TE OGH 2022/1/25 10Ob28/21x

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Veröffentlicht am 25.01.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj R*, geboren * 2004, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe – Rechtsvertretung Bezirke 12, 23, 1230 Wien, Rößlergasse 15), Vater als Unterhaltsschuldner: J*, wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Landes Wien als Träger der Kinder- und Jugendhilfe gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. Februar 2021, GZ 48 R 185/20s-177, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 10. Juli 2020, GZ 2 Pu 27/18s-171, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Beschlüsse der Vorinstanzen sowie der im ersten Rechtsgang ergangene Beschluss des Rekursgerichts vom 22. Oktober 2019, GZ 48 R 204/19h-128, dieser im Umfang der inhaltlichen Entscheidung des Rekursgerichts über den Rekurs des Unterhaltsschuldners gegen die Abweisung des Antrags des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, (auch) den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes zum Rückersatz zu Unrecht gewährter Unterhaltsvorschüsse zu verpflichten, aufgehoben. Der Rekurs des Unterhaltsschuldners gegen den im ersten Rechtsgang ergangenen Beschluss des Erstgerichts vom 12. Juni 2019, GZ 2 Pu 27/18s-115, wird in diesem Umfang zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Dem Kind wurden von 1. 2. 2018 bis 30. 4. 2022 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 270 EUR monatlich gewährt (ON 73).

[2]       Die Unterhaltsverpflichtung des Vaters wurde mit Beschluss vom 9. 11. 2018 (ON 99) für den Zeitraum von 1. 4. 2018 bis 31. 7. 2018 auf monatlich 50 EUR und ab 1. 8. 2018 auf monatlich 80 EUR herabgesetzt. Dementsprechend wurden mit Beschluss vom 10. 4. 2019 (ON 101) die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von 1. 4. 2018 bis 31. 7. 2018 auf monatlich 50 EUR und ab 1. 8. 2018 auf monatlich 80 EUR herabgesetzt.

[3]       Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien beantragte am 11. 4. 2019 (ON 103), den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes im Sinn des § 9 UVG, die Pflegeperson, den Unterhaltsschuldner und – im Fall der Verneinung der Ersatzpflichten dieser Personen – das Kind gemäß §§ 22, 23 UVG zur Rückzahlung von in den Zeiträumen von April 2018 bis Juli 2018 und von August 2018 bis November 2018 zu Unrecht gewährten Vorschüssen in Höhe von 1.640 EUR zu verpflichten. Der Übergenuss sei durch die nicht bzw verspätet erfolgte Mitteilung der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Schuldners entstanden.

[4]       Mit Beschluss vom 12. 6. 2019 (ON 115) verpflichtete das Erstgericht im ersten Rechtsgang den Vater als Unterhaltsschuldner, im Zeitraum von April 2018 bis November 2018 zu Unrecht gewährte Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 1.640 EUR zurückzuzahlen. Hingegen wies es ua den Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, das Land Wien als Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes gemäß §§ 22, 23 UVG zum Ersatz zu Unrecht bezahlter Vorschüsse zu verpflichten, ab.

[5]       Gegen diesen Beschluss erhob nur der Vater Rekurs (ON 116), mit dem er ua den Antrag stellte, den Betrag von 1.640 EUR auch vom Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes zurückzufordern.

[6]       Mit Beschluss vom 22. 10. 2019 (ON 128) gab das Rekursgericht im ersten Rechtsgang dem Rekurs des Vaters teilweise Folge. Das Rekursgericht bestätigte die Verpflichtung des Vaters, zu Unrecht gewährte Unterhaltsvorschüsse im Zeitraum von April 2018 bis August 2018 in Höhe von 1.070 EUR zurückzuzahlen, wies hingegen den Antrag, ihm den Rückersatz weiterer zu Unrecht gewährter Vorschüsse für den Zeitraum von September 2018 bis November 2018 in Höhe von 570 EUR aufzutragen, ab. Im Umfang der Abweisung des Antrags des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, das Land Wien als Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes zum Ersatz der zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse zu verpflichten, hob das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.

[7]       Das Erstgericht verpflichtete im fortgesetzten Verfahren das Land Wien als den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes zum Rückersatz des für Juli 2018 zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschusses in Höhe von 220 EUR. Es stellte fest, dass der Vater als Unterhaltsschuldner und der Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes für den Rückersatz des im Juli 2018 zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschusses zur ungeteilten Hand verpflichtet seien. Den darüber hinausgehenden Antrag, den Rechtsträger zum Rückersatz von in der Zeit von April 2018 bis einschließlich Juni 2018 und von August 2018 bis November 2018 zu Unrecht gewährten Vorschüssen zu verpflichten, wies das Erstgericht ab.

[8]       Das Rekursgericht gab dem vom Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes dagegen erhobenen Rekurs nach inhaltlicher Prüfung nicht Folge. Über Antrag des Landes Wien ließ es den Revisionsrekurs nachträglich zu.

[9]       Gegen diese Entscheidung erhob das Land Wien als Rechtsträger der Kinder- und Jugendhilfe den von keiner anderen Verfahrenspartei beantworteten Revisionsrekurs, mit dem es im Ergebnis die Abweisung des Antrags des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, es zum Rückersatz von zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüssen zu verpflichten, anstrebt.

[10]     Aus Anlass des Revisionsrekurses ist die – vom Revisionsrekurswerber aufgezeigte – Unzulässigkeit des Rekurses des Vaters gegen den im ersten Rechtsgang ergangenen Beschluss des Erstgerichts wahrzunehmen, soweit damit die Abweisung des Antrags des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes gemäß §§ 22, 23 UVG zum Ersatz zu Unrecht bezahlter Vorschüsse zu verpflichten, abgewiesen wurde.

