TE OGH 2010/5/11 9Ob85/09d

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Veröffentlicht am 11.05.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Dr. B***** P***** (vormals C*****), *****, vertreten durch Sluka Hammerer Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte und widerklagende Partei S***** AG, *****, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 178.699,14 EUR sA bzw 11.060,28 EUR sA, über die Rekurse sowohl der klagenden und widerbeklagten Partei als auch der beklagten und widerklagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 28. Mai 2009, GZ 2 R 31/09f-99, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. Dezember 2008, AZ 12 Cg 241/02t und GZ 12 Cg 42/03d-86, hinsichtlich des führenden Verfahrens im Umfang von 166.793,90 EUR sA (rechtskräftige Abweisung von 11.905,24 EUR sA) sowie hinsichtlich des gesamten Widerklagebegehrens (11.060,28 EUR sA) aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Oktober 1998 eröffnete die Klägerin bei der Beklagten ein Nummernkonto, über das in weiterer Folge Wertpapiergeschäfte abgewickelt wurden. In dieser Hinsicht wurde der Beklagten ein Vermögensverwaltungsauftrag erteilt. Nach dem nur rudimentär erhobenen Kundenprofil sollten „variable Erträge“ erzielt werden. Die Auswahl der Wertpapiere und die Zusammensetzung des Portfolios bestimmte in erster Linie der zuständige Mitarbeiter der Beklagten. Die Veranlagung erfolgte überwiegend in Aktien; sie beinhaltete auch schon zu Beginn risikoreichere Papiere. Die Depotstruktur hätte bereits von Beginn an ausgewogener sein müssen. Während das Depot der Klägerin zunächst eine gewisse Risikostreuung aufwies, fand im zweiten Halbjahr 1999 ein Strategiewechsel hin zu überwiegend hoch spekulativen Technologie- und Telekommunikationswerten statt. Ab dem Jahr 2000 lag keine ausgewogene Verteilung von Sicherheit, Rentabilität, Liquidität, Mischung und Streuung vor. In den Jahren 1999 und 2000 nahm die Klägerin diverse Behebungen in unterschiedlicher Höhe zu Lasten des Wertpapierdepots vor. Aufgrund von Wertpapierkäufen und Abhebungen durch die Klägerin war das Verrechnungskonto nach August 2000 überzogen. Aus diesem Grund fanden Notverkäufe statt. Die derzeit noch im Depot der Klägerin verbliebenen Wertpapiere sind abgesehen von einer Ausnahme praktisch wertlos.

Die Klägerin begehrte zuletzt 178.699,14 EUR sA. Im Februar 2002 habe das Depot nur mehr aus größtenteils wertlosen Hochrisikoaktien bestanden. Diese Aktien habe sie ursprünglich um insgesamt 347.852,55 DM (177.854,18 EUR) erworben. Zudem habe ihr die Beklagte um 11.905,24 EUR überhöhte Gebühren verrechnet. Zufolge Aufrechnung sei der Negativsaldo auf dem Verrechnungskonto in Höhe von 11.060,28 EUR abzuziehen. Die Rückgabe der noch im Depot befindlichen Wertpapiere biete sie der Beklagten Zug um Zug gegen Zahlung des Klagsbetrags an. In der zweiten Jahreshälfte 1999 habe der Mitarbeiter der Beklagten das bis dahin gut entwickelte Aktiendepot aufgegeben und das Kapital überwiegend in hoch riskante Aktien investiert. Ein erheblicher Teil der Aktien sei dadurch wertlos geworden.

