TE OGH 2009/5/12 14Os9/09v (14Os10/09s)

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Veröffentlicht am 12.05.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schneider als Schriftführer in der Strafsache gegen Andrzej S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 erster und zweiter Fall und Z 3, 130 dritter und vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 19. August 2008, GZ 36 Hv 30/08v-101, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I, II und V, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben, insoweit eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andrzej S***** des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 erster und zweiter Fall und Z 3, 130 dritter und vierter Fall StGB (I), zweier Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (II und IV), des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 12 dritter Fall, 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB (III) sowie des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (V) schuldig erkannt. Danach hat er

I. mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren und durch Einbruch begangenen Diebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Nachgenannten fremde bewegliche Sachen weggenommen, und zwar

1. zwischen 11. und 13. November 2007 in Wien Dr. Thomas M***** zwei Kennzeichentafeln unbekannten Werts;

2. in der Nacht zum 16. November 2007 in Z***** Verfügungsberechtigten des A***** durch Einschlagen einer Fensterscheibe und anschließendes Einsteigen in eine Holzhütte etwa 30 Fahrzeugschlüssel unbekannten Werts und einen PKW der Marke Audi A6 Avant 2,5 TDI im Verkaufswert von ca 19.000 Euro, in den er mittels eines der widerrechtlich erlangten Schlüssel eindrang;

II. am 16. November 2007 in W***** den Polizeibeamten Werner K***** mit Gewalt an seiner Festnahme zu hindern versucht, indem er mit seinem Fahrzeug mit unvermindertem Tempo auf den Beamten zufuhr, der auf der Straße stand, um ihn anzuhalten, sodass sich dieser nur durch einen Sprung zum Fahrbahnrand in Sicherheit bringen konnte, und indem er kurz nach seiner Anhaltung im Zuge der Festnahme versuchte, sich loszureißen und Werner K***** umzurennen und wegzudrücken;

III. zwischen 8. April und 4. Mai 1993 in R***** dazu beigetragen, dass zwei abgesondert verfolgte ehemalige Mithäftlinge das Fenstergitter ihres Haftraums der Justizanstalt durchsägten, indem er Aufpasserdienste leistete;

IV. am 4. Mai 1993 in der Justizanstalt Ried im Innkreis den Justizwachebeamten Rudolf W***** (zu ergänzen:) mit Gewalt an seiner Absonderung aus dem Haftraum zu hindern versucht, indem er wild um sich schlug;

V. am 18. November 2007 und am 29. April 2008 in S***** die Polizeibeamten Werner K***** und Benedikt O***** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie der von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung des Quälens oder Vernachlässigens eines Gefangenen nach § 312 Abs 1 StGB falsch verdächtigte, indem er anlässlich seiner Vernehmungen vor dem Journalrichter des Landesgerichts Salzburg und in der Hauptverhandlung (US 19 f) behauptete, sie hätten ihn am 16. November 2007 in W***** nach seiner Fesselung mittels Handschellen mehrfach massiv geschlagen, getreten, seinen Kopf gegen den Asphalt geschlagen und ihn auf diese Weise am Körper verletzt, obwohl er wusste, dass die Verdächtigung falsch war.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus den Gründen der Z 1, 2, 3, 4, 5, und 10 erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Deutlich genug weist der Beschwerdeführer nämlich aus Z 3 zutreffend auf eine durch Verlesung der Angaben der Zeugen Johannes F*****, Gerhard I***** und Werner K***** in der - sodann nach § 276a StPO wiederholten - Hauptverhandlung vom 29. April 2008 (ON 62 S 58-62, 69-82, 82-97; ON 100 S 310) bewirkte Missachtung des ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK sichernden Verbots hin, ohne Vorliegen der in § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO geregelten Ausnahmen Protokolle über die Vernehmung von Zeugen zu verlesen (BS 13).

