TE OGH 2021/9/29 7Ob113/21z

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Veröffentlicht am 29.09.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Stefula und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** G*****, vertreten durch Koch Jilek Rechtsanwälte Partnerschaft (OG) in Bruck an der Mur, gegen die beklagten Parteien 1. I***** AG und 2. I***** GmbH, *****, beide vertreten durch die Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenienten 1. S***** Ltd – Zweigniederlassung Deutschland, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien und 2. V***** AG, *****, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 8. April 2021, GZ 2 R 28/21g-45, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 29. Dezember 2020, GZ 2 Cg 68/19a-37, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

[1]       Die Beklagten entwickelten und vertrieben das Pensionsvorsorgemodell „L*****“ (im Folgenden LCSP-Modell, Pensionsvorsorgemodell oder Anlagemodell), das aus einer Kombination von Versicherungen und einer Finanzierung bestand. Das Modell sah vor, dass der Anleger mit einem geringen Eigenkapitaleinsatz unter Ausnützung von steuerlichen Absetzmöglichkeiten nach 15 Jahren eine Zusatzrente erzielt. Der behauptete Steuervorteil bestand in der sofortigen Abzugsfähigkeit von Kreditzinsen, sonstigen Finanzierungskosten sowie allfälligen Beratungskosten (Provisionen) und wurde auf ein Gutachten der K***** GmbH vom September 2000 gestützt. Dieses kam unter anderem zum Ergebnis, dass nach der Prognoserechnung im Garantiezeitraum ein Gesamtüberschuss der Einnahmen über die Werbungskosten erzielt werde, weshalb hinsichtlich der Rentenversicherung nicht von Liebhaberei auszugehen sei. Der behauptete Steuervorteil hatte Auswirkungen auf die Gesamtrentabilität des Pensionsvorsorgemodells. Die einzelnen Bausteine des Konzepts sind voneinander abhängig, sodass die Verschiebung eines Parameters (zB Zinsen, Ablaufleistung) zwangsweise auch zur Veränderung anderer Parameter führt.

[2]        Der Kläger zeichnete im Jahr 2002 dieses Anlagemodell. Dazu schloss er eine unkündbare lebenslange Rentenversicherung bei der W***** AG ab, deren Einmalprämie von 400.000 EUR mit einem endfälligen (Fremdwährungs-)Kredit bei der Zweitnebenintervenientin mit einer Laufzeit von 15 Jahren finanziert wurde. Die Kreditsumme belief sich auf 424.000 EUR und wurde in Schweizer Franken (CHF) ausgenutzt. Als Tilgungsträger diente eine Erlebensversicherung bei der Erstnebenintervenientin mit einer Laufzeit von ebenfalls 15 Jahren. Aus der Rentenversicherung wurden gleich nach Abschluss monatlich 1.940 EUR auf das Abwicklungskonto des Klägers ausbezahlt. Zusätzlich zahlte der Kläger eine monatliche Eigenleistung von 400 EUR auf dieses Konto ein. Die monatliche Bruttoprämie der Lebensversicherung des Tilgungsträgers von 1.340 EUR sowie die von der Zweitnebenintervenientin quartalsmäßig vorgeschriebenen Kreditzinsen wurden vom Abwicklungskonto eingezogen.

[3]       Der Kläger ging bei Vertragsabschluss davon aus, dass er nach dem Ende der Laufzeit des Kredits eine lebenslange monatliche Rente von 1.940 EUR bekommen würde. Für ihn war wesentlich, dass er nach 15 Jahren eine Rente von fast 2.000 EUR bekommen würde, ohne dabei Kosten zu haben. Der behauptete Steuervorteil des Pensionsvorsorgemodells war ihm besonders wichtig.