Die Beklagte entgegnete, dass sie von der Klägerin mit der Vermögensverwaltung beauftragt worden sei. In Kenntnis des Verlustrisikos habe die Klägerin eine dynamische Veranlagung mit entsprechend höheren Gewinnchancen gewünscht. Aufgrund ihrer Barbehebungen habe diese nur 30.000 DM des veranlagten Kapitals verloren. Bei den noch im Depot befindlichen Aktien handle es sich um den unverkäuflichen Rest, der ein falsches Bild vom Gesamtportfolio vermittle. Die Vermögensverwaltung sei aber als Gesamtheit zu betrachten. Das Zug-um-Zug-Angebot der Klägerin werde abgelehnt.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 28.632,35 EUR sA. Das Mehrbegehren von 150.066,79 EUR sA sowie das Widerklagebegehren von 11.060,28 EUR sA wies es ab. Die Klägerin habe der Beklagten einen Auftrag zur Vermögensverwaltung erteilt. Eine risikoadäquate Aufklärung der Klägerin sei nicht erfolgt. Der Beklagten sei daher vorzuwerfen, dass sie ohne Informationen über die Risikobereitschaft der Klägerin hoch riskante und hoch spekulative Aktien erworben und zudem einzelne, nicht nachvollziehbare Transaktionen durchgeführt habe. Sie habe daher für das negative Vertragsinteresse einzustehen. Die Kausalität beziehe sich jedoch nicht auf einzelne Transaktionen, sondern auf die Gesamtportfolioverwaltung als Gesamtleistung. Der Klägerin sei daher der Kapitalverlust von 30.000 DM (15.338,76 EUR) zuzüglich einer durchschnittlichen Bankrendite von 4 % zuzusprechen. Das Widerklagebegehren sei hingegen nicht berechtigt, weil die Beklagte zu einer Kontoüberziehung nicht befugt gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte (als Teilurteil) die Abweisung von 11.905,24 EUR an angeblich überhöhten Gebühren. Im Übrigen hob es die Entscheidung des Erstgerichts (restliches Klagebegehren von 166.793,90 EUR sA sowie gesamtes Widerklagebegehren) auf. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage der Ermittlung des Anlegerschadens im Rahmen einer teils vertragsgemäßen und teils vertragswidrigen Vermögensverwaltung, die sowohl Gewinne als auch Verluste erzielt habe, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, dass die Klägerin zulässigerweise Naturalersatz in Höhe des Ankaufspreises begehre. Das Angebot auf Rückgabe der noch im Depot befindlichen Aktien Zug um Zug gegen Zahlung des Klagsbetrags habe die Beklagte ausdrücklich abgelehnt. Entgegen der Ansicht der Klägerin könne die Ermittlung des Schadens jedoch nicht ausschließlich an die im Wertpapierdepot noch vorhandenen Aktien anknüpfen. Vielmehr sei das Fehlverhalten der Beklagten samt den finanziellen Folgen in seiner Gesamtheit zu beurteilen. Aus diesem Grund seien die im Rahmen der Vermögensverwaltung durchgeführten Wertpapierankäufe in zwei Gruppen, nämlich jene der vertragsgemäßen Veranlagungen und jene der vertragswidrigen Transaktionen, einzuteilen. Gewinne und Verluste aus der ersten Gruppe verblieben der Klägerin, weshalb diese für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung seien. Innerhalb der zweiten Gruppe sei die Gesamtsumme des für den Ankauf eingesetzten Kapitals einschließlich der Ankaufsspesen den aus den Verkäufen der betreffenden Wertpapiere erzielten Erlösen gegenüber zu stellen. Durch die von der Klägerin vorgenommene Aufrechnung gegen den Überziehungsbetrag von 11.060,28 EUR sei dieser Betrag anerkannt worden.

Die Klägerin bekämpft den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, ihrer Klage zur Gänze stattzugeben. Der Rekurs der Beklagten zielt auf die Abweisung des restlichen Klagebegehrens der Klägerin in Höhe von 166.793,90 EUR sA sowie auf die Stattgebung des eigenen Widerklagebegehrens ab.

Mit ihren Rekursbeantwortungen beantragen die Streitteile, dem Rechtsmittel jeweils der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind zulässig, weil zur Ermittlung des Schadens bei fehlerhafter Vermögensverwaltung eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint und das Berufungsgericht die dafür maßgebenden Grundsätze unrichtig angewendet hat. Die Rekurse sind im Ergebnis allerdings nicht berechtigt.

1. Die Beurteilung des Sachverhalts nach österreichischem Recht ist zwischen den Parteien unstrittig.

Das haftungsbegründende Fehlverhalten der Beklagten ist ebenfalls nicht mehr strittig. Dieses bezieht sich auf eine mangelhafte Erhebung des Anlageziels der Klägerin, auf eine von Beginn an nicht ausgewogene Depotstruktur, weiters auf den Strategiewechsel ab dem zweiten Halbjahr 1999 sowie auf die Überziehung des Verrechnungskontos nach August 2000.

2.1 Der Klägerin ist beizupflichten, dass - schon begrifflich - zwischen Anlageberatung und Vermögensverwaltung zu unterscheiden ist (vgl Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung2, 2). Der Anlageberater schuldet die fachkundige Beratung über die Veranlagung des Kundenvermögens (vgl 7 Ob 306/99x). Inhalt eines Vertrags auf (diskretionäre) Vermögensverwaltung ist demgegenüber die Verwaltung eines Kundenportfolios mit Verfügungsmacht im Auftrag des Kunden. Der Vertragspartner erhält vom Kunden den mit einer entsprechenden Vollmacht gekoppelten Auftrag, einen Teil seines Vermögens oder sein Gesamtvermögen, das aus Finanzinstrumenten besteht, entsprechend den Anlagerichtlinien im Namen und auf Rechnung des Kunden zu gestionieren, und zwar im Regelfall ohne vorherige Rücksprachepflicht mit dem Kunden. Der Vermögensverwaltungsvertrag ist als Bevollmächtigungsvertrag iSd §§ 1002 ff ABGB einzuordnen. Den Vermögensverwalter trifft eine umfassende Interessenwahrungs- sowie entsprechende Informationspflicht (RIS-Justiz RS0123042; RS0123043; vgl auch BGH 23. 10. 2007, XI ZR 423/06; Schäfer aaO 4).

2.2 Die Haftung des Anlageberaters knüpft bei einem Beratungsfehler an der Verletzung vorvertraglicher oder beratervertraglicher Aufklärungs- bzw Informationspflichten an (P. Bydlinski, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung, ÖBA 2008, 159; Wilhelm, Zur Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung beim Anlegerschaden, ecolex 2010, 232). Ähnlich beruht die Prospekthaftung nach dem Kapitalmarktgesetz oder nach dem Börsegesetz auf einer Weiterentwicklung der Haftung für culpa in contrahendo (RIS-Justiz RS0108218). Der Nachteil für den Anleger liegt bereits im Erwerb nicht gewünschter Vermögenswerte, die er bei richtiger Beratung nicht gekauft hätte (P. Bydlinski aaO 160). Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt, ihn also richtig aufgeklärt hätte (6 Ob 110/07f mwN). Es gebührt demnach der Vertrauensschaden (RIS-Justiz RS0108267; vgl auch RS0016374; nach P. Bydlinski [aaO 164] führt eine Verletzung der Beratungspflicht als vertragliche Hauptpflicht zum Ersatz des Erfüllungsinteresses). Der Ersatz des Vertrauensschadens basiert auf dem Grundgedanken, dass bei richtiger Beratung das konkrete Wertpapier nicht gekauft bzw das konkrete Effektengeschäft nicht abgeschlossen worden wäre (10 Ob 11/07a; vgl auch RIS-Justiz RS0016377). Die Berechnung des Vertrauensschadens kann entweder konkret oder abstrakt erfolgen (RIS-Justiz RS0016376). Da der Anleger bei richtiger Beratung das Wertpapier nicht erworben hätte, besteht der Schaden nach der Judikatur jedenfalls in der Differenz zwischen dem Erwerbspreis einerseits und dem Kurswert des nicht gewollten Papiers bzw den Zinszahlungen andererseits (8 Ob 123/05d; 10 Ob 11/07a), also dem rechnerischen Vermögensschaden (8 Ob 123/05d; vgl RIS-Justiz RS0030153; RS0108218).

Bezieht sich der Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens demgegenüber auf die Durchführung der Vermögensverwaltung, so betrifft der begehrte Schadenersatz nicht die Wurzel des Geschäfts, sondern dessen Abwicklung. Entsteht der Schaden in diesem Sinn durch Nichterfüllung einer gültig begründeten Hauptleistungsverpflichtung, so hat der Schädiger jenen Zustand herzustellen, der im Vermögen des Geschädigten bei gehöriger Erfüllung (positives Erfüllungsinteresse) entstünde (RIS-Justiz RS0016377; RIS-Justiz RS0018239; vgl auch RIS-Justiz RS0018463 und RS0018258).

3.1 Die Klägerin stützt ihr Schadenersatzbegehren auf den Ankauf der derzeit noch im Portfolio vorhandenen risikoträchtigen Aktien aufgrund des vom Mitarbeiter der Beklagten vorgenommenen Strategiewechsels während aufrechter Vermögensverwaltung. Damit macht sie nicht den Vertrauensschaden, sondern den - auf ihre Weise konkret berechneten - Nichterfüllungsschaden geltend. Da der Beklagten auch eine mangelhafte Erhebung des Anlageziels der Klägerin sowie eine von Beginn an unausgewogene Depotstruktur anzulasten ist, könnte sich die Klägerin auch auf einen Beratungsfehler und darauf berufen, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Verwaltungsvertrag nicht abgeschlossen hätte. Sie hat aber - wie hier - ebenso die Möglichkeit, den die Wurzel des Vertrags betreffenden Beratungsfehler nicht geltend zu machen, sondern ihren Schadenersatzanspruch allein auf die Abwicklung des Vertrags und den beanstandeten Strategiewechsel zu stützen.

3.2 Es bleibt damit zu prüfen, auf welche Weise der der Klägerin zustehende Nichterfüllungsschaden zu ermitteln ist. Die Klägerin berechnet den Schaden allein an Hand der noch im Portfolio vorhandenen Wertpapiere. Das Berufungsgericht vertritt demgegenüber die Ansicht, dass die Veranlagungen für die Klägerin in eine vertragsgemäße und eine vertragswidrige Gruppe einzuteilen und für die Schadensermittlung nur die zweite Gruppe heranzuziehen sei. Sowohl die Klägerin als auch das Berufungsgericht sind damit nicht im Recht.

Ausgangspunkt für die Ermittlung des Nichterfüllungsschadens ist die getroffene Vereinbarung. Die Klägerin ist so zu stellen, wie sie bei vereinbarungsgemäßer Geschäftsabwicklung, also pflichtgemäßer Gestionierung des Portfolios stünde. Nach der Natur des von der Klägerin erteilten Auftrags und ihres einzigen angegebenen Anlagewunsches nach variablen Erträgen ist ohne weiteres davon auszugehen, dass ihr Veranlagungsziel in einem entsprechend ausgewogenen Verhältnis zwischen risikoarmen und risikoträchtigeren Wertpapieren im Rahmen einer Gesamtstrategie bestand. In jedem anderen Fall hätte der Auftrag grundlegend anders lauten müssen. Auch bei einer konservativen Veranlagungsstrategie können durchaus risikoreichere Papiere gehalten werden, solange eine ausgewogene Mischung der Vermögenswerte und eine angemessene Streuung des Risikos erfolgt. Durch den Strategiewechsel ab dem zweiten Halbjahr 1999 wurde die schon anfänglich nicht ausgewogene Depotstruktur in ein eklatantes Missverhältnis umgewandelt. Diese schadensbegründende Pflichtwidrigkeit ist auf die gesamte Vermögensverwaltung zu beziehen. Werden durch den Verkauf von Papieren Kursgewinne erzielt, so können diese auch auf risikoträchtigere Papiere entfallen. Ebenso können Verluste nicht nur den risikoträchtigeren Papieren zugeordnet werden. Auch die Barbehebungen der Klägerin sind keineswegs ausschließlich den vertragskonformen Tradings zuordenbar, weil der Wertzuwachs als Ergebnis der Gesamtstrategie betrachtet werden muss.

Die Frage nach der Zielerreichung bzw dem Vorliegen einer fehlerhaften Vermögensverwaltung betrifft somit die Entwicklung des gesamten Portfolios und daher die Veranlagung in ihrer Gesamtheit. Die vom Berufungsgericht zu Recht abgelehnte „Rosinentheorie“ schließt im vorliegenden Fall nicht nur eine isolierte Betrachtung der Entwicklung der derzeit noch im Portfolio gehaltenen Wertpapiere aus, sondern ebenso eine Zergliederung der im Rahmen der Gesamtstrategie erfolgten Erwerbsvorgänge in vertragsgemäße und vertragswidrige Tradings. Für die Ermittlung des Nichterfüllungsschadens hat daher eine Gesamtbetrachtung stattzufinden (vgl dazu auch 9 ObA 243/02d; 9 Ob 114/04m; auch 8 Ob 123/05d). Die gegenteilige von der Klägerin unter Berufung auf Schäfer (aaO 41) vertretene Ansicht wird im gegebenen Zusammenhang abgelehnt.

Nach diesen Grundsätzen ist für die Schadensermittlung die Entwicklung („Performance“) der pflichtwidrigen Vermögensverwaltung der fiktiven Entwicklung der Vermögenswerte bei - aus Sicht ex ante - vertragskonformer Gesamtstrategie unter der Annahme sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch im Umfang gleicher Barbehebungen und Neueinkäufe gegenüber zu stellen. Dazu hat das Erstgericht festgestellt, dass dem Anlageziel der Klägerin am ehesten eine Anlage in Anleihen - auch in fremder Währung oder mit variablen Kupons - sowie in Rentenfonds entsprochen hätte. Soweit die Klägerin den Raiffeisen-Global-Aktienfonds als repräsentative bzw vergleichbare Veranlagungsform sieht, weicht sie von den Feststellungen ab.

3.3 Zur Überziehung des Verrechnungskontos und damit zum Widerklagebegehren hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin in dieser Hinsicht eine Aufrechnung vorgenommen hat, weshalb der anerkannte Betrag von 11.060,28 EUR von ihrem Ersatzanspruch abzuziehen ist.

4.1 Die Rechtsprechung, wonach ein Geldersatzbegehren nur bei Verkauf der noch gehaltenen Wertpapiere oder bei verlangter Naturalrestitution Zug um Zug gegen Rückgabe der Wertpapiere zulässig sei (RIS-Justiz RS0120784; 8 Ob 123/05d; 10 Ob 11/07a), gilt nur für den Vertrauensschaden des Anlegers. Der Grund für diesen Ansatz betrifft die Festlegung des richtigen Zeitpunkts für die Gegenüberstellung der Vermögenslage zur Ermittlung des rechnerischen Vermögensschadens. In der Entscheidung 8 Ob 123/05d wurde dazu ausgeführt, dass zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung die Schadensfeststellung noch nicht abgeschlossen sei, weil die vom Kläger nach wie vor gehaltenen Wertpapiere bis zu deren Verkauf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zukünftigen Kursschwankungen unterliegen würden. Der Grundsatz, dass für die Wertermittlung der Zeitpunkt der Beschädigung maßgebend sei, könne bei der Differenzrechnung daher nicht uneingeschränkt herangezogen werden. Aus diesem Grund sei mangels Bezifferbarkeit des dem Kläger endgültig entstandenen Schadens zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung eine auf Geldleistung gerichtete Schadenersatzklage nicht möglich. Sofern der Kläger nicht versuche, Naturalrestitution zu erlangen oder die Papiere zu verkaufen, sei er auf einen Feststellungsanspruch zu verweisen.

