TE OGH 2022/9/23 4Ob88/22b

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.09.2022
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde *, vertreten durch Dr. Karl Bergthaler und Mag. Dr. Franz Hafner, Rechtsanwälte in Altmünster, gegen die beklagte Partei Mag. G* N*, vertreten durch Dr. Otto Urban und andere Rechtsanwälte in Gmunden, wegen Entfernung von Absperrungen und Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 9. Februar 2022, GZ 22 R 299/21h-29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 3. August 2021, GZ 2 C 52/21g-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]            Die Beklagte ist Eigentümerin einer Liegenschaft mit einem am Ufer eines Sees gelegenen Grundstück mit einer Fläche von 22 m2, das den entlang des Ufers verlaufenden öffentlich zugänglichen Weg unterbricht. Die Rechtsvorgänger (Eltern) der Beklagten hatten dieses Grundstück 1978 erworben. In der grundverkehrsbehördlichen Bestätigung des Kaufvertrags wurde festgehalten, dass das Grundstück als Teil des ehemaligen Treppelwegs verwendet werde. Im Jahr 1983 schlossen die Eltern der Beklagten mit den Österreichischen Bundesforsten als Eigentümer von See und Ufer einen Pachtvertrag über einen Uferstreifen, in dem sie mittels Zusatzvereinbarung vereinbarten, dass falls der an das Grundstück der Eltern angrenzende Treppelweg von den Bundesforsten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde, sie zwecks Schaffung eines Zugangs zum Treppelweg ihr Grundstück an die Österreichischen Bundesforste verpachten. Der öffentliche Bade- und Erholungsplatz ist von den Bundesforsten gemeinsam mit der Klägerin im Jahr 1987 errichtet worden. Dieser vorgenannte Vertragszusatz wurde in der regelmäßigen Verlängerung des Pachtvertrags zwischen den Bundesforsten und den Rechtsvorgängern der Beklagten inhaltlich bis zum Ablauf des Jahres 2018 aufrecht erhalten, wobei er zuletzt dahingehend formuliert war, dass das Grundstück pachtweise als Zugang zur öffentlichen Erholungsfläche überlassen werde. Seit der Schaffung des öffentlichen Bade- und Erholungsplatzes im Jahr 1987 wurde der Weg über das Grundstück der Beklagten von Badegästen und Erholungssuchenden vermehrt benutzt. Im Verlauf des Jahres 2019 versperrte die Beklagte das nördliche Gartentor mit einem Fahrradschloss. Sodann brachte sie das Schild „Privatgrundstück – Betreten verboten“ an und versperrte den südlichen Übergang zum Nachbargrundstück mit einer Kette. Sie ist nicht mehr bereit, die Absperrungen zu entfernen und das Gartentor zu öffnen.

[2]            Die klagende Gemeinde begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, Absperrungen des Gartentors und an der Grundstücksgrenze sowie Hinweisschilder, die einen Durchgang über ihr Grundstück untersagen, zu entfernen, sowie es zu unterlassen, in Zukunft wirkungsgleiche Absperrungen und gleichartige oder ähnliche Hinweisschilder anzubringen. Der Uferweg sei immer schon von der Allgemeinheit benutzt worden. Die Klägerin habe zugunsten der Allgemeinheit das Durchgangsrecht ersessen. Die Ersitzungszeit von 30 Jahren sei sowohl bis zum Eigentumserwerb der Eltern der Beklagten als auch ab diesem Zeitpunkt abgelaufen.

[3]       Die Beklagte wendete ein, 1978, zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs durch ihre Eltern, habe es keinen öffentlichen Weg mehr über das Grundstück gegeben. Zwischen 1983 und zumindest 1987 hätten versperrte Tore auf der Liegenschaft bestanden. Diese seien nur zwischen 1988 und 2018 aufgrund des Pachtvertrags mit den Bundesforsten offen gehalten worden. Ab dessen Beendigung habe die Beklagte die Tore zu Recht wieder versperrt.