[4]       Im Oktober/November 2002 erhielt der Kläger von der Erstbeklagten neben weiteren Unterlagen eine Polizze der W***** AG, die unter anderem folgende Information enthielt:

monatliche Rente

vertraglich: EUR 1.239,08

Bonusrente: EUR 701,02

Gesamtrente: EUR 1,940,10“

[5]       Nach Vertragsabschluss erhielt der Kläger von der Zweitnebenintervenientin laufend Kontoauszüge über den Stand des Fremdwährungskredits. Aus diesen Kontoauszügen konnte er erkennen, dass sich die Kreditverbindlichkeiten im Vergleich zum Ausgangssaldo erhöht hatten. Auch die Erstnebenintervenientin schickte dem Kläger Jahresinformationen mit ab 2004 sinkenden Beträgen zur Wertentwicklung ihres Versicherungsvertrags.

[6]       Am 23. Dezember 2009 schickte die W***** AG dem Kläger ein Schreiben mit auszugsweise folgendem Inhalt:

„Sehr geehrter Kunde!

Im Zuge der Finanzkrise sind die Zinsen am Kapitalmarkt massiv gesunken. [...]

Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Entwicklung der allgemeinen Zinslandschaft war es für das Jahr 2010 notwendig, eine Gesamtverzinsung und damit auch einen Bonusrentenzinssatz von 3,25 Prozent zu beschließen. Die Gesamtrente, die Sie derzeit von uns erhalten, beruht auf einem Bonusrentenzinssatz von 4,50 Prozent.

Gemäß der Ihrem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen werden daher ihre Bonusrentenanteile [...] gekürzt.

Ihre Gesamtrente setzt sich daher für das Jahr 2010 wie folgt zusammen:

Monatliche Gesamtrente ab 01. 01. 2010:

Rente (garantiert): EUR 1.239,08

Gewinnrente inkl. gekürzter Bonusrente:

                                             EUR 143,02

Gesamtrente:           EUR 1.382,10.“

[7]       Auf dieses Schreiben hin besprach sich der Kläger mit seinem Steuerberater. Er beabsichtigte Klage zu erheben, weil sich seine Rente reduziert hatte. Der Steuerberater teilte ihm jedoch mit, dass die Sache wegen Verjährung der Ansprüche aussichtslos sei. Der Kläger erkannte zu diesem Zeitpunkt, dass er infolge des Bankencrashs nach 15 Jahren keine Rente zur Verfügung haben werde, sondern diese zur Tilgung des Fremdwährungskredits verwenden wird müssen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war dem Kläger klar, dass das Gesamtkonzept des Pensionsvorsorgemodells der Beklagten nicht mehr seinen Erwartungen entsprach und sich nicht so entwickelte wie angenommen. Ihm waren auch die Kursverluste seines Fremdwährungskredits bewusst. So war ihm insbesondere im Juli 2015 ein Währungsverlust von 160.000 EUR bekannt. Außerdem war dem Kläger bewusst, dass dieser Kursverlust noch ansteigen wird.

[8]       Am 24. März 2017 fand beim Kläger eine Außenprüfung des Finanzamts statt, bei der festgestellt wurde, dass die Verluste aus dem LCSP-Modell im Zeitraum 2010 bis 2014 nicht anzuerkennen seien. Der Grund dafür war, dass die Leistungen aus dem Rentenmodell als Liebhaberei angesehen wurden.

