TE OGH 2021/10/22 8Ob90/20y

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Veröffentlicht am 22.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch Hauer – Puchleitner – Majer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei G* K*, vertreten durch Dr. Klaus Kollmann, Dr. Werner Stegmüller, Dr. Christoph Zauhar, Mag. Viktoria Meyer, Ing. Mag. Patrick Sartor, Rechtsanwälte in Graz, wegen 200.995,77 EUR s.A., über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. Juni 2020, GZ 4 R 34/20g-38, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. Dezember 2019, GZ 10 Cg 140/16y-34, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.642,40 EUR (darin enthalten 440,40 EUR an USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Die Beklagte beauftragte die Klägerin 2012 mit Baumeisterarbeiten für zwei Projekte, nämlich für die Sanierung von zehn Wohnungen und für den Einbau von Ferienwohnungen. Es wurde ein einheitlicher Werkvertrag mit einem vorgesehenen Werklohn von 238.960,74 EUR netto abgeschlossen, in dem unter anderem detaillierte, teilweise von den einschlägigen Ö-Normen abweichende Bedingungen für die Rechnungslegung enthalten sind. Dem Baufortschritt entsprechend waren danach monatliche Teilrechnungen zu legen, die fortlaufend zu nummerieren waren und die gesamte Abrechnung bis zum jeweiligen Rechnungsstichtag enthalten sollen. Über die beiden Werkteile (Sanierung bzw Ferienwohnungen) waren getrennte Schlussrechnungen binnen drei Monaten nach Übernahme der Werkleistung zu legen.

[2]            Die Auftraggeberin war nach dem Werkvertrag berechtigt, Teil- oder Schlussrechnungen, die nicht im Sinne der vereinbarten Bedingungen ausgeführt oder aus sonstigen Gründen nicht prüfbar waren, mit der Wirkung zurückzustellen, dass ihre Fälligkeit erst nach verbesserter Rückmittlung eintreten sollte.

[3]            Über die Bezahlung der von der Klägerin gelegten 11. Teilrechnung vom 3. September 2013 war zwischen den Parteien ein Rechtsstreit (35 Cg 95/14m des Erstgerichts) anhängig, der rechtskräftig durch Klagsabweisung mangels Fälligkeit beendet wurde. Die tragende Begründung dieser Entscheidung lautet, dass die 11. Teilrechnung in zumindest zwei festgestellten Positionen nicht prüffähig war und daher zu Recht von der Auftraggeberin zurückgestellt wurde.

[4]            Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin nach vorzeitiger Vertragsbeendigung die Bezahlung beider Schlussrechnungen einschließlich der offenen, laut Klagsvorbringen unverändert neuerlich übermittelten 11. Teilrechnung. Nachträglich von der Klägerin eingeholte Privatgutachten hätten ergeben, dass diese Teilrechnung sehr wohl prüfbar sei. Darüber hinaus würden die im Vorprozess als nicht prüfbar beurteilten Postitionen nur 3,6 % der gesamten Schlussrechnungssumme betragen, sodass die Zahlung rechtsmissbräuchlich verweigert werde.

[5]            Die Beklagte wandte insbesondere ein, dass auch die Schlussrechnungen nicht prüfbar und daher nicht fällig seien, weil ihnen die unverbesserte 11. Teilrechnung zugrunde liege.

[6]            Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging von einer Bindungswirkung der Entscheidung im Vorprozess aus und übernahm die dort getroffenen Feststellungen über die Mängel der 11. Teilrechnung ohne eigenes Beweisverfahren. Die auf dieser Teilrechnung aufbauenden Schlussrechnungen seien folglich ebenfalls nicht prüfbar. Da sich die Klägerin auch nicht bereit erklärt habe, sich einem Sachverständigengutachten im Prozess zu unterwerfen und die Abrechnungsmängel auf diese Weise zu beheben, sei der Anspruch aus den Schlussrechnungen nicht fällig. Von Rechtsmissbrauch oder Schikane der Beklagten könne nicht die Rede sein.

[7]            Das Berufungsgericht hob das Urteil mit dem angefochtenen Beschluss auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

[8]            Die fehlende Identität der rechtserzeugenden Sachverhalte stehe einer Bindungswirkung der Vorentscheidung entgegen. Der Gegenstand des Vorverfahrens sei die Fälligkeit der Teilrechnung zum damaligen Zeitpunkt gewesen. Diese stelle aber keine Vor- oder Hauptfrage für das vorliegende Verfahren dar, in dem es um die Fälligkeit der später gelegten Schlussrechnungen gehe. Die Frage, ob die Schlussrechnung – allenfalls aus denselben Gründen wie die 11. Teilrechnung – nicht prüfbar sei, müsse mangels Bindungswirkung des Urteils im Vorprozess nach Ergänzung des Verfahrens und Würdigung der erhobenen Beweise eigenständig festgestellt werden.