[4]       Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Wegstrecke über das Grundstück der Beklagten entlang des Seeufers sei „schon immer“, jedenfalls aber mehr als 30 Jahre vor dem Erwerb der Liegenschaft durch die Eltern der Beklagten regelmäßig, vor allem von Gemeindeangehörigen, aber auch von (Pensions-)Gästen zum Spazieren, um die südlich gelegene Badewiese zu erreichen, aber auch von Fischern, um zum dortigen Anlegeplatz zu gelangen, genutzt worden. Die 30-jährige Ersitzungszeit sei daher bereits lange vor dem Jahr 1978 abgeschlossen gewesen, die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt bereits ein Wegerecht für die Allgemeinheit über das Grundstück der Beklagten ersessen gehabt. Der Zugang zum öffentlichen Badeplatz über das Grundstück der Beklagten sei vor allem für mobilitätseingeschränkte Personen nützlich, zumal der direkte Weg von der Straße zum Badeplatz steil sei. Der Weg über das Grundstück sei beim Eigentumserwerb durch die Eltern der Beklagten im Jahr 1978 deutlich erkennbar gewesen. Bereits aus dem Wortlaut der grundverkehrsbehördlichen Bestätigung, wonach das Grundstück als Teil des ehemaligen Treppelwegs verwendet werde, ergebe sich, dass der Weg auch in Verwendung gestanden sei. Das Grundstück der Beklagten sei auch ab 1978 regelmäßig von Angehörigen der klagenden Gemeinde und Gästen begangen worden. Das nördliche Tor sei nur selten versperrt gewesen. Diesfalls sei das Publikum darüber gesprungen oder gestiegen. Der Abschluss des Pachtvertrags zwischen den Bundesforsten und den Rechtsvorgängern der Beklagten habe auf die bereits stattgefundene Ersitzung keinen Einfluss, zumal die Klägerin von diesem Pachtvertrag keine Kenntnis gehabt habe. Im Übrigen lägen auch ab 1978 die Voraussetzungen für eine neuerliche Ersitzung vor. Die Beklagte sei daher nicht berechtigt, durch Absperren ihres Grundstücks der Allgemeinheit den Durchgang über ihr Grundstück zu verwehren.

[5]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bemaß den Wert des Streitgegenstands mit 5.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Soweit sich die Tatsachenrüge gegen die Feststellungen des Erstgerichts zur Nutzung des Wegs vor dem Jahr 1978 und zu Holztoren und der Nutzung des Wegs ab dem Kauf der Liegenschaft durch die Eltern der Beklagten im Jahr 1978 (bis zum Jahr 1987/1988) wende, sei mangels rechtlicher Relevanz auf die Beweisrüge nicht einzugehen, weil von einer Ersitzung einer Dienstbarkeit durch die Klägerin allein durch die ungehinderte 30-jährige Nutzung des Wegs durch die Allgemeinheit ab dem Jahr 1987/1988 auszugehen sei. Für diesen Zeitraum sei jedenfalls die Negativfeststellung nicht zu beanstanden, wonach nicht festgestellt werden könne, dass der Klägerin der Pachtvertrag bekannt sei. Das Berufungsvorbringen im Zusammenhang mit einer (grob) fahrlässigen Unkenntnis des Vertrags seitens der Klägerin sei eine unzulässige Neuerung, weil die Beklagte in erster Instanz nur den Einwand der positiven Kenntnis des Pachtvertrags erhoben habe. Im Übrigen hindere das Bestehen gleichartiger, rechtsgeschäftlich begründeter Dienstbarkeiten zu Gunsten des Liegenschaftseigentümers nicht die Ersitzung zugunsten der Gemeinde. Die ordentliche Revision sei mangels Rechtsprechung zur Frage zuzulassen, ob dann, wenn bereits mit einem Dritten eine vertragliche Gebrauchsüberlassung zugunsten der Allgemeinheit vereinbart worden sei, dennoch die Ersitzung einer Servitut (Gehrecht) zugunsten einer Gemeinde möglich sei oder ob in einem solchen Fall für den Ersitzungsgegner die notwendige Erkennbarkeit einer Rechtsausübung der Gemeinde durch die Allgemeinheit nicht gegeben sei.

