TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/18 W287 1310169-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.11.2021
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Entscheidungsdatum

18.11.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W287 1310168-4/17E
W287 1310170-3/15E
W287 1310169-3/16E
W287 1310173-3/15E
W287 1310172-3/19E
W287 1310174-3/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Julia KUSZNIER als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1)        XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK,

2)        XXXX , geb. XXXX , StA. IRAN,

3)        XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK,

4)        XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK,

5)        XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK,

6)        XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK,

vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Spruchpunkte I.-III. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

1)       20.11.2020, Zl. XXXX ,

2)       20.11.2020, Zl. XXXX ,

3)       20.11.2020, Zl. XXXX ,

4)       20.11.2020, Zl. XXXX ,

5)       19.11.2020, Zl XXXX ,

6)       20.11.2020. Zl. XXXX ,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.11.2021 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1), ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise ins Bundesgebiet am 26.09.1991 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Diesem Antrag wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 04.12.1991, Zl XXXX , stattgegeben und festgestellt, dass der BF1 Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes und zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist.

Dem am 06.05.1993 vom BF1 gestellten Erstreckungsantrag wurde gemäß § 4 AsylG 1991 stattgegeben und seiner Ehefrau – der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) – und den damals drei gemeinsamen Kindern – dem Drittbeschwerdeführer (BF3), dem Viertbeschwerdeführer (BF4) und der Fünftbeschwerdeführerin (BF5) – mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 07.05.1993 gemäß § 4 AsylG 1991, BGBl. Nr. 8/1992 Asyl gewährt.

Nach Asylgewährung verlegte die Familie ihren Wohnsitz in die Niederlande, wo sie ebenfalls einen Asylantrag stellte.

2. Am 24.10.1995 wurde das Bundesasylamt vom Bundesministerium für Inneres davon in Kenntnis gesetzt, dass der BF1 des schweren Raubes und der schweren Nötigung verdächtigt wurde, und leitete daraufhin ein Aberkennungsverfahren ein.

3. Mit Bescheid des Bundesasylamts betreffend den BF1 vom 20.08.1996, Zl. XXXX , wurde gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 AsylG 1991 festgestellt, dass der in Artikel 1 Abschnitt C Z 4 der Genfer Konvention genannte Tatbestand eingetreten sei, wodurch der BF1 seinen Flüchtlingsstatus verliere. Die dagegen erhobene Berufung, wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres, Zl. XXXX , vom 09.12.1997 abgewiesen. Mit Bescheiden des Bundesasylamts vom 28.06.1999 wurde auch den BF2-5 der Asylstatus aberkannt.

4. Nach erneuter Einreise in das Bundesgebiet stellten die BF1-5 am 15.03.2005 einen neuerlichen Antrag auf Asyl. Am XXXX wurde der Sechstbeschwerdeführer (BF6) in Österreich geboren, am 24.05.2005 stellte seine gesetzliche Vertreterin für ihn ebenso einen Asylantrag.

5. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 27.01.2006, Zl. XXXX wurde der BF1 des Verbrechens des schweren Raubes für schuldig befunden und zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Am 03.01.2010 wurde der Erstbeschwerdeführer aus der Freiheitsstrafe entlassen, eine Probezeit von drei Jahren verfügt sowie Bewährungshilfe angeordnet.

6. Die Asylanträge der Beschwerdeführer wurde mit Bescheiden des Bundesasylamts vom 08.02.2007, Zlen XXXX und XXXX , gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF1 in den Irak für nicht zulässig erklärt und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Den BF2-5 wurde im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 1997 subsidiärer Schutz im selben Umfang wie dem BF1 gewährt.

Begründend wurde hinsichtlich § 8 Abs 1. AsylG auf die schwierige „Umwälzungsphase“ im Irak und die wirtschaftliche Situation verwiesen, wodurch der BF1 Gefahr liefe, im Irak einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden bzw. die Rückkehr aufgrund der individuellen konkreten Lebensumständen unzumutbar sei.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.09.2014, GZ XXXX gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Die mit genannten Bescheiden den Beschwerdeführern erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte wurden seither regelmäßig verlängert, zuletzt mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

-        27.06.2018, Zl. XXXX bis zum 20.12.2020 (BF1),

-        27.06.2018, Zl. XXXX , bis zum 20.12.2020 (BF2),

-        14.12.2018, Zl. XXXX , bis zum 21.12.2020 (BF3),

-        23.05.2018, Zl XXXX , bis zum 21.12.2020 (BF4),

-        14.12.2018, Zl. XXXX , bis zum 21.12.2020 (BF5),

-        27.06.2018, Zl. XXXX , bis zum 20.12.2020 (BF6).

7. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 22.02.2010, Zl. XXXX wurde dem BF1 gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und ihm die mit Bescheid des BAA vom 08.02.2007, Zl. XXXX , erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet wurde gemäß § 9 Abs. 2 AsylG für unzulässig erklärt.

Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2014, XXXX , stattgegeben und der Bescheid behoben, womit dem BF1 weiterhin der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukam.

Rechtlich wurde darin ausgeführt, dass die belangte Behörde dem BF1 mit dem am 08.02.2007 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf seine Verurteilung im Jahr 2006 aberkannt und dadurch dem zeitlichen Geltungsbereich des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 idF nach der Novelle BGBl. I 122/2009 eine Rückwirkung unterstellt habe, weshalb die Aberkennung des subsidiären Schutzes rechtswidrig erfolgt sei.

8. Mit Schriftsatz vom 04.09.2014 stellte der BF1 für sich und seine betroffenen Angehörigen unter Bezugnahme auf die Bescheide des Bundesasylamts vom 20.08.1996 und des BMI vom 09.12.1997 (vgl. oben), mit denen den Betroffenen der Flüchtlingsstatus aberkannt worden war, Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist samt unter einem erhobenen Beschwerden, Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens, Anträge auf Behebung der Bescheide iSd § 68 Abs. 2 und 3 AVG, Anträge auf Feststellung der absoluten Nichtigkeit der Bescheide und Anträge auf Feststellung der mangelnden rechtskonformen Zustellung der Bescheide.

Diese Anträge wurden mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.10.2014 zurückgewiesen.

9. Am 19.06.2020 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Aberkennungsverfahren gegen die BF1-6 ein.

10. Am 27., 28. und 29.10.2020 wurden die BF1-5 durch das Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Eine Einvernahme des minderjährigen BF6 wurde nicht durchgeführt.

11. Mit im Spruch genannten Bescheiden vom 19. und 20.11.2020 wurde den BF1-6 der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt (Spruchpunkte I.), ihnen die befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkte II.), ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkte III.), die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG als auf Dauer unzulässig erklärt und ihnen gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG 2005 iVm § 55 AsylG 2005 eine Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erteilt (Spruchpunkte IV.).

Begründend wurde hinsichtlich der Aberkennung des subsidiären Schutzes auf die inzwischen verbesserte Lage im Irak, insbesondere in Kirkuk und Sulaymaniyah, verwiesen.

12. Gegen die Spruchpunkte I. bis III. dieser Bescheide richten sich gegenständliche Beschwerden vom 18.12.2020, in denen im Wesentlichen vorgebracht wird, die Lage im Irak hätte sich seit 2018 nicht nachhaltig verbessert, die Sicherheitslage sei weiterhin prekär und habe sich die subjektive Situation der Beschwerdeführer in Bezug auf ihr Heimatland durch die lange Abwesenheit vielmehr verschlechtert, da sie mit dem Stigmata der Verwestlichung konfrontiert wären, was eine Reintegration erschweren würde. Die medizinische Versorgung des BF1 sei im Irak nicht gesichert und habe die Behörde nicht berücksichtigt, dass der BF1 und die BF2 aufgrund ihres Alters schon fast zur Risikogruppe hinsichtlich COVID-19 zählen. Den Beschwerdeführern drohe im Irak eine Unterdrückung aufgrund ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit und sei die Aussage des BF3, dass er vor einem Leben im Irak aufgrund der ehemaligen politischen Tätigkeit seines Vaters Angst habe, nicht berücksichtigt worden. Die Behörde habe die Gründe für die damalige Schutzgewährung nicht ausführlich angeführt und habe sich daher auch nicht ausreichend damit befasste, ob diese noch vorliegen bzw. inwiefern sich die Lage im Irak oder die persönliche Situation der Beschwerdeführer maßgeblich geändert bzw. verbessert haben soll. Im Falle der Beschwerdeführer sei aufgrund des bereits gegen sie erfolgten Angriffs, der Länderberichte und der Situation bei einer Rückkehr von einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der GFK auszugehen. Die von der Behörde herangezogenen Länderberichte seien zudem nicht vollständig, den Beschwerdeführern stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Die Beschwerdeführer beantragten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die ersatzlose Behebung der angefochtenen Bescheide, die Stattgabe der Anträge der Beschwerdeführer auf Verlängerung des Status als subsidiär Schutzberechtigte in eventu, die angefochtenen Bescheide gem. § 28 Abs. 3 VwGVG zu beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde zurückzuverweisen.

14. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes vom 20.12.2020 langte am 30.12.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

15. Die BF5 stellte am 17.01.2021 einen Antrag auf Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Mit Aktenvermerk des Bundesamtes vom 18.01.2020 wurde das Verfahren hinsichtlich dieses Antrages gemäß § 38 AVG bis zur Klärung der Vorfrage – nämlich des gegenständlichen Aberkennungsverfahrens – ausgesetzt.

16. Am 16.11.2021 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu den Personen der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer tragen die im Spruch ersichtlichen Personalien.

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist irakischer Staatsangehöriger und mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2), einer iranischen Staatsangehörigen, verheiratet. Dieser Ehe entstammen die Kinder XXXX , geboren XXXX (BF3), XXXX , geboren XXXX (BF4), XXXX , geboren XXXX (BF5), XXXX , geboren XXXX (inzwischen österreichische Staatsangehörige), und XXXX , geboren XXXX (BF6). Die BF3-6 sind Staatsangehörige des Irak.

Die Beschwerdeführer gehören der kurdischen Volksgruppe an und bekennen sich zum sunnitischen Islam.

Nach der im Jahr 1991 bzw. 1993 erfolgten Asylgewährung in Österreich verließ die Familie das Bundesgebiet und lebte einige Jahre in den Niederlanden. Nach Aberkennung des ihnen in den Niederlanden gleichfalls gewährten Flüchtlingsstatus kehrten sie 2005 nach Österreich zurück, wo sie erneut Anträge auf internationalen Schutz stellten und mit Bescheiden vom 08.02.2007 den Status als subsidiär Schutzberechtigte erhielten. Seither sind sie durchgehend in Österreich wohnhaft.

Die gesamte Familie lebt in Vorarlberg. Die Beschwerdeführer sprechen Kurdisch-Sorani als Muttersprache und zudem Deutsch. Der BF1 spricht zudem Arabisch.

Der BF1 ist im Irak, in der Stadt Kirkuk geboren und aufgewachsen, wo er die Grundschule besuchte, später als Maler, Kraftfahrer und Bauarbeiter arbeitete und mit seiner Ehefrau (BF2) und den gemeinsamen Kindern lebte.

Die BF3-5 verließen den Irak im Kleinkindalter und gingen in Holland und Österreich zur Schule. Der BF6 wurde in Österreich geboren.

Im Irak leben noch zwei Töchter des BF1 (Stieftöchter der BF2, Stiefschwestern der BF3-6) mit ihren Ehemännern sowie jeweils drei Kindern in Sulaymaniyah. Der BF1 steht mit ihnen regelmäßig telefonisch in Kontakt. Die Töchter der BF1 sind nicht berufstätig.

Der BF1 arbeitet durchgehend seit er in Österreich ist, aktuell in einer Kunststofffabrik.

Die BF2 arbeitet seit 8 Jahren als Putzkraft.

Der BF3 hat einen minderjährigen Sohn im Bundesgebiet, der bei seiner Ex-Freundin lebt. Er geht seit mehreren Jahren einer Beschäftigung in einer Transportfirma nach.

Der BF4 absolvierte in Österreich den Hauptschulabschluss und sodann eine Lehre als Friseur. Er arbeitet seit ca 10 Jahren zunächst als Friseur, dann in einem Transportunternehmen. Er hat zwei Kinder.

Die BF5 ist mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und hat zwei Kinder, die ebenfalls österreichische Staatsbürger sind. Sie arbeitet mit wenigen Unterbrechungen seit vielen Jahren zunächst als Friseurin, aktuell als Samstagskraft im Supermarkt.

Der BF6 besuchte bis vor kurzem die Schule in Österreich. Im September 2021 begann er eine Lehre als Maschinenbautechniker. Er ist noch bei seinen Eltern wohnhaft.

Die BF2-6 sind gesund und arbeitsfähig. Der BF1 ist arbeitsfähig, leidet jedoch an Schmerzen, bedingt durch die Fließbandarbeit in der Kunststoffproduktion. Er ist in regelmäßiger medizinischer und physiotherapeutischer Behandlung und benötigt Schmerzmittel.

Der BF1 wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX , GZ XXXX , vom 27.01.2006 (mit Rechtskraft vom 02.08.2006) wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1 und 143 1. Satz, 2. Fall zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt.

Der BF3 wurde im Bundesgebiet siebenmal strafgerichtlich verurteilt:

-        Mit Urteil des LG XXXX vom 24.04.2008, GZ XXXX , nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen;

-        Mit Urteil des BG XXXX vom 17.05.2011, GZ XXXX , nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen;

-        Mit Urteil des BG XXXX vom 14.06.2013, GZ XXXX , nach § 15 StGB iVm § 83 Abs.2 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen;

-        Mit Urteil des LG XXXX vom 30.11.2016, GZ XXXX , nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen;

-        Mit Urteil des BG XXXX vom 10.02.2017, GZ XXXX , nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Wochen;

-        Mit Urteil des BG XXXX vom 03.04.2019, GZ XXXX , nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten;

-        Mit Urteil des BG XXXX vom 17.07.2019, XXXX , nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Monaten.

Die BF2, der BF4, die BF5 und der BF6 sind im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Aberkennungsgründen und zur Situation im Falle einer Rückkehr:

Die Beschwerdeführer waren im Irak keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren der körperlichen Unversehrtheit betreffend ausgesetzt.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 08.02.2007 wurde dem BF1 aufgrund der damals schwierigen Umwälzungslage, der wirtschaftlichen Situation im Irak und der individuellen Lebensumstände subsidiärer Schutz erteilt. Mit Bescheiden vom selben Tag wurde den BF2-6, im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 1997 derselbe Schutz gewährt.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte wurde den Beschwerdeführern zuletzt mit Bescheiden des Bundesamts im Jahr 2018 für weitere zwei Jahre (bis Dezember 2020) verlängert.

Die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, haben sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.02.2007 bzw. seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 27.06.2018 unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF1 sowie der Sicherheits- und Versorgungslage im Irak, insbesondere in Kirkuk, nicht wesentlich verändert oder nachhaltig verbessert.

1.3. Zur allgemeinen Situation betreffend COVID-19:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Mit Stichtag vom 18.11.2021 werden von der World Health Organization (WHO) im Irak 2.070.883 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 23.562 diesbezüglicher Todesfälle bestätigt wurden. Eine von der „Johns Hopkins University“ veröffentliche Statistik vom selben Tag verzeichnet im Irak 2.071.689 bestätigte Fälle sowie 23.580 damit in Zusammenhang stehender Todesfälle.

1.4. Zur relevanten Situation im Herkunftsland:

Zur aktuellen Lage im Irak werden das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 14.05.2020, die EASO Country Guidance Iraq (Jänner 2021), die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak, Lage der Pensionisten vom 25.08.2020, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak, Sicherheits- und Menschenrechtslage in Kirkuk vom 02.04.2020, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak, Kirkuk, Sicherheitslage, Lage von sunnitischen Turkmenen, Lage von Frauen vom 28.04.2021, die Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in Stadt und Provinz Kirkuk (Zeitraum 1. Jänner bis 1. Juli 2021) [a-11629-1] vom 15. Juli 2021 und die Anfragebeantwortung zum Irak: Situation von Kurden in Kirkuk Stadt [a-11629-2] vom 15. Juli 2021 als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.

1.4.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation Irak aus dem COI-CMS, Version 4 (mit letzter Änderung vom 15.10.2021):

COVID-19

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle im Irak empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/countries/irq/, oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Im März und April 2020 verhängte die Regierung in Bagdad Sperren aufgrund von COVID-19, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der Grenzübergänge führten (FH 3.3.2021). Die im föderalen Irak am 9.6.2021 verhängte Ausgangssperre ist noch aktiv. Ausgangssperren gelten zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr und sind von Freitag bis Sonntag zusätzlich verschärft (IOM 18.6.2021).

Im April und Mai 2020 nutzten die Behörden im Irak die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).

Nutzer sozialer Medien und Blogger wurden mit Verleumdungsklagen konfrontiert, weil sie die schlechte Reaktion der lokalen Behörden auf die COVID-19-Pandemie kritisierten (FH 3.3.2021).

Auswirkungen auf die Religionsfreiheit

Die Hadsch- und Umrah-Behörde registriert keinen Bürger, der die Umrah- und Hadsch-Pilgerreise antreten möchte, wenn dieser keinen Impfnachweis vorweisen kann (GoI 13.4.2021).

Auswirkungen auf die Wirtschaftslage

Die von den irakischen Behörden und der kurdischen Regionalregierung (KRG) verhängten Abriegelungen verschlimmerten die finanziellen Nöte von Niedriglohnarbeitern und Kleinunternehmern (FH 3.3.2021). Die Erwerbsbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten in der Welt. Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich verringert und die Löhne gesenkt. Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) wurde aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen ab April 2020 ein durchschnittlicher Beschäftigungsrückgang von 40% verzeichnet. Am stärksten betroffen waren KMUs im Baugewerbe und in der verarbeitenden Industrie, mit einem Verlust von 52% der Arbeitsplätze, gefolgt vom Lebensmittel- und Agrarsektor, mit einem Verlust von 45% der Arbeitsplätze (IOM 18.6.2021).

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise haben staatliche Angestellte im gesamten Land keine regelmäßige und volle Gehaltsauszahlung erhalten (GIZ 1.2021b). Die irakische Regierung hat Schwierigkeiten, die Löhne und Gehälter der sechs Millionen im öffentlichen Sektor Angestellten zu zahlen. Millionen Menschen, die im privaten und informellen Sektor gearbeitet haben, haben ihren Arbeitsplatz und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe leben im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 USD pro Tag (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf die medizinische Versorgung

Die COVID-19-Pandemie hat das ohnehin schon marode irakische Gesundheitswesen stark in Mitleidenschaft gezogen, das mit der großen Zahl von Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben, nur schwer zurechtkommt (FH 3.3.2021).

Anfang 2020, zu Beginn der COVID-19-Krise, pausierten die Gesundheitseinrichtungen die meisten Dienstleistungen und konzentrierten sich auf die Erforschung des Virus und seine Auswirkungen. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und seine Dienste wieder auf, mit zusätzlichen Vorschriften wie z. B., dass Krankenhäuser nur nach Terminvereinbarung aufgesucht werden dürfen, strengere Hygienemaßnahmen, und dass medizinisches Personal im Rotationsverfahren eingesetzt wird, was längere Wartezeiten zur Folge hat (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2021 arbeiteten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor fast wieder auf normalem Niveau, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 auf Anweisung des irakischen Gesundheitsministeriums (MoH) (IOM 18.6.2021).

Eine Umfrage deutet darauf hin, dass im Jahr 2020, infolge der COVID-Krise, die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20% ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, stark auf 38% gestiegen ist (gegenüber 7% im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf den Bildungszugang

Als Sofortmaßnahme gegen die COVID-19-Pandemie hat das Bundesbildungsministerium Ende Februar 2020 alle Schulen im Irak schließen lassen (UNICEF 20.1.2021). Die Schulen waren von März bis November 2020 geschlossen. Kinder ohne Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten, insbesondere Kinder von Vertriebenen und in Armut lebenden Familien, sind besonders vom Bildungsverlust betroffen. Besonders hart betroffen sind jene Kinder, die bereits vor der Pandemie durch das Leben unter IS-Herrschaft mehrere Jahre an Bildungszugang verloren haben (HRW 13.1.2021). Ende November 2020 wurden die Schulen wieder geöffnet, mit einem Tag Präsenzunterricht pro Woche für jede Klasse (UNICEF 20.2.2021).

Kurdische Region im Irak (KRI)

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Die in der KRI eingeführten Maßnahmen unterscheiden sich von denen im föderalen Irak (IOM 18.6.2021).

Im März und April 2020 verhängte auch die Kurdische Regionalregierung (KRG) aufgrund von COVID-19 Abriegelungen, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der internationalen Grenzen führten. Die KRG verhängte besonders harte und lange Abriegelungen im Laufe des Jahres 2020: die erste von März bis Mitte Mai, eine weitere Anfang Juni und eine weitere Anfang Juli (FH 3.3.2021).

Personen, die in die KRI zurückkehren, müssen unter Quarantäne gestellt werden. Bei Nichteinhaltung der Vorschriften wird eine Geldstrafe von einer Million Dinar [559,59 EUR] verhängt. Wird eine Person positiv getestet und hat andere infiziert, so hat sie die gesamten Behandlungskosten zu tragen und es können zusätzliche rechtliche Schritte gegen sie eingeleitet werden (Gov.KRD 30.6.2021).

Alle gesellschaftlichen Versammlungen und Feiern sind seit dem 30.3.2021 bis auf Weiteres verboten. Jede Lokalität, die bei einem Verstoß gegen diese Regeln erwischt wird, wird für zehn Tage geschlossen und der Besitzer muss eine Geldstrafe von 1.000.000 IQD [559,59 Euro] zahlen. Restaurants und Cafés sollen ihre Dienstleistungen im Freien anbieten. Falls kein Platz im Freien zur Verfügung steht, muss die Anzahl der Gäste im Inneren begrenzt werden, Fenster und Türen müssen immer offen gehalten werden, und die Tische sollten in einem sozial sicheren Abstand zueinander stehen (nicht weniger als 2 Meter). Alle öffentlichen Räume, wie z. B. Märkte, Restaurants und Geschäfte, dürfen nicht ohne Masken betreten werden (IOM 18.6.2021). Für die Einwohner der KRI gilt Maskenpflicht und eine Abstandsregel von 1,5 Metern. Personen, die in öffentlichen Innenräumen keine Maske tragen, droht eine Geldstrafe von 20.000 Dinar (Gov.KRD 30.6.2021).

Im April und Mai nutzten besonders die Behörden in der Region Kurdistan, die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).

Jede Bewegung ist innerhalb der KRI möglich und der Handel zwischen den Provinzen und autonomen Verwaltungen der Region geht weiter (IOM 18.6.2021). Reisen zwischen der Region Kurdistan und irakischen Provinzen sind hingegen weiterhin verboten. Eine Reiseausnahme wird für folgende Personen erteilt, die zwischen der Region Kurdistan und den irakischen Provinzen reisen, wenn sie ein gültiges COVID-19 PCR-Testergebnis an den entsprechenden Kontrollpunkten vorlegen: Mitarbeiter von Einrichtungen der Vereinten Nationen Organisationen, der Koalitionsstreitkräfte, Diplomaten und offizielle Delegationen; Einwohner der Region Kurdistan, die aus anderen Provinzen des Iraks zurückkehren; Patienten, die dringend medizinische Versorgung in der Region Kurdistan benötigen (Gov.KRD 30.6.2021; vgl. IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf die Religionsfreiheit

Moscheen, Kirchen und andere Gebetsstätten sind offen und dürfen unter strengen Richtlinien Pflichtgebete abhalten (Gov.KRD 30.6.2021; vgl. IOM 18.6.2021). Alle Angestellten müssen sich entweder impfen lassen oder alle 72 Stunden einen COVID-Test durchführen. Einrichtungen, die sich nicht an die Vorgaben halten, werden geschlossen (Gov.KRD 30.6.2021).

Begräbnisfeiern mit Gästen sind verboten. Verstöße werden mit einer Geldstrafe von 2.000.000 irakischen Dinar geahndet (Gov.KRD 30.6.2021).

Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit

Das Verbreiten von Desinformation in den sozialen Medien ist gerichtlich strafbar (Gov.KRD 30.6.2021).

Auswirkungen auf die medizinische Versorgung

Einer Studie zufolge hatte die Mehrheit der Binnenvertriebenen (IDPs) und Rückkehrer in der KRI im Berichtszeitraum von Juli bis September 2020 Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf den Bildungszugang

In der KRI wurden die Schulen im März 2020 bis zum Ende des Schuljahres geschlossen (HRW 13.1.2021).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den sog. Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen (AA 22.1.2021). Der sog. IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig. Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 22.1.2021). Die Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 22.1.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den sog. IS (UNSC 30.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter Volksmobiliserungskräfte (PMF) sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 22.1.2021).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut der Türkei gegen die PKK gerichtet sind, und die Türkei unterhält temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vgl. Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den sog. IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). - Jene Sicherheitslücken werden vom sog. IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der sog. IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

ISLAMISCHER STAAT (IS)

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vgl. MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021).

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Der verstärkte Einsatz von mobilen Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat (Anm.: Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der Popular Mobilization Forces (PMF), Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal Afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vgl. CISAC 2021). Dem neuen Kalifen sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020). Ende Jänner 2021 wurde der Wali [Anm.: Gouverneur] für den Irak Jabbar Salman Ali Farhan al-Issawi, bekannt als Abu Yasser, in einer Operation als Vergeltung für den IS-Bombenanschlag in Bagdad vom 21.1.2021 im Süden Kirkuks getötet (WIng 4.2.2021; vgl. Al-Monitor 1.3.2021, VOA 7.2.2021). Abu Yasser hatte Berichten zufolge seit 2017 den IS-Aufstand im Irak angeführt (VOA 7.2.2021).

SICHERHEITSRELEVANTE VORFÄLLE, OPFERZAHLEN

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem sog. Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im dritten Quartal 2020, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im dritten Quartal 2020, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 25.3.2021).

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Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Juli 2021 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 8.2021).

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Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Jahr 2020 902 zivile Todesopfer. Im Jahr 2021 wurden bis Juli 2021 bisher 417 zivile Todesopfer verzeichnet. Bis auf die Monate April und Juli waren es jeweils weniger als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres (IBC 8.2021).

[…]

SICHERHEITSLAGE NORD- UND ZENTRALIRAK

Die Aktivitäten des sogenannten Islamischen Staates (IS) nehmen in vielen Gebieten der Gouvernements Salah ad-Din, Kirkuk, Anbar und Ninewa zu, vor allem in abgelegenen Gegenden der zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der irakischen Bundesregierung "umstrittenen Gebiete". IS-Kämpfer wenden "Hit-and-Run"-Taktiken an und verüben Entführungen und Erschießungen in diesen Gebieten (K24 3.7.2021). Der IS infiltriert bereits seit Jahren die Sicherheitslücken, die sich zwischen den irakischen und kurdischen Sicherheitskräften in den umstrittenen Gebieten gebildet haben (JP 1.5.2021).

Die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din sind, ebenso wie viele südirakische Gouvernements von Anschlägen mit Sprengfallen (IEDs) durch schiitische Milizen (PMF) betroffen, die gegen militärische Versorgungskonvois der USA gerichtet sind. Die Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021).

In den umstrittenen Gebieten gibt es große Sicherheitslücken zwischen den Sicherheitskräften Bagdads und Erbils, die in den nördlichen Gebieten bis zu 60 km und in Diyala um die 40 km breit sind. Diese territorialen Sicherheitslücken haben sich zu sicheren Zufluchtsorten für den sog. IS entwickelt, von wo aus die Kämpfer Anschläge gegen irakische Streitkräfte und kurdische Peshmerga in den Gebieten von Ninewa, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk verüben (EPC 13.7.2021).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil umstrittenen Gebieten handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel, der zwischen dem arabischen und kurdischen Teil des Irak liegt, und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (ICG 14.12.2018). Die umstrittenen Gebiete umfassen Territorien in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya und Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom sog. IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die umstrittenen Gebiete umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (ICG 14.12.2018).

In dem Bemühen, die zunehmenden Aktivitäten des sog. IS in den Sicherheitslücken einzudämmen, richten die kurdische Regionalregierung (KRG) und die irakische Bundesregierung gemeinsame Koordinationszentren ein (Al Monitor 26.5.2021). Ein Abkommen zwischen Bagdad und Erbil soll die Wiederherstellung der gemeinsamen militärischen Verwaltung dieser Gebiete und die Rückkehr der kurdischen Peschmerga in diese Gebiete, insbesondere in Kirkuk und einigen Teilen von Diyala, mit sich bringen (EPC 13.7.2021).

[…]

Gouvernement Kirkuk

Das Gouvernement Kirkuk gehört neben Salah ad-Din zu den Schwerpunkten des sog. Islamischen Staates (IS) (Wing 2.8.2021). Der IS reorganisiert sich in den umstrittenen Gebieten des Gouvernements Kirkuk. Kleine Gruppen von IS-Kämpfern attackieren Kontrollpunkte von Militär und Polizei, ermorden lokale Anführer und greifen das Elektrizitätsnetz und die Erdöl-Anlagen an. Die hügeligen und gebirgigen Gebiete des Zentralirak bieten dabei einen perfekten Rückzugsort (K24 12.7.2021). Da der Süden Kirkuks nie vollständig von IS-Kämpfern befreit wurde, finden hier auch üblicherweise die meisten Gewalttaten des IS statt (Joel Wing 3.5.2021).

Im Februar 2021 wurden in Kirkuk acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 20 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten handelt es sich um einen Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden in Kirkuk 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit fünf Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Es befanden sich keine Zivilisten unter den Opfern (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden in Kirkuk 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 24 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten handelt es sich um einen Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 20 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 19 Toten und 34 Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle und ein Verletzter waren Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle waren Zivilisten (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und vier der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 20 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und neun der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021).

[…]

Minderheiten

Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80% Araber, 15-20% Kurden und etwa 5%, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).

Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 22.1.2021).

Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 22.1.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 3.3.2021). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 30.3.2021).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt (AA 22.1.2021).

Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 22.1.2021).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 22.1.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 12.5.2021). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und vor allem der schiitischen Milizen (AA 22.1.2021).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI sogenannten "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 22.1.2021).

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Anmerkung zu beiden Karten:

Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können Hunderttausende Iraker, die vom IS vertrieben wurden nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 3.3.2021).

KURDEN

Schätzungen zufolge sind 15-20% der irakischen Bevölkerung Kurden, die mehrheitlich im Nordosten des Irak leben. Die Kurden in der Kurdischen Region im Irak (KRI) bekennen sich überwiegend als Sunniten. Aber es gibt unter ihnen auch neuzeitliche Zoroastrier und Jesiden. Die meisten Kurden Bagdads fühlen sich einem schiitischen Religionszweig verbunden: dem des Faili-Schiitentums (GIZ 1.2021c).

Auch Kurden sind von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen betroffen, wenn sie außerhalb der KRI leben. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum von 2017 hat die zentral-irakische Armee die zwischen der KRI und der Zentralregierung sogenannten "umstrittenen Gebiete" größtenteils wieder unter die Kontrolle Bagdads gebracht. Das Verhältnis zwischen Kurden und Arabern in den Gebieten ist generell angespannt (AA 22.1.2021).

Es gibt Berichte über willkürliche Festnahmen von Kurden, insbesondere in Ninewa, durch mit dem Iran verbündete PMF-Milizen (USDOS 30.3.2021). Kurden beklagen Landraub und Vertreibung (Rudaw 9.12.2020; vgl. AA 22.1.2021). So gibt es immer wieder Meldungen über Landstreitigkeiten zwischen Kurden und Arabern, insbesondere im Gouvernement Kirkuk (Rudaw 9.12.2020). Im Dezember 2020 wurden beispielsweise die kurdischen Einwohner des Dorfes Palkana im Gouvernement Kirkuk gezwungen ihre Häuser zu verlassen (USDOS 30.3.2021; vgl. K24 15.12.2020, Rudaw 9.12.2020). Ein Kontingent bestehend aus Angehörigen der Irakischen Armee, der PMF und der Bundespolizei hat das Dorf gestürmt und unter unter Androhung von Haft und Gewalt von den kurdischen Einwohnern die Räumung ihrer Häuser verlangt (K24 15.12.2020, Rudaw 9.12.2020). Personen die sich weigerten wurden festgenommen (Rudaw 9.12.2020). Zu Hilfe gerufene lokale Polizei hat nicht eingegriffen (USDOS 30.3.2021).

Relevante Bevölkerungsgruppen

FRAUEN

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament verankert. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30% (AA 22.1.2021; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021). Diese formale Repräsentation hat geringe Auswirkungen auf die staatliche Politik gegenüber Frauen, die von politischen Debatten und Führungspositionen üblicherweise ausgeschlossen sind (FH 3.3.2021).

Frauen sind im Alltag Diskriminierung ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben einschränkt. Sie werden selten in Entscheidungspositionen und andere einflussreiche Positionen ernan

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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