durch den Sturz einen Bruch des linken Außenknöchels. Die Schneeräumung und Streuung des Weges wird für die Beklagte schon seit mehreren Jahren von ihrem Hausbesorger durchgeführt.

Die Klägerin begehrt 5.600 EUR, davon 5.550 EUR Schmerzengeld und 50 EUR Spesen, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Folgen des Sturzes. Die Klägerin habe wintertaugliches Schuhwerk angehabt. Infolge des mangelhaften Winterdienstes sei der Weg weder vom Schnee geräumt noch bestreut gewesen. Die Beklagte wäre gemäß § 93 Abs 1 StVO verpflichtet gewesen, den Weg zu räumen und zu streuen, sie habe ein allfälliges Versäumnis des Hausbesorgers zu vertreten.

Die Beklagte bestritt und brachte vor, die Schneeräumung und Streuung werde gewissenhaft vorgenommen. Auch am Unfallstag sei bereits zwischen 4:30 Uhr und 6:00 Uhr der Schnee von den Wegflächen geräumt und Streusplitt aufgebracht worden. Der Klägerin sei es möglich gewesen, den Gehweg sicher und problemlos zu betreten, sie habe die geforderte Aufmerksamkeit vermissen lassen und ihre Gehgeschwindigkeit nicht den ihr erkennbaren Witterungs- und Straßenverhältnissen angepasst. Die Beklagte habe die Streupflicht an den Hausbesorger durch Dienstvertrag übertragen, weshalb die Beklagte keine Haftung nach § 93 StVO treffe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, der Liegenschaftseigentümer, der seine gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Pflichten nach § 93 Abs 1 StVO durch einen Dritten erfüllen lasse, hafte für dessen Verschulden nicht nach § 1313a ABGB, sondern lediglich nach § 1315 ABGB. Anhaltspunkte dafür, dass es sich beim beauftragten Hausbesorger um eine untüchtige Person im Sinn des § 1315 ABGB handle, habe das angeführte Beweisverfahren nicht ergeben und sei von der Klägerin nicht behauptet worden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Darüber hinaus führte das Berufungsgericht aus: Grundsätzlich trage der Geschädigte nach ständiger Rechtsprechung die Beweislast in Bezug auf die Untüchtigkeit des Gehilfen im Sinn des § 1315 ABGB. Eine davon abweichende Beweislastverteilung solle nach der überwiegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dann eintreten, wenn die Schadensursache - wie im vorliegenden Fall durch die behauptete unterbliebene Schneeräumung bzw Streuung - in einer Unterlassung bestehe: Bei durch Unterlassung verursachter Schädigung habe demnach der Schädiger die Tüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen und nicht der Geschädigte die Tüchtigkeit dieses Gehilfen zu beweisen (RIS-Justiz RS0023841; RS0026331).

Diese Rechtsprechung werde von der Lehre einhellig aus folgenden Erwägungen abgelehnt: Zwischen der Unterlassung einer gebotenen Handlung und der Vornahme einer fehlerhaften Handlung bestehe kein struktureller Unterschied (Harrer in Schwimann3 § 1315 Rz 13). Die sich in der Regel auf Ehrenzweig berufende Rechtsprechung übersehe, dass dieser zu diesem Ergebnis nur komme, weil er glaube, dass § 1298 ABGB schlechthin bei Unterlassungen anzuwenden sei. Die Meinung Ehrenzweigs, bei Schädigung durch positives Tun sei § 1297, bei Unterlassungen aber § 1298 ABGB anzuwenden, entbehre jedoch jeglicher rationaler Begründung, weshalb ihr zu Recht nicht gefolgt werde (Reischauer in Rummel3 § 1315 Rz 9). Ferner verweise Reischauer auf einzelne Entscheidungen (ZVR 1998/22; 6 Ob 276/98a), in denen der Oberste Gerichtshof (auch bei Unterlassungen) von der Beweislast des Geschädigten für die Untüchtigkeit ausgegangen sei. Das Berufungsgericht schließe sich aus den von der Lehre gegebenen Begründungen dieser zuletzt zitierten Rechtsprechung zur Beweislastverteilung bei Schädigung durch Unterlassen an. Im vorliegenden Fall treffe daher die Behauptungs- und Beweislast für die Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen die Geschädigte, somit die Klägerin.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, da zur Beweislastverteilung bei Unterlassungen im Fall des § 1315 ABGB die aufgezeigten Judikaturdivergenzen bestünden und die Lehre die überwiegende Rechtsprechung kritisiere.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweisen Aufhebungsantrags berechtigt.