[6]       Die Beklagte beantragt in ihrer – von der Klägerin beantworteten – Revision, die Klage abzuweisen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7]       Die Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[8]       Die Beklagte argumentiert, dass aufgrund des Pachtverhältnisses keine Ersitzung stattfinden habe können. Seit dem Zeitpunkt des Pachtverhältnisses sei die Öffentlichkeit Besitzmittlerin der Bundesforste gewesen und nicht (mehr) Besitzmittlerin hinsichtlich der Klägerin als allfälliger Ersitzungsbesitzerin. Die 30-jährige Frist sei von da an unterbrochen worden. Überdies fehle es an der Redlichkeit eines Besitzes, da es als fahrlässig zu werten sei, dass die Klägerin trotz gemeinsamer Eröffnung und Betreibung eines Bade- und Erholungsplatzes mit den Bundesforsten nicht über das Pachtverhältnis Bescheid gewusst habe. Schließlich sei es durch den Pachtvertragsabschluss für die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger nicht erkennbar gewesen, dass die Klägerin Ersitzungsbesitzerin einer Dienstbarkeit sein sollte. Auch sei das Utilitätserfordernis durch den bestehenden Pachtvertrag nicht erfüllt gewesen, denn da der Weg aus diesem Rechtsgrund benützt werden durfte, habe gar keine Notwendigkeit für eine Servitut bestanden.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Rechtliche Beurteilung

[9]            1.1. Für die Ersitzung von Wegerechten durch eine Gemeinde genügt die Benützung durch Gemeindeangehörige und/oder durch das Touristenpublikum, wobei es ausreicht, dass die Benützung so erfolgt, wie wenn es sich um einen öffentlichen Weg handeln würde (RS0010120 [T5]). Zur Ersitzung eines Wegerechts zugunsten einer Gemeinde ist neben den anderen Voraussetzungen für eine Ersitzung der Gemeingebrauch während der Ersitzungszeit sowie die Notwendigkeit des Wegs erforderlich. Es genügt dabei, dass jedermann den Weg als öffentlichen Weg ansieht und behandelt. Eine besondere Absicht, das Wegerecht für die Gemeinde zu ersitzen, ist nicht erforderlich. Es genügt dabei, dass jedermann den Weg als öffentlichen Weg ansieht und behandelt. In diesem Fall wird der Besitzwille der Gemeinde vermutet (RS0011698 [T5, T6]). Eine über die Nutzung durch die Allgemeinheit hinausgehende Dokumentation des Besitzwillens der Gemeinde ist nicht erforderlich (vgl Ehgartner/Winkler in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1460 Rz 29).

[10]     1.2. Allerdings kann eine Ersitzung einer inhaltsgleichen Servitut bei Ausübung eines schuldrechtlichen Gebrauchsrechts – auch in der Frist des § 1477 ABGB – nicht stattfinden (RS0034106 [T2] betreffend den Fall eines Bestandrechts) und alle Sachen, an denen dem Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde, können nicht ersessen werden (RS0034095).

[11]     1.3. Bei der klagenden Gemeinde und den Österreichischen Bundesforsten handelt es sich aber um zwei verschiedene Rechtssubjekte und nicht um ein und denselben Berechtigten. Das Pachtverhältnis zu den Bundesforsten hindert somit nicht die gleichzeitige Ersitzung des Rechts durch die Klägerin. Eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über eine Servitut zugunsten der Allgemeinheit zwischen dem Eigentümer des dienenden Grundstücks und einem (öffentlichen) Rechtsträger hindert nicht grundsätzlich die gleichzeitige Ersitzung dieser Servitut für die Allgemeinheit durch die Gemeinde. Schließlich ist sie es, die in erster Linie die „Allgemeinheit“ auf ihrem Gebiet repräsentiert. Allerdings müssen sämtliche Voraussetzungen für die Ersitzung vorliegen.

[12]     2.1. Eine der Voraussetzungen der Ersitzung ist die Redlichkeit des Besitzes (§ 1463 ABGB).

