TE OGH 2009/3/30 7Ob24/09v

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Veröffentlicht am 30.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** AG *****, vertreten durch Mag. Ute Maria Caviola und Mag. Clemens Canigiani, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Boris Knirsch und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 5.133,55 EUR (sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. März 2008, GZ 1 R 217/06t-26, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 6. September 2006, GZ 10 C 724/04z-20, infolge Berufung der klagenden Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1.) Die Bezeichnung der klagenden Partei wird von D***** AG auf D***** AG ***** von Amts wegen berichtigt.

2.) Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,62 EUR (darin enthalten 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zu 1.): Die Änderung der Parteibezeichnung der Klägerin gründet sich auf § 235 Abs 5 ZPO und das offene Firmenbuch (FN 32002m).

Zu 2.): Die Beklagte war im Juli 2003 Leasingnehmerin eines von ihr bei der Klägerin haftpflicht- und kaskoversicherten Kraftfahrzeugs. Am 9. 7. 2003 verursachte ein berechtigter Lenker mit dem versicherten Fahrzeug einen Verkehrsunfall. Die Klägerin musste deshalb einem beim Unfall geschädigten Dritten aus der Haftpflichtversicherung 1.740 EUR und der Leasinggeberin als Vinkulargläubigerin aus der Kaskoversicherung 3.393,55 EUR bezahlen.

Die Beklagte hatte zum Unfallszeitpunkt die Versicherungsprämien für März und April 2003 in Höhe von 559,14 EUR nicht bezahlt. Die Klägerin hat ihr deshalb am 14. 5. 2003 ein eingeschriebenes Mahnschreiben gesendet, in dem der Beklagten unter wörtlicher Zitierung des § 39 VersVG eine Nachfrist von zwei Wochen gesetzt wurde. Da die aushaftenden Prämien von der Beklagten weiter nicht bezahlt worden waren, hatte die Klägerin mit Schreiben vom 11. 6. 2006 die Vinkulargläubigerin vom Prämienrückstand in Kenntnis gesetzt. Mit (nicht eingeschriebenem) Schreiben vom selben Tag war die Beklagte „letztmalig" aufgefordert worden, den Prämienrückstand zu berichtigen, andernfalls die Verkehrsbehörde unterrichtet werden müsse.

Schon früher war die Beklagte immer wieder trotz qualifizierter Mahnungen der Klägerin mit Prämienzahlungen in Rückstand gewesen.

Die Klägerin begehrte mit der Klage den Zuspruch von 5.133,55 EUR (sA). Da die Folgeprämie im Unfallszeitpunkt nicht bezahlt gewesen sei, sei sie nach § 39 VersVG leistungsfrei und die Beklagte regresspflichtig.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Der Anspruch bestehe nicht zu Recht, da sie niemals eine § 39 VersVG entsprechende Mahnung erhalten habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren (im zweiten Rechtsgang) ab. Es traf die (negative) Feststellung, dass nicht festgestellt werden könne, ob das rekommandierte (eingeschriebene) Schreiben vom 14. 5. 2003 der Beklagten zugegangen sei und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Beweislast für den Zugang der qualifizierten Mahnung nach § 39 VersVG treffe die Klägerin. Die Absendung allein beweise noch nicht den Zugang. Der Adressat könne sich auf das einfache Bestreiten des Zugangs beschränken. Der Beweis für eine Zustellung des rekommandierten Schreibens vom 14. 5. 2003 sei der Klägerin nicht gelungen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Da bei der Beurteilung, ob die qualifizierte Mahnung in den Machtbereich der Versicherungsnehmerin gelangt sei, nach oberstgerichtlicher Judikatur ein besonders strenger Maßstab anzulegen sei, seien die Entscheidungen 7 Ob 675/89 und 7 Ob 248/00x nicht vergleichbar. Die deutsche Judikatur vertrete bei gleicher Rechtslage einhellig die Auffassung, dass der Nachweis der Absendung eines „Einschreibens" nicht bereits den Beweis für dessen Zugang erbringe, sondern dass auch bei eingeschriebenen Briefsendungen der Zugang der schriftlichen Mahnung nach § 39 VersVG des vollen Beweises bedürfe. Auch in diesem Fall beweise die Absendung daher noch nicht - auch nicht prima facie - den Zugang. Aufgrund des Einschreibens hätte die Klägerin aber in der Lage sein müssen, den Zugang ihres Mahnschreibens vom 14. 5. 2003 an die Beklagte unter Beweis zu stellen, auch wenn sich die technischen Möglichkeiten hiezu mittlerweile erheblich geändert hätten. Aus welchen Gründen die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, die Möglichkeiten der Nachforschung auszuschöpfen, habe sie nicht vorgebracht.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil sich schon im Hinblick auf geänderte technische Möglichkeiten, eingeschriebene Briefsendungen zu verfolgen (Stichwort: „Track & Trace") keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gestellt habe. Auf Antrag der Klägerin gemäß § 508 Abs 1 ZPO erklärte es die Revision doch für zulässig, weil es zur Frage, wen die Beweislast für den Zugang einer eingeschrieben per Post verschickten Mahnung nach § 39 VersVG treffe, keine höchstgerichtliche Judikatur gebe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht, ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Da sich das Klagebegehren aus zwei Forderungen (1.740 EUR hinsichtlich der Haftpflichtversicherung und 3.393,55 EUR hinsichtlich der Kaskoversicherung) zusammensetzt, die jeweils die in § 502 Abs 2 ZPO normierte Wertgrenze von 4.000 EUR nicht übersteigen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN mehrere von einer einzelnen Person gegen eine einzelne Person in einer Klage erhobene Ansprüche zusammenzurechnen sind, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Im rechtlichen Zusammenhang stehen Ansprüche dann, wenn sie aus einem einheitlichen Vertrag oder einer Gesetzesvorschrift abgeleitet werden. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Klagssachverhalt abzuleiten sind. Dies ist dann der Fall, wenn das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RIS-Justiz RS0042766; Mayr in Rechberger§ 55 JN Rz 2 mwN). Dies trifft hier zu: Nach dem Vorbringen beider Parteien ist davon auszugehen, dass Haftpflicht- und Kaskoversicherung gemeinsam abgeschlossen wurden und auch nur eine Polizze ausgestellt wurde. Der Prämienrückstand für März und April 2003 betrifft Haftpflicht- und Kaskoversicherung gleichermaßen. Da die Ansprüche demnach (jedenfalls) in einem faktischen Zusammenhang stehen, sind sie zusammenzurechnen. Die Revision ist daher nicht nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Keinen Streitpunkt bildet, dass eine qualifizierte Mahnung im Sinn des § 39 VersVG eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, deren Wirkungen nur dann eintreten, wenn sie dem Versicherten im Sinn des § 862a ABGB zugegangen ist (RIS-Justiz RS0014059). Die Wirkungen der Mahnung treten also nur insoweit ein, als die Mahnung beim Adressaten wirklich eingelangt ist. Nach der herrschenden Empfangstheorie ist eine Erklärung dem Adressaten dann zugekommen, wenn sie derart in seinen Machtbereich gelangte, dass nach regelmäßigen Umständen mit der Kenntnisnahme durch ihn gerechnet werden konnte, wenn sie also in eine solche Situation gebracht wurde, dass die Kenntnisnahme durch den Adressaten unter normalen Umständen erwartet werden kann und Störungen, die sich ihr entgegenstellen sollten, nur mehr im Lebensbereich des Adressaten möglich sind (7 Ob 55/02t ua). Nach ständiger Rechtsprechung hat der Versicherer den Zugang der qualifizierten Mahnung wie jeder, der sich im Prozess auf den Zugang einer empfangsbedürftigen einseitigen Willenserklärung beruft, zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0014065). Der Oberste Gerichtshof hat zu nicht eingeschrieben erfolgten Mahnungen bereits wiederholt ausgesprochen, dass deren Absendung den Zugang noch nicht - auch nicht prima facie - beweist und sich der Adressat daher auf das einfache Bestreiten des Zugangs beschränken kann (RIS-Justiz RS0080663). Bei der Beurteilung der Frage, ob die qualifizierte Mahnung in den Machtbereich des Versicherungsnehmers gelangte, ist ein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0014056).

All dies wird von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen. Sie hält aber in der Revision daran fest, dass bei Versendung einer qualifizierten Mahnung im Sinn des § 39 VersVG in Form eines Einschreibbriefs eine Beweislastumkehr eintrete, weil mit größerer Wahrscheinlichkeit mit dem Zugang der Mahnung an den Versicherungsnehmer gerechnet werden könne. Bei „eingeschrieben aufgegebenen" Mahnungen habe der Adressat, hier also die Beklagte, zu beweisen, dass ihr die Sendung nicht zugegangen sei. Dass ein Einschreiben eine weit größere Gewähr für den Zugang biete als die gewöhnliche Beförderung einer Briefsendung und daher eine Beweislaständerung rechtfertige, habe der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 7 Ob 675/89 ausgesprochen.

Dazu wurde erwogen:

Wiederholt wurde vom Obersten Gerichtshof in Bezug auf nicht eingeschrieben aufgegebene Briefsendungen bereits betont, dass keine Erfahrungssätze bestünden, dass Postsendungen den Empfänger immer erreichten, weshalb der dem Absender obliegende Beweis des Zugangs einer Erklärung nicht prima facie durch den Beweis der Aufgabe bei der Post geführt werden könne (7 Ob 38/94; RIS-Justiz RS0014065). Entgegen der Meinung der Revisionswerberin, dies treffe nicht für eingeschriebene Briefsendungen zu, hinsichtlich derer eine größere Wahrscheinlichkeit des Zugangs an den Adressaten bestehe, wird in Deutschland von Lehre und Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass Absendung nicht den Zugang beweise, gelte auch für Einschreibesendungen (Knappmann in Prölss/Martin VVG27 § 39 Rz 14; Riedler in BK § 39 VVG Rn 14 f; Römer in Römer/Langheid, VVG2 § 39 Rn 21; jüngst Michaelis in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar VersR § 38 VVG nF Rn 22, jeweils mwN; BGHZ 24, 308 = VersR 1957, 442 = NJZ 1957, 1230; BGH VersR 1968, 241 uva). Betont wird, dass für den Zugang der Mahnung die Grundsätze des Anscheinsbeweises auch für Einschreibesendungen nicht anwendbar seien, weil es in der Hand des Versicherers liege, Beweisschwierigkeiten - etwa durch Einschreiben mit Rückschein - zu vermeiden.

