TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/18 W180 2224161-7

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Veröffentlicht am 18.10.2021
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Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77

Spruch


W180 2224161-7/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. am XXXX , alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Marokko, vertreten durch Migrantinnenverein St. Marx, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 05.02.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 21.02.2013 zur Gänze abgewiesen wurde. Das dagegen geführte Beschwerdeverfahren wurde in der Folge mit Aktenvermerk des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.11.2014 eingestellt, da der BF untergetaucht war.

2. Eine am 15.03.2013 aus Deutschland geplante Überstellung des BF konnte nicht durchgeführt werden, da der BF für die deutschen Behörden nicht greifbar war. Vier Monate später wurde der BF am 15.07.2013 von Schweden nach Österreich rücküberstellt, tauchte aber abermals im Bundesgebiet unter.

3. Der BF wurde im Bundesgebiet straffällig und wurde im Jahr 2015 erstmals zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

4. Der BF wurde am 05.03.2019 von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt. Er wurde festgenommen und über ihn in der Folge die Untersuchungshaft verhängt. Der BF stellte am 08.03.2019 im Stande der Anhaltung in Justizhaft einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) vom 13.03.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 08.03.2019 zur Gänze abgewiesen, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem achtjährigen Einreiseverbot erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15.04.2019, dem damaligen Rechtsvertreter des BF am 16.04.2019 zugestellt, abgewiesen.

6. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 10.05.2019 wurde der BF zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt. Er befand sich vom 05.03.2019 bis 01.10.2019 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft.

7. Nach Entlassung aus der Strafhaft am 01.10.2019 wurde der BF in Schubhaft genommen, aus welcher er am 13.03.2020 entlassen wurde.

8. Mit Mandatsbescheid vom 12.03.2020 wurde dem BF aufgetragen, bis zu seiner Ausreise Unterkunft in einer näher genannten Betreuungseinrichtung zu nehmen. Der BF kam dieser Aufforderung nicht nach.

9. Der BF wurde am 01.06.2020 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten, wobei sein unrechtmäßiger Aufenthalt festgestellt wurde. Der BF wurde festgenommen, am selben Tag von einem Organ des Bundesamtes einvernommen und mit Mandatsbescheid vom 01.06.2020 wurde über ihn neuerlich die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

10. Der BF wurde vom 01.06.2020 bis 18.09.2020 in Schubhaft angehalten. Am 18.09.2020 wurde er erneut einvernommen und unter Anwendung des gelinderen Mittels einer periodischen Meldeverpflichtung, angeordnet mit Mandatsbescheid vom 18.09.2020, aus der Schubhaft entlassen, da zum damaligen Zeitpunkt weiterhin keine HRZ-Zusage seitens Marokkos vorlag.

11. Mit Verbalnote der Botschaft des Königreiches Marokko in Wien vom 21.10.2020 wurde der BF als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert.

12. Der BF kam seiner mit Bescheid vom 18.09.2020 aufgetragenen Meldeverpflichtung bis zum 31.10.2020 nach. Danach war er unbekannten Aufenthalts. Am 26.11.2020 wurde ein Festnahmeauftrag betreffend den BF erlassen.

13. Der BF wurde am 17.06.2021 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge einer Personenkontrolle zufällig aufgegriffen, festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum überstellt. Er wurde 18.06.2020 von einem Organ des Bundesamtes einvernommen und über ihn mit Mandatsbescheid vom 18.06.2020 die gegenständliche Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Der BF wird seit 18.6.2021 in Schubhaft angehalten.

14. Die vom BF gegen den Mandatsbescheid vom 18.06.2020 erhobene Schubhaftbeschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 13.07.2021, gekürzt ausgefertigt am 29.07.2021, abgewiesen und es wurde vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung zum Entscheidungszeitpunkt vorlagen.

15. Am 06.08.2021 und 07.09.2021 erfolgte seitens des Bundesamtes die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs. 6 FPG.

16. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 08.10.2021 den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der fortgesetzten Anhaltung des BF in Schubhaft ab dem vierten Monat der Anhaltung vor und erstattete eine Stellungnahme, in der die Behörde – nach Schilderung des Verfahrensganges – ausführte, warum aus ihrer Sicht weiterhin Fluchtgefahr gegeben sei. Ferner wurde vorgetragen, dass für den BF bereits für den 29.08.2021 ein Flug gebucht worden sei. Dieser habe aber storniert werden müssen, da die marokkanische Botschaft mitgeteilt habe, dass nur zwei Personen pro Monat zurückgeführt werden könnten, weshalb chronologisch vorgegangen werden müsste. Die begleitete Abschiebung des BF sei aber nunmehr für den 26.10.2021 terminisiert. Eine Flugbuchung für diesen Termin und ein Abschiebeauftrag liege vor.

17. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.10.2021, dem BF am selben Tag zugestellt, wurde der Rechtsvertretung des BF die Stellungnahme des Bundesamtes vom selben Tag übermittelt und Gelegenheit gegeben, ihrerseits Stellung zu nehmen.

Mit E-Mail vom 12.10.2021 wies die Rechtsvertretung darauf hin, dass der BF nach einer Schubhaftentlassung sofort bei Frau XXXX Unterkunft nehmen könnte und nicht obdachlos wäre. In Marokko stünde er dagegen wieder vor dem Nichts, wenn er zurückkäme. Die Rechtsvertretung spreche sich daher weiterhin gegen eine Abschiebung des BF aus.

18. Über gerichtlichen Auftrag wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2021 ein amtsärztlicher Befund und Gutachten vom selben Tag übermittelt, in dem die Haftfähigkeit des BF bestätigt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zur Person des BF und zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Schubhaft:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Marokko. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Seine Identität steht fest. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.2. Die BF ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

1.3. Der BF wird seit 18.06.2021 in Schubhaft angehalten.

1.4. Seit 16.04.2019 besteht gegen den BF eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem achtjährigen Einreiseverbot.

1.5. Die marokkanische Botschaft hat mit Verbalnote vom 21.10.2020 den BF unter dem im Spruch des gegenständlichen Erkenntnisses genannten Namen und mit dem Geburtsdatum XXXX als marokkanischen Staatsangehörigen identifiziert und damit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) – nach erfolgter Flugbuchung – für den BF zugestimmt.

Ein für den BF für den 29.08.2021 vorgesehener Flug musste auf Grund der Mitteilung der Botschaft, dass pro Monat nur zwei Personen zurückgeführt werden können, wieder storniert werden. Nunmehr ist die begleitete Abschiebung des BF auf dem Luftweg von Wien über Paris nach Casablanca für den 26.10.2021 vorgesehen. Eine entsprechende Flugbuchung für den 26.10.2021 liegt vor und es ist mit der rechtzeitigen Ausstellung des HRZ vor dem Flug seitens der marokkanischen Botschaft zu rechnen. Eine Abschiebung des BF ist daher für den 26.10.2021 oder – sollte es hinsichtlich des Fluges am 26.10.2021 zu einer Verzögerung kommen – in Kürze zu erwarten.

2. Zur Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

2.1. Der BF reiste illegal in das Bundegebiet ein und stellte im Jahr 2013 einen ersten Asylantrag in Österreich, der vom Bundesasylamt negativ beschieden wurde; der BF wartete das gegen den Bescheid des Bundesasylamtes geführte Beschwerdeverfahren nicht ab, sondern tauchte unter und reiste u.a. nach Deutschland weiter. Das Beschwerdeverfahren wurde mit Aktenvermerk des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.11.2014 eingestellt. Der BF stellte auch in Schweden und der Schweiz Asylanträge.

2.2. Der BF hat die Anordnung einer Wohnsitzauflage vom 12.03.2020 nicht befolgt.

2.3. Der BF hat das mit Bescheid vom 18.09.2020 angeordnete gelindere Mittel einer periodischen Meldeverpflichtung nicht eingehalten. Er meldete sich nur bis zum 31.10.2020, danach nicht mehr. Der BF war zu diesem Zeitpunkt und in der Folge bis zu seiner neuerlichen Anhaltung am 17.06.2020 nicht polizeilich gemeldet.

2.4. Der BF versuchte nach seiner Anhaltung am 17.06.2021 aus einer Polizeiinspektion zu fliehen, wurde aber von drei Polizeibeamten daran gehindert.

2.5. Der BF wurde in Österreich wiederholt straffällig. Er weist folgende strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

2.5.1. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 29.01.2015 wurde der BF wegen der Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB, der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB, des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1, erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG und des teils vollendeten, teils versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3, § 15, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt (unter einer alias Identität und dem alias Geburtsdatum XXXX als Jugendstraftat). Der Verurteilung lagen strafbare Handlungen aus den Jahren 2013 und 2014 zu Grunde, nämlich hinsichtlich des Widerstands gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung, dass der BF am 17.03.2014 einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Sachverhaltsaufnahme und Beschuldigteneinvernahme, zu hindern versuchte, indem er sich vom Beamten losriss, den Beamten am Oberarm packte, wobei dieser ein Hämatom und Hautabschürfungen am rechten Oberarm erlitt, und schließlich aus der Polizeiinspektion flüchten wollte, wobei es nur beim Versuch blieb, weil der Beamte ihn erneut anhalten konnte. Den Verurteilungen nach dem SMG lagen die Taten zu Grunde, dass der BF am 17.09.2013 vorschriftswidrig 1,2 g Cannabiskraut und zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 23.11.2013 über die zuvor genannte Menge hinaus Cannabiskraut erwarb und besaß sowie am 23.11.2013 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem näher genannten Mittäter durch gewinnbringenden Verkauf unbekannten Abnehmern eine nicht mehr feststellbare Menge Cannabiskraut zum Preis von Euro 40,-- und einem verdeckten Ermittler drei Säckchen mit insgesamt 3,6 g Cannabiskraut überließ und anderen unbekannten Abnehmern zu überlassen versuchte und zwar durch Bereithalten von drei weiteren Säckchen mit insgesamt 4 g Cannabiskraut zum unmittelbaren Verkauf an einem amtsbekannten Drogenumschlagplatz, wobei der BF diese Tat gewerbsmäßig beging.

Das Gericht berücksichtigte bei der Strafzumessung die Unbescholtenheit, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, und die teilweise geständige Verantwortung des BF als mildernd, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen. Die erlittenen Vorhaften vom 23.11.2013 bis 24.11.2013, vom 17.03.2014 bis 17.03.2014 und vom 16.01.2015 bis 29.01.2015 wurden auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

2.5.2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 10.09.2019 wurde der BF wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 2, 15 StGB, des Verbrechens des Raubes nach § 142 StGB und der Vergehen der Entwendung nach § 141 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wobei 16 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Der Verurteilung wegen Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls lag zu Grunde, dass der BF am 17.10.2017 und 23.10.2017 gewerbsmäßig drei im Urteil näher bezeichnete Fahrzeuge durch Einbruch in ein Transportmittel mit dem Vorsatz wegzunehmen versuchte, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er Scheiben der Fahrzeuge einschlug und versuchte diese kurzzuschließen, wobei es ihm nicht gelang die Fahrzeuge zu starten. Der Verurteilung wegen des Verbrechens des Raubes lag zu Grunde, dass der BF am 25.01.2018 in bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem unbekannten Täter als Mittäter, einer im Urteil genannten Person mit Gewalt eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Kunststoffetui und eine Bierdose, mit dem Vorsatz wegnahm, sich unrechtmäßig zu bereichern, indem sie das Opfer zu Boden stießen und das Etui und die Bierdose wegnahmen. Die Verurteilungen wegen der Vergehen nach § 141 und § 83 Abs. 1 StGB beziehen sich auf einen versuchten Diebstahl einer Sache geringen Wertes in einem Kaufhaus am 24.11.2017, wobei der BF von einem Detektiv angehalten wurde und der BF diesen durch Versetzen von Schlägen und Bissen in den Finger am Körper vorsätzlich verletzte, wodurch der Detektiv eine Bissverletzung am linken Ringfinger und eine Nasenprellung erlitt.

Bei der Strafzumessung wurden vom Gericht das Geständnis, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, das Alter unter 21 Jahren (ausgehend vom alias Geburtsdatum XXXX ) und eine gewisse Beeinträchtigung durch Alkohol und Tabletten berücksichtigt, als erschwerend das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, die einschlägige Vorstrafe und die mehrfache Deliktsqualifikation beim Diebstahl.

3. Zur familiären/sozialen/beruflichen Komponente:

3.1. Der BF ging in Österreich vor der Verhängung der gegenständlichen Schubhaft keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er arbeitete ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung bzw. ohne Gewerbeberechtigung für einen Zustelldienst.

3.2. Der BF verfügt über keine ausreichenden Existenzmittel.

3.3. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er hat keine Familienangehörigen in Österreich. Die Schwester des BF ist verheiratet und lebt in Marokko, sein Bruder lebt in Deutschland. Der BF weist keine maßgeblichen sozialen Integrationsmerkmale auf.