4.2 Bei einem auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichteten Begehren ist der Vertrag demgegenüber ursprünglich wirksam zustande gekommen. Zufolge Rücktritts vom Vertrag, der gegebenenfalls durch die Klage ersetzt wird (RIS-Justiz RS0018258), bereitet die Festlegung des für die Schadensermittlung maßgeblichen Zeitpunkts keine Schwierigkeiten. Der Nichterfüllungsschaden kann daher ohne das Erfordernis eines Verkaufs der noch gehaltenen Wertpapiere oder eine geltend gemachte Naturalrestitution (Zug um Zug gegen Rückgabe der Wertpapiere) beziffert werden. In dieser Hinsicht ist der Grundsatz der Subsidiarität des Feststellungsbegehrens zu beachten (vgl RIS-Justiz RS0038849). Soweit ein Anspruch auf Rückabwicklung des abgeschlossenen Geschäfts besteht, bleibt für eine Feststellungsklage kein Raum (6 Ob 103/08b). Eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung ist aber nur über Einwand des Beklagten beachtlich (RIS-Justiz RS0086350; RS0020997). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte das Zug-um-Zug-Angebot der Klägerin sogar abgelehnt. Das Geldersatzbegehren der Klägerin erweist sich damit als zulässig.

5.1 Da zur Ermittlung des berechtigten Nichterfüllungsschadens der Klägerin sekundäre Feststellungsmängel vorliegen, hat es bei der Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichts zu verbleiben. Im fortgesetzten Verfahren wird unter Beiziehung des gerichtlichen Sachverständigen die konkrete Entwicklung einer vereinbarungskonformen fiktiven Alternativstrategie zu ermitteln und dem Ergebnis der pflichtwidrigen Vermögensverwaltung (als Gesamtstrategie) gegenüber zu stellen sein. Die vom Erstgericht getroffene Feststellung, dass bei fehlerfreier Verwaltung sogar ein Gewinn, zumindest aber eine ausgeglichene Entwicklung zu erzielen gewesen wäre, wird in diesem Sinn zu konkretisieren sein. Zudem wird die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage zu klären sein, ob die Klägerin zu Lasten des Wertpapierdepots 565.000 DM oder 505.000 DM in bar behoben hat. Zur Erleichterung der Schadensermittlung kommt eine Heranziehung der Bestimmung des § 273 Abs 1 ZPO in Betracht.

5.2 Zusammenfassend ergibt sich, dass zwar bei fehlerhafter Anlageberatung der Vertrauensschaden gebührt, der konkret oder abstrakt berechnet werden kann und jedenfalls im rechnerischen Vermögensschaden besteht. Erfolgt die Schadenszufügung aber im Rahmen der Abwicklung eines Vermögensverwaltungsvertrags, so haftet der pflichtwidrig handelnde Vertragspartner für den Nichterfüllungsschaden. Im Fall einer vereinbarten Gesamtstrategie ist das Ergebnis der pflichtwidrigen Vermögensverwaltung der fiktiven Entwicklung des Portfolios unter Zugrundelegung einer - aus Sicht ex ante - vertragskonformen Gesamtstrategie gegenüberzustellen. Das Begehren auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens ist unabhängig davon zulässig, ob der Anleger die noch in seinem Vermögen befindlichen Wertpapiere verkauft hat oder Naturalrestitution geltend macht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Schlagworte

Gruppe: Handelsrecht,Gesellschaftsrecht,Wertpapierrecht

Textnummer

E93942

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0090OB00085.09D.0511.000

Im RIS seit

19.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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