[9]       Der Kläger begehrt mit seiner am 5. November 2019 eingebrachten Klage die Feststellung, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, ihm für alle Schäden zu haften, welche ihm durch die Zeichnung des LCSP-Modells, der damit verbundenen Aufnahme des Fremdwährungskredits bei der Zweitnebenintervenientin, sowie durch den Abschluss der Rentenversicherung bei der W***** AG und der Lebensversicherung bei der Erstnebenintervenientin entstanden seien oder noch entstünden. Der Kläger sei von den Beklagten über die Höhe der garantierten Rentenzahlungen, seine statistische Lebenserwartung, die Ablaufleistung des Tilgungsträgers sowie die steuerliche Beurteilung des Pensionsvorsorgemodells arglistig in die Irre geführt worden. Darüber hinaus hätten die Beklagten sowohl bei der Konzeption als auch bei der daran anschließenden Vermittlung des LCSP-Modells samt der dazugehörigen Bausteine der Produktpartner an den Kläger rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, weshalb diese auch zum Ersatz sämtlicher dem Kläger aufgrund der Veranlagung entstandenen und noch zu entstehenden Schäden verpflichtet seien. Der damalige Vorstand und Geschäftsführer der Beklagten habe sogar mit dem Vorsatz, deren unrechtmäßige Bereicherung herbeizuführen, den Kläger durch Täuschung über Tatsachen zur Zeichnung deren Pensionsvorsorgemodells verleitet, was den Kläger in einem 5.000 EUR übersteigenden Betrag an seinem Vermögen geschädigt habe. Schon deshalb sei der Anspruch des Klägers auch nicht verjährt. Im Übrigen habe er Schaden, Schädiger sowie den maßgeblichen Ursachenzusammenhang erst durch die rechtliche Beratung des Klagevertreters im März 2019 erkannt. Im Hinblick auf die gravierenden Verstöße der Beklagten gegen § 18b Abs 1 Z 1 und Z 3 VAG verstoße der Einwand der Verjährung letztlich auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und stelle überdies eine „unionsrechtlich verpönte Berufung auf Rechtssicherheit“ dar.

[10]           Die Beklagten sowie die Nebenintervenienten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten unter anderem Verjährung ein.

[11]           Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe spätestens im Jahr 2009 gewusst, dass das Gesamtkonzept des Pensionsvorsorgemodells nicht seinen Erwartungen entsprochen habe. Die Frage, ob die Leistungen aus der Rentenversicherung als Liebhaberei zu qualifizieren seien, sei als unselbständiger Bestandteil eines einheitlichen Beratungsfehlers zu werten, sodass die dreijährige Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche bei Klagseinbringung bereits abgelaufen sei. Der Kläger berufe sich zwar auch auf eine qualifiziert strafbare Handlung des damaligen Vorstands und Geschäftsführers iSd § 1489 ABGB. Allerdings komme die 30-jährige Verjährungsfrist nur für Ersatzansprüche gegen das Organ selbst, nicht aber auch für jene gegen die Gesellschaft zur Anwendung. § 18b VAG in der anwendbaren Fassung sei auf Versicherungsvermittler nicht anwendbar und daher nicht einschlägig. Da der Kläger kein Rücktrittsrecht geltend mache, seien die vom Kläger aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen nicht relevant.

[12]           Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Dem Kläger sei schon im Jahr 2009 der Eintritt des Primärschadens klar gewesen, weil sich die Rentenhöhe entgegen seinen Erwartungen nicht als garantiert erwiesen habe. Die gegen das Neuerungsverbot verstoßende Behauptung, erst die Steuerproblematik habe dem Kläger die Möglichkeit einer erfolgversprechenden Klagsführung eröffnet, sei auch inhaltlich nicht begründet. Die spezifischen Risiken des LCSP-Modells stünden nämlich nach der Interessenlage eines durchschnittlichen Anlegers in einem derart engen Zusammenhang, dass die unterbliebene oder fehlerhafte Aufklärung über die einzelnen Teilaspekte verjährungsrechtlich jeweils als unselbständige Bestandteile eines einheitlichen Beratungsfehlers zu qualifizieren seien. Auch Schäden aus einer allfälligen mangelhaften steuerrechtlichen Beratung seien daher verjährt, weil der Kläger das Gesamtmodell bereits im Jahr 2009 als gescheitert angesehen habe. Für Schadenersatzansprüche aus listiger Irreführung gelte ebenfalls die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB. Auch im Fall einer qualifiziert strafbaren Handlung eines Organs verjähre der Anspruch gegen die juristische Person in drei Jahren. Der Einwand der Verjährung verstoße letztlich weder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben noch stelle dieser eine unionsrechtlich verpönte Berufung auf Rechtssicherheit dar.

[13]           Die Revision sei zulässig, weil die Frage, ob gegen die juristische Person Ansprüche in drei Jahren verjähren, wenn Verantwortungsträger qualifiziert strafbare Handlungen iSd § 1489 ABGB zu verantworten hätten, vom Höchstgericht noch nicht abschließend geklärt sei.

[14]           Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[15]           Die Beklagten und die Nebenintervenienten beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[16]     Die Revision ist zulässig. Sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[17]     1. Gemäß § 1489 Satz 1 ABGB ist jede Entschädigungsklage in drei Jahren von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schaden und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde.

[18]     1.1. Zum Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt: Die kurze Verjährungsfrist wird durch die Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen sowie des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und dem schadensstiftenden Verhalten in Gang gesetzt (RS0034374 [auch T4]). Diese Kenntnis muss den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kausalität zwischen Schaden und einem bestimmten Verhalten des Schädigers und jene Umstände, aus denen sich ein Verschulden des Schädigers ableiten lässt (RS0034951 [T7]). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten dabei nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, eine Klage mit Aussicht auf Erfolg zu führen (RS0034366; RS0034524; RS0034366 [T19]).

[19]     1.2. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist für die Frage der Verjährung von Ansprüchen aus Beratungsfehlern bei Veranlagungs- und/oder Finanzierungskonzepten, die eine Kombination von Fremdwährungskrediten mit Tilgungsträgern vorsehen, entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt, dass das Gesamtkonzept entgegen den Zusicherungen nicht oder nicht im zugesagten Ausmaß risikolos ist (RS0034951 [T38]; RS0087615 [T9, T10, T11]). Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist also die Kenntnis der Risikoträchtigkeit des gesamten Modells. Die spezifischen Gefahren, die diese Risikoträchtigkeit bedingen (Wechselkurs, Zinsentwicklung, Entwicklung des Tilgungsträgers), stehen nach der Interessenlage des durchschnittlichen Anlegers in einem derart engen Zusammenhang, dass die unterbliebene oder fehlerhafte Aufklärung über einzelne Teilaspekte verjährungsrechtlich jeweils als unselbständiger Bestandteil eines einheitlichen Beratungsfehlers zu qualifizieren ist (vgl RS0034951 [T39]; 4 Ob 155/20b). Zu welchem Zeitpunkt der Kläger konkret Kenntnis vom Primärschaden erlangte, hängt ebenso von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0113916; 4 Ob 155/20b) wie die Frage, wann er diese Kenntnis bei gebotenen Nachforschungen erlangt hätte (RS0034327 [T20, T23, T25]).

[20]     1.3. Auch beim LCSP-Modell handelt es sich um ein Veranlagungs- und Finanzierungskonzept, das eine Kombination von einem Fremdwährungskredit mit einem Tilgungsträger vorsieht. Dieses war bereits mehrmals Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs. Demnach ist dieses Anlagemodell als Gesamtkonzept zu qualifizieren. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist daher die Kenntnis der Risikoträchtigkeit des gesamten Modells (vgl 8 Ob 46/18z; 3 Ob 82/18g; 1 Ob 153/18h; 1 Ob 51/20m; 7 Ob 56/20s).

[21]     1.4. Im vorliegenden Fall war dem Kläger bereits Ende des Jahres 2009 klar, dass das Gesamtmodell – zu dem nach den Feststellungen auch der behauptete Steuervorteil als wesentlicher Baustein gehörte, weil auch dieser Einfluss auf die Gesamtrentabilität hatte – nicht seinen Vorstellungen entsprach. Er erkannte schon zu diesem Zeitpunkt, dass er nach Ende der Laufzeit keine Zusatzrente zu seiner freien Verfügung haben wird, sondern diese zur Tilgung des Fremdwährungskredits verwenden wird müssen, weshalb er auch schon damals eine Klage erheben wollte. Die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach eine allfällige mangelhafte Beratung in steuerrechtlicher Hinsicht als unselbständiger Bestandteil eines einheitlichen Beratungsfehlers zu qualifizieren und daher die dreijährige Verjährungsfrist in Bezug auf den gesamten Klageanspruch bei Klagseinbringung bereits abgelaufen sei, entspricht der Judikatur. Es ist für die Frage des Beginns der Verjährung unerheblich, ob das Gericht bezüglich einzelner unselbständiger Bestandteile des als einheitlich anzusehenden Beratungsfehlers eine Fehlberatung verneint.

[22]     1.5. Soweit die Revision geltend macht, die Annahme einer „kenntnisunabhängigen dreijährigen Verjährungsfrist“ sei eine „europarechtlich verpönte Berufung auf Rechtssicherheit“, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab, steht doch fest, dass der Kläger die Untauglichkeit des Anlagemodells der Beklagten in seiner Gesamtheit bereits Ende des Jahres 2009 erkannt hatte. In diesem Punkt ist die Revision daher nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043312 [T12, T14]).

[23]     1.6. Zusammengefasst ist das Klagebegehren unter Heranziehung der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB somit verjährt.

[24]     2. Der Kläger beruft sich jedoch ausdrücklich auch auf eine qualifiziert strafbare Handlung des damaligen Vorstands und Geschäftsführers der Beklagten, weshalb die lange Verjährungsfrist des § 1489 zweiter Satz Fall 2 ABGB anzuwenden und daher sein Anspruch nicht verjährt sei.

[25]     2.1. Gemäß § 1489 zweiter Satz Fall 2 ABGB erlischt das Klagerecht erst in 30 Jahren, wenn der Schaden aus einer oder mehreren gerichtlich strafbaren Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, entstanden ist.

[26]     2.2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 6 Ob 239/20w zur Rechtsfrage, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen § 1489 zweiter Satz Fall 2 ABGB neben Ersatzansprüchen gegen den Straftäter selbst auch auf solche gegen juristische Personen anwendbar ist, die für das strafbare Verhalten ihrer Organe und Mitarbeiter einzustehen haben, unter Auseinandersetzung mit Judikatur und Literatur Stellung genommen. Er kam unter Bezugnahme auf das am 1. Jänner 2006 in Kraft getretene VbVG zusammengefasst zum Ergebnis, dass die lange Verjährungsfrist auch auf juristische Personen anwendbar sei, wenn sie als Verband im Sinne des § 1 Abs 2 VbVG für eine qualifizierte Straftat selbst gemäß § 3 VbVG strafrechtlich verantwortlich seien.

[27]           2.3. Nach der Rechtsprechung ist der Beginn des Ablaufs der 30-jährigen Verjährungsfrist unabhängig davon, wann der Schaden selbst eingetreten ist sowie ob und wann der Geschädigte davon Kenntnis erlangt hat (RS0034502). Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt daher bereits von dem Zeitpunkt an zu laufen, zu dem die den Schaden herbeiführende Handlung begangen wurde, mag der Eintritt des Schadens auch später erfolgt sein (vgl 4 Ob 178/20k mwN). Da hier der Vertragsschluss bereits im Jahr 2002 erfolgte, wurde die den Schaden herbeiführende Handlung bereits in diesem Jahr begangen. Das Ereignis liegt daher vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des VbVG.

[28]     2.4. Bereits in der zitierten Entscheidung 6 Ob 239/20w hat sich der Oberste Gerichtshof auch mit der Rechtslage vor Inkrafttreten des VbVG befasst, ohne diese jedoch abschließend zu klären.

[29]     2.5. Nunmehr hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 92/21d auch zu dieser Rechtsfrage Folgendes ausgesprochen: Wenn ein Organ einer juristischen Person einen Dritten durch eine qualifiziert strafbare Handlung im Sinn des § 1489 ABGB schädigt, verjährt der Anspruch gegen die juristische Person erst in 30 Jahren. Dies gilt, wenn die den Schaden herbeiführende Handlung vor Inkrafttreten des VbVG gesetzt wurde jedenfalls dann, wenn der wirtschaftliche Erfolg der strafbaren Handlung im Vermögen der juristischen Person eintrat oder eintreten sollte. Die tragende Begründung dieser Entscheidung lässt sich dahin zusammenfassen, dass es beim Handeln eines Organs für die juristische Person – anders als bei der Haftung für Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313a ABGB oder für Repräsentanten – nicht um das Einstehen-Müssen für fremdes Verhalten gehe. Vielmehr gehe es beim Handeln von Organen für juristische Personen um Eigenhandeln der juristischen Personen selbst. Darüber hinaus liege gerade bei schwerem oder gewerbsmäßigem Betrug durch Organe einer juristischen Person der wirtschaftliche Ertrag aus der Betrugshandlung häufig nicht im Privatvermögen der Organe, sondern im Vermögen der juristischen Personen selbst.

[30]           2.6. Der erkennende Senat schließt sich dieser Argumentation an. Der gegen diese Rechtsansicht in der Revisionsbeantwortung vorgetragene Einwand, wonach die lange Verjährung aufgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots nur für solche Straftaten gelten könne, die nach dem Inkrafttreten des VbVG begangen worden seien (Vollmaier, Zum Anwendungsbereich der langen Verjährung nach § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB, VbR 2013, 43 [47]; R. Madl in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1489 Rz 23), ändert daran nichts. Anknüpfungspunkt für die Geltung der langen Verjährung, wenn ein Organ einer juristischen Person einen Dritten durch eine qualifiziert strafbare Handlung im Sinn des § 1489 ABGB schädigt, ist ja nicht die strafrechtliche Verantwortung der juristischen Person nach dem VbVG, sondern sind die zu Punkt 2.5. dargestellten allgemeinen Erwägungen. Im Übrigen geht es in diesem Zusammenhang gerade nicht um die Rückwirkung einer strafrechtlichen Sanktion, sondern um die zivilrechtliche Verjährung des Ersatzanspruchs für eine im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses begangene qualifiziert strafbare Handlung im Sinn des § 1489 ABGB.

[31]           3. Der Kläger macht – ausreichend erkennbar – als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, das Berufungsgericht habe die von ihm erhobene Mängelrüge nicht abschließend behandelt.

[32]     3.1. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der im Rechtsmittel geltend gemacht, vom Gericht zweiter Instanz aber verneint wurde, im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden (RS0042963 [T45]; RS0106371 [T6]). Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt aber dann vor, wenn das Berufungsgericht sich mit der Mängelrüge des Berufungswerbers überhaupt nicht oder nicht auf aktenmäßiger Grundlage befasst hätte (RS0042963 [T9, T12, T28]; RS0043144; RS0043086). Dies ist hier der Fall:

[33]     3.2. Der Kläger machte in seiner Berufung die unterlassene Einholung des von ihm beantragten Gutachtens aus dem Fachbereich Steuerrecht als Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz geltend und führte aus, durch das Gutachten wäre das Erstgericht zur Ansicht gelangt, dass der damalige Vorstand und Geschäftsführer der Beklagten mit dem Vorsatz, deren unrechtmäßige Bereicherung herbeizuführen, den Kläger durch Täuschung über Tatsachen zur Zeichnung deren Pensionsvorsorgemodells verleitet habe, was den Kläger in einem 5.000 EUR übersteigenden Betrag an seinem Vermögen geschädigt habe. Das Berufungsgericht hat aufgrund seiner unrichtigen Rechtsansicht zur langen Verjährung gemäß § 1489 zweiter Satz Fall 2 ABGB die Mängelrüge diesbezüglich nicht behandelt. Die Argumentation, wonach dem LCSP-Modell in Parallelverfahren von Sachverständigengutachten für den Beurteilungshorizont bis ins Jahr 2005 Tauglichkeit bescheinigt wurde, hat keine Grundlage in diesem Akt.

[34]     4. Somit ist das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen und diesem aufzutragen, über die im Rechtsmittel geltend gemachten Berufungsgründe vollständig zu entscheiden.

[35]     5. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E133265

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00113.21Z.0929.000

Im RIS seit

14.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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