3.4. Der BF war in Österreich vor seiner gegenständlichen Inschubhaftnahme nicht polizeilich gemeldet. Er übernachtete nach eigenen Angaben gegenüber der Behörde und ohne dort gemeldet zu sein bei zwei Freunden, deren Identität bzw. Adressen er aber nicht bekannt geben wollte. Unterstellt wird, dass der BF im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft bei einer Bekannten, nämlich Frau XXXX , Unterkunft nehmen könnte.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt, in den Gerichtsakt, Zl. W117 2224161-5, betreffend die Schubhaftbeschwerde vom 07.07.2021, insbesondere in die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2021 und das mündlich verkündete Erkenntnis, sowie in das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2019, Zl. I422 1433547-2, mit dem die Abweisung des Asylantrages des BF und die Erlassung eines Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot gerichtlich bestätigt wurde und den Gerichtsakt, Zl. I403 1433547-1, betreffend das eingestellte Beschwerdeverfahren zum ersten Asylantrag. Einsicht genommen wurde ferner in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Grundversorgungs-Informationssystem sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zur Person des BF und zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Schubhaft:

1.1. Da der BF von der marokkanischen Botschaft mit Schreiben vom 21.10.2021 als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert wurde, konnte die marokkanische Staatsangehörigkeit des BF festgestellt werden. Hinweise, dass der BF die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, haben sich im Verfahren nicht ergeben. Der BF verfügt zwar über keine identitätsbezeugenden Dokumente aus seinem Herkunftsland, dennoch ist in Hinblick auf die Identifizierung seitens der marokkanischen Botschaft von einer feststehenden Identität auszugehen. Da das Verfahren zum ersten Asylantrag des BF mit Aktenvermerk des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.11.2014 eingestellt und der zweite Asylantrag mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2019 abgewiesen wurde, handelt es sich beim BF weder um einen Asylberechtigten noch um einen subsidiär Schutzberechtigten, weshalb die entsprechende Feststellung zu treffen war.

1.2. Die Feststellung zur Haftfähigkeit des BF stützt sich auf einen aktuellen amtsärztlichen Befund und Gutachten vom 14.10.2021, mit dem die Haftfähigkeit des BF bestätigt wurde und aus dem sich ergibt, dass bei der Untersuchung am 14.10.2021 ein klinisch unauffälliger Befund sowie ein guter Allgemeinzustand des BF festgestellt worden sei und der BF keine medizinischen Probleme angebe. Schon in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht und in der Einvernahme vor dem Bundesamt am 18.06.2021 gab der BF an, dass es ihm gesundheitlich gut gehe bzw. dass er gesund sei. Dass der BF Zugang zu medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

1.3. Die Anhaltung des BF in Schubhaft seit 18.06.2021 ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei.

1.4. Die Feststellungen zum Vorliegen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot ergibt sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2019 und dem Gerichtsakt zu diesem Verfahren, Zl. I422 1433547-2.

1.5. Dass der BF seitens der marokkanischen Botschaft mit Mitteilung vom 21.10.2020 als Staatsangehöriger dieses Landes identifiziert wurde, ist dem Verwaltungsakt zu entnehmen. Die Feststellung zur Stornierung eines für den 29.08.2021 geplanten Fluges stützt sich auf das entsprechende Vorbringen des Bundesamtes in der Stellungnahme vom 08.10.2021. Dass der BF nunmehr für einen Flug am 26.10.2021 gebucht ist, ergibt sich ebenfalls aus dieser Stellungnahme, zudem ist die Flugbuchung für diesen Termin im Verwaltungsakt dokumentiert, ebenso ein Abschiebeauftrag. Der Umstand, dass die marokkanischen Behörden derzeit nur zwei Personen pro Monat übernehmen, ist auch einem im Verwaltungsakt einliegenden E-Mail der zuständigen Abteilung der Direktion des Bundesamtes (B/I/2 – Operative Angelegenheiten) vom 08.10.2021 zu entnehmen; auch aus diesem E-Mail geht hervor, dass der BF am nunmehr vorgesehenen Termin am 26.10.2021 abgeschoben werden sollte. Es ist gerichtsbekannt, dass Marokko Heimreisezertifikate erst unmittelbar vor einem Flug ausstellt. Da der BF von der marokkanischen Botschaft identifiziert wurde, ist mit einer Ausstellung eines HRZ für den BF noch vor dem 26.10.2021 zu rechnen. Sollte es bezüglich des Fluges zu einer Verzögerung kommen, so ist dennoch eine Außerlandesbringung des BF in Kürze zu erwarten, da die mit der Identifizierung des BF einhergehende Zustimmung Marokkos zur Ausstellung eines HRZ nicht befristetet ist, weshalb lediglich eine neuerliche Flugbuchung für eine begleitete Abschiebung nötig wäre. Davon ausgehend war die Feststellung zu treffen, dass eine Abschiebung des BF am 26.10.2021 oder in Kürze erwartet werden kann.