Dass die Parteien nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung am 10. Juni 2008 auf Neudurchführung des Verfahrens nach § 276a StPO verzichteten, ändert daran nichts, weil ein solcher Verzicht bei hier vorliegender Änderung der Zusammensetzung des Gerichts vom Gesetz nicht vorgesehen ist (§ 276a zweiter Satz StPO). Einer formellen Beschlussfassung über die nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmende Neudurchführung bedarf es nicht; die „spätere" Verhandlung ist schon ex lege eine „wiederholte" (RIS-Justiz RS0099022). Eine Interpretation der Verzichtserklärung des Angeklagten als - jederzeit widerrufbares - Einverständnis iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO scheidet schon aufgrund des ausdrücklichen Widerspruchs des Verteidigers unmittelbar vor Verlesung der entsprechenden Protokolle (ON 100 S 310) aus.

Dass sich die Entscheidungsgründe zur Überführung des Angeklagten in Betreff der Vorwürfe wegen des am 16. November 2007 begangenen Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt (II) sowie des Verbrechens der Verleumdung (V) auf die Aussage des Wolfgang K***** stützten (US 38 ff) und zur Widerlegung seiner den Einbruchsdiebstahl vom 16. November 2007 (I/2) leugnenden Verantwortung ausdrücklich auf die Angaben des Johann F***** verwiesen wurde (US 32), reicht für die Annahme möglichen Einflusses der Formverletzung auf die Entscheidung in Betreff dieser Schuldsprüche bereits aus (§ 281 Abs 3 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 741).

Aus der für die Beurteilung einer Einflusstauglichkeit zum Nachteil des Angeklagten relevanten Sicht des Obersten Gerichtshofs (§ 281 Abs 3 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 740) ist eine solche aber auch hinsichtlich des Schuldspruchs I/1 ohne weiters erkennbar, weil die Überzeugung der Tatrichter von der Schuld des Angeklagten - mangels objektiver Beweisergebnisse - überwiegend auf seinem nachfolgenden Verhalten in Zusammenhang mit dem ihm zum Schuldspruch I/2 vorgeworfenen Diebstahl des Fahrzeugs, an dem eine der gestohlenen Kennzeichentafeln angebracht war, fußt (US 26 f). Zudem bestätigte der Zeuge F***** im Rahmen seiner zu Unrecht verlesenen Aussage, dass Andrzej S***** bei seinem Eintreffen in seiner Pension in B***** eine Tasche mit sich führte, in der sich nach den Urteilsfeststellungen die gestohlenen Kennzeichentafeln befanden (US 12; ON 62 S 58 ff). Dass die Formverletzung in Betreff der - mit den in Rede stehenden Aussagen in keinem Zusammenhang stehenden - Schuldsprüche III und IV keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte, ist demgegenüber unzweifelhaft erkennbar. Derartiges wird auch in der Beschwerde nicht behauptet.

Aufgrund des Gesagten zeigt sich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung, dass die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung im aus dem Urteilsspruch ersichtlichen Umfang nicht zu vermeiden ist (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 1 StPO). Eines Eingehens auf die zu diesen Schuldsprüchen erhobenen Beschwerdeeinwände (Punkte 2 und 3/b [soweit die Verlesung von Aktenstücken, die die von der Aufhebung umfassten Schuldsprüche betreffen, gerügt werden], 4/b und c, 5 und 6 der Nichtigkeitsbeschwerde) bedurfte es nicht.

Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde keine Berechtigung zu. Soweit sie Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StPO darin erblickt, dass „der Verhandlung am 29. April 2008 infolge einer Änderung der Senatsbesetzung nicht alle jene Richter beiwohnten, welche später an der Urteilsfällung beteiligt waren", übersieht sie, dass als Hauptverhandlung nur die der Urteilsfällung unmittelbar vorangehende gilt, diejenige vom 29. April 2008 aber - wie bereits dargelegt - am 10. Juni 2008 wegen der geänderten Zusammensetzung des Gerichts ohnehin wiederholt wurde (§ 276a StPO; ON 79 S 154 f). Nicht gehörige Besetzung des Gerichts zufolge Teilnahme des Vertreters des urlaubsbedingt abwesenden, nach der Geschäftsverteilung primär zuständigen beisitzenden Richters (Z 1 erster Fall), wurde indes weder in der Hauptverhandlung gerügt, noch in der Beschwerde angesprochen (vgl zu Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 105 ff, 139).