Die Revisionswerberin bezieht sich zunächst auf die schon vom Berufungsgericht zitierte, von diesem abgelehnte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach bei durch Unterlassen verursachter Schädigung der Schädiger die Tüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen zu beweisen habe. Weiters führt sie ins Treffen, die Beklagte hafte deliktisch für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch ihre Organe, die es unterlassen hätten, durch entsprechende Weisungen und Kontrollen sicherzustellen, dass von ihrem Hausbesorger ausreichend geräumt und gestreut werde. Es sei weder von der Beklagten vorgebracht worden noch festgestellt, dass die Organe bzw Repräsentanten der Beklagten für die erforderliche Überwachung des Besorgungsgehilfen gesorgt hätten, wofür aber die Beklagte beweispflichtig gewesen wäre.

Hiezu wurde erwogen:

1. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung und überwiegender Lehre muss der Liegenschaftseigentümer, der seine aus § 93 Abs 1 StVO entspringenden Pflichten durch Rechtsgeschäft gemäß § 93 Abs 5 Satz 2 StVO auf einen anderen übertragen hat, für diesen als seinen Besorgungsgehilfen gemäß § 1315 ABGB einstehen (6 Ob 99/64 = JBl 1965, 469; ZVR 1967/97; 1 Ob 93/67; ZVR 1970/70; ZVR 1972/174; MietSlg 27.224; 5 Ob 657/80; ZVR 1982/261; 2 Ob 77/88; 2 Ob 34/89 = ZVR 1990/107; 2 Ob 11/95; 5 Ob 173/02f = ZVR 2003/108; RIS-Justiz RS0023340; RS0023377; Reischauer in Rummel3 § 1315 Rz 20 iVm Rz 1: Dann, wenn der Beauftragte in einem Unterordnungsverhältnis bezüglich der vorzunehmenden Verrichtungen - wie etwa der Hausbesorger - stehe; Dittrich/Stolzlechner, StVO, § 93 Rz 52; Danzl in KBB2 § 1319a Rz 9; aA Pürstl, StVO12 § 93 Anm 11 aE). An dieser Rechtsprechung wird festgehalten; dies jedenfalls dann, wenn es sich beim Beauftragten wie hier um keinen selbständigen, weisungsfreien Unternehmer handelt (die Anwendbarkeit von § 1315 ABGB ohne Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses offenlassend 2 Ob 45/97z; vgl auch RIS-Justiz RS0028463; RS0029035).

2. Nach einer Rechtsprechungslinie des Obersten Gerichtshofs hat bei durch Unterlassung verursachter Schädigung der Schädiger die Tüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen und nicht der Geschädigte die Untüchtigkeit dieses Gehilfen zu beweisen (RIS-Justiz RS0026331). Der Oberste Gerichtshof stützte sich dabei auf Ehrenzweig, Das Recht der Schuldverhältnisse 689.

Damit im Gegensatz stehen jedoch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, in denen er unter anderem im Zusammenhang mit § 93 Abs 5 StVO ausgesprochen hat, der Hauseigentümer werde von seiner Haftung gemäß § 93 Abs 1 StVO befreit, wenn er die aus dieser Bestimmung genannten Verpflichtungen an einen Dritten übertragen habe und dessen Untüchtigkeit nicht erwiesen sei (RIS-Justiz RS0023340; JBl 1965, 469; ZVR 1967/97, ZVR 1972/174; 2 Ob 11/951 Ob 231/98x; 6 Ob 276/98a bei Unterlassung; implizit so auch 9 ObA 83/97i = ZVR 1998/22; vgl auch RIS-Justiz RS0023286; RS0029068).

Jene Judikatur, wonach im Falle der Unterlassung der Schädiger die Tüchtigkeit des Besorgungsgehilfen zu beweisen habe, wird - wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - in der jüngeren Lehre einhellig abgelehnt (Ostheim, Gedanken zur deliktischen Haftung für Repräsentanten anlässlich der neueren Rechtsprechung des OGH, JBl 1978, 57 [59] Fn 16; Reischauer, Verschulden und Beweislast, ZVR 1978, 129 [138]; derselbe in Rummel3 § 1315 Rz 9; Harrer in Schwimann3 § 1315 Rz 12 f).

Der erkennende Senat teilt die Argumente der Lehre, wie sie vom Berufungsgericht schon dargestellt und oben wiedergegeben wurden, und folgt jener Judikaturlinie, nach der bei durch Unterlassung verursachter Schädigung der Schädiger die Tüchtigkeit des Besorgungsgehilfen zu beweisen hat (RIS-Justiz RS0026331), nicht.

Die Klägerin trifft somit als Geschädigte grundsätzlich die Behauptungs- und Beweislast für die Untüchtigkeit des von der Beklagten eingesetzten Gehilfen, nämlich des Hausbesorgers.

3. Damit steht jedoch die Spruchreife im Sinne der Klagsabweisung entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht fest. Schon Ostheim aaO Fn 16, hat darauf hingewiesen, es liege auf der Hand, dass dem Geschädigten, insbesondere wenn man mit dem Obersten Gerichtshof habituelle Untüchtigkeit verlange, mit der Beweislast regelmäßig Unmögliches abverlangt werde, da er ja mit dem Besorgungsgehilfen in vielen Fällen erst anlässlich der Schädigung in irgendeinen Kontakt trete und daher Umstände, die auf eine habituelle Untüchtigkeit schließen ließen, regelmäßig nicht kennen könne. Der Oberste Gerichtshof habe daher mit der Beweislastumkehr einem durchaus richtigen Rechtsempfinden nachgegeben. Der Weg zu diesem Ergebnis führe aber nicht über die untaugliche Differenzierung zwischen schädigender Handlung oder Unterlassung, sondern über den Gedanken, dass regelmäßig der zum Schaden führende Geschehensablauf oder auch schon der eingetretene Erfolg prima-facie für die Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen sprechen werde. Der Geschädigte genüge daher seiner Beweispflicht durch den Beweis des Geschehensablaufs bzw des eingetretenen Erfolges, während dem Geschäftsherrn sodann die Entkräftung dieses prima-facie-Beweises durch den Nachweis der Tüchtigkeit des Gehilfen vorbehalten bleibe.

Reischauer, Der Entlastungsbeweis des Schuldners (1975), 104, meint, die Beweislast bleibe beim Geschädigten. Die Untüchtigkeit werde sich zum Teil prima-facie aus dem Schädigungsvorgang oder dem schädigenden Erfolg ableiten lassen. In Rummel3 § 1315 Rz 9 führt er zur Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen aus, der Indizienbeweis oder prima-facie-Schlussfolgerung könnten weiterhelfen (vgl auch Harrer aaO § 1315 Rz 12).

Nach der Rechtsprechung ist der Anscheinsbeweis nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen. Der Anscheinsbeweis wird in den Fällen als sachgerecht empfunden, in denen konkrete Beweise vom Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden können (RIS-Justiz RS0040287 [T2]). Die wichtigsten Anwendungsgebiete des Anscheinsbeweises liegen im Schadenersatzrecht (RIS-Justiz RS0040274 [T4]).

Die zitierten Äußerungen der Lehre zum prima-facie-Beweis hinsichtlich der Untüchtigkeit des Gehilfen stehen im Einklang mit der zum Anscheinsbeweis ergangenen Rechtsprechung.

4. Zusammenfassend ergibt sich somit: Der Geschädigte hat sowohl bei durch Handlung als auch bei durch Unterlassung verursachter Schädigung die Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen zu beweisen. Dafür ist der Anscheinsbeweis zulässig.

5. Für den vorliegenden Fall folgt daraus: Die Klägerin hat vorgebracht, es sei weder geräumt noch gestreut gewesen. Nach den angestellten Erwägungen impliziert dieses Vorbringen die Behauptung, der von der Beklagten eingesetzte Besorgungsgehilfe (Hausbesorger) sei untüchtig im Sinne des § 1315 ABGB gewesen.

Es liegen keine Feststellungen darüber vor, ob an der Stelle, wo die Klägerin gestürzt ist, ordnungsgemäß geräumt und gestreut war. Schon deshalb ist die Sache nicht spruchreif. Sollte der Klägerin der Beweis der mangelnden Streuung oder Räumung gelingen, wäre mit den Parteien die dargestellte Beweislastverteilung zu erörtern und der Beklagten die Gelegenheit zu geben, die ernstliche Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs zu behaupten und zu beweisen, aus der sich die Tüchtigkeit des Besorgungsgehilfen ergäbe.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E89807

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00127.08B.1217.000

Im RIS seit

16.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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