[13]           2.2. Der Grundsatz, dass Sachen – oder Rechte an Sachen –, an denen den Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde, nicht ersessen werden können, weil es an der erforderlichen Redlichkeit des Besitzes fehlt, gilt nicht uneingeschränkt. Die Redlichkeit fehlt aber in der Regel dann, wenn dem Nutzer der Umstand der bloß obligatorischen Gebrauchsüberlassung bekannt ist oder bei ausreichender Sorgfalt bekannt sein muss (vgl RS0034095 [T14]). Die fehlende Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers hat der Ersitzungsgegner zu behaupten und zu beweisen (RS0010185).

[14]           2.3. Im vorliegenden Fall haben die Tatsacheninstanzen zur Frage der Kenntnis der Klägerin vom Pachtvertrag zwischen der Beklagten und den Bundesforsten eine Negativfeststellung getroffen. Konkret wurde festgestellt, dass der Abschluss eines Pachtvertrags zwischen den Eltern der Beklagten und den Bundesforsten (mit Ausnahme der Pachtvertragsparteien) niemandem bekannt gewesen sei und dass nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin von diesem Pachtvertrag Kenntnis gehabt hätte.

[15]     2.4. Wenn die Beklagte der Klägerin (erst) im Rechtsmittelverfahren grob fahrlässige Unkenntnis vorwirft, so handelt es sich hierbei – wie bereits vom Berufungsgericht erkannt – um eine unzulässige Neuerung (§ 482 ZPO).

[16]     2.5. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend davon ausgegangen, dass es der Beklagten nicht gelungen ist, die fehlende Redlichkeit der Klägerin darzutun.

[17]     3.1. Zur Frage der Nützlichkeit/Notwendigkeit ist auszuführen, dass an die Notwendigkeit grundsätzlich keine strengen Anforderungen zu stellen sind (RS0010120 [T7]). Es genügt, dass alle nach der räumlichen Nähe in Betracht kommenden Personen einen Weg offenkundig zum allgemeinen Vorteil benützen (RS0010120 [T8]).

[18]     3.2. Das Argument der Revisionswerberin, der Weg habe aus dem Rechtsgrund des Pachtvertrags benutzt werden dürfen und daher habe gar keine Notwendigkeit für eine Servitut bestanden, sodass die Klägerin aufgrund von völliger Zwecklosigkeit nicht habe ersitzen können, übersieht neuerlich, dass es sich bei der klagenden Gemeinde und den Österreichischen Bundesforsten um zwei verschiedene Rechtssubjekte handelt, und geht daher ins Leere.

[19]     4.1. Zum Erwerb des Besitzes eines Rechts an einer Liegenschaft (als Voraussetzung der Ersitzung) ist nicht nur der (redliche) Wille des Besitzers, ein Recht auszuüben, erforderlich, sondern es bedarf der weiteren Voraussetzung, dass die Leistung oder Duldung durch den Grundeigentümer erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschieht, als hätte derjenige, dem geleistet wird oder dessen Handlungen geduldet werden, ein Recht darauf (vgl RS0009762 [T1]).

[20]     4.2. Zu öffentlichen Wegen wurde judiziert, dass im Zweifel anzunehmen ist, dass der Benutzer seine Interessen durch Inanspruchnahme eines Privatrechts befriedigen will, wenn sich Art und Umfang der dem klaren Interesse des Klägers dienenden Wegenutzung mit jener Benutzung deckt, die auch ein nach Privatrecht Berechtigter an den Tag legen würde. Es ist Sache des Ersitzungsgegners, den ausschließlichen Willen zur Ausübung des Gemeingebrauchs als eines öffentlichen Rechts und das Fehlen eines privatrechtlichen Besitzwillens zu beweisen (RS0009762 [T14, T15]). Auch ein im Umfang des Gemeingebrauchs bereits enthaltenes Recht kann ersessen werden, wenn die Benützung mit dem Willen verknüpft ist, damit ein vom Recht der Allgemeinheit losgelöstes Recht in Anspruch zu nehmen und für den Ersitzungsgegner erkennbar ist, dass ein vom Gemeingebrauch unabhängiges Recht in Anspruch genommen wird (RS0009762 [T22]). War die behauptete Reallast gleichzeitig Inhalt einer anderen Verpflichtung des angeblich Belasteten, muss zudem klargestellt sein, welche der konkurrierenden Verpflichtungen dieser erfüllen wollte (8 Ob 38/14t; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1460 Rz 11). Die Besitzausübung muss beim Rechtsbesitz so beschaffen sein, dass derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, erkennen kann, dass ein individuelles Recht ausgeübt wird (RS0010135 [T1]).