Gestützt auf die Z 1 und 4 des § 281 Abs 1 StPO wendet die Beschwerde - unter Bezugnahme auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsantrag - Tätigwerden eines iSd § 43 Abs 1 Z 3 StPO ausgeschlossenen Vorsitzenden des Schöffensenats ein. Ausgeschlossenheit eines Richters ist seit dem 1. Jänner 2008 aus Z 1 ausdrücklich beachtlich, Entscheidungen darüber (§§ 45 Abs 1, 46 StPO) aber einer Anfechtung aus Z 4 entrückt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 132, 386).

Unter dem Aspekt der Z 1 des § 281 Abs 1 StPO kommt der Beschwerde - selbst unter der Prämisse durch den Ablehnungsantrag erfüllter sofortiger Rügepflicht (vgl dazu 13 Os 75/08s) - keine Berechtigung zu.

Ausgeschlossenheit iSd § 43 Abs 1 Z 3 StPO liegt nur bei begründet erscheinender Annahme vor, der Richter sei - ungeachtet einer vorläufigen, dem Verfahrensstand angepassten, zumeist unwillkürlich vonstatten gehenden und einer sachgerechten Stoffsammlung keineswegs hinderlichen Meinungsbildung - auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse nicht gewillt, seine Einschätzung zu ändern (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 12). Die im Ablehnungsantrag (ON 86 S 209 ff) gerügte Unterlassung amtswegiger Beweisaufnahmen trotz bereits zweimaliger Vertagung (über entsprechende Beweisanträge des Angeklagten hatte das - hiefür zuständige - Schöffengericht zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden [ON 86 S 213]) erweckt einen solchen Anschein ebenso wenig, wie die darauf aufbauende Befürchtung des Beschwerdeführers, in weiterer Folge ohne Aufnahme dieser Beweise zu Unrecht verurteilt zu werden oder aktenkonforme Vorhalte des Vorsitzenden in Zusammenhang mit einer den Angeklagten betreffenden deutschen Strafregisterauskunft (ON 62 S 34 ff).

Zur Geltendmachung des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes aus den in der Beschwerde nachgetragenen - ausschließlich nach Abweisung des Ablehnungsantrags gesetztes Verhalten des Vorsitzenden betreffenden - Gründen besteht hinwieder mangels Erfüllung der Rügeobliegenheit (außerhalb der Hauptverhandlung schriftlich dargelegte und in der Hauptverhandlung geäußerte Bedenken des Verteidigers in Zusammenhang mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 StRegG betreffend die in Deutschland erlittenen Vorstrafen des Angeklagten reichen hiefür ebenso wenig aus wie ein unsubstantiierter Widerspruch gegen vom Gericht in Aussicht genommene Verlesungen) keine Legitimation. Dass der Beschwerdeführer an einer solchen Rüge im Verlauf der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre, behauptet er nicht (RIS-Justiz RS0119225).

Im Übrigen sind weder der Umstand, dass sich die Rechtsansicht des Richters (hier zur Zulässigkeit von Verlesungen oder der sitzungspolizeilichen Maßnahme nach § 234 StPO) nicht mit jener des Angeklagten deckt, noch die gesetzeskonforme Erfüllung von Dienstpflichten (hier durch Übermittlung der deutschen Strafregisterauskunft des Beschwerdeführers an die Bundespolizeidirektion Wien, der die Führung des Strafregisters alleine obliegt [§§ 2, 5 StRegG]) oder die - vom Schöffengericht vorgenommene - Abweisung von Beweisanträgen per se geeignet, Unvoreingenommenheit oder Unparteilichkeit des Vorsitzenden in Zweifel zu ziehen (vgl dazu Lässig, WK-StPO § 43 Rz 9 ff). Soweit die Verfahrensrüge aus Z 2 gegen den Widerspruch des Beschwerdeführers erfolgte Verlesung von Strafanzeigen, Protokollen über Vernehmungen des Angeklagten durch die Sicherheitsbehörde und den Untersuchungsrichter sowie einer der Untersuchungsrichterin vom Beschwerdeführer übergebenen schriftlichen Sachverhaltsdarstellung (ON 3 S 93c ff) aus der - im Jahr 2007 geschlossenen - Voruntersuchung (ON 1 S 1d) mit der Begründung rügt, es handle sich hiebei um „nichtige Erkundigungen und Beweisaufnahmen" iSd § 152 Abs 1 StPO, wird in Betreff der verbleibenden Schuldspruchsfakten weder ein den Sicherheitsbehörden nach dem 1. Jänner 2008 unterlaufener Verfahrensfehler, noch vor diesem Zeitpunkt unter Nichtigkeitssanktion stehendes richterliches Fehlverhalten (§ 152 Abs 1 StPO in der Fassung BGBl I 2004/19 steht erst seit 1. Jänner 2008 in Geltung) mit Bestimmtheit behauptet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 183 ff, 13 Os 83/08t).

Da sich § 281 Abs 1 Z 2 StPO ausschließlich auf nichtige Erkundigungen und Beweisaufnahmen im Ermittlungsverfahren bezieht, scheidet eine Anfechtung der Verlesung von Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung unter diesem Nichtigkeitsgrund von vornherein aus.

Das auf die Verlesung seiner Aussage in der nach § 276a StPO wiederholten und damit der Urteilsfällung nicht unmittelbar vorangehenden Verhandlung vom 24. Juni 2008 bezogene Vorbringen ist zwar aus Z 2 grundsätzlich beachtlich (Ratz, WK-StPO Rz 179). Weshalb die dort „nach Belehrung" erfolgte Befragung des Beschwerdeführers (ON 62 S 40) eine die „Bestimmungen über die Vernehmung des Beschuldigten umgehende" und damit nichtige Erkundigung darstellen sollte, bleibt jedoch unerfindlich.

Die - einen Verstoß gegen § 427 StPO behauptende - Verfahrensrüge aus Z 3 verkennt, dass der Angeklagte während eines Teils der vorgenommenen Verlesungen unter Einhaltung der gesetzlich verlangten Ermahnung und Androhung gemäß § 234 StPO wegen ständigen Dazwischenredens des Verhandlungsraums verwiesen wurde (ON 100 S 307 f), was mangels Aufnahme dieser Bestimmung in den erschöpfenden Katalog der Z 3 aus diesem Nichtigkeitsgrund nicht aufgreifbar ist (Fabrizy StPO10 § 281 Rz 33).

Die Verlesung von Niederschriften des Zeugen Johann W***** (ON 2 S 23 f [zu ergänzen:] der ON 45 in ON 56), der am 24. Juni 2008 in der Hauptverhandlung vernommen wurde und ausdrücklich auf frühere Angaben verwies (ON 86 S 221 ff), erfolgte - dem Beschwerdestandpunkt (Z 3) zuwider - ebenso zu Recht (§ 252 Abs 1 Z 2 StPO) wie die Anzeige betreffend die den Schuldsprüchen III und IV zugrunde liegenden Vorfälle (ON 2 S 5 f, 21 der ON 45 in [richtig:] ON 56). Dabei handelt es sich nämlich nicht um vom Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO, das sich - soweit hier relevant - bloß auf amtliche Schriftstücke bezieht, die mit dem Ziel errichtet wurden, Aussagen von Zeugen oder Mitbeschuldigten festzuhalten, umfasste Aktenteile (RIS-Justiz RS0117259), vielmehr um Urkunden bzw Schriftstücke anderer Art, die aufgrund ihrer Erkundungsbeweisfunktion nicht in den Bereich des auf konkrete schulderhebliche oder entscheidungswesentliche Ergebnisse abstellenden Zeugenbeweises oder Expertengutachtens fallen und solcherart auch nicht vom Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO erfasst werden. Diese Beweismittel müssen - sofern für die Sache von Bedeutung - gemäß § 252 Abs 2 StPO verlesen werden, wenn - wie hier - nicht alle Prozessparteien darauf verzichten (15 Os 181/95, 12 Os 7/06f; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 124).