2. Zu Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

2.1. Die Feststellung, dass der BF illegal in das Bundesgebiet einreiste, wurde aus der entsprechenden Feststellung im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2019 zum zweiten Asylantrag des BF übernommen. Dass das Beschwerdeverfahren zum ersten Asylantrag nach Untertauchen des BF eingestellt wurde, ergibt sich aus dem Aktenvermerk vom 20.11.2014 im Gerichtsakt Zl. I403 1433547-1. Dass der BF das Beschwerdeverfahren in Österreich nicht abwartete und untertauchte, sowie dass der BF auch in der Schweiz und in Schweden Asylanträge stellte, ist unstrittig; in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.07.2021 gab er diesbezüglich an: „Ich wollte es nur ausprobieren. Wenn es funktioniert, dann funktioniert es.“ In Österreich sei ihm keine Chance gegeben worden.

2.2. Dass der BF der Anordnung einer Wohnsitzauflage nicht nachkam, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und wurde vom BF in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2021 ebenfalls nicht bestritten.

2.3. Dass der BF das gelindere Mittel einer periodischen Meldeverpflichtung nur bis zum 31.10.2020 erfüllte und danach nicht mehr, ergibt sich aus dem Bericht und dem Meldeblatt der für die Meldung zuständigen Polizeiinspektion im Verwaltungsakt. Auch dem ist der BF in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten. Die Feststellung, dass der BF vor seiner Anhaltung am 17.06.2021 nicht polizeilich gemeldet war, fußt auf einen aktuellen Auszug aus dem zentralen Melderegister.

2.4. Die Feststellung, der BF habe versucht nach seiner Verhaftung am 17.06.2021 aus einer Polizeiinspektion zu fliehen, trifft das Gericht auf Grund der entsprechenden Ausführungen im Anhalteprotokoll vom 17.06.2021. Der BF räumte in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2021 auch ein, dass er sich wehren wollte (aus dem Anhalteprotkoll ergibt sich, dass der BF von den einschreitenden Polizeibeamten am Boden fixiert wurde), er bestritt aber, dass er flüchten wollte. Der nunmehr erkennende Richter folgt diesbezüglich der Beweiswürdigung des Richters im Verfahren zur Schubhaftbeschwerde vom 07.07.2021, Zl. 2224161-5, wonach die Relativierung, er habe gar nicht flüchten wollen, unglaubwürdig sei. Es stellt sich nämlich die Frage, gegen was sich der BF hätte wehren wollen. Den Vorwurf, es sei zu einem Übergriff der Beamten gekommen, bezog der BF nämlich erst auf das unmittelbar nachfolgende Geschehen. Dagegen sind die Ausführungen im Anhalteprotokoll in sich schlüssig und nachvollziehbar. Auch der nunmehr erkennende Richter folgt daher diesen Ausführungen und hält die Relativierung des BF für nicht glaubhaft.

2.5. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des BF stützen sich auf einem aktuellen Strafregisterauszug und auf das im Verwaltungsakt einliegende Urteil vom 10.09.2019 sowie das im Gerichtsakt zur gegenständlichen Schubhaftüberprüfung einliegende Urteil vom 29.01.2015.

3. Zur familiären/sozialen/beruflichen Komponente:

3.1. Dass der BF vor Verhängung der gegenständlichen Schubhaft keiner legalen Erwerbstätigkeit nachging, hat der BF in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 18.06.2021 und in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2021 eingeräumt, er gab an, „schwarz“ für ein Lieferservice gearbeitet zu haben, er habe Essen ausgeliefert, den Arbeit- bzw. Auftraggeber nannte der BF nicht. Er bemerkte dazu, es sei besser, wenn er schwarz arbeite, als wenn er etwas illegales mache. Einer legalen Erwerbstätigkeit des BF steht auch der Umstand entgegen, dass es ihm hierfür an den rechtlichen Voraussetzungen mangelt.

3.2. Dass der BF über keine ausreichenden Existenzmittel verfügt, ergibt sich aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres, wo mit Stand 08.10.2021 ein verfügbarer Geldbetrag von Euro 84,02 vermerkt ist, und ist im Übrigen unbestritten. Selbstredend handelt es sich bei dem genannten Betrag um keine ausreichenden Existenzmittel. In der mündlichen Verhandlung am 13.07.2021 sagte der BF aus, dass er gar kein Geld habe.

3.3. Die Feststellungen zur Person des BF, nämlich dass er ledig, kinderlos und in Österreich kein Familienangehörigen hat, werden auf Grund seiner diesbezüglichen Angaben in der Einvernahmen vor dem Bundesamt am 01.06.2020 und 18.06.2021 getroffen. Dass sein Bruder in Deutschland lebt, hat der BF in Einvernahme am 01.06.2020 vorgebracht, dass seine Schwester in Marokko verheiratet ist, hat der BF in der Einvernahme am 01.06.2020 und in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2021 ausgesagt. Maßgebliche soziale Integrationsmerkmale sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch vom BF nicht behauptet.

3.4. Die Feststellung, dass der BF vor seiner Anhaltung am 17.06.2021 im Bundesgebiet nicht gemeldet war, stützt sich auf einen Auszug aus dem zentralen Melderegister. Entgegen den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung und in Einvernahme am 18.06.2021 lag auch keine Obdachlosenmeldung vor, der Flüchtlingsverein XXXX hat mit Schreiben vom 04.06.2021 dem Bundesamt lediglich mitgeteilt, den BF als Klienten des Vereins an einer näher genannten Anschrift entweder melden zu wollen oder auf Grund eines fehlenden Ausweises nicht melden zu können.

Dass er bei Freunden geschlafen hat, ohne dort gemeldet zu sein, ergibt sich aus den entsprechenden Aussagen des BF vor dem Bundesamt am 18.06.2021 und aus der mündlichen Verhandlung am 13.07.2021.

Wie im Verfahren zur Schubhaftbeschwerde vom 07.07.2021 unterstellt der erkennende Richter, dass der BF im Falle seiner Entlassung aus der Schubhaft bei Frau XXXX Unterkunft nehmen könnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt – ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG – einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.1.3. Auf Grund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten rechtzeitig zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist hinausgehen soll, vorzulegen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig zu übermitteln, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche vor dem Termin verbleibt. Der BF befindet sich seit 18.06.2021 in Schubhaft, die Frist zur amtswegigen Vier-Monats-Überprüfung durch das Gericht endet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daher am 18.10.2021 (vgl. VwGH 27.08.2020, Ro 2020/21/0010, Rz. 8).

3.1.4. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung und Fortsetzung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft) – möglich ist.

3.1.5. Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:

Dabei ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 FPG zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Der BF ist während des Beschwerdeverfahrens zu seinem ersten Asylantrag untergetaucht. Das Beschwerdeverfahren wurde daraufhin eingestellt. Er hat damit am Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mitgewirkt, weshalb die Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt ist. Zudem reiste der BF in andere Schengen-Vertragsstaaten und stellte in Schweden und der Schweiz Asylanträge. Auch diese Handlungen zielten darauf ab, eine Rückkehr in den Herkunftsstaat zu umgehen oder zu behindern. Bei seiner Festnahme am 17.06.2021 versuchte der BF zu fliehen. Damit setzte der BF wiederum eine Handlung, die darauf abzielte, seine Abschiebung zu umgehen oder zu behindern. Der Fluchtgefahrtatbestand der Z 1 leg.cit. ist damit im Falle des BF mehrfach erfüllt.

Bei der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Gegen den BF liegt seit 16.04.2019 eine durchsetzbare und durchführbare Rückkehrentscheidung vor und der BF hat sich dem Verfahren über einen Asylantrag entzogen, weshalb auch der Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu bejahen ist.

Gemäß § 76 Abs. 3 Z 7 FPG ist bei der Beurteilung der Fluchtgefahr zu berücksichtigen, ob der Fremde seiner Verpflichtung aus einem gelinderen Mittel nicht nachkommt. Dies ist im Falle des BF zu bejahen, er ist seiner mit Bescheid vom 18.09.2020 auferlegten Meldeverpflichtung bei einer Polizeiinspektion nur bis 31.10.2020 nachgekommen, danach meldete er sich nicht mehr. Er kam somit seiner Meldeverpflichtung nicht mehr nach, weshalb auch dieser Fluchtgefahrtatbestand erfüllt ist.

Selbiges trifft auch auf den Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 8 FPG zu. Danach ist zu berücksichtigen, ob der Fremde u.a. eine Anordnung der Unterkunftnahme gemäß § 57 FPG verletzt hat. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, hat der BF die Verpflichtung, in einer bestimmten Betreuungseinrichtung Unterkunft zu nehmen, nicht eingehalten. Auch der Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z 8 FPG ist daher erfüllt.