[21]           4.3. Zu 6 Ob 67/21b wurde die Frage der Erkennbarkeit der Ausübung eines Wegerechts für ein Skihotel durch dessen Hotelgäste auf Wegen, zu deren Gunsten bereits die Bergbahnen vertragliche Servituten haben, wegen des Vorliegens besonderer Umstände bejaht (das Hotel wurde als „Ski-In/Ski-Out Hotel“ beworben und die Gäste nahmen über die strittigen Wege den direkten Weg vom Hotel zur Bergbahn, was für den Beklagten auch erkennbar war).

[22]                    4.4. Auch zu 1 Ob 129/20g wurde die Erkennbarkeit durch den Servitutsbelasteten vom Vorliegen besonderer Umstände abhängig gemacht: Die Eigentümer des dienenden Grundstücks waren in einem Zeitraum von 17 Jahren der 30-jährigen Ersitzungszeit gleichzeitig auch Pächter des herrschenden Grundstücks. In dieser Zeit gingen sie immer wieder über das eigene Grundstück um das gepachtete Grundstück zu erreichen. Der 1. Senat bejahte die Einrechnung des Zeitraums der Pacht in die Ersitzungszeit, weil die Pächter den Weg über die eigenen Grundstücke im Interesse der Bewirtschaftung der fremden Grundstücke befuhren und die Benützung nicht aus dem eigenen Eigentum ableiteten, und weil ihnen klar sein musste, dass durch die im Rahmen der Pacht notwendigen Fahrten die bisherige Wegnutzung durch die Verpächter fortgesetzt werden sollte.

[23]           4.5. Nach dem hier gegebenen Sachverhalt war es für die Beklagte nicht erkennbar, dass ihre Duldung der Benützung ihres Grundstücks durch die Öffentlichkeit nicht auf der entsprechenden Vereinbarung im Pachtvertrag mit den Bundesforsten beruhte, sondern als Erfüllung einer Schuldigkeit für die klagende Gemeinde geschehen sollte. Der Zeitraum des Pachtverhältnisses zwischen 1983 und 2018 ist daher nicht in die Ersitzungszeit einzurechnen.

[24]           5.1. Es ist daher zu prüfen, ob die klägerseits behauptete Ersitzung bereits vor Abschluss des Pachtvertrags bzw vor Kauf der Liegenschaft durch die Rechtsvorgänger der Beklagten abgeschlossen war. Dies kann aber derzeit nicht beurteilt werden, weil das Berufungsgericht aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht auf die in der Berufung der Beklagten erhobene Tatsachenrüge zu den entsprechenden Feststellungen des Erstgerichts (wonach der Weg „immer schon“ von der Allgemeinheit benutzt wurde) nicht eingegangen ist.

[25]     5.2. Auch zur Beantwortung der Fragen, ob die Rechtsvorgänger der Beklagten eine unbelastete Liegenschaft erworben haben (§ 1500 ABGB) sowie ob es durch
– effektives – Versperren des Wegs zu einer usucapio libertatis (§ 1488 ABGB) gekommen sei, ist die Behandlung der Tatsachenrügen der Beklagten in deren Berufung erforderlich. Der bloße Abschluss des Pachtvertrags mit den Bundesforsten, sohin mit einem anderen Rechtsträger, stellt jedoch keine manifeste „Widersetzung“ im Sinne der Rechtsprechung dar.

[26]     6. Das Verfahren des Berufungsgerichts ist somit ergänzungsbedürftig, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Beklagten führt.

[27]     7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E136256

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00088.22B.0923.000

Im RIS seit

17.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.10.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten