TE OGH 2021/8/6 6Ob92/21d

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Veröffentlicht am 06.08.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G*, vertreten durch Koch Jilek Rechtsanwälte Partnerschaft (OG) in Bruck an der Mur, gegen die beklagten Parteien 1. I* AG, *, 2. I*, beide vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenientinnen 1. A*aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Günther Klepp und andere Rechtsanwälte in Linz, 2. W* AG *, 3. S* Ltd – *, beide vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. Februar 2021, GZ 3 R 4/21k-33, womit das Zwischenurteil des Landesgerichts Linz vom 30. Oktober 2020, GZ 29 Cg 58/19d-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Der Kläger zeichnete am 29. 12. 2005 das von der Erstbeklagten entwickelte und vertriebene Pensionsvorsorgemodell „L*“ (L*), das aus einer Kombination von Versicherungen und einer Kreditfinanzierung besteht. Dazu schloss er eine Rentenversicherung bei der Zweitnebenintervenientin ab, deren Einmalprämie von 250.000 EUR mit einem endfälligen Fremdwährungskredit in Schweizer Franken bei der Erstnebenintervenientin über 265.000 EUR mit einer Laufzeit von 20 Jahren finanziert wurde. Mit 1. 1. 2006 begann die Zweitnebenintervenientin die monatliche Rente von 1.197 EUR auszuschütten, womit eine fondsgebundene Lebensversicherung bei der Drittnebenintervenientin mit einer Veranlagungszeit von 20 Jahren zum Aufbringen des Tilgungsträgers angespart werden sollte. Die monatlichen Versicherungsbeiträge von 813 EUR wurden ebenso wie die von der Erstnebenintervenientin für den Kredit quartalsmäßig vorgeschriebenen Kreditzinsen jeweils vom Abwicklungskonto des Klägers eingezogen.

[2]       Der Kläger begehrt, es möge mit Wirkung zwischen ihm und den Beklagten festgestellt werden, dass diese ihm aufgrund deren rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens für alle Schäden zur ungeteilten Hand haften, welche ihm durch Zeichnung von L* entstanden sind oder noch entstehen werden. Er habe erst durch eine Rechtsberatung am 17. 6. 2019 erfahren, dass ihm die Beklagten die Fehler in den Berechnungen des Pensionsvorsorgemodells bewusst verschwiegen hätten, um ihn zum Vertragsschluss zu bewegen.

[3]       Die Beklagten wendeten Verjährung ein. Im Übrigen resultiere der Fehlbetrag am Kreditkonto nicht aus einer Fehlkonzeption des Modells, sondern aus einer für den Kläger ungünstigen Entwicklung des Währungskurses sowie aus der unter den Erwartungen gebliebenen Entwicklung der beiden Versicherungen. Diesbezüglich hätten sich die Risiken verwirklicht, auf die der Kläger bereits im Abschlusszeitpunkt hingewiesen worden sei und die ihm spätestens 2008 erkennbar gewesen seien.

[4]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gemäß § 1489 ABGB verjähre ein Schadenersatzanspruch binnen drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger. Der Kläger habe mit Zugang der Versicherungspolizze (der Zweitnebenintervenientin) am 14. 3. 2006 bereits Kenntnis davon gehabt, dass sich die vertragliche Rente vermindere und ab dem 16. Versicherungsjahr abhängig von der Gesamtverzinsung innerhalb der ersten 15 Versicherungsjahre sei. Darüber hinaus habe ihm die Zweitnebenintervenientin im Dezember 2010 per E-Mail mitgeteilt, dass die monatliche Gesamtrente ab 1. 12. 2020 zwischen 539 und 639,44 EUR betragen werde. Dadurch sei der Kläger aber in Kenntnis davon gewesen, dass die vermeintliche Garantierente nicht bis zum Ende der Laufzeit des Modells zumindest 895,69 EUR ausmachen werde. Der Kläger habe daher spätestens nach Erhalt der Informationen vom 28. 10. 2014 erkannt, dass das L*-Modell seine Erwartungen einer risikoarmen Veranlagung nicht erfülle, womit die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen habe. Soweit der Kläger geltend mache, dass sein Schaden durch einen schweren Betrug des damaligen Vorstands der Erstbeklagten verursacht worden sei, weshalb die dreißigjährige Verjährungsfrist zur Anwendung komme, sei ihm zu entgegnen, dass auch dann, wenn ein Organ einer juristischen Person einen Dritten durch eine qualifiziert strafbare Handlung im Sinn des § 1489 ABGB schädige, zwar der Anspruch gegen das Organ in 30 Jahren, jene gegen die juristische Person aber in drei Jahren verjähre. Auch unter diesem Gesichtspunkt seien die Ansprüche des Klägers daher spätestens Anfang November 2017 verjährt.

[5]       Das Berufungsgericht sprach im Wege eines Zwischenurteils nach § 393a ZPO aus, dass die Ansprüche des Klägers nicht verjährt seien. Aufgrund des Inhalts der Vertragsunterlagen habe der Kläger zweifellos bei Vertragsschluss davon ausgehen dürfen, dass die monatliche Garantiepension von 896 EUR für eine Garantiezeit von 38 Jahren zur Auszahlung gelange. Dazu korrespondierend stehe unbekämpft fest, dass der Kläger beim Vertragsabschluss davon ausging, dass die Rente von zumindest 896 EUR monatlich über die gesamte Laufzeit zur Auszahlung kommen werde. Wäre dem Kläger bewusst gewesen, dass die Rente nicht über den gesamten Zeitraum in dieser Höhe ausgezahlt wird, wäre er die anderen, ihm bewussten Risiken, nämlich das Zinsrisiko, das Fremdwährungsrisiko und das Tilgungsrisiko des Modells, nicht eingegangen. Ein Umstand, der dem Kläger früher als drei Jahre vor Klagseinbringung die Kenntnis verschafft hätte, dass ihm die bei Vertragsschluss garantierte Rente von 896 EUR nicht über den gesamten Garantiezeitraum von 38 Jahren zustehen würde, sei den Feststellungen nicht zu entnehmen. Folgedessen sei der geltend gemachte Anspruch bereits nach der kurzen Verjährungsfrist nicht verjährt. Zur Verjährungsfrist nach § 1489 S 2 ABGB meinte das Berufungsgericht, es sei nach Inkrafttreten des VbVG in der Lehre anerkannt, dass (zumindest) ein Einstehenmüssen eines Verbands nach § 3 VbVG die Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist gemäß § 1489 S 2 ABGB begründe. Diese Auslegung gebiete im Übrigen auch der Gleichbehandlungsaspekt des § 26 ABGB. Außerdem sei es nach teleologischen Gründen sachgerecht, bei gewerbsmäßigem Betrug durch Organe einer juristischen Person, der der wirtschaftliche Erfolg aus einer Betrugshandlung häufig zukäme, diese verjährungsrechtlich nicht zu begünstigen.

[6]       Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, es sei bei der Beurteilung der Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB von der Entscheidung 7 Ob 171/16x und möglicherweise auch von RS0034423 abgewichen.

[7]       Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[8]       1.1. Zum Beginn der dreijährigen kenntnisabhängigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt: Die kurze Verjährungsfrist wird durch die Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen sowie des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und dem schadensstiftenden Verhalten in Gang gesetzt (RS0034374 [auch T4]), wobei es darauf ankommt, wann die Kenntnis des Geschädigten einen solchen Grad erreicht hat, dass mit Aussicht auf Erfolg geklagt werden kann (RS0034366 [T19]; RS0034524; RS0034374 [T28, T37, T49]; zuletzt etwa 6 Ob 102/20y). Diese Kenntnis muss den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kausalität zwischen Schaden und einem bestimmten Verhalten des Schädigers und jene Umstände, aus denen sich ein Verschulden des Schädigers ableiten lässt (RS0034951 [T1, T2, T4, T5, T7]). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten dabei zwar nicht in allen Einzelheiten bekannt sein (RS0034524 [T24]); bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände genügen jedoch nicht (RS0034524 [T6, T18]; 4 Ob 96/20a; 4 Ob 144/11x).

[9]       1.2. Bezogen auf die Anlageberatung bei Veranlagungs- und/oder Finanzierungskonzepten, die eine Kombination von Fremdwährungskrediten mit Tilgungsträgern vorsehen, ist für den Beginn der Verjährungsfrist von Ansprüchen aus Beratungsfehlern nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt, dass das Gesamtkonzept den Zusagen nicht entspricht, also entgegen den Zusicherungen nicht oder nicht im zugesagten Ausmaß risikolos ist (5 Ob 177/15p; 1 Ob 28/17z; RS0034951 [T38]; RS0087615 [T10, T11]). Für den Verjährungsbeginn ist somit die Kenntnis der Risikoträchtigkeit des gesamten Modells maßgebend (1 Ob 153/18h; 4 Ob 155/20b). Die spezifischen Risiken, die diese Risikoträchtigkeit bedingen (Wechselkurs, Zinsentwicklung, Ertrags- bzw Wertentwicklung des Tilgungsträgers als Veranlagungsprodukt), stehen nach der Interessenlage eines durchschnittlichen Anlegers in einem derart engen Zusammenhang, dass eine unterbliebene oder fehlerhafte Aufklärung über die einzelnen Teilaspekte verjährungsrechtlich jeweils als unselbstständige Bestandteile eines einheitlichen Beratungsfehlers zu qualifizieren sind (5 Ob 133/15t VbR 2016/82 [Kolba]; RS0034951 [T39]). Zu welchem Zeitpunkt der Kläger konkret Kenntnis vom Primärschaden erlangte, hängt ebenso von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0113916 [T1]; 4 Ob 155/20b) wie die Frage, wann er diese Kenntnis bei gebotenen Nachforschungen erlangt hätte.

[10]     1.3. Das hier zu beurteilende Anlagemodell L* – auch hierbei handelt es sich im Grunde um ein Veranlagungs- bzw Finanzierungskonzept, das eine Kombination von Fremdwährungskrediten mit Tilgungsträgern vorsieht – war bereits mehrmals Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs. Demnach ist es als Gesamtkonzept zu qualifizieren. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist daher die Kenntnis der Risikoträchtigkeit des gesamten Modells (3 Ob 82/18g; 1 Ob 153/18h; 1 Ob 51/20m; 7 Ob 56/20s). Im Ergebnis kann daher für den Beginn der Verjährungsfrist auf gesicherte Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

[11]     1.4. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ersetzt die bloße Möglichkeit zur Ermittlung maßgeblicher Tatsachen deren Bekanntsein an sich nicht (RS0034366 [T6, T20]; RS0034459). Der Geschädigte darf sich aber nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von den die Ersatzpflicht begründenden Umständen eines Tages zufällig Kenntnis erhält (RS0065360; RS0034374 [T15]). Wenn er die für die erfolgreiche Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in dem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034459 [T2]; RS0034327 [T1]; RS0034335; RS0034366 [T20]; zuletzt etwa 6 Ob 102/20y; 3 Ob 195/20b), wobei die Erkundigungsobliegenheit jedoch nicht überspannt werden darf (RS0034327 [T6]). Sie setzt vielmehr deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente voraus, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [T42]).

[12]     1.5. Im vorliegenden Fall war bereits in der Rentenversicherungspolizze angeführt, dass ab dem 16. Jahr die Rente neu berechnet wird. Kurz nach Übermittlung der Polizze wurde das Modell mit dem Kläger nochmals besprochen und zum Thema Rente erörtert, dass diese über einen Zeitraum von 15 Jahren garantiert sei und danach angepasst werde. Im Dezember 2010 erhielt der Kläger ein Schreiben, in dem die monatliche Gesamtrente ab 1. 12. 2020 ausdrücklich und mit genauen Zahlen dargestellt wird; hier finden sich bereits die niedrigeren Beträge. Nach dem Erhalt eines Schreibens im Oktober 2014 war dem Kläger bewusst, dass in Bezug auf den Kredit eine massive Deckungslücke von bis zu 45 % gegeben war. Die Feststellung „Deckungslücke, die auch nicht durch eine garantierte Rente abgefangen würde“ hat das Berufungsgericht zwar nicht übernommen. Dennoch überzeugt dessen maßgebliche Überlegung, der Kläger habe auch noch nach Erhalt dieses Schreibens davon ausgehen dürfen, dass sich das Modell trotz der massiven Deckungslücke wegen der über 38 Jahre garantierten Rente finanziell noch ausgehen würde, angesichts der angeführten Feststellungen nicht. Die kurze Verjährungsfrist des § 1489 ABGB ist daher abgelaufen, was aus Gründen der Rechtssicherheit trotz der grundsätzlichen Einzelfallbezogenheit derartiger Fragen aufzugreifen war (RS0044088 [insb T9]).

[13]     2.1. Der Kläger hat sich allerdings ausdrücklich auch auf die lange Verjährungsfrist des § 1489 ABGB berufen, wozu der Oberste Gerichtshof erwogen hat:

[14]           Riedler (Abgasskandal: 30-jährige Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche gegenüber der VW AG? ÖJZ 2021, 5) führt in diesem Zusammenhang zutreffend aus, eine nähere Analyse der Rechtsprechung zeige, dass „die bis dato ergangenen Entscheidungen zur Anwendbarkeit der dreißigjährigen Verjährungsfrist auf juristische Personen entweder reine Beteiligungsfragen (7 Ob 19/88), die Zurechnung von Besorgungsgehilfen (1 Ob 112/70), die Haftung für Fehlverhalten von bloßen (Erfüllungs-)Gehilfen oder Funktionären (7 Ob 552/88; 1 Ob 64/00v; 3 Ob 120/06b; 9 Ob 35/06x) bzw die Haftung der Verlassenschaft (2 Ob 240/05s) oder des Bundes in der Regel nach Sondergesetzen (1 Ob 41/88) betreffen. In mehreren Entscheidungen sei die Frage nach der konkreten Verjährungsfrist mangels substantiierten Vorbringens ganz bewusst offengelassen (2 Ob 190/10w; 1 Ob 221/13a; 7 Ob 4/15m). In 10 Ob 33/14x werde die Frage (nur implizit) obiter angesprochen und lediglich in 7 Ob 171/16x im Zusammenhang mit der Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsschutzdeckungsklage explizit verneint, wobei aber gerade die dort als Belegstelle zitierte E 3 Ob 120/06b diese Frage ausdrücklich offen gelassen habe.

[15]     2.2. Im März 2021 hat jedoch der erkennende Senat zur Frage, ob die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 ABGB auf juristische Personen anwendbar ist, ausführlich Stellung genommen (6 Ob 239/20w) und ausgeführt, dass jedenfalls seit Inkrafttreten des VbVG (innerhalb dessen Anwendungsbereichs; vgl § 1 VbVG) die lange Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 ABGB auch auf juristische Personen anwendbar sei. Das Berufungsgericht bewegt sich daher mit seiner Entscheidung im Rahmen dieser erst jüngst ergangenen Entscheidung des 6. Senats, in der auch ausdrücklich auf die vom Berufungsgericht und von der Revision angeführte Entscheidung 7 Ob 171/16x Bezug genommen wurde.

[16]           2.3. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger das Anlagemodell L* bereits am 29. 12. 2005, also noch vor Inkrafttreten des VbVG (dieses trat mit 1. 1. 2006 in Kraft) zeichnete. Zwar beginnt die dreißigjährige Verjährungsfrist unabhängig davon, wann der Schaden selbst eingetreten ist sowie ob und wann der Geschädigte davon Kenntnis erlangt hat (RS0034502; zuletzt 4 Ob 178/20k) unter ausführlicher Auseinandersetzung mit der insoweit kritischen Lehre, womit die Verjährungsfrist (weiterhin) bereits von dem Zeitpunkt an läuft, zu dem die den Schaden herbeiführende Handlung begangen wurde, mag der Eintritt des Schadens auch später erfolgt sein. Die den Schaden herbeiführende Handlung erfolgte demnach bereits vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des VbVG. Der erkennende Senat geht jedoch von folgenden Überlegungen aus:

[17]     2.3.1. Die Entscheidung 6 Ob 239/20w hat sich bereits mit der Rechtslage vor Inkrafttreten des VbVG befasst, ohne diese Frage jedoch abschließend zu entscheiden, und hat dazu Folgendes ausgesprochen:

„Ausgehend von diesen teleologischen Erwägungen ließe sich die Heranziehung der langen Frist des § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB auf bloß mithaftende Dritte dem ersten Anschein zwar nach nicht ohne weiteres begründen, schlägt doch die anzustellende Interessenabwägung nach dem Gesagten nur zulasten jenes Ersatzpflichtigen aus, der wegen eines ihn selbst treffenden qualifizierten Unrechts- und Schuldvorwurfs (dazu Ch. Rabl, ÖJZ 2002, 552) nicht so schutzwürdig erscheint, dass ihm die kurze Frist des Satz 1 zugute kommen soll. M. Bydlinski (RZ 1982, 223) und Koziol (Haftpflichtrecht³ I Rz 15/20 und Haftpflichtrecht4 I Rz D/6/35) sprechen sich jedoch mit beachtlichen Argumenten dafür aus, juristischen Personen dessen ungeachtet die strafbaren Handlungen ihrer Repräsentanten und Organe auch hinsichtlich der Zeitkomponente zuzurechnen. Andernfalls käme es nämlich zu einer § 26 ABGB widersprechenden Ungleichbehandlung natürlicher und juristischer Personen, weil Letztere von vornherein nur durch Vertreter handeln können und § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB für sie niemals einschlägig wäre. In diesem Zusammenhang sei darauf Bedacht zu nehmen, dass es sich bei der Haftung der juristischen Person für ihre Organe und Repräsentanten um eine 'primäre' oder 'selbstständige' und nicht wie bei §§ 1313a und 1315 ABGB um eine abgeleitete Haftung handle.“

[18]     2.3.2. Vor diesem Hintergrund vermag die Rechtsansicht der Beklagten in der Revision, wonach eine vollständige Kongruenz der Positionen natürlicher und juristischer Personen nicht aus diesen Bestimmungen (§§ 26, 1489 S 2 ABGB) folge, nicht zu überzeugen. Gerade auf diesen Aspekt der Ungleichbehandlung verweist auch Riedler (ÖJZ 2021, 5): Schon der Wortlaut des § 1489 ABGB differenziere nicht zwischen natürlicher Person und juristischen Personen, was auch konsequent ist, weil auch § 26 ABGB juristische Personen mit natürlichen Personen gleichstelle. § 1489 ABGB unterscheide also gerade nicht danach, ob der Geschädigte von einer natürlichen Person oder juristischen Personen geschädigt wurde, sondern knüpfe lediglich daran an, dass der Schädiger als Straftäter eine qualifiziert strafbare Handlung begangen hat.

[19]     2.3.3. Weiters ist nach den Ausführungen von Riedler zu berücksichtigen, dass eine juristische Person selbst nicht handlungsfähig ist und nur durch ihre Organe handeln kann. Der erkennende Senat schließt sich dieser Überlegung an. Bei Handeln eines Organs für die juristischen Personen geht es aber gerade nicht um Zurechnungsfragen, also eben nicht – wie bei der Haftung für Erfüllungsgehilfen iSd § 1313a ABGB oder für Repräsentanten – um das Einstehen-Müssen für fremdes Verhalten oder – anders formuliert – um die Frage, ob eine (andere bloß) mithaftende Person der langen Frist des § 1489 ABGB unterworfen wird. Vielmehr geht es beim Handeln von Organen für die juristischen Personen um Eigenhandeln der juristischen Personen selbst.

[20]     Dazu hat der Oberste Gerichtshof jüngst in der Entscheidung 5 Ob 99/19y festgehalten: „Juristische Personen handeln durch ihre Organe. Das Handeln von Organmitgliedern für eine juristische Person ist als Handeln der juristischen Person zu betrachten. Deren Verhalten gilt als Eigenhandlung der juristischen Person.“ Organhandeln ist der juristischen Person gerade nicht nach § 1313a ABGB zuzurechnen; vielmehr haftet die juristische Person kraft der Organstellung der natürlichen Personen, deren Handeln als Eigenhandeln der juristischen Personen gilt.

[21]     2.3.4. Vor diesem Hintergrund ist auch aus der von der Revision angeführten Entscheidung 7 Ob 552/88 für den vorliegenden Fall nichts abzuleiten, ging es in dieser Entscheidung doch um die Haftung für Erfüllungsgehilfen (genauer um die Haftung eines Bankfilialleiters) und nicht um die Haftung für Organe. Die hier interessierende Frage ließ die Entscheidung sogar ausdrücklich offen („Ob juristische Personen bezüglich der Verjährung von Schadenersatzverpflichtungen ihren Funktionären gleichzusetzen sind oder nicht, muss hier nicht abschließend beurteilt werden. Eine solche Gleichsetzung käme überhaupt nur für Organe der juristischen Person in Frage“).

[22]     2.3.5. Das Ergebnis, wonach die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auf juristische Personen auch vor dem Inkrafttreten des VbVG anzuwenden ist, überzeugt auch aus teleologischer Perspektive, liegt doch gerade (etwa) bei gewerbsmäßigem Betrug durch Organe einer juristischen Person der wirtschaftliche Ertrag aus der Betrugshandlung häufig nicht im Privatvermögen der Organe, sondern im Vermögen der juristischen Person selbst (Riedler, ÖJZ 2021, 5). Jedenfalls dann, wenn wie nach den Klagsbehauptungen im vorliegenden Fall der wirtschaftliche Erfolg der strafbaren Handlung eines Organs im Vermögen der juristischen Person eintritt oder eintreten sollte, ist es daher gerechtfertigt, die lange Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auch gegenüber der juristischen Person anzuwenden. Inwieweit dies auch bei nicht das Vermögen betreffenden strafbaren Handlungen gilt, bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Beurteilung.

[23]     2.4. Zusammenfassend gilt daher: Wenn ein Organ einer juristischen Gesellschaft einen Dritten durch eine qualifiziert strafbare Handlung iSd § 1489 ABGB schädigt, verjährt der Anspruch gegen die juristische Person erst in 30 Jahren. Dies gilt, wenn die den Schaden herbeiführende Handlung vor Inkrafttreten des VbVG gesetzt wurde, jedenfalls dann, wenn der wirtschaftliche Erfolg der strafbaren Handlung im Vermögen der juristischen Person eintrat.

[24]     2.5. Davon ausgehend erweist sich die Sache als noch nicht spruchreif, weil Feststellungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen der dreißigjährigen Verjährungsfrist, insbesondere zur Behauptung, die Beklagten hätten dem Kläger die Fehler in den Berechnungen des Pensionsvorsorgemodells bewusst verschwiegen, um ihn zum Vertragsschluss zu bewegen, fehlen. Aus diesem Grund war mit Aufhebung und Zurückverweisung vorzugehen.

[25]     3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E132674

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E132674

Im RIS seit

23.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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