Bei der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, sind gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG der Grad der sozialen Verankerung des Fremden in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Der BF verfügt über keine Existenzmittel und übte vor seiner Anhaltung am 17.06.2021 keine legale Erwerbstätigkeit aus, er arbeitete vielmehr „schwarz“. Er verfügte im Zeitpunkt der Verhaftung über keinen gesicherten Wohnsitz. Er schlief nach seinen Angaben bei zwei Freunden, deren Namen und Adressen er aber nicht bekannt geben wollte. Der BF war nicht polizeilich gemeldet. Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich. Im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft könnte der BF bei einer Bekannten Unterkunft nehmen. Aber auch in diesem Falle ist in Hinblick auf das Nichtbestehen von familiären Beziehungen, das Fehlen einer legalen Erwerbstätigkeit und der Mittellosigkeit des BF der Grad seiner sozialen Verankerung in Österreich in einer Gesamtsicht als gering zu beurteilen. Der Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG ist daher im Fall des BF weiterhin erfüllt.

Zum Zeitpunkt der vorliegenden Schubhaftüberprüfung liegen daher die Fluchtgefahrtatbestände der Z 1, Z 3, Z 7, Z 8 und Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG vor. Es ist daher weiterhin von einer erheblichen Fluchtgefahr auszugehen.

3.1.6. Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung ergibt, dass eine Vielzahl an Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprechen. Im Fall des BF ist ein beträchtliches Risiko des Untertauchens gegeben. Der BF entzog sich dem Asylverfahren in Österreich und reiste in andere Staaten weiter und stellte in Schweden und der Schweiz weitere Asylanträge. Der BF wurde in Österreich mehrfach straffällig. Er ging in Österreich einer illegalen Beschäftigung nach. Der BF befolgte weder eine Wohnsitzauflage noch kam er seiner Verpflichtung aus einem gelinderen Mittel nach. Der BF zeigte mit seinem Verhalten deutlich auf, sich nicht der österreichischen Rechtsordnung unterordnen zu wollen. Auch kündigte er bereits an, im Falle einer Abschiebung nach Marokko sofort und entgegen dem Einreiseverbot wieder nach Europa zurückkehren zu wollen. In Österreich befinden sich keine Familienangehörige des BF, er verfügt über keine Mittel zur Existenzsicherung und er ging keiner legalen Beschäftigung nach. Bei diesem Vorverhalten und der als sehr gering zu bezeichnenden sozialen Verankerung in Österreich ist der BF im hohen Maße als fluchtgefährlich zu beurteilen und sind daher auch in einer Gesamtsicht Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf gegeben.

3.1.7. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Wie dargelegt ist der BF im Zeitraum von 2013 bis 2018 mehrfach straffällig geworden und wurde unter anderem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung, unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, schweren gewerbsmäßigen Diebstahl durch Einbruch und wegen Raubes verurteilt. Die im Jahre 2013 und 2014 begangenen Straftaten (Suchtgiftdelikte, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung) liegen zwar schon einige Jahre zurück, die Straftaten der Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch und des Raubes beging der BF jedoch erst vor vier bzw. etwas weniger als vier Jahren. Wegen der Straffälligkeit des BF, insbesondere der Vielzahl der vom BF begangenen Delikten, darunter mehrere Gewaltdelikte (Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und Raub), ist davon auszugehen, dass ein besonders hohes öffentliches Interesse an der baldigen Außerlandesbringung des BF besteht.

Betrachtet man die Interessen des BF an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse im Inland zeigt sich, dass der BF keine Familienangehörigen, keine legale Erwerbstätigkeit, und keine engen sozialen Kontakte im Inland vorweisen konnte, die im Rahmen der Abwägung die Entscheidung zu Gunsten einer Freilassung zu beeinflussen geeignet waren. Die persönlichen Interessen des BF wiegen daher weit weniger schwer als das erhöhte öffentliche Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung.

Der BF wird seit 18.06.2021 und somit seit 4 Monaten in Schubhaft angehalten. Seine begleitete Einzelabschiebung von Wien über Paris nach Marokko ist für den 26.10.2021 geplant und ein Flug ist gebucht. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist mit einer rechtzeitigen Ausstellung eines HRZ seitens der marokkanischen Botschaft vor dem Flug zu rechnen. Selbst wenn es zu einer Verschiebung kommen sollte, ist eine Abschiebung des BF in Kürze zu erwarten, da ein (unbefristete) HRZ-Zusage Marokkos vorliegt und Einzelabschiebungen nach Marokko seit August 2021 wieder durchgeführt werden.

Vor der gegenständlichen Schubhaft wurde der BF vom 01.10.2019 bis 13.03.2020 und vom 01.06.2020 bis 18.09.2020 in Schubhaft angehalten, zusammen also bereits für ca. neun Monate.

Angesichts des besonders hohen öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesbringung des BF ist die Anhaltung des BF zum gegenwärtigen Zeitpunkt – auch unter Einbeziehung der Schubhaften im Jahr 2019 und 2020 – weiterhin als verhältnismäßig zu beurteilen. Die Schubhafthöchstdauer beträgt im Falle des BF gemäß § 80 Abs. 4 Z 1 und Z 2 FPG 18 Monate. Eine Abschiebung des BF scheiterte während der vorangegangenen Schubhaften daran, dass der BF seitens Marokkos trotz fortlaufender Urgenzen seitens des Bundesamtes ab April 2019 zunächst nicht identifiziert wurde. Dabei handelt es sich um einen Fall von „Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen“ im Sinne des Art. 15 Abs. 6 lit b der RückführungsRL, der in Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Verlängerung der Schubhaft über 6 Monate um weitere 12 Monate ermöglicht, wenn eine Abschiebemaßnahme trotz der angemessenen Bemühungen des Mitgliedstaates wahrscheinlich länger als 6 Monaten dauert. Nunmehr und vor Verhängung der gegenständlichen Schubhaft liegt eine Identifizierung des BF seitens des Herkunftsstaates vor und es ist wie ausgeführt mit seiner Abschiebung in Kürze, und damit jedenfalls innerhalb der für BF geltenden verlängerten Schubhafthöchstdauer, zu rechnen. Bei einer Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten ist auch die Gesamtdauer aller drei seit der Erlassung der Rückkehrentscheidung am 16.04.2019 verhängten Schubhaften (derzeit 13 Monate) wegen des besonders hohen öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung des BF zum gegenwärtigen Zeitpunkt verhältnismäßig.

3.1.8. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Gegen die Verhängung eines gelinderen Mittels spricht die Straffälligkeit und die damit einhergehende mangelnde Vertrauenswürdigkeit des BF, sowie, dass der BF bereits einmal ein ihm gewährtes milderes Mittel nicht befolgt hat. Auch indem der BF eine Wohnsitzauflage nicht einhielt, zeigte er auf, dass er nicht gewillt ist, sich an behördliche Aufträge zu halten. Auch kündigte er an, im Falle einer Abschiebung entgegen dem Einreiseverbot wieder nach Europa zurückkehren zu wollen. Auch mit dieser Ankündigung zeigt der BF auf, sich weiterhin der Rechtsordnung nicht unterordnen zu wollen. Bei diesem Vorverhalten kann nicht erwartet werden, dass er der neuerlichen Anordnung einer periodischen Meldepflicht nachkommen und diese Maßnahme ausreichen würde, dass er sich der Behörde zur Verfügung hält.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels scheidet daher weiterhin aus.

3.1.9. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.1.10. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der entscheidungsrelevante Sachverhalt sich als hinreichend geklärt erwiesen hat.

Für Änderungen des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, die allfällig eine Verifizierung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erfordern würden, gab es im gegenständlichen Ermittlungsverfahren keinen Hinweis. Die Rechtsvertretung hat in Ihrer Stellungnahme kein Vorbringen zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vorgebracht. Soweit sie darauf hinweist, dass der BF im Falle einer Entlassung bei Frau XXXX Unterkunft nehmen könnte und nicht obdachlos wäre, wiederholt die Stellungnahme bloß ein Vorbringen, welches bereits in Schubhaftbeschwerde vom 07.07.2021 erstattet wurde. Der Richter im Verfahren zur Schubhaftbeschwerde ging davon aus, dass der BF dort wohnen könnte und die Rechtsvertretung verzichtete auf die Einvernahme der Genannten als Zeugin. Auch der nunmehr erkennende Richter unterstellt, dass der BF bei der Genannten wohnen könnte. Wie ausgeführt, ist aber in der Beurteilung des erkennenden Richters auch bei dieser Annahme die Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt und liegt in der Zusammenschau mit den anderen erfüllten Fluchtgefahrtatbeständen der Z 1, Z 3, Z 7 und Z 8 leg.cit. weiterhin erhebliche Fluchtgefahr vor. Mit dem zweiten knappen Vorbringen, der BF stünde in Marokko vor dem Nichts, wendet sich die Stellungnahme gegen die rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2019 im Asylverfahren. Aus welchen Gründen dieses pauschale Vorbingen im Schubhaftverfahren aufzugreifen wäre, wird nicht dargelegt.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Schwarzarbeit Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit Verzögerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W180.2224161.7.00

Im RIS seit

11.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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