Rechtliche Beurteilung

[11]            1. In der erst nach der Entscheidung des Rekursgerichts im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung vom 15. 12. 2020, 10 Ob 46/20t, auf die das Land Wien seine Ausführungen im Revisionsrekurs stützt, hat der Oberste Gerichtshof zu einer vergleichbaren Verfahrenskonstellation ausgeführt (Rz 14 bis 16):

„2.2 Auch im Außerstreitverfahren ist nur diejenige Partei rechtsmittellegitimiert, die durch die bekämpfte Entscheidung (formell oder materiell) beschwert ist. Formelle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Antrag des Rechtsmittelwerbers zu seinem Nachteil abweicht. Materielle Beschwer liegt vor, wenn die rechtlich geschützten Interessen des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt werden (RS0041868; RS0006641). Es muss ein subjektives Recht betroffen sein, nicht nur wirtschaftliche, ideelle oder sonstige Interessen (RS0006497 [T2 und T7]). Das ist nicht abstrakt, sondern bezogen auf die konkrete Stellung einer Verfahrenspartei in dem einzeln zu entscheidenden Fall zu beurteilen (6 Ob 45/09z; 6 Ob 289/07d mwN).

         2.3 Ein Anspruch auf Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse gegen die in § 22 Abs 1 UVG genannten Personen ist nach Rechtsprechung und Lehre inhaltlich ein Schadenersatzanspruch (10 Ob 23/20k; RS0110453 [T2]; RS0076903 [T2]; Neumayr in Schwimann/Kodek5 § 22 UVG Rz 2). Haften mehrere Schädiger iSd § 1302 ABGB solidarisch, richtet sich der Regress nach § 896 ABGB (RS0017514; Karner in KBB6 § 1302 Rz 14). Im Fall einer solidarischen Verpflichtung auch der Mutter und des KJHT hätte der Unterhaltsschuldner hypothetisch einen Regressanspruch, wenn er den gesamten zu Unrecht ausgezahlten Unterhaltsvorschuss zurückzahlt. Die Abweisung eines Schadenersatzbegehrens gegen andere, nach Auffassung des Ersatzpflichtigen ebenfalls solidarisch haftende Schädiger betrifft kein bestehendes subjektives Recht, sondern wirtschaftliche Interessen.

         2.4 Dem Unterhaltsschuldner fehlt die Beschwer und damit die Rekurslegitimation in Bezug auf die Entscheidung des Erstgerichts, dass die übrigen, von § 22 Abs 1 UVG erfassten Personen nicht zur Rückzahlung verpflichtet sind. Das Rekursgericht hat diese Unzulässigkeit des Rekurses nicht aufgegriffen, sondern auch insoweit meritorisch entschieden. Der Mangel der funktionellen Zuständigkeit des Rekursgerichts für eine solche Erledigung ist vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Verfahrensmangel, der immer eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufwirft, wahrzunehmen. Der im beschriebenen Umfang unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz ist zurückzuweisen (RS0115201 [T4]; RS0042059 [T9]).“

[12]            2. Angewandt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies:

[13]            2.1 Dem Vater als Unterhaltsschuldner fehlte die Beschwer, um mit seinem Rekurs im ersten Rechtsgang den Beschluss des Erstgerichts auch im Umfang der Abweisung des Antrags des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes gemäß §§ 22, 23 UVG zum Ersatz zu Unrecht ausgezahlter Vorschüsse zu verpflichten, zu bekämpfen. Das Rekursgericht hätte über diesen Beschlussteil daher nicht meritorisch entscheiden dürfen, sondern hätte den Rekurs des Unterhaltsschuldners in diesem Umfang zurückweisen müssen.

[14]            2.2 Nach § 64 Abs 1 AußStrG ist ein Beschluss, mit dem das Rekursgericht einen Beschluss des Gerichts erster Instanz aufgehoben und diesem eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen hat, nur dann anfechtbar, wenn das Rekursgericht ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs zulässig ist. Fehlt ein solcher Ausspruch, ist jegliches Rechtsmittel jedenfalls unzulässig (RIS-Justiz RS0030814 ua). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – ausgesprochen wurde, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof an derartige (hier: in Bezug auf den aufhebenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts irrtümlich getätigte) unzulässige Aussprüche nicht gebunden ist (RS0030814 [T2]). Der Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes war daher nicht in der Lage, den „echten“ Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts im ersten Rechtsgang mit einem Rechtsmittel zu bekämpfen. Zutreffend weist er darauf hin, dass die Überprüfung erst in diesem Rechtsgang erfolgen kann (so zur vergleichbaren Rechtslage nach der ZPO Musger in Fasching/Konecny3 IV/1 § 519 ZPO Rz 100).

[15]            2.3 Der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Erstgerichts im ersten Rechtsgang ist daher aus Anlass des Revisionsrekurses mangels Beschwer im Umfang der Abweisung des Antrags des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes gemäß §§ 22, 23 UVG zum Ersatz zu Unrecht bezahlter Vorschüsse zu verpflichten, zurückzuweisen. Der diesen Antrag betreffende Teil der Entscheidung des Rekursgerichts im ersten Rechtsgang sowie die nur mehr die (solidarische) Rückersatzpflicht des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters des Kindes behandelnden Entscheidungen der Vorinstanzen im zweiten Rechtsgang sind aus Anlass des Revisionsrekurses aufzuheben.

Textnummer

E134472

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00028.21X.0125.000

Im RIS seit

20.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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