[9]            Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen den Aufhebungsgeschluss für zulässig, weil die Beurteilung der Bindungswirkung einer Entscheidung über die Fälligkeit einer Teilrechnung im Verfahren über die darauf unverändert gegründete Schlussrechnung von rechtserheblicher Bedeutung sei.

[10]           Mit ihrem von der Klägerin beantworteten Rekurs strebt die Beklagte die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts an.

Rechtliche Beurteilung

[11]     Gemäß § 519 Abs 2 ZPO darf das Berufungsgericht die Zulässigkeit des Rekurses nur aussprechen, wenn es die Voraussetzungen für gegeben erachtet, unter denen nach § 502 die Revision zulässig ist. Dies ist hier nicht der Fall.

[12]           1. Der Rekurs macht geltend, es sei von einer Identität der Parteien und einer Teilidentität der Klagebegehren in beiden Verfahren auszugehen, weil die Zahlung der nicht prüfbaren 11. Teilrechnung in unveränderter Form neuerlich begehrt werde und eine mittlerweile erfolgte Verbesserung nicht behauptet worden sei. Das Gebot der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie könne auch im vorliegenden Verfahren nur zu dem Ergebnis führen, dass beide Positionen nicht prüfbar seien.

[13]           Mit diesen Überlegungen zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[14]           2. Die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung ist Ausfluss der Rechtskraftwirkung. Sie schließt die neuerliche Verhandlung, Beweisaufnahme und Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs bzw Rechtsverhältnisses aus, nicht aber die Verhandlung und Entscheidung über ein neues damit nicht identes Begehren, sondern nur über eine Vorfrage des neuen Anspruchs bildende entschiedene Erstbegehren (Klicka in Fasching/Konecny³ III 2. Teilband, § 411 ZPO Rz 16, Rz 53 ff).

[15]           Das Ausmaß der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils wird grundsätzlich durch den Urteilsspruch bestimmt (RIS-Justiz RS0041331; RS0041357). Für dessen Auslegung sind erforderlichenfalls die Entscheidungsgründe heranzuziehen, was insbesondere dann gilt, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteils festgestellt werden soll (RS0043259; RS0041357 [T9]). Die rechtskräftige Verneinung eines Anspruchs ist nämlich auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Sachverhalt – den „maßgeblichen Sachverhalt“ eingeschränkt (RS0039843 [T3]). Die rechtskräftige Verneinung des Anspruchs beschränkt sich grundsätzlich auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Grund, hindert aber die Geltendmachung desselben Begehrens aus anderen rechtserzeugenden Tatsachen nicht (10 Ob 33/16z).

[16]           Die Beurteilung von bloßen Vorfragen erwächst nicht in Rechtskraft (RS0042554, RS0039843 [T19, T21, T23]; RS0041178).

[17]           Worüber im Vorprozess als Hauptfrage entschieden wurde, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen (RS0127052 [T5]).

[18]           2. Im hier zugrunde liegenden Vorverfahren wurde von der Beklagten der Einwand der mangelnden Fälligkeit der 11. Teilrechnung erhoben. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen klagsabweisenden Urteil hat das Erstgericht bindend entschieden, dass die geltend gemachte Forderung bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz nicht fällig war. Diese Entscheidung hindert die neuerliche Geltendmachung der Forderung zu einem anderen Fälligkeitstermin nicht.

[19]           Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der im Vorverfahren angenommene Grund für die mangelnde Fälligkeit, nämlich formale und inhaltliche Mängel der Rechnung, für diese Beurteilung nur eine Vorfrage darstellte, deren Entscheidung im vorliegenden Verfahren die Gerichte nicht bindet, hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung. Dabei ist auch zu bemerken, dass sich die Klägerin im vorliegenden Verfahren auf drei nach Schluss der Verhandlung neu eingeholte Privatgutachten berufen hat, aus denen sich nach ihrem Standpunkt die zur Prüfbarkeit der im Vorverfahren als nicht nachvollziehbar beurteilten Positionen fehlenden Erläuterungen ergeben sollen.

[20]     3. Insgesamt ist das Berufungsgericht von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Dementsprechend steht der angefochtene Aufhebungsbeschluss mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang. Der Beklagten gelingt es nicht, mit ihren Ausführungen im Rekurs eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Rekurs war daher zurückzuweisen.

[21]           4. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt zwar nach § 52 ZPO in der Regel nicht statt (RS0123222 [T2, T4]; vgl RS0035976 [T2]). Die Klägerin hat auf das Fehler einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO hingewiesen.

Textnummer

E133193

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:E133193

Im RIS seit

06.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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