Der Beschwerdebehauptung (Z 3), das Protokoll über die Hauptverhandlung vom 19. August 2008 (ON 100) sei von einer anderen als der an diesem Verhandlungstag anwesenden Schriftführerin unterzeichnet worden, genügt es zu erwidern, dass selbst das Fehlen der Unterschrift des Schriftführers unter dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht unter Nichtigkeitssanktion steht. Dass das vom Vorsitzenden unterfertigte Protokoll in Bezug auf erhebliche Umstände oder Vorgänge anders ausgefallen wäre, wenn auch die Schriftführerin unterschrieben hätte, wurde weder im Protokollsberichtigungsantrag noch in der Nichtigkeitsbeschwerde behauptet (vgl dazu Danek, WK-StPO § 271 Rz 4). Bekanntmachung an die Parteien sieht das Gesetz bei Verwendung eines technischen Hilfsmittels durch den Schriftführer nach § 271 Abs 2 StPO - anders als bei einer hier auch nach dem Beschwerdevorbringen nicht vorgenommenen unmittelbaren Aufnahme des gesamten Verlaufs der Hauptverhandlung mit Hilfe technischer Einrichtungen (§ 271a StPO) - gar nicht vor. Aufnahme nach § 271 Abs 2 StPO und Mitschrift verlieren hinwieder nach Übertragung des Protokolls ihre eigenständige Bedeutung, eine Aufbewahrungspflicht besteht - entgegen der offensichtlich auf § 271 Abs 6 StPO idF BGBl 1987/605 gegründeten Beschwerdeauffassung - insoweit nicht (Danek, WK-StPO § 271 Rz 35). Mit dem - mehrere Themenkreise ansprechenden - Einwand der Verfahrensrüge (Z 4), Grundsätze des Verfahrens, deren Beobachtung durch grundrechtliche Vorschriften, insbesondere durch Art 6 MRK oder sonst durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten ist, seien unrichtig angewendet worden, ohne dass damit konkret auf einen Verfahrensantrag oder einen (nach Art von Anträgen substantiierten) Widerspruch des Beschwerdeführers oder ein Zwischenerkenntnis des Gerichtshofs Bezug genommen wird, kann dieser Nichtigkeitsgrund nicht dargetan werden (RIS-Justiz RS0108863, RS0099112, RS0099250; Fabrizy StPO10 § 281 Rz 38; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302). Mit dem - wenn auch allenfalls als „Antrag" bezeichneten - im Rechtsmittel hervorgehobenen (Punkt 4/d der BS) unbegründeten pauschalen Widerspruch des Angeklagten gegen die Verlesung von nicht konkret bezeichneten Aktenteilen wurde dem Antragserfordernis des § 281 Abs 1 Z 4 StPO nicht entsprochen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302, 314, 333 ff). Gegen die in der Beschwerde weiters gerügte Vertagung der Hauptverhandlung am 24. Juni 2008 (4/e) und die sitzungspolizeiliche Maßnahme nach § 234 StPO (4/f) haben sich Angeklagter und Verteidiger nicht einmal ausgesprochen; dem Angeklagten Mitteilung über die in seiner Abwesenheit durchgeführten Verlesungen zu machen oder ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (4/f), was im Übrigen - zudem nicht unter Nichtigkeitssanktion stehend - ohnehin geschah (ON 100 S 311 ff), wurde ebenso wenig beantragt. Dem Antrag auf Wiederholung der Hauptverhandlung wegen geänderter Zusammensetzung des Gerichts (4/g) wurde aber de facto ohnehin entsprochen (vgl dazu die Ausführungen zum auf Z 1 gestützten Beschwerdevorbringen).

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Anmerkung

E9100014Os9.09v-2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0140OS00009.09V.0512.001

Zuletzt aktualisiert am

16.07.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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