Dem ist beizupflichten: Der Anscheinsbeweis ist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leicht erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht (RIS-Justiz RS0040274). Nach herrschender Meinung ist der Anscheinsbeweis nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RIS-Justiz RS0040287). Eine Verschiebung der Beweislast kann nur dann in Betracht kommen, wenn ein allgemein, also für jedermann in gleicher Weise bestehender Beweisnotstand gegeben ist und wenn objektiv typische, also auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhende Geschehensabläufe für den Anspruchswerber sprechen (RIS-Justiz RS0039895). Wie normale Postsendungen auch erreichen zwar Einschreibesendungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Adressaten. Erfahrungswerte, dass dies praktisch aber immer der Fall wäre und daher grundsätzlich angenommen werden könnte, sie seien dem Adressaten jedenfalls zugekommen, gibt es aber auch für in Österreich zur Post gegebene eingeschriebene Briefsendungen - ebenso wenig wie in Deutschland - nicht.

Es ist aber auch ein allgemeiner Beweisnotstand hinsichtlich des Nachweises des Zugangs an den Adressaten gerade durch die Möglichkeit der eingeschriebenen Aufgabe einer Briefsendung (allenfalls auch mit Rückschein) zu verneinen. Nach der Legaldefinition des § 2 Z 9 PostG 1997 bezeichnet der Begriff „Einschreiben" die entgeltpflichtige Sonderbehandlung einer Postsendung, die durch den Dienstanbieter pauschal gegen Verlust, Entwendung oder Beschädigung versichert wird und bei der dem Absender, gegebenenfalls auf sein Verlangen, eine Bestätigung über die Entgegennahme der Sendung und ihre Aushändigung an den Empfänger erteilt wird. Durch den Vorgang des „Einschreibens" kann zwar der Verlust eingeschriebener Postsendungen nicht verhindert werden; dem Absender wird aber die Möglichkeit gegeben, den tatsächlichen Zugang anhand des bei der Post aufliegenden Einschreiberegisters und allenfalls auch anhand eines Rückscheins zu eruieren. In den letzten Jahren wurde die Möglichkeit des Zugangsnachweises eingeschrieben aufgegebener Postsendungen ganz entscheidend verbessert („Track & Trace"). Aber auch schon 2003 gab es eine Nachforschungsmöglichkeit mittels Einschreiberegister. Daher kann von einem Beweisnotstand, der einen Anscheinsbeweis rechtfertigte, nicht gesprochen werden. Demnach verbietet es sich, den Nachweis der Aufgabe eines qualifizierten Mahnschreibens nach § 39 VersVG (auch) per Einschreiben „auf erste Sicht" als für den Nachweis des Zugangs an den Versicherungsnehmer ausreichend anzusehen und vom Versicherungsnehmer zu verlangen, er solle diesen „ersten Anschein" durch den - in der Regel gar nicht zu führenden - Beweis der negativen Möglichkeit, dass ihm die Sendung nicht zugegangen sei, entkräften (vgl BGH NJW 1957, 1230 [1231]). An der Gegenmeinung, dass bei eingeschriebenen Postsendungen deren Zugang prima facie zu unterstellen sei und daher der Adressat den Nichtzugang zu beweisen habe (7 Ob 675/89; vgl auch 1 Ob 267/03a), kann daher nicht festgehalten werden. § 10 Abs 1 VersVG lässt ausdrücklich nur bei einer Wohnungsänderung durch den Versicherungsnehmer den Nachweis der Absendung eines eingeschriebenen Briefs für eine Willenserklärung des Versicherers genügen; ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Ob eine qualifizierte Mahnung im Sinn des § 39 VersVG, die nachweislich (sei es eingeschrieben oder nicht) zur Post gegeben wurde, beim Versicherungsnehmer eingelangt ist, stellt eine nach den Umständen des konkreten Falls durch die Vorinstanzen zu lösende Beweisfrage dar, die einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, entzogen ist.

Da die Ansicht der Vorinstanzen, die Klägerin sei für den Zugang des Mahnschreibens an die Beklagte beweispflichtig, zutreffend ist, muss die Revision erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E90469

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00024.09V.0330.000

Im RIS seit

29.